Schattenblick → INFOPOOL → BUCH → SACHBUCH


REZENSION/705: James Douglass - JFK and the Unspeakable (SB)


James Douglass


JFK and the Unspeakable

Why He Died and Why It Matters



Die Erschießung von John Fitzgerald Kennedy am 22. November 1963 auf offener Straße in Dallas, Texas, gilt neben der heimtückischen Messerattacke auf Gaius Iulius Caesar bei einer Sitzung des Senats in Rom am 15. März im Jahr 44 vor Christus als einer der bedeutendsten und berüchtigtsten Morde der Menschheitsgeschichte. Zwischen den beiden Attentaten gegen die in ihrer Epoche jeweils mächtigsten Männer der Welt gibt es jedoch einen gravierenden Unterschied. Die rund 60 Patrizier, die mit ihren Dolchen auf den großen Feldherrn Caesar einstachen, bekannten sich offen zum Tyrannenmord im Glauben, damit die römische Republik vor der Diktatur gerettet zu haben. Kennedys Mörder dagegen blieben im Verborgenen, präsentierten gleich am Tag des Attentats Lee Harvey Oswald als Schuldigen und ließen diesen zwei Tage später umbringen, um ihn anschließend mittels der Warren Commission zum "verrückten Einzeltäter" zu erklären.

Dessen ungeachtet glaubte schon damals und glaubt bis heute eine Mehrheit der US-Bürger nicht, daß ihr 1960 vom Volk gewählter Präsident von einem "lone nut", sondern von einer Verschwörung mächtiger Kräfte beseitigt wurde. Um diesen Glauben und jegliche Diskussion um die wahren Täter und ihre Motive in Mißkredit zu bringen, hat sich die CIA recht früh den Begriff "Verschwörungstheorie" ausgedacht, der seitdem jedesmal von Medien und Politik ins Feld geführt wird, wenn Normalsterbliche davon abgehalten werden sollen, sich allzu intensiv mit der Arbeit der Geheimdienste zu befassen. Als Reaktion auf diese Art des Mundtotmachens hat in den sechziger Jahren der angesehene katholische Mystiker und Friedensaktivist Thomas Merton in seinen berühmten Briefen von "the Unspeakable" gesprochen. James Douglas, schon damals Korrespondent und Bewunderer Mertons, hat die Wortschöpfung seines Mentors als Grundidee und Titel für sein vielgelobtes, erstmals 2008 erschienenes Buch zum JFK-Attentat verwendet. In der Einleitung liest man dazu - übersetzt vom Schattenblick - folgendes:

"Zu den schrecklichen Fakten unseren Zeitalters gehören", schrieb Merton 1965, "die Indizien, daß [die Welt] in der Tat bis in den Kern ihres Wesens unter der Anwesenheit des Unaussprechlichen leidet." Der Vietnamkrieg, die miteinander verwobenen Morde an John Kennedy, Malcolm X, Martin Luther King und Robert Kennedy waren alle Zeichen des Unaussprechlichen. Es haftet unserer Welt bis heute an. Wie Merton warnte: "Diejenigen, die sich gegenwärtig um jeden Preis mit der Welt versöhnen wollen, müssen sich in acht nehmen, nicht mit ihr unter diesem besonderen Aspekt, nämlich als Nest des Unaussprechlichen, versöhnt zu werden. Das wollen leider nur die wenigsten einsehen."

Wenn wir zutiefst menschlicher werden, wie Merton den Prozeß verstand, zwingt uns die Quelle unserer Mitleidenschaft dazu, das Unaussprechliche zu konfrontieren. Merton deutete auf eine Art von systemischem Bösen, welches das gesprochene Wort negiert. Für ihn war das Unaussprechliche schlicht eine Leere: "Es ist die Leere, die allem widerspricht, noch bevor die Worte ausgesprochen werden; die Leere, welche die Sprache der öffentlichen und amtlichen Erklärungen durchdringt gerade in dem Moment, in dem sie verkündet werden, und sie mit der Hohlheit des Abgrunds tot erklingen läßt. Es ist die Leere, aus der Eichmann die peinliche Genauigkeit seines Gehorsams bezog ..."
(S. XV)

