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AKTION/1256: Urgent Action - Libyen, Tochter des ehemaligen Geheimdienstchefs inhaftiert


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-322/2012, AI-Index: MDE 19/022/2012, Datum: 31. Oktober 2012 - we

Libyen
Tochter des ehemaligen Geheimdienstchefs inhaftiert



'ANOUD ABDALLAH AL-SENUSSI, 21 Jahre alt

'Anoud Abdallah al-Senussi, Tochter des unter Gaddafi amtierenden Geheimdienstchefs, wurde am 6. Oktober in Tripolis festgenommen. Etwa seit dem 20. Oktober wird sie ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten, Amnesty International fürchtet um ihre Sicherheit. Die 21-jährige 'Anoud Abdallah al-Senussi soll am 6. Oktober in einem Hotel in Tripolis in Gewahrsam genommen worden sein. Sie war an diesem Tag aus Algerien nach Libyen geflogen, wahrscheinlich, um dort ihren Vater Abdullah al-Senussi zu besuchen. Er war Chef des Geheimdienstes unter Muhammar al-Gaddafi und befindet sich seit dem 5. September in libyscher Haft.

Ungefähr seit dem 15. Oktober wird 'Anoud Abdallah al-Senussi in einem Gefängnis in Tripolis festgehalten. Ihre Angehörigen dürfen sie etwa seit dem 20. Oktober nicht mehr besuchen, was die Sorge um ihre Sicherheit noch hat wachsen lassen. 'Anoud Abdallah al-Senussi hat bisher keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand erhalten.

'Anoud Abdallah al-Senussi wird offenbar vorgeworfen, einen gefälschten Reisepass verwendet zu haben und mit diesem gefälschten Ausweis nach Libyen eingereist zu sein, was gemäß Artikel 350 des nationalen Strafgesetzbuchs strafbar ist. Sollte man sie für schuldig erklären, drohen ihr bis zu fünf Jahre Haft. Scheinbar beinhaltete der Reisepass, mit dem sie nach Libyen einreiste, nicht ihren zweiten Nachnamen "al-Senussi". Dies erweckte den Verdacht, dass es sich um ein gefälschtes Dokument handeln könnte. Sowohl Angehörige der Staatsanwaltschaft als auch Angehörige der Militärpolizei haben 'Anoud Abdallah al-Senussi offenbar verhört. Am 21. Oktober sollte sie vor einem Gericht in Tripolis erscheinen, wurde jedoch von den Gefängnisbehörden dort nicht hingebracht.

Amnesty International hat die Staatsanwaltschaft, den Innenminister und den Justizminister am 8. Oktober in einem Schreiben dazu aufgefordert, den rechtlichen Status von 'Anoud Abdallah al-Senussi bekanntzugeben und sie vor Folter und anderen Misshandlungen zu schützen. Bisher hat die Organisation jedoch noch keine Antwort erhalten.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Im Juni 2011 erließ der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) einen Haftbefehl gegen Abdullah al-Senussi wie auch gegen Mu'ammar al-Gaddafi und dessen Sohn Saif al-Islam al-Gaddafi. Man warf Abdullah al-Senussi zwei Fälle von Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor - Verfolgung und Mord - die er im Februar 2011 in der Hafenstadt Bengasi im Osten Libyens begangen haben soll. Unmittelbar nachdem Abdullah al-Senussi im März 2012 nach Mauretanien eingereist war, wurde er festgenommen. Am 5. September 2012 lieferten ihn die mauretanischen Behörden dann nach Libyen aus. Amnesty International hat die libyschen Behörden bereits mehrfach dazu aufgefordert Abdullah al-Senussi dem IStGH zu überstellen.

Verbrechen gegen die Menschlichkeit werden im libyschen Gesetz nicht behandelt, was die Möglichkeiten hinsichtlich Ermittlung und Strafverfolgung solcher Straftaten in Libyen stark einschränkt. Amnesty International befürchtet, dass sich Abdullah al Senussi und weitere vermeintliche AnhängerInnen der ehemaligen Regierung in Gefahr befinden könnten, in Gewahrsam gefoltert oder anderweitig misshandelt zu werden. Zudem ist die Organisation darüber besorgt, dass die Todesstrafe in Libyen nicht abgeschafft ist. Amnesty International lehnt die Todesstrafe grundsätzlich ab, weil sie gegen das Recht auf Leben verstößt und die grausamste, unmenschlichste und erniedrigendste Strafe darstellt.

Seit sich Abdullah al-Senussi in libyscher Haft befindet, hatten scheinbar weder unabhängige Organisationen, noch Angehörige oder Rechtsbeistände Zugang zu ihm.

Es wird davon ausgegangen, dass Abdullah al-Senussi in den vergangenen vier Jahrzehnten in Libyen noch weitere Straftaten begangen hat, zu denen auch die außergerichtliche Hinrichtung von mehr als 1.200 Häftlingen im Gefängnis Abu Salim im Jahre 1996 gehört.

