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AKTION/518: Urgent Action - Libyen - Foltervorwürfe


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-019/2011, AI-Index: MDE 19/002/2011, Datum: 4. Februar 2011 - am

LIBYEN
Foltervorwürfe


MAZIGH BOUZAKHAR und MADGHIS BOUZAKHAR (Brüder)

Zwei Brüder wurden am 16. Dezember 2010 in Tripolis festgenommen. Es handelt sich vermutlich um gewaltlose politische Gefangene, die nur wegen ihres Engagements für die Kultur der Amazigh (Berber) festgehalten werden. Einer der Betroffenen hat ausgesagt, in Haft von Sicherheitskräften gefoltert worden zu sein. Beide Brüder befinden sich derzeit im Jdaida-Gefängnis und sind in Foltergefahr. Die Zwillingsbrüder Mazigh und Madghis Bouzakhar waren am 16. Dezember in ihrem Zuhause in Tripolis von mutmaßlichen Angehörigen des Geheimdienstes External Security Agency (ESA) festgenommen worden. Berichten zufolge beschuldigt man die beiden Brüder der "Spionage sowie der Zusammenarbeit mit Israel und der Unterstützung des Zionismus". Amnesty International ist davon überzeugt, dass ihre Festnahme auf ihre Mitgliedschaft beim Amazigh-Weltkongress (World Amazigh Congress) und andere, die Amazigh-Kultur fördernde Aktivitäten zurückzuführen ist. Seit ihrer Verlegung am 27. Januar 2011 befinden sich Mazigh Bouzakhar und Madghis Bouzakhar im Jdaida-Gefängnis. Madghis Bouzakhar berichtete seinem Vater, dass er fast einen Monat lang in Einzelhaft gehalten und von ESA-MitarbeiterInnen verhört wurde und man ihn dabei gefoltert und anderweitig misshandelt habe. Madghis Bouzakhar erklärte, dass er der Foltermethode "Falaqa" ausgesetzt wurde, bei der mit Stöcken und Gewehrkolben auf die Fußsohlen geschlagen wird. Madghis Bouzakhar wurde wegen eines Artikels über Berber und jüdischen Gemeinschaften in Libyen vernommen. Sein Bruder Mazigh Bouzakhar soll in Haft beschimpft und beleidigt worden sein. Der Vater der beiden Brüder gab an, aufgrund der scharfen Anschuldigungen um die Sicherheit seiner Söhne zu fürchten.

Der zur Verteidigung der beiden Brüder bestellte Anwalt stellte am 19. Januar bei den Behörden einen offiziellen Antrag auf Auskunft zum Fall der Zwillingsbrüder. Man teilte ihm daraufhin mit, dass sie sich unter Aufsicht der Staatsanwaltschaft befänden. Am 23. Januar ließ die Staatsanwaltschaft den Anwalt jedoch wissen, dass die Brüder am 27. Dezember 2010 dem Staatssicherheitsdienst übergeben wurden. Diese Angaben widersprechen der am 12. Januar auf der Website der ESA veröffentlichten Aussage, dass sich die beiden Brüder seit ihrer Festnahme wegen des Verdachts auf "Zusammenarbeit mit ausländischen Geheimdiensten" unter Aufsicht der Staatsanwaltschaft befinden sollen. Ihr Vater durfte sie bisher zweimal in Anwesenheit von Sicherheitskräften an einem unbekannten Ort treffen und am 31. Januar, nachdem man die Brüder dorthin gebracht hatte, im Jdaida-Gefängnis besuchen. Dem zu ihrer Verteidigung bestellten Anwalt hat man Berichten zufolge bislang den Zugang zu seinen Mandanten und den Akten verweigert.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Mazigh und Madghis Bouzakhar befanden sich über einen Monat lang - vom 16. Dezember bis zum 27. Januar - im Gewahrsam des Geheimdienstes ESA, was einen Verstoß gegen libysches Recht darstellt. Gemäß Artikel 26 der Strafprozessordnung müssen MitarbeiterInnen der Strafvollzugsbehörden Verdächtige innerhalb von 48 Stunden nach ihrer Festnahme an die Staatsanwaltschaft übergeben, es sei denn es handelt sich um Personen, die verdächtigt werden, die Staatssicherheit zu bedrohen; diese können bis zu sieben Tage in Gewahrsam gehalten werden, bevor sie angeklagt oder freigelassen werden. In Artikel 26 heißt es außerdem, dass die Staatsanwaltschaft Beschuldigte innerhalb von 24 Stunden befragen muss und dann entweder einen Antrag auf fortdauernde Inhaftierung stellen oder die Betroffenen freilassen muss.

Amnesty International befürchtet, dass die Festnahme und fortdauernde Inhaftierung der beiden Männer auf die Unduldsamkeit der libyschen Behörden zurückzuführen ist, wenn es um Handlungen geht, die als Förderung der Kultur und Sprache der Amazigh angesehen werden. Als Vertragsstaat des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte, des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung und des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ist Libyen dazu verpflichtet, allen Menschen Schutz vor jedweder Diskriminierung, einschließlich der Diskriminierung ethnischer, sprachlicher oder kultureller Art, sowie das Recht, am kulturellen Leben teilzunehmen, zu garantieren.