Bereits im Januar 1962 - JFK war gerade ein Jahr im Weißen Haus - gab sich Merton in einem Brief an seinen Freund W. H. Ferry wenig zuversichtlich, daß sich der jüngste Präsident in der Geschichte der Vereinigten Staaten aus den Fängen jenes übermächtigen militärisch-industriellen Komplexes, vor dem sein Vorgänger Dwight D. Eisenhower zuletzt gewarnt hatte, würde befreien können:

"Ich habe wenig Vertrauen in Kennedy. Ich glaube, er ist der Größe der Aufgabe nicht gewachsen und daß ihm das kreative Vorstellungsvermögen und die besondere Feinfühligkeit, die nötig wären, fehlen. Bei ihm stelle ich eine Art Time- und Life- Mentalität fest, die sich in Wirklichkeit nichts mehr als Lincoln vorstellen kann. Nicht Klugheit oder Geschicklichkeit sind erforderlich, sondern das, worüber Politiker nicht verfügen, nämlich Tiefe und eine bestimmte Art der Selbstvergessenheit und der Leidenschaft, nicht nur anderen Individuen, sondern der Menschheit als Ganzes gegenüber - eine tiefere Art der Hingabe. Vielleicht wird Kennedy eines Tages wie durch ein Wunder dorthin gelangen. Doch solche Leute sind recht früh für die Liquidierung vorgesehen."
(S. XIVf.)

Wie die Nicht-Prophezeiung Mertons doch noch in Erfüllung gehen sollte ist der Gegenstand der vorliegenden Lektüre.

Kennedy, ein sozialliberaler Katholik, der als Schnellbootkommandeur im Pazifikkrieg dem Tod recht nahe gekommen war, scheute sich nicht, sich dem Rat der Kommunistenfresser im Sicherheitsapparat zu widersetzen. Als diese ihn nach nur wenigen Monaten im Amt mit dem auf Scheitern angelegten Schweinebucht-Fiasko zu einer Kuba-Invasion verleiten wollten, erkannte JFK die Falle sofort, enthielt den eingekesselten Castro-Gegnern die Luftunterstützung vor und feuerte CIA-Chef Alan Dulles. (Dulles agierte später beim Attentat von Dallas sowie als Mitglied der Warren Commission bei der Vertuschung als Drahtzieher; die rechtsgerichteten Exilkubaner dienten ihm als willige Vollstrecker).

Ebenfalls 1961 lehnte Kennedy eine vom Pentagon empfohlene Militärintervention in Laos ab und entschied sich für die Neutralität des Landes und eine Verhandlungslösung des dortigen innenpolitischen Konflikts. Zudem lehnte er die Forderung nach dem Einsatz von Atomwaffen in Berlin und in Südostasien ab und erklärte seine Generäle in deren Beisein für "verrückt". Während der hochbrisanten Kubakrise im Oktober 1962 weigerte er sich bis zuletzt, den vom Pentagon gewünschten Befehl zur Durchführung eines vernichtenden nuklearen Erstschlags gegen die Sowjetunion zu erteilen, womit er Abermillionen von Menschen das Leben, möglicherweise sogar die Zivilisation, wie wir sie kennen, gerettet hat. Kennedy gelang dies nicht nur, weil sich sein Bruder und Justizminister Robert heimlich mit dem sowjetischen Botschafter in Washington traf, sondern weil er selbst seit September 1961 mit Hilfe des KGB, des US-Journalisten Norman Cousins und Papst Johannes XXIII. eine ausgiebige, streng geheime Korrespondenz mit Kremlchef Nikita Chruschtschow führte.

Im Juni 1963 rief JFK bei einer erstaunlichen Rede an der American University in Washington zur weltweiten Abschaffung aller Atomwaffen und zur Beendigung des Kalten Krieges auf. Im Oktober 1963 ließ er den Worten Taten folgen und unterzeichnete gegen den Rat des eigenen Militärs das mit Chruschtschow ausgehandelte Atomteststoppabkommen. Im selben Monat leitete er mit der Unterzeichnung des National Security Action Memorandum 263 den Abzug der amerikanischen Streitkräfte aus Vietnam bis Ende 1965 in die Wege. Die positive öffentliche Reaktion auf seinen energischen Einsatz für das Teststoppabkommen überzeugte Kennedy von der Erfolgsaussicht einer Kandidatur als Friedensbotschafter der Demokraten bei der Präsidentenwahl 1964 gegen den republikanischen Hardliner Barry Goldwater. Doch die Wiederwahl Kennedys unter solchen Vorzeichen hätte verheerende Folgen für die Militaristen und die Rüstungslobby in den USA gehabt. Deswegen mußte er sterben und die von ihm geweckte Hoffnung auf eine friedlichere Welt vernichtet werden.

