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AKTION/459: Reaktionen und Erfolge, Oktober/November 2009


amnesty journal 10/11/2009 - Das Magazin für die Menschenrechte

Reaktionen und Erfolge

USA/Kuba, Finnland, Afghanistan, Chile, Kenia, Irak
Ausgewählte Ereignisse vom 28. Juli bis 15. September 2009
Indien - Gesetz gegen Homosexualität gekippt
Argentinien - Späte Gerechtigkeit
USA - Neue Chance für Troy Davis
Brasilien - Schnelle Wirkung
Iran, China, Simbabwe - Aus der Haft entlassen

Ausgewählte Ereignisse vom 28. Juli bis 15. September 2009

USA/Kuba
Seit 47 Jahren belegen die USA den Inselstaat mit einem umfassenden Wirtschaftsembargo. In einem Anfang September veröffentlichten Bericht beschreibt Amnesty International die verheerenden Auswirkungen der wirtschaftlichen Blockade insbesondere auf das kubanische Gesundheitssystem. Millionen Menschen sind davon betroffen. Dennoch verlängerte US-Präsident Obama Mitte September die Sanktionen um ein weiteres Jahr. Amnesty fordert den US-Präsidenten und den US-Kongress auf, das Embargo vollständig aufzuheben.

Finnland
Der in Finnland lebende Ruander François Bazaramba steht seit dem 1. September vor Gericht. Er wird beschuldigt, an der Planung und Durchführung des Völkermordes in Ruanda beteiligt gewesen zu sein. Zwischen April und Juli 1994 hatten dort Hutu-Milizen 800.000 Tutsi und moderate Hutu ermordet. Bazaramba soll für den Mord an mindestens 30.000 Tutsi verantwortlich sein. Amnesty begrüßt das Vorgehen Finnlands als einen wichtigen Schritt gegen die Straflosigkeit und als Signal für die Überlebenden des Genozids. Die Anklage zeige, dass es keine Rückzugsgebiete gebe für diejenigen, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit begehen.

Afghanistan
Sayed Perwiz Kambachsch ist wieder frei. Der Student und Journalist war im Januar 2008 wegen Blasphemie zum Tode verurteilt worden. Angeblich hatte er den Koran "beleidigt", weil er Material verbreitet hatte, das die Rolle der Frau im Islam beleuchtet. Das Todesurteil wurde später in eine 20-jährige Haftstrafe umgewandelt. Nach seiner Begnadigung hat Kambachsch das Land verlassen. Ein Amnesty-Sprecher begrüßte die Begnadigung: "Wir hoffen, dass auf seine längst überfällige Freilassung die Freilassung all derer folgt, die nur inhaftiert sind, weil sie wie er ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrgenommen haben."

Chile
Es ist eine der bisher größten Maßnahmen zur Aufarbeitung der Pinochet-Diktatur: Die chilenischen Behörden haben gegen mehr als 120 ehemalige Angehörige von Militär und Sicherheitsdiensten, die in den siebziger Jahren Oppositionelle entführt, gefoltert und ermordet haben sollen, Haftbefehle erlassen. Die Regierung ließ damals 3.000 Menschen "verschwinden". Die meisten Verantwortlichen wurden dafür bis heute nicht zur Rechenschaft gezogen. "Die Überlebenden und Angehörigen der Opfer warten immer noch auf Gerechtigkeit", kommentierte eine Amnesty-Sprecherin.

Kenia
Mehr als 4.000 Gefangenen im Todestrakt droht nicht mehr die Hinrichtung: Präsident Mwai Kibaki wandelte Anfang August alle anhängigen Todesurteile in lebenslange Haftstrafen um. Amnesty International nannte die Entscheidung "einen Schritt nach vorne für die Menschenrechte in Kenia". Die Organisation kritisierte aber auch, dass die Verurteilten ihre Haftstrafen in extrem überfüllten Gefängnissen verbüßen müssen. Viele wurden zudem in Prozessen verurteilt, die nicht den internationalen Standards für ein faires Gerichtsverfahren entsprechen.