Die libyschen Behörden erklärten in ihrem Bericht, den sie dem UN-Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung 2003 vorlegten, dass alle Libyer "der gleichen rassischen Herkunft sind, sich zum Islam bekennen und Arabisch sprechen". In dem Bericht heißt es weiter: "Die Tatsache, dass alle Libyer eine gemeinsame Herkunft, Religion und Sprache haben, ist zweifelsohne ein entscheidender Faktor dafür, dass es keine Rassendiskriminierung im Land gibt." Libysche NGOs mit Sitz im Ausland, wie beispielsweise Libyan Working Group, Tabu Front for the Salvation of Libya oder der Amazigh-Weltkongress, widersprechen dieser Einschätzung und argumentieren, dass das libysche Staatsbürgerschaftsgesetz mit seiner Definition der Staatsbürgerschaft als "arabisch" als solches schon diskriminierend sei. Darüber hinaus beklagen solche Organisationen, dass die Sprache und Kultur der Amazigh nicht anerkannt wird und die Amazigh-Gemeinschaften an der Pflege ihrer Sprache und Kultur gehindert werden. Das Gesetz Nr. 24 von 1369 verbietet den Gebrauch anderer Sprachen als Arabisch in Publikationen, in offiziellen Dokumenten, in öffentlichen Räumen sowie in Privatunternehmen. Zudem verbietet Artikel 3 des Gesetzes Nr. 24 die Verwendung "nicht-arabischer, nicht -muslimischer Namen" entsprechend den Bestimmungen des Allgemeinen Volksausschusses (General People's Committee). Das Gesetz sieht für Eltern keine Möglichkeit vor, gegen die Entscheidungen des Allgemeinen Volksausschusses Rechtsmittel einzulegen. Die libyschen Behörden scheinen auch gegenüber MenschenrechtsaktivistInnen, die sich für die Kultur der Amazigh einsetzen, eher unduldsam zu sein, auch wenn diese sich im Ausland befinden. Im November 2009 wiesen libysche Behörden den stellvertretenden Leiter des Amazigh-Weltkongresses, Khaled Zerari, aus Libyen aus, als dieser zur Beerdigung eines bekannten Amazigh von Marokko nach Libyen kam. Bei seiner Ankunft am Flughafen wurde er mehrere Stunden lang verhört und anschließend von libyschen BeamtInnen mit Polizeibefugnissen gezwungen, an Bord eines Fluges nach Rom zu gehen, von wo aus er dann nach Marokko zurückkehrte. Es wurde kein offizieller Grund für die Ausweisung genannt, aber man geht davon aus, dass ihm die Einreise nach Libyen aufgrund seines Einsatzes für die Rechte der Amazigh in Nordafrika verweigert wurde.


EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE FAXE, E-MAILS UND LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

- Ich fordere Sie auf, Mazigh Bouzakhar und Madghis Bouzakha umgehend und bedingungslos freizulassen, wenn sie nur wegen ihres Engagements für die Kultur und Sprache der Amazigh festgehalten werden.

- Ich appelliere an Sie sicherzustellen, dass eine umfassende und unparteiische Untersuchung der Foltervorwürfe durchgeführt wird und dass alle für Verstöße verantwortlichen BeamtInnen vor Gericht gestellt werden.

- Stellen Sie sicher, dass die beiden Brüder in Haft weder gefoltert noch anderweitig misshandelt werden, sie regelmäßigen Kontakt zu ihrer Familie und ihrem Rechtsbeistand haben, und sie eventuell notwendige medizinische Versorgung erhalten.


APPELLE AN

JUSTIZMINISTER
Mustafa Abdeljalil
Secretariat of the General People's Committee for Justice
Tripoli, LIBYEN
(korrekte Anrede: Your Excellency)
Fax: (00 218) 214 805427
E-Mail: secretary@aladel.gov.ly

VORSITZENDER DER "GADDAFI-STIFTUNG FÜR ENTWICKLUNG"
Executive Director Youssef M. Sewani
El Fatah Tower, 5th Floor B No.57
PO Box 1101, Tripoli, LIBYEN
(korrekte Anrede: Dear Sir)
E-Mail: director@ggdf.org.ly


KOPIEN AN

INNENMINISTER
General Abdul Fatah al Younis Ubeidi
Secretariat of the General People's Committee for Public Security, Tripoli, LIBYEN
(korrekte Anrede: Your Excellency)
Fax: (00 218) 214 442903
E-Mail: minister@almiezan.net

VOLKSBÜRO DER LIBYSCH-ARABISCHEN VOLKS-DSCHAMAHIRIJA
S.E. Herrn Jamal Ali Omar El-Baraq
Podbielskiallee 42, 14195 Berlin
Fax: 030-2005 9699
E-Mail: info@libysche-botschaft.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort.
Schreiben Sie in gutem Arabisch, Englisch, Französisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 18. März 2011 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY

- Calling on the authorities to immediately and unconditionally release Mazigh and Madghis Bouzakhar if they are held solely for their interest in Amazigh culture and language.

- Urging the authorities to ensure that a full, independent and impartial investigation into the allegations of torture is conducted and that any officials responsible for abuse are brought to justice.

- Calling on the authorities to ensure the brothers are not subjected to torture or other ill-treatment in custody, are allowed regular visits by their family and lawyers, and receive any medical assistance they may require.


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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-019/2011, AI-Index: MDE 19/002/2011, Datum: 4. Februar 2011 - am
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin
Telefon: 030/42 02 48-306
Fax: 030/42 02 48 - 330
E-Mail: presse@amnesty.de
Internet: www.amnesty.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Februar 2011