Parallel zur Geschichte der zunehmenden Entfremdung zwischen Kennedy und der sicherheitspolitischen Elite in Washington verarbeitet Douglass in seinem Buch die Vorgeschichte und Nachbereitung des Attentats in Dallas unter anderem mittels einer Fülle an Dokumenten und neuen Informationen, die im Zuge der Watergate-Affäre in den siebziger Jahren sowie als Reaktion auf die Kontroverse um Regisseur Oliver Stones Kinomeisterwerk JFK im Jahre 1991 ans Tageslicht gekommen sind. In großer Detailtreue schildert er, wie Oswald unfreiwillig und ohne es vielleicht zu ahnen in die Rolle des Attentäters hineinmanövriert wurde. Douglas belegt, daß Oswald FBI-Informant gewesen ist. Eine Agententätigkeit bei der CIA ist zudem die einzig plausible Erklärung dafür, wie sich der ehemalige Marineinfanterist 1959 ohne weiteres in die Sowjetunion "absetzen" und drei Jahre später problemlos heimkehren konnte, ohne den geringsten Ärger mit den Behörden in den USA zu bekommen. Alles deutet darauf hin, daß Oswald vom Mordkomplott gegen Kennedy wußte und diesem das Leben retten wollte. Kurz vor der Reise nach Texas war ein Auftritt Kennedys in Chicago wegen Anschlagsgefahr abgeblasen worden. Der rechtzeitige Hinweis stammte ausgerechnet von einem Informanten namens "Lee".

Douglass' Beschreibung der Vorbereitungen für den großen Politmord und des nicht unkomplizierten Tathergangs anhand der Aussagen zahlreicher Zeugen, die das Treiben der eigentlichen Schützen rund um die Dealey Plaza beobachtet haben, ist erschütternd. Noch niederschmetternder jedoch ist, wie nach den tödlichen Schüssen die Vertuschung durchgeführt wurde und Zeugen ignoriert oder eingeschüchtert, Beweise ignoriert, verfälscht oder zerstört wurden. Dies gilt insbesondere für die skandalösen Vorgänge um die Autopsie, die den zuständigen Medizinern im Parkland Hospital zu Dallas entrissen und statt dessen nach der Überführung der Leiche nach Washington noch in derselben Nacht unter der Aufsicht der höchsten Militärführung am Bethesda Marinekrankenhaus in Maryland durchgeführt wurde.

Auch die Kennedys, weder Witwe Jacqueline noch Bruder Robert, glaubten nicht an die These vom Einzeltäter Oswald. Douglass berichtet von einer vertraulichen Botschaft, die nach der teilweisen Öffnung der sowjetischen Archive in den neunziger Jahren aufgetaucht ist und in der die Kennedy-Familie Chruschtschow kurz nach dem weltbewegenden Attentat versicherte, daß JFK einem Komplott rechtsreaktionärer Kräfte in den USA zum Opfer gefallen war. Weil Robert Kennedy die Mörder seines Bruders kaltstellen und dessen Erbe in der Friedenspolitik antreten wollte, wurde auch er unter mysteriösen Umständen erschossen - noch am selben Abend, als er im Juni 1968 die Vorwahl der Demokraten in Kalifornien für die Präsidentenwahl gewonnen hatte. Vor der UN-Generalversammlung in New York warnte JFK 1961: "Die Menschheit muß dem Krieg ein Ende setzen, sonst setzt der Krieg der Menschheit ein Ende." Diese Worte sind angesichts der zunehmenden Spannungen zwischen den USA und ihren Verbündeten auf der einen, Rußland und China auf der anderen Seite aktueller denn je.

13. Oktober 2018


James Douglass
JFK and the Unspeakable
Why He Died and Why It Matters
Touchstone (Simon and Schuster), New York, 2010
518 Seiten
ISBN: 978-1-4391-9388-4


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang