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AKTION/1180: Urgent Action - Israel/besetzte palästinensische Gebiete, Hungerstreikende in Lebensgefahr


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-119/2012-8, AI-Index: MDE 15/051/2012, Datum: 14. September 2012 - bs

Israel / besetzte palästinensische Gebiete
Hungerstreikende in Lebensgefahr

Weitere Informationen zu UA-119/2012 (MDE 15/023/2012, 27. April 2012, MDE 15/025/2012, 4. Mai 2012, MDE 15/028/2012, 18. Mai 2012, MDE 15/032/2012, 11. Juni 2012, MDE 15/035/2012, 21. Juni 2012, MDE 15/038/2012, 12. Juli 2012, MDE 15/047/2012, 10. August 2012 und MDE 15/049/2012, 31. August 2012)



Herr HASSAN SAFADI
Herr SAMER AL-BARQ

Die jüngsten gegen Samer al-Barq und Hassan Safadi verfügten Verwaltungshaftanordnungen sind vor Kurzem bestätigt worden. Die beiden Männer sind aufgrund ihres Hungerstreiks seit dem 22. Mai bzw. 21. Juni in akuter Lebensgefahr. Sie protestieren damit gegen ihre fortgesetzte Inhaftierung ohne Anklageerhebung oder Gerichtsverfahren.

Nach mehreren Verzögerungen hat ein Militärrichter am 12. September die gegen Samer al-Barq verfügte dreimonatige Verwaltungshaftanordnung bestätigt. Sein Anwalt hat dagegen Rechtsmittel eingelegt, ein Termin für das Berufungsverfahren steht jedoch noch nicht fest. Samer al-Barq befindet sich nach wie vor in einer medizinischen Einrichtung des israelischen Gefängnisdienstes (Israel Prison Services - IPS) in Ramleh. Dort erhält er zwar intravenös Flüssigkeit, aber nicht die besondere medizinische Behandlung, die er benötigt. Er leidet an Unterleibsschmerzen, heftigem Schwindel sowie extrem niedrigem Blutdruck und Puls und hat bereits mehrfach das Bewusstsein verloren. Ein Arzt der israelischen Nichtregierungsorganisation Physicians for Human Rights - Israel (PHR) hat ihn am 10. September untersucht und auf die Gefahr hingewiesen, dass Samer al-Barq jederzeit einen Herzstillstand erleiden könnte und unbedingt in ein Krankenhaus eingewiesen werden müsse. Ebenfalls nach mehreren zeitlichen Verschiebungen hat ein Militärrichter auch die Verwaltungshaftanordnung gegen Hassan Safadi bestätigt, sie allerdings von sechs Monaten auf vier Monate reduziert. Sein Anwalt hat gegen die Verwaltungshaftanordnung Rechtsmittel eingelegt, und der Fall ist auf den 20. September vertagt worden. Nachdem sich der Gesundheitszustand von Hassan Safadi am 11. September verschlechtert hatte, wurde er aus der IPS-Einrichtung in das Assaf-Harofeh-Krankenhaus verlegt, wo er sich weiterhin befindet. Laut Angaben seines Rechtsbeistands ist er an das Krankenhausbett angekettet, was angesichts seines langen Hungerstreiks eine grausame und unmenschliche Behandlung darstellt. Ein PHR-Arzt untersuchte ihn am 10. September und fand heraus, dass er jegliches Gefühl in den Füßen verloren hatte. Der Mediziner empfahl deshalb eine umfassende neurologische Untersuchung. Es ist allerdings nicht bekannt, ob Hassan Safadi diese Untersuchung oder eine andere fachärztliche Behandlung in einem zivilverwalteten Krankenhaus erhalten hat.

