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REZENSION/703: Gerhard Feldbauer - Die Strategie Palmiro Togliattis (SB)


Gerhard Feldbauer


Die Strategie Palmiro Togliattis während und nach der Befreiung Italiens vom Faschismus



In Deutschland und anderen Ländern Europas treibt die erstarkende Rechte in den Parlamenten die politische Gegnerschaft vor sich her, besetzt mit ihren Aufmärschen die Straße und macht Hetzjagd auf Minderheiten, die ins Visier ihrer Feindbildproduktion geraten. Die Parteienlandschaft driftet nach rechts, wo ihre reaktionärsten Fraktionen und Teile der Geheimdienste rechtsextremistische Umtriebe protegieren. Nationalismus, Rassismus und Sozialdarwinismus feiern Hochkonjunktur, der Ausbau repressiver Staatlichkeit führt die Rechte an der langen Leine und schleift die erodierende Linke. Eine gespaltene, konkurrenzgetriebene und entsolidarisierte Gesellschaft entsorgt den Nährboden menschlichen Zusammenhalts. Die ökonomische, ökologische und soziale Krise befördert und befeuert aggressivste Überlebenskämpfe in lokalen Schmelztiegeln und globalen Feldzügen.

Angesichts dieses Szenarios stellt sich für die schrumpfende Linke abermals, doch auf innovative Weise und in aller Schärfe die Bündnisfrage an einem historischen Scheideweg. In die Isolation getrieben schwindet sie zur Bedeutungslosigkeit. In Anbiederung an bürgerliche Ideologien und Pfründe reißt sie eigenhändig ihre Wurzeln aus. Wer sich mithin aufs äußerste gefordert sieht, zwischen Scylla und Charybdis zu navigieren, kann jede Hilfe gebrauchen, so auch jene Lehren, die aus der Geschichte zu ziehen wären. Die vielzitierte Blaupause wird man dabei allerdings nicht finden, zumal sich die vermeintliche Zwangsläufigkeit und Folgerichtigkeit der Ereignisse lediglich in der Rückschau so darstellt. Empfehlenswert ist indessen Gerhard Feldbauers Herangehensweise, der in seinem Vorwort anmerkt, er habe auch den eigenen Erkenntnisstand auf den Prüfstand gestellt und erhebe keinen Anspruch auf einzig maßgebliche Erkenntnisse. Sie seien vielmehr als Anregung für das fortgesetzte Nach- und Durchdenken der Problematik zu sehen, in die noch weitere Aspekte einfließen könnten und auch müßten.

Der Autor, langjähriger Korrespondent in Italien und Vietnam, habilitiert in italienischer Geschichte und aus persönlichem Erleben mit den dortigen Verhältnissen vertraut, gehört zu den renommiertesten Experten auf diesem Gebiet. [1] Er entschlüsselt Geschichte als Klassenauseinandersetzung und verweigert sich einer Historie der Sieger, wenn er in den Kämpfen der Resistenza Errungenschaften ausweist, wie man sie vordem für unmöglich erachtet hatte und die von einem Konter reaktionärer Interessen in Italien selbst wie seitens der Alliierten im Keim erstickt wurden, bevor sie zum Fanal auch für andere westliche Länder heranreifen konnten. Was er für die Kriegsjahre analysiert, als Höhenflug und Niederlage der italienischen Linken vor Augen führt, erlangt insofern Bedeutung weit über die dargestellte historische Epoche hinaus, als dies dazu beitragen könnte, Fehlentscheidungen und insbesondere den Rückfall hinter frühere Positionen selbstkritisch auszuwerten und in Übertragung auf die heutigen Verhältnisse fruchtbar zu machen.

Palmiro Togliatti, Mitbegründer und in Nachfolge Antonio Gramscis Generalsekretär der IKP, steht als Schlüsselfigur für die Strategie der Kommunistischen Partei Italiens jener Jahre, die auf dem Höhepunkt ihres Einflusses stärker als jede andere in Westeuropa war. Als Architekt der "Wende von Salerno" schuf er am 22. April 1944 mit dem Eintritt der IKP in die Badoglio-Regierung die Voraussetzungen für eine gemeinsame Front im nationalen Befreiungskampf und legte diesen auf einen antifaschistischen Kurs fest. Ende April 1945 herrschte nach der Niederwerfung des Faschismus eine revolutionäre Situation, die von einer Erschütterung der ökonomischen, politischen und militärischen Macht des italienischen Imperialismus wie auch einer gut organisierten Arbeiterklasse mit einer breiten Massenbasis und einer halben Million bewaffneter Kämpfer gekennzeichnet war. Der IKP-Flügel um Luigi Longo forderte vergeblich den Kampf gegen den inneren Feind und die Umsetzung des parlamentarischen Kampfes mit Massenaktionen ein. Die IKP-Führung um Togliatti ließ die Entwaffnung der Partisanen zu, beendete die Verfolgung der Regimeverbrecher und erkannte die unter Mussolini geschlossenen Lateranverträge an. Die nach dem Sieg der Resistenza vorhandene Ausgangsposition wurde preisgegeben, die Restauration der Kapitalherrschaft nahm ihren Lauf.