Tausende Menschen, die beschuldigt werden die gestürzte Regierung von Gaddafi unterstützt zu haben, befinden sich noch immer in Haft - einige bereits seit mehr als 18 Monaten. Gegen die meisten wurde keine Anklage erhoben. Viele von ihnen geben an gefoltert oder anderweitig misshandelt worden zu sein. Eine Großzahl der Häftlinge soll zudem unter Folter oder anderem Druck zum Unterzeichnen von "Geständnissen" gezwungen worden sein.

Im September 2012 besuchte eine Delegation von Amnesty International Libyen, um vor Ort Recherche zu betreiben. Während dieser Reise trafen sie sich mit StaatsanwältInnen, PolizeibeamtInnen, StrafermittlerInnen und anderen Angehörigen des Justizwesens. Einige AnwältInnen betonten die Schwierigkeiten und Gefahren, denen sie bei ihrer Arbeit vor dem Hintergrund der derzeitigen Sicherheitssituation und durch die faktische Herrschaft der bewaffneten Milizen ausgesetzt sind. Nur sehr wenige AnwältInnen sind bereit, mutmaßliche Gaddafi-AnhängerInnen zu vertreten, entweder aus ideologischen Gründen oder aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen.


SCHREIBEN SIE BITTE

FAXE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Stellen Sie bitte sicher, dass 'Anoud Abdallah al-Senussi vor Folter und anderer Misshandlung geschützt wird.
  • Ich bitte Sie eindringlich, den rechtlichen Status von 'Anoud Abdallah al-Senussi bekanntzugeben. Sollte man sie einer als Straftat anerkannten Handlung anklagen, muss ihr ein fairer Gerichtsprozess gewährt werden, der internationalen Standards entspricht. Zudem muss ihr unverzüglich Zugang zu ihrer Familie und einem Rechtsbeistand ihrer Wahl gewährt werden. Andernfalls lassen Sie 'Anoud Abdallah al-Senussi bitte unverzüglich frei und erlauben Sie ihr Libyen zu verlassen, sollte sie dies wollen.

APPELLE AN

JUSTIZMINISTER
H.E. Ali Hamida Ashour
Ministry of Justice and Human Rights
LIBYEN
(Anrede: Exzellenz / Your Excellency)
Fax: (00 218) 2 1480 5427 (bitte sagen Sie "Fax")
(Briefe kommen nicht immer an. Bitte nur Faxe
schicken!)

INNENMINISTER
H.E. Fawzi Abdelal
Ministry Interior, LIBYEN
(Anrede: Exzellenz / Your Excellency)
Fax: (00 218) 2 1480 3645 oder
(00 218) 2 1444 2997
(Briefe kommen nicht immer an. Bitte nur Faxe schicken!)


KOPIEN AN

PRÄSIDENT DES HOHEN RATES FÜR
MENSCHENRECHTE
Mr. Mohamed Allagi
Supreme Council for Human Rights and Freedoms
LIBYEN
(Anrede: Sehr geehrter Herr Mohamed Allagi / Dear Mr. Mohamed Allagi)
Fax: (00 218) 2 14 44 73 77
(Briefe kommen nicht immer an. Bitte nur Faxe schicken!)

LIBYSCHE BOTSCHAFT
Herrn Aly Masednah Idris El-Kothany
Geschäftsträger a.i
Podbielskiallee 42
14195 Berlin
Fax: 030-2005 9699 oder 030-200 596 99
E-Mail: info@libysche-botschaft.de oder
konsulat@libysche-botschaft.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Arabisch, Englisch, Französisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 12. Dezember 2012 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY
  • Urging the Libyan authorities to ensure that 'Anoud Abdallah al-Senussi is protected from torture and other ill-treatment.
  • Asking them to clarify her legal status: if she has been charged with a recognizably criminal offence, she must be given a fair trial that meets international standards, and immediately given access to her family and a lawyer of her choice. Otherwise she must be released and allowed to leave Libya if she chooses.

HINTERGRUNDINFORMATIONEN - FORTSETZUNG

Solche Ängste sind begründet: Amnesty International hat bereits Drohungen, Drangsalierungen und Gewalt gegen Rechtsbeistände dokumentiert, die mutmaßliche AnhängerInnen von Gaddafi verteidigen. Angehörige derjenigen, denen die Unterstützung der ehemaligen Regierung vorgeworfen wird, beklagten sich darüber, dass sie entweder nicht in der Lage waren Rechtsbeistände zu finden, die ihre Verwandten vertreten wollten, oder dass übertriebene Honorare von ihnen gefordert wurden.

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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-322/2012, AI-Index: MDE 19/022/2012, Datum: 31. Oktober 2012 - we
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
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Zinnowitzer Straße 8, 10115 Berlin
Telefon: 030/42 02 48-306, Fax: 030/42 02 48 - 330
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Internet: www.amnesty.de/ua; www.amnesty.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. November 2012