Die unabhängige ärztliche Untersuchung der beiden Gefangenen wurde erst einen Monat nach der ursprünglichen Beantragung durch die PHR genehmigt. Die Anträge auf einen weiteren Besuch bei den Gefangenen sind bislang nicht beantwortet worden. Besuchserlaubnisse werden gewöhnlich erst vom IPS gewährt, wenn sie von einem Gericht angeordnet werden.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Die erste Festnahme von Samer al-Barq erfolgte am 15. Juli 2003 durch die pakistanischen Behörden. Er wurde zwei Wochen festgehalten und dann an die US-Behörden überstellt. Man hielt ihn drei Monate in einem Geheimgefängnis außerhalb Pakistans fest und brachte ihn schließlich am 26. Oktober nach Jordanien. Bis zu seiner Freilassung im Januar 2008 wurde er viereinhalb Jahre ohne Anklageerhebung oder Gerichtsverfahren in Jordanien in Haft gehalten. Im April 2010 wurde er erneut festgenommen und am 11. Juli 2010 an die israelischen Militärbehörden überstellt. Der 37-jährige Samer al-Barq wird seitdem ohne Anklage oder Gerichtsverfahren in Verwaltungshaft gehalten. Sein Rechtsbeistand hat gegenüber Amnesty International erklärt, dass er während dieser Zeit nicht verhört wurde. Nach 30 Tagen beendete er Mitte Mai 2012 seinen vorherigen Hungerstreik. Ab dem 22. Mai verweigerte er erneut die Nahrungsaufnahme, nachdem seine Haftanordnung um weitere drei Monate verlängert worden war. Seine Haftordnung wurde am 22. August erneut verlängert. Ein PHR-Arzt, der ihn vor Kurzem untersuchte, stellte fest, dass er ein Drittel seines Körpergewichts verloren habe. Während des Hungerstreiks war er zeitweise an das Krankenhausbett gekettet. AnwältInnen gegenüber gab er an, als Bestrafung für seinen Hungerstreik vom Gefängnispersonal geschlagen und beschimpft worden zu sein.

Der 33-jährige Hassan Safadi wird seit dem 29. Juni 2011 ohne Anklage oder Gerichtsverfahren festgehalten. Im Mai beendete er nach 70 Tagen seinen ersten Hungerstreik. Seine Haftanordnung wäre regulär im Juni ausgelaufen, doch sie wurde um sechs Monate verlängert. Hassan Safadi nahm daraufhin am 21. Juni seinen Hungerstreik wieder auf. und das Gericht hat bis heute keine Entscheidung veröffentlicht. Sein Rechtsbeistand hatte die Berufung israelischer BehördenvertreterInnen, die sich im Mai an den Verhandlungen über die Vereinbarung zur Beendigung der Massenstreiks beteiligt hatten, in den Zeugenstand beantragt. Die richterliche Prüfung seiner Haftanordnung wurde wegen Nichterscheinens dieser ZeugInnen mehrmals verschoben. Der PHR-Arzt, der Hassan Safadi vor Kurzem untersuchte, stellte fest, dass er 24 Prozent seines Körpergewichts verloren hat und an Muskelatrophie, vermindertem Sehvermögen, Schwindel, extrem niedrigem Blutdruck, Nierensteinen, Gelenkschmerzen, eingeschränktem Empfinden und Zyanose in den Händen und Füßen leidet, was auf eine dauerhafte Nervenschädigung hindeuten könnte. Auch er hat angegeben, vom Gefängnispersonal geschlagen und beschimpft worden zu sein.


EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE FAXE UND LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Ich bitte Sie eindringlich, Hassan Safadi und Samer al-Barq sowie alle weiteren hungerstreikenden Gefangenen in israelischer Haft in einem zivilen Krankenhaus behandeln zu lassen, in dem sie die erforderliche fachärztliche Betreuung erhalten und Zugang zu unabhängigen ÄrztInnen ihres Vertrauens habem, in dem sie Besuche ihrer Familienangehörigen erhalten können und keiner grausamen und unmenschlichen Behandlung - wie Anketten am Krankenbett - ausgesetzt werden.
  • Ich fordere nachdrücklich die unverzügliche Freilassung von Samer al-Barq, Hassan Safadi und aller übrigen Verwaltungshäftlinge, sofern sie nicht umgehend einer international als Straftat anerkannten Handlung angeklagt und in Übereinstimmung mit internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren vor Gericht gestellt werden.
  • Bitte sorgen Sie auch dafür, dass umgehend eine unparteiliche und umfassende Untersuchung ihrer Misshandlungsvorwürfe durchgeführt wird.

APPELLE AN

LEITER DER GEFÄNGNISVERWALTUNG
Lieutenant-General Aharon Franco
Israel Prison Service
P.O. Box 81, Ramleh 72100, ISRAEL
(Anrede: Dear Lieutenant-General / Sehr geehrter Herr Generalleutnant)
Fax: (00 972) 8 919 3800

LEITENDER BEAMTER IM GESUNDHEITSMINISTERIUM
Director General, Dr. Roni Gamzo, Ministry of Health
2 Ben Tabai Street
Jerusalem 93591, ISRAEL
Anrede: Dear Director General, Sehr geehrter Herr Generaldirektor)
Fax: (00 972) 2 565 5966


KOPIEN AN

MINISTER FÜR ÖFFENTLICHE SICHERHEIT
Yitzhak Aharonovitch
Ministry of Public Security, Kiryat Hamemshala
Jerusalem 91181, ISRAEL
(korrekte Anrede: Dear Minister / Sehr geehrter Herr Minister)
Fax: (00 972) 2 584 7872
E-Mail: sar@mops.gov.il

BOTSCHAFT DES STAATES ISRAEL
S.E. Herrn Jaakov Hadas-Handelsman
Auguste-Viktoria-Straße 74-76
14193 Berlin
Fax: 030 8904-5555 oder -5309
E-Mail: botschaft@israel.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Hebräisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 26. Oktober 2012 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY
  • Calling for Samer al-Barq, Hassan Safadi, and all other hunger strikers in Israeli custody to be given all necessary specialized medical treatment in a civilian hospital, prompt and regular access to doctors of their choice and visits from family members, and not to be subjected to cruel or inhuman treatment such as shackling;
  • Calling for Samer al-Barq, Hassan Safadi, and all other administrative detainees to be released, unless they are promptly charged with recognizable criminal offences and tried according to international standards;
  • Calling for a prompt, thorough and impartial investigation into their reported ill-treatment.

HINTERGRUNDINFORMATIONEN - FORTSETZUNG

Weitere Informationen zu Hassan Safadi und Samer al-Barq finden Sie unter: "Israel must hospitalize or release Palestinian hunger striker on verge of death", 6 September 2012
(http://www.amnesty.org/en/news/israel-must-hospitalize-or-release-palestinian-hunger-striker-verge-death-2012-09-05),
and "Palestinian hunger strikers detained in Israel must be treated humanely", 9 August 2012
(http://www.amnesty.org/en/news/palestinian-hunger-strikers-detained-israel-must-be-treated-humanely-2012-08-09).

Verwaltungshaft ist die Inhaftierung von Personen ohne Anklageerhebung oder Gerichtsverfahren. Die Haftanordnung kann auf der Grundlage von Beweisen, die weder den Gefangenen selbst noch ihren Rechtsbeiständen mitgeteilt werden, immer wieder verlängert werden. Aus Protest gegen schlechte Haftbedingungen, wie z. B. Einzelhaft, die Verweigerung von Familienbesuchen und Inhaftierung ohne Anklage traten am 17. April Schätzungen zufolge rund 2.000 palästinensische Gefangene in den Hungerstreik. Am 14. Mai kam es unter ägyptischer Vermittlung zu einer Vereinbarung, die den Hungerstreik beendete. Trotz Medienberichten, laut denen die israelischen Behörden derzeit anhängige Verwaltungshaftanordnungen nicht erneuern wollen, sofern die Nachrichtendienste keine neuen belastenden Erkenntnisse zutage fördern, scheinen auch weiterhin Verwaltungshaftanordnungen ausgestellt worden zu sein. Weitere Informationen finden sich in dem im Juni 2012 veröffentlichten Bericht Starved of justice: Palestinians detained without trial by Israel, unter:
http://www.amnesty.org/en/library/info/MDE15/026/2012/en

Ein weiterer palästinensischer Gefangener, Ayman Sharawna, der am 31. Januar festgenommen wurde - drei Monate, nachdem er im Oktober 2011 im Rahmen eines Gefangenenaustausch freigekommen war -, befindet sich seit dem 1. Juli 2012 im Hungerstreik. Er protestiert damit gegen die Weigerung eines israelischen Militärausschusses, ihm oder seinen Rechtsbeiständen ihre Vorwürfe zu begründen, er habe gegen Auflagen für seine Freilassung verstoßen. Ein PHR-Arzt empfahl seine Einweisung in ein Krankenhaus und gab an, er leide an sehr niedrigem Blutdruck, Unterkühlung, Schmerzen in der Nierenregion, im Rücken und dem rechten Bein, Sehverlust im rechten Auge. Zudem habe er kein Empfinden im linken Bein und habe Blut erbrochen.

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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-119/2012-8, AI-Index: MDE 15/051/2012, Datum: 14. September 2012 - bs
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. September 2012