Feldbauer zeichnet die wesentlichen Etappen der Entwicklung vom Sturz Mussolinis am 25. Juli 1943 bis ins Jahr 1946 dezidiert nach und analysiert, wie es zu dieser in Westeuropa beispiellosen revolutionären Situation gekommen war und auf welche Weise sie bald darauf Zug um Zug wieder verlorengegeben wurde. So führt er aus, daß Stalin bereits nach dem faschistischen Überfall auf die UdSSR die Parteien der Komintern mit Blick auf die Schaffung einer Antihitlerkoalition angewiesen hatte, die Frage der sozialistischen Revolution nicht aufzuwerfen. Am 21. Mai 1943 wurde unter Vorsitz Georgi Dimitroffs der Beschluß zur Auflösung der Komintern gefaßt, um gegenüber den westlichen Partnern zu unterstreichen, daß die KPdSU im Kampf gegen den Faschismus keine sozialistischen Ziele in anderen Ländern verfolgte. Als Palmiro Togliatti am 27. März 1944 aus der langjährigen Emigration in Moskau nach Italien zurückkehrte, hatte er das weitere Vorgehen zuvor eng mit Stalin abgestimmt.

Zugleich orientierte er sich aber auch an Antonio Gramscis Ausführungen zur Bündnispolitik gegen den Faschismus, der zufolge zur Bildung einer breiten Front Kompromisse unabdingbar seien, die jedoch die eigenen Prinzipien nicht in Frage stellen dürften. Mit der "Wende von Salerno", dem Eintritt der Kommunisten und Sozialisten gemeinsam mit den bürgerlichen Oppositionsparteien in die Regierung Pietro Badoglios, verwirklichte die Partei unter ihrem Vorsitzenden Gramscis Konzept eines "Historischen Blocks" und schuf eine nationale Kriegskoalition gegen die Mussolini-Faschisten und die deutsche Wehrmacht. Damit leistete die IKP im internationalen Sinne einen historischen Beitrag zur Antihitlerkoalition und setzte auf nationaler Ebene die Vorstellungen Gramscis auf schöpferische Weise zunächst sehr erfolgreich um. Die Durchsetzung der Konzeption Togliattis stärkte die IKP als mehrheitlich anerkannte führende Kraft der Resistenza, schloß die Reihen der antifaschistischen Einheitsfront und erweiterte ihre Massenbasis in den Industriebetrieben Norditaliens.

Als entscheidendes Manko sollte sich jedoch erweisen, daß unter Überbetonung der nationalen Einheit die ursprüngliche Kernforderung nach Schaffung einer sozialistischen Gesellschaft zunehmend an den Rand rückte und bei wegweisenden Abkommen mit bürgerlichen Kräften überhaupt nicht mehr auftauchte. Weder griff die IKP die Forderung nach einer Volksregierung auf, noch entwickelte sie eine klare Strategie für die Zeit nach dem Sieg über den Faschismus. Wenngleich das Befreiungskomitee im April 1945 über einen enormen Einfluß verfügte, verstrich die bis zum Spätherbst des Jahres anhaltende revolutionäre Situation, ohne daß eine grundlegende Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse herbeigeführt worden wäre.

Obgleich die deutsche Okkupation einem erbarmungslosen Vernichtungskrieg gegen die Bevölkerung glich, waren die Partisanenverbände so erfolgreich, daß die Wehrmacht schon Anfang 1944 15 Divisionen gegen sie einsetzte. In befreiten Zonen regierte sich die Bevölkerung in enger Zusammenarbeit mit den Partisanen selbst, worin die IKP eine Schule menschlicher Verbrüderung und ein Modell für den italienischen Staat sah. Dies rief die Eliten aus Wirtschaft, Kurie und Politik auf den Plan, eine Nachkriegsordnung nach dem Muster ihrer angestammten Herrschaft sicherzustellen. Auch den Westalliierten war daran gelegen, die Partisanen zu zügeln, ehe deren gesellschaftsverändernde Bestrebungen um sich greifen konnten. Um die Sowjetunion zu schwächen, verzögerten sie die Eröffnung einer zweiten Front wie auch den Vormarsch in Italien. Im Herbst 1944 riefen sie die Partisanen sogar dazu auf, im Winter nicht mehr zu kämpfen und ihre Verbände aufzulösen, was diese jedoch nicht befolgten.

