Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → AMNESTY INTERNATIONAL

AKTION/1638: Urgent Action - Dominikanische Republik, drohende Staatenlosigkeit


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-289/2013-1, AI-Index: AMR 27/017/2013, Datum: 14. November 2013 - ar

Dominikanische Republik
Drohende Staatenlosigkeit



TAUSENDE DOMINIKANISCHE STAATSANGEHÖRIGE AUSLÄNDISCHER HERKUNFT

Die Entscheidung des dominikanischen Verfassungsgerichts, tausenden dominikanischen Staatsangehörigen ausländischer Herkunft die Staatsbürgerschaft abzuerkennen, wird nun umgesetzt. Vor diesem Hintergrund entsteht eine zunehmend nationalistische und feindliche Stimmung gegen Personen haitianischer Herkunft, die gezielt diskriminiert werden und Gefahr laufen, Opfer von Gewalt und anderen Menschenrechtsverletzungen zu werden.

Die dominikanischen Behörden haben mit der Umsetzung der verfassungsgerichtlichen Entscheidung 0168-13 vom 23. September begonnen. Der Gerichtsentscheid ist rückwirkend auf alle Fälle seit 1929 anwendbar und führt in der Praxis dazu, dass Personen ausländischer Herkunft die dominikanische Staatsbürgerschaft aberkannt wird und sie staatenlos werden. In jüngster Zeit ist es immer häufiger zu feindseliger Rhetorik, Drohungen und Einschüchterungsversuchen gegen Personen haitianischer Herkunft, haitianische MigrantInnen und MenschenrechtsverteidigerInnen gekommen. Amnesty International vorliegenden Berichten zufolge versammelten sich am 4. November, dem Tag der Verfassung, hunderte Personen in Santo Domingo zu einer nationalistischen Demonstration und skandierten "Tod den Verrätern".

Am 7. November veröffentlichte die dominikanische Wahlbehörde (Junta Central Electoral) die Ergebnisse ihrer Überprüfung aller Personenstandsregistereinträge von 1929 bis 2007. Laut diesem Bericht sind in der Dominikanischen Republik im untersuchten Zeitraum 53.847 Personen mit ausländischen Eltern zur Welt gekommen, von denen 24.392 angeblich rechtswidrig registriert wurden. Diese Zahlen decken sich jedoch nicht mit den Erkenntnissen einer Umfrage, die das Nationale Statistikbüro 2012 durchgeführt hat. Aus ihr ging hervor, dass 244.151 Personen als Kinder ausländischer Eltern geboren wurden. In den Zahlen der Wahlbehörde sind offenbar weder die tausende von Kindern ausländischer Eltern enthalten, die nie registriert wurden, noch die nachfolgenden Generationen an Kindern ausländischer Herkunft. Aller Wahrscheinlichkeit nach werden diese Personen daher bei der Lösungsfindung nicht berücksichtigt, erhalten weiterhin keine Ausweispapiere und befinden sich womöglich in besonderer Gefahr, willkürlich festgenommen, abgeschoben oder diskriminiert zu werden. Die dominikanischen Behörden haben einem Eilbesuch der interamerikanischen Menschenrechtskommission zugestimmt, damit diese sich ein Bild über die Tragweite des Urteils machen kann. Wann dieser Besuch stattfinden soll, wird derzeit noch diskutiert.


HINTERGRUNDIFORMATIONEN

Das dominikanische Verfassungsgericht verkündete die Entscheidung 0168-13 im Zuge einer Verfassungsmäßigkeitsprüfung, die als Reaktion auf eine Verfassungsbeschwerde (recurso de amparo) von Juliana Deguis Pierre eingeleitet wurde. Sie hatte den Schutz ihrer Grundrechte eingefordert, nachdem die Wahlbehörde 2008 ihre Geburtsurkunde beschlagnahmt hatte mit der Begründung, ihre Namen "seien haitianisch". Das Gericht entschied, dass die Eltern von Juliana Deguis Pierre vor dem dominikanischen Gesetz "ausländische Transitreisende" seien, da sie ihren regulären Migrationsstatus nicht nachweisen könnten. Aus diesem Grund sei Juliana Deguis Pierre bei der Geburt die dominikanische Staatsbürgerschaft fälschlich zugesprochen worden, und dasselbe gelte für alle Kinder von Personen, die ihren regulären Migrationsstatus in der Dominikanischen Republik nicht nachweisen können. Das Verfassungsgericht hat die Wahlbehörde daher aufgefordert, alle registrierten Geburten seit 1929 eingehend zu prüfen und alle diejenigen Personen aus dem Register zu streichen, die mutmaßlich fälschlich eingetragen und als dominikanische Staatsangehörige anerkannt worden waren. Der Gerichtsentscheid ist somit rückwirkend auf alle Fälle seit 1929 anwendbar. Das Urteil ist das jüngste in einer Reihe von seit dem Jahr 2000 getroffenen Verwaltungs-, Gesetzes- und Justizentscheidungen mit der Folge, dass dominikanischen Staatsangehörigen haitianischer Herkunft effektiv eine Identität verwehrt und ihnen rückwirkend die dominikanische Staatszugehörigkeit abgesprochen wird. Das Vorenthalten von Ausweispapieren hat für dominikanische Staatsangehörige haitianischer Herkunft bereits fatale Folgen, da sie ihre Bürgerrechte nicht wahrnehmen können.


SCHREIBEN SIE BITTE

FAXE, E-MAILS, TWITTERNACHRICHTEN UND LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

  • Ich bitte Sie inständig, die Umsetzung des verfassungsgerichtlichen Urteils solange auszusetzen, bis die interamerikanische Menschenrechtskommission das Land besucht und basierend auf den internationalen menschenrechtlichen Verpflichtungen der Dominikanischen Republik Empfehlungen formuliert hat.
  • Bitte ergreifen Sie alle nötigen Maßnahmen, um Personen tatsächlicher oder mutmaßlicher ausländischer Herkunft vor Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt zu schützen. Gleiches gilt für MenschenrechtlerInnen, JournalistInnen und andere Personen, die sich möglicherweise aufgrund ihrer Opposition zu der verfassungsgerichtlichen Entscheidung 0168-13 in Gefahr befinden könnten.
  • Ich fordere Sie höflich auf, eine landesweite Konsultation mit der Zivilgesellschaft und mit betroffenen Personengruppen durchzuführen, um auf diese Weise alle nur möglichen administrativen und/oder gesetzlichen Schritte zu unternehmen, und all diejenigen, die im Zuge des Urteils ihre dominikanische Staatsbürgerschaft verloren haben, wieder als dominikanische Staatsangehörige anzuerkennen.

APPELLE AN

PRÄSIDENT
Danilo Medina
Palacio Nacional
Avenida México esquina Doctor Delgado Gazcue
Santo Domingo, DOMINIKANISCHE REPUBLIK
(Anrede: Señor Presidente / Dear President / Sehr geehrter Herr Präsident)
Fax: (00 1809) 682 0827
(kombinierter Fax- und Telefonanschluss)
E-Mail: prensa2@presidencia.gob.do
Twitter: @PresidenciaRD

PRÄSIDENT DES ABGEORDNETENHAUSES
Abel Atahualpa Martínez Durán
Avenida E Jiménez Moya 100, Santo Domingo
Distrito Nacional, DOMINIKANISCHE REPUBLIK
(Anrede: Señor Presidente de la Cámara de los Diputados / Dear President of the House of Deputies / Sehr geehrter Herr Martínez Durán)
Fax: (00 1809) 535 4554
(kombinierter Fax- und Telefonanschluss)
E-Mail: aa.martinez@camaradediputados.gob.do
Twitter: @DiputadosRD


SOLIDARITÄTSBEKUNDUNGEN AN

Dominican@s por Derecho
E-Mail: dominicanosxderecho@gmail.com
Twitter: http://twitter.com/domxderecho


KOPIEN AN

BOTSCHAFT DER DOMINIKANISCHEN REPUBLIK
S. E. Herrn Gabriel Rafael Ant Jose Calventi Gavino
Dessauer Straße 28 - 29
10963 Berlin
Fax: 030-2575 7761
E-Mail: info@embajadadominicana.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Englisch, Spanisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 26. Dezember 2013 keine Appelle mehr zu verschicken.

Weitere Informationen zu UA-289/2013 (AMR 27/014/2013, 18. Oktober 2013)


PLEASE WRITE IMMEDIATELY
  • Urging the Dominican authorities to suspend the implementation of the Constitutional Court ruling until the IACHR visits the country and formulates its recommendations based on the Dominican Republic's international human rights obligations.
  • Urging them to take all necessary measures to protect from racism, xenophobia and violence persons with actual or supposed foreign origins, as well as human rights defenders, journalists and other individuals who might be at risk for having spoken out against the ruling 0168-13 of the Constitutional Court.
  • Calling on them to initiate a national consultation with civil society and groups of persons affected by the ruling in order to take all administrative and/or legislative measures possible to restore Dominican nationality to all of those who were deprived of it by the Constitutional ruling.

HINTERGRUNDIFORMATIONEN - FORTSETZUNG

Seit Verkündigung des Urteils haben sich zahlreiche internationale Organe (sowie auch Regierungen anderer Länder) äußerst besorgt über die potenziellen negativen Auswirkungen gezeigt, die die Entscheidung auf die Menschenrechte hunderttausender Menschen haben könnte, darunter auch verschiedene UN-Agenturen, die interamerikanische Menschenrechtskommission, die CARICOM und einige karibische Länder sowie zahlreiche internationale Menschenrechtsorganisationen. Auf Geheiß der Ständigen Vertretung von St. Vincent und die Grenadinen wurde das Urteil des dominikanischen Verfassungsgerichts am 29. Oktober im Ständigen Rat der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) diskutiert. In dieser Sitzung bestätigte der Generalsekretär der OAS, dass das Urteil für den Schutz der Menschenrechte problematisch sein könnte, und kündigte den anstehenden Besuch der interamerikanischen Menschenrechtskommission in der Dominikanischen Republik an, "damit sie Informationen über den Fall sammeln kann". Nichtsdestotrotz haben die dominikanischen Behörden ihre Absicht deutlich gemacht, den Gerichtsentscheid rasch umzusetzen und "eine kohärente und humanitäre Lösung zu finden" für diejenigen, die "sich als dominikanische Staatsangehörige begreifen" und durch das Urteil betroffen sind. Die Behörden weisen alle Argumente zum Risiko der Staatenlosigkeit zurück und vertreten weiterhin den Standpunkt, dass das Urteil es ihnen endlich ermöglicht, die institutionellen Schwächen des Personenstandsregisters und der Migrationspolitik zu beheben. Sie haben außerdem zugesichert, dass die Umsetzung des Urteils nicht zur massenhaften Abschiebung von Personen ausländischer Herkunft führen wird.

Am 23. Oktober hat der Nationale Rat für Migration die Wahlbehörde angewiesen, innerhalb von 30 Tagen einen Bericht vorzulegen, in dem die Folgen des Urteils für die möglicherweise betroffenen Personen bewertet werden. Die Wahlbehörde hat ein Aufsichtsgremium ernannt (Comisión de Veederos y Observadores), welches die Untersuchung der Personenstandsregister seit 1929 überwachen soll. Die Untersuchung ergab, dass in der Dominikanischen Republik im untersuchten Zeitraum 53.847 Personen mit ausländischen Eltern zur Welt gekommen, von denen 24.392 angeblich rechtswidrig registriert worden sein sollen. Laut Angaben der Wahlbehörde sind 13.672 dieser 24.392 Personen haitianischer Herkunft. 2012 führte das Nationale Statistikbüro (Oficina Nacional de Estadísticas) die erste nationale Umfrage unter EinwandererInnen durch. Aus ihr ging hervor, dass 244.151 Personen als Kinder ausländischer Eltern geboren wurden, also 2,5 % der Gesamtbevölkerung. Diese Zahl berücksichtigt jedoch nur MigrantInnen der zweiten Generation.

Parallel dazu soll der Nationale Rat für Migration bis Ende 2013 einen langersehnten Plan dazu vorlegen, wie es Personen ausländischer Herkunft mit irregulärem Aufenthaltsstatus ermöglicht werden soll, einen regulären Migrationsstatus sowie Ausweispapiere zu erhalten, wenn ihnen infolge des Urteils die dominikanische Staatsangehörigkeit entzogen wird ("Regularization Plan for Foreigners", festgeschrieben im Migrationsgesetz von 2004). Amnesty International begrüßt den Plan zwar insoweit, als er vielen MigrantInnen mit irregulärem Aufenthaltsstatus eine gewisse Hilfestellung leistet, ist jedoch zutiefst besorgt angesichts der Tatsache, dass er als Lösungsmöglichkeit in einem Verfahren präsentiert wird, in dem hunderttausenden Personen die Staatsbürgerschaft entzogen werden soll. Die Organisation befürchtet nach wie vor, dass eine große Anzahl dominikanischer Staatsangehöriger ausländischer - hauptsächlich haitianischer - Herkunft Gefahr läuft, staatenlos zu werden.

*

Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-289/2013-1, AI-Index: AMR 27/017/2013, Datum: 14. November 2013 - ar
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
Kampagnen und Kommunikation
Zinnowitzer Straße 8, 10115 Berlin
Telefon: 030/42 02 48-306, Fax: 030/42 02 48 - 330
E-Mail: ua-de@amnesty.de; info@amnesty.de
Internet: www.amnesty.de/ua; www.amnesty.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. November 2013