Irak
Irakische Sicherheitskräfte stürmten am 28. Juli 2009 das nordöstlich von Bagdad gelegene Lager Ashraf. Es beherbergt etwa 3.400 Mitglieder der iranischen Oppositionsgruppe der Volksmudschaheddin (PMOI), die in den achtziger Jahren aus dem Iran geflohen waren. Neun Bewohner kamen dabei ums Leben, 36 wurden festgenommen und misshandelt. Allen Bewohnern des Lagers droht die Abschiebung. Amnesty appelliert an die irakischen Behörden, den Verhafteten faire Gerichtsverhandlungen zu garantieren und sie nicht in den Iran abzuschieben, da ihnen dort Folter und die Todesstrafe drohen.


Indien: Gesetz gegen Homosexualität gekippt

Das Oberste Gericht von Delhi hat in einem historischen Urteil ein 150 Jahre altes Gesetz gegen Homosexualität abgeschafft und die gleichgeschlechtliche Liebe entkriminalisiert. Diese stand bisher als widernatürlich unter Strafe. Schwulen und Lesben drohten bis zu zehn Jahre Haft. Dem Grundsatzurteil zufolge ist gleichgeschlechtlicher Sex unter Erwachsenen im privaten Umfeld keine Straftat, wenn er einvernehmlich ist. Das Urteil kann aber noch vor dem Höchsten Gericht angefochten werden. Paragraf 377 des bisher geltenden Gesetzes verstoße gegen grundlegende Menschenrechte, die in Indiens Verfassung garantiert seien, befanden die beiden Richter in Delhi. Eine Stiftung, die für die Rechte von Homosexuellen eintritt, hatte 2001 gegen das Gesetz geklagt. Sie hatte kritisiert, dass es die Aids-Bekämpfung behindere, weil die HIV-Aufklärung oft als Werbung für Homosexualität angesehen werde. Amnesty International, Schwulen- und Lesbengruppen und auch das Gesundheitsministerium feierten das Urteil als wichtigen ersten Sieg, in konservativen religiösen Kreisen ist es aber umstritten.


Argentinien: Späte Gerechtigkeit

Vor mehr als drei Jahrzehnten wurde der 14-jährige Floreal Avellane ermordet, und fast genauso lang beschäftigt der ehemalige General Omar Riveros die argentinische Öffentlichkeit. Kurz nach Ende der Diktatur 1983 wurde Riveros zum ersten Mal wegen der Ermordung des Jungen angeklagt, doch bereits 1990 vom damaligen Präsidenten Carlos Menem wieder begnadigt. Der frühere Befehlshaber des größten argentinischen Folterzentrums, dem Campo de Mayo, gilt vielen als Symbolfigur für die Verbrechen der Militärjunta. Vor einigen Jahren wurde das Verfahren gegen ihn wieder aufgenommen. Anfang August verurteilte ein Berufungsgericht den 86-Jährigen zu lebenslanger Haft. Der Chef des Militärgeheimdienstes und Polizeichef von Buenos Aires, Fernando Verplaetsen, wurde wegen derselben Verbrechen zu 25 Jahren Haft verurteilt. Vier andere Angeklagte erhielten Haftstrafen zwischen acht und 18 Jahren.

Im April 1976 durchsuchten Soldaten das Haus der Familie Avellanes auf der Suche nach dem Vater, einem Gewerkschaftsführer. Weil er flüchten konnte, verschleppten die Militärs seinen Sohn Floreal sowie dessen Mutter und folterten beide. Mutter und Sohn wurden später getrennt, kurze Zeit danach entdeckte man die Leiche von Floreal am Ufer des Rio de la Plata, gefesselt, der Körper voller Folterspuren. Die Mutter wurde nach drei Jahren aus der Haft entlassen.

Amnesty begrüßte das Urteil als einen "großen Erfolg im Kampf für Gerechtigkeit für die Opfer des schmutzigen Krieges in Argentinien". Der Vater von Floreal sagte, er sei mit dem Urteil einverstanden, wenn Riveros keine bevorzugten Haftbedingungen bekomme.


USA: Neue Chance für Troy Davis

Der Oberste Gerichtshof der USA hat dem zum Tode verurteilten Afroamerikaner Troy Davis das Recht auf eine neue Anhörung zugesprochen. Ein Gericht des Bundesstaates Georgia müsse Zeugen vernehmen und untersuchen, ob neue Fakten Davis' Unschuld beweisen könnten, heißt es in dem Urteil. Davis sitzt seit 18 Jahren in der Todeszelle und hat bereits drei Mal erreicht, dass die Vollstreckung der Strafe ausgesetzt wurde. Amnesty International begrüßte das Urteil.

Die Schuld von Davis ist nach Ansicht von Kritikern nicht zweifelsfrei bewiesen. Er war 1991 wegen Mordes an einem weißen Polizisten in Savannah ausschließlich aufgrund von Zeugenaussagen zum Tode verurteilt worden. Eine Tatwaffe, konkrete Beweise oder DNA-Spuren, die auf ihn als Täter deuteten, wurden nie gefunden. Nach einem von Amnesty veröffentlichten Bericht zogen sieben der neun Zeugen ihre Aussagen später zurück und erklärten, den Angeklagten seinerzeit nur auf Druck der Polizei belastet zu haben.

Ein Analphabet gab demnach an, eine von der Polizei verfasste Aussage unterzeichnet zu haben, deren Inhalt er gar nicht lesen konnte. Eine Zeugin, die auf Bewährung auf freiem Fuß war, erklärte laut Amnesty, sie habe der Polizei aus Angst verschwiegen, dass sie den Täter gar nicht gesehen habe. Einer der beiden Menschen, die an ihrer Aussage festhielten, ist der zweite Hauptverdächtige für den Mord.


Brasilien: Schnelle Wirkung

Drohungen, Gewalt und sogar Mord - wenn es um Land geht, schrecken Großgrundbesitzer in Brasilien oft vor nichts zurück. So auch im Falle der Familie da Silva, die im nordöstlichen Bundesstaat Paraíba lebt und vor zwei Jahren Opfer eines Raubüberfalls wurde. Die Familie glaubt, dass sie gezielt angegriffen wurde, weil sie sich für Landrechte einsetzt. Während des Prozesses gegen die mutmaßlichen Täter erhielt die Familie Morddrohungen, woraufhin Amnesty International eine weltweite Eilaktion startete. "Die Appelle von Amnesty zeigten sofortige Wirkung. Dank dieser Eilaktion wurde ein Ermittler der Polizei zur weiteren Untersuchung der Überfälle auf die Familie da Silva bestellt. Das Gerichtsverfahren geht zügiger voran", heißt es in - einem Schreiben von mehreren lokalen Nichtregierungsorganisationen, die die Familie unterstützen. Zudem war "die Hilfe von Amnesty International ein entscheidender Aspekt um sicherzustellen, dass der Prozess nicht zugunsten der Angreifer verläuft".


Aus der Haft entlassen

Iran
Abdolfattah Soltani ist wieder frei! Der 55-jährige Rechtsanwalt und Träger des diesjährigen Nürnberger Menschenrechtspreises wurde am 26. August gegen eine hohe Kaution aus der Haft entlassen. Er war am 16. Juni nach den Massenprotesten gegen die umstrittene Wiederwahl von Präsident Ahmadinedschad in seiner Kanzlei im Zentrum von Teheran festgenommen worden. Soltani ist Mitglied des Teheraner Zentrums für Menschenrechtsverteidiger CHRD, das über Menschenrechtsverletzungen im Iran berichtet, politische Gefangene kostenfrei anwaltlich vertritt und deren Angehörige unterstützt.

China
Wei Liangyue und Du Yonjing wurden nach 30 Tagen Haft auf Bewährung entlassen, da nicht genügend Beweise für ein Fortführen des Gerichtsverfahrens vorlagen. Die Ermittlungen sind noch nicht eingestellt. Die Polizei hatte das Ehepaar am 28. Februar festgenommen, da es an einem Treffen der spirituellen Bewegung Falun Gong teilgenommen haben soll. Die Behörden warnten ihre Familien, den Fall nicht öffentlich zu machen. Zuvor hatte Wei Liangyue Falun-Gong-Anhänger vor Gericht vertreten. Er glaubt, dass die internationale Aufmerksamkeit und der ausgeübte Druck durch Amnesty zur vorzeitigen Entlassung von ihm und seiner Frau beigetragen haben.

Simbabwe
Vier Studenten, die zur Führung der Nationalen Studenten-Union von Zimbabwe (ZINASU) gehörten, sind nach einer Woche in Haft wieder frei. Sie wurden am 5. August festgenommen, weil sie angeblich öffentlich zur Gewalt aufgerufen hatten. "Die Studenten wurden nur deswegen festgehalten, um sie an ihrem Recht zu hindern, sich frei zu äußern und zu versammeln", erklärte ein Amnesty-Sprecher.


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Quelle:
amnesty journal, Oktober/November 2009, S. 6-8
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Oktober 2009