Am 7. Dezember 1944 wurde das Römische Protokoll unterzeichnet, das die offiziellen Beziehungen zwischen der Resistenza und den angloamerikanischen Alliierten regeln sollte. Die Befreiungskomitees wurden zwar als Regierungsorgane anerkannt, doch endete diese kurze Phase mit dem Eintreffen der US-Truppen. Im Frühjahr 1945 zeugte der weithin befolgte Aufruf zum Generalstreik und der bewaffnete Aufstand in zahlreichen Städten Norditaliens von einer Situation des greifbar nahen Umbruchs. Gegen den Willen der noch nicht eingetroffenen US-Amerikaner eröffneten die Partisanen eine letzte Offensive und zwangen die verbliebenen deutschen Verbände zur Kapitulation. Sie nahmen Mailand ein, etablierten Kriegsgerichte, urteilten führende Faschisten ab und führten Hinrichtungen durch, darunter auch jene des auf der Flucht gefangengenommenen Mussolini.

Mit Blick auf die Nachkriegsordnung warnte die Gruppe um Luigi Longo und den für Militärfragen zuständigen Pietro Secchia, unterstützt von den Partisanen der IKP, vor Spaltungsversuchen reaktionärer Kräfte innerhalb und außerhalb Italiens und forderte eine sozialistische Ausrichtung, der mit Massenaktionen Nachdruck verliehen werden sollte. Es setzte sich jedoch eine von Togliatti angeführte Gruppe der IKP-Führung durch, die den parlamentarischen Weg im Bündnis mit großbürgerlichen Kräften einschlug. Wenngleich die Briten und Amerikaner in dieser Phase des Krieges kaum eine offene militärische Konfrontation mit den italienischen Partisanen gewagt hätten, ließ sich Togliatti offenbar von den strategischen Interessen Stalins leiten, der den erreichten Einflußbereich sichern und die Zusammenarbeit mit den Westalliierten fortsetzen wollte.

So vermied die IKP die Konfrontation mit der Konterrevolution, mobilisierte die Massen nicht und beendete de facto die Errungenschaften der freien Zonen. Sie fügte sich in eine Amnestie der "nationalen Versöhnung" und stimmte einer Sanktionierung der Lateranverträge zu, was der gestärkten katholische Kirche in der Folge einen antikommunistischen Kreuzzug ermöglichte. Im Herbst 1945 war weder die Macht des Kapitals beschnitten noch der Großgrundbesitz beseitigt, und selbst die Möglichkeit, auf demokratische Veränderungen Einfluß zu nehmen, nahm deutlich ab. Die von Kommunisten und Sozialisten angeführte Resistenza hatte mit Unterstützung weiter Teile der Bevölkerung Errungenschaften erkämpft, die mit der Ausrichtung auf eine Regierungsbeteiligung im Parlamentarismus verlorengingen.

Togliatti hatte bei der Konzipierung der IKP-Politik große theoretische Leistungen vollbracht und diese mit bemerkenswerter taktischer Begabung in Gestalt der antifaschistischen Einheitsregierung umgesetzt. Diese prägte jedoch seine weitere Haltung zu den großbürgerlichen Kräften im Rahmen der Bündnispolitik nachhaltig, so daß er in einer wegweisenden Phase der Nachkriegsordnung Kompromisse schloß und die Tragweite der Zugeständnisse oftmals verschwieg oder verharmloste. Im Oktober 1946 räumte er ein, daß es keine Mobilisierung der Partei gegeben habe und die günstige Ausgangsposition nach dem Sieg der Resistenza nicht genutzt worden sei. Dabei negierte Togliatti jedoch, daß Longo und Secchia frühzeitig gewarnt und die außerparlamentarische Kraft der Partei angemahnt hatten.


Fußnote:

[1] Siehe dazu: REZENSION/583: Gerhard Feldbauer - Wie Italien unter die Räuber fiel (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar583.html

REZENSION/631: Gerhard Feldbauer - Die Resistenza (Geschichte) (SB)
www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar631.html

REZENSION/678: Gerhard Feldbauer - Geschichte Italiens (SB)
www.schattenblick.de/infopool/buch/sachbuch/busar678.html

3. Oktober 2018


Gerhard Feldbauer
Die Strategie Palmiro Togliattis während und nach der Befreiung
Italiens vom Faschismus
Konsequent 2/2013
DKP Berlin
52 Seiten
ISSN 2196-5986
 
Neu erschienen in:
Konsequent
Marxistisch-leninistische Theorie und revolutionäre Praxis
Schriftenreihe der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP)
Landesorganisation Berlin
Ausgabe 1/2018


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