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AFRIKA/149: In Äthiopien werden Menschenrechtsverteidiger drangsaliert


amnesty journal 3/2007 - Das Magazin für die Menschenrechte

Mundtot gemacht

Von Nina Tesenfitz


Bei den Parlamentswahlen im Mai 2005 wurden in Äthiopien zahlreiche Oppositionsanhänger und Menschenrechtsverteidiger drangsaliert und festgenommen. Viele befinden sich noch heute in Haft. Die Journalistin Serkalem Fasil ist eine von ihnen.


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Die 26-jährige Serkalem Fasil war Herausgeberin mehrerer unabhängiger Zeitungen und schwanger, als sie im November 2005 verhaftet wurde. Man warf ihr u.a. "Landesverrat und Anstiftung zur bewaffneten Verschwörung" vor. Was hatte sie getan? Sie war ihrem Beruf als Journalistin nachgegangen.

Obwohl Äthiopien die Menschenrechte in seiner 1995 verabschiedeten Verfassung verankert und mehrere internationale Menschenrechtsabkommen ratifiziert hat, registriert amnesty international nach wie vor zahlreiche Festnahmen von Journalisten, Menschenrechtsverteidigern und Oppositionellen. Infolge internationaler Proteste ging die Zahl der Verhaftungen von Journalisten seit 2003 zwar tendenziell zurück, von Pressefreiheit kann jedoch keine Rede sein. Für extreme Einschränkungen sorgt das äthiopische Strafgesetzbuch mit seinen Regelungen "zur Sicherung der Meinungsfreiheit, aber Verhinderung ihres Missbrauchs" (Art. 42-47). Dies führt zu Selbstzensur und ständiger Unsicherheit innerhalb der freien Presse. Die meisten privaten Zeitungen haben ihre Arbeit einstellen müssen. Viele Journalisten verließen bereits das Land.

Im Mai 2005 fanden Parlamentswahlen in Äthiopien statt. Zwei große Oppositionsgruppen, die Coalition for Unity and Democracy (CUD) und die United Ethiopian Democratic Front (UEDF), forderten die Regierungspartei Ethiopian People's Revolutionary Democratic Front (EPRDF) von Premierminister Meles Zenawi heraus. Die Opposition war zu diesem Zeitpunkt stärker und chancenreicher als bei allen Wahlen zuvor.

Serkalem Fasil und ihre Kollegen hatten in ihren Zeitungen Oppositionelle zu Wort kommen lassen und das Verhalten der Regierung kritisiert. Denn im Vorfeld der Wahlen waren Kandidaten und Anhänger der Opposition eingeschüchtert und festgenommen worden. Nach der Stimmabgabe am 15. Mai 2005 warf die Opposition der Regierung Wahlbetrug vor. Internationale Wahlbeobachter berichteten von zahlreichen Unregelmäßigkeiten. Ungeachtet der Tatsache, dass noch kein offizielles Endergebnis vorlag, da der Wahlgang in 31 Wahlkreisen aufgrund von Mängeln wiederholt werden musste, verkündeten die regierungseigenen Medien unmittelbar danach den Sieg der Regierungspartei. Premierminister Zenawi verbot alle Demonstrationen bis zur offiziellen Verkündung der Wahlergebnisse und übernahm persönlich den Befehl über die Sicherheitskräfte in Addis Abeba.

Doch am 5. Juni 2005 begannen Studenten mit Protesten, die von den Sicherheitskräften gewaltsam niedergeschlagen wurden. Im Verlauf der Auseinandersetzungen wurden 36 Demonstranten von der militärischen Spezialeinheit "Agaazi" erschossen und viele weitere verletzt. Rund 9.000 Menschen wurden zeitweise festgenommen.

Im September wurde das endgültige Wahlergebnis bekannt gegeben, wonach die Regierungspartei und ihre Verbündeten zwei Drittel der 527 Abgeordnetenmandate gewannen. Die Führung der CUD entschied, das neu gewählte Parlament zu boykottieren und rief im November 2005 zu weiteren Demonstrationen auf. Die Proteste, die zunächst gewaltlos mit einem Hupkonzert und Streiks begannen, eskalierten erneut. Mindestens 42 Demonstranten wurden in Addis Abeba von Sicherheitskräften erschossen, über 200 weitere verwundet. Über 10.000 Menschen wurden in verschiedenen Regionen des Landes festgenommen, unter ihnen auch neu ins Parlament gewählte Abgeordnete.

Insgesamt wurden während der Unruhen im Herbst 2005 knapp 200 Demonstranten getötet. Im März 2006 setzte das Parlament einen Ausschuss ein, der die Vorfälle untersuchen sollte. Im Juli flüchtete der Ausschussvorsitzende ins Ausland, im September sah sich sein Nachfolger zu dem gleichen Schritt gezwungen. Beide erklärten, der Ministerpräsident habe sie angewiesen, das Ergebnis der Ermittlungen zu manipulieren. Der Ausschuss war zu dem Schluss gekommen, das die Sicherheitskräfte während der Unruhen mit unverhältnismäßiger Gewalt vorgegangen waren.

Ebenfalls im März 2006 begannen die Gerichtsverfahren gegen diejenigen, die im Zusammenhang mit den Wahlen in haftiert worden waren. Die große Mehrzahl der Angeklagten lehnt eine Verteidigung ab. Ein faires Verfahren sei sowieso nicht zu erwarten, so ihre Begründung. Eine Entscheidung über Serkalem Fasils Fall stand bei Redaktionsschluss noch aus. Im Juni vergangenen Jahres brachte sie im Polizeikrankenhaus einen Sohn zur Welt, der als Frühgeburt besondere Behandlung benötigt. Die Behörden verweigern Mutter und Kind jedoch die nötige medizinische Versorgung. Serkalem Fasil und ihr Sohn sind unter katastrophalen Bedingungen im Kaliti-Gefängnis von Addis Abeba inhaftiert - ihre Zelle ist voller Ratten, Kakerlaken und Flöhe. Ein Ende ihres Martyriums ist nicht in Sicht.

Die Autorin ist Kampagnen-Referentin der deutschen ai-Sektion.


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Einsatz für die Menschenrechte

Im Rahmen der Kampagne "EinSatz für die Menschenrechte" ruft amnesty international zur Unterstützung für gewaltlose politische Gefangene wie Serkalem Fasil auf. Täglich werden weltweit Menschen verhaftet, bedroht, gefoltert oder getötet, weil sie ihre Meinung gesagt haben, sich mit friedlichen Mitteln gegen ihre Regierung auflehnen oder der falschen Religion oder ethnischen Gruppe angehören. Seit ihrer Gründung setzt sich amnesty international für sie ein - zum Beispiel mit Briefaktionen, an denen sich tausende Menschen aus aller Welt beteiligen. Simpel, aber erfolgreich: In fast der Hälfte der Fälle kann ai etwas bewirken. Auch Sie können einfach und schnell aktiv werden: Ein einziger Satz - eine zentrale Forderung - per E-Mail oder auf einer Postkarte reicht oft aus, um einen Unterschied zu machen. Und manchmal sogar ein Leben zu retten. Informationen unter www.amnesty.de/einsatz


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Quelle:
amnesty journal, März 2007, S. 24-25
Herausgeber: amnesty international
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E-Mail: info@amnesty.de
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. März 2007