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AKTION/577: Urgent Action - Kambodscha - Familien droht Zwangsräumung


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-063/2011, AI-Index: ASA 23/001/2011, Datum: 8. März 2011 - jf

KAMBODSCHA
Familien droht Zwangsräumung


ETWA 1500 FAMILIEN am Ufer des Boeung Kak-Sees in Phnom Penh Bis zu 1.500 Familien, die am Ufer des Boeung Kak-Sees in der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh leben, sind von unmittelbaren Zwangsräumungen bedroht. Die örtlichen Behörden und ein privates Bauunternehmen wollen das Gelände für den Tourismus erschließen. In der Vergangenheit sind die DorfbewohnerInnen oft eingeschüchtert und bedroht worden, um sie zu zwingen, unzureichende Entschädigungen oder Umsiedlungen zu akzeptieren. Zusätzlich gehen die Sicherheitskräfte immer wieder mit unangemessener Härte gegen friedlich Protestierende vor.

Am 2. März stellte die Stadtverwaltung von Phnom Penh (Municipality of Phnom Penh, MPP) Räumungsbescheide für insgesamt fünf Dörfer entlang des Boeung Kak-Sees aus - Dörfer 6, 20, 21, 22 und 24. Darin werden die BewohnerInnen aufgefordert, Kontakt mit den örtlichen Behörden bezüglich einer Entschädigung aufzunehmen; bei Nichtbeachtung wird mit "harten Maßnahmen" gedroht. In den Räumungsbescheiden hieß es zusätzlich, dass die Behörden keine "Verantwortung für Verlust oder Zerstörung persönlichen Eigentums" übernehmen würden. Die in den Bescheiden angesetzte Frist ist mittlerweile verstrichen.

Die betroffenen Familien sind seit Februar 2007 von rechtswidriger Zwangsräumungen bedroht. Damals wurde das Gelände für einen Zeitraum von 99 Jahren von der Stadtverwaltung an ein Privatunternehmen zur Geländeerschließung verpachtet. Das Unternehmen hat im August 2008 damit begonnen, den See mit Sand aufzuschütten, was zu Überflutungen und Zerstörung von Eigentum führte. Seitdem wurden etwa 2.000 Familien aus der Umgebung aus ihren Häusern vertrieben; etwa 10.000 Menschen könnte jederzeit dasselbe Schicksal drohen, obwohl viele Betroffene auf Grundlage der Artikel 30 und 31 des Landgesetzes von 2001 Rechtsansprüche auf das von ihnen bewohnte Grundstück geltend machen könnten.

Der Vertrag mit dem Unternehmen wurde ohne die vorherige Konsultation mit den dort lebenden Menschen geschlossen. Sie "durften" zwischen einer für den Aufbau vergleichbarer Häuser unzureichenden Entschädigung oder einer Umsiedlung auf ein Gebiet mit eingeschränkten Arbeitsmöglichkeiten, rudimentären Infrastrukturen sowie fehlenden Einrichtungen zur Deckung der Grundbedürfnisse wählen.

Im Januar reichten die betroffenen Familien einen Vorschlag bei den Behörden ein, der die Errichtung eines Wohngebietes mit angemessenen Lebensbedingungen auf einer Fläche von etwa 12% des verpachteten Geländes umfasst. Dieser Plan war von den BewohnerInnen in Zusammenarbeit mit mehreren Architekten einer örtlichen Nichtregierungsorganisation ausgearbeitet worden. Die Stadtverwaltung lehnte diesen Vorschlag am 22. Februar ab. Als sich am 28. Februar etwa 200 AnwohnerInnen zu einer friedlichen Versammlung zusammenfanden, in der sie den Bezirksgouverneur um eine erneute Prüfung bitten wollten, wurde die Zusammenkunft von etwa 100 PolizeibeamtInnen unter Einsatz exzessiver Gewalt niedergeschlagen. Mehrere DorfbewohnerInnen wurden mit Elektroschock-Stöcken geschlagen; eine Frau wurde gewaltsam in einen Polizeiwagen gestoßen. Drei Menschen wurden festgenommen, später aber wieder freigelassen.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Angaben der Stadtverwaltung von Kambodscha zufolge soll das 133 Hektar umfassende Gelände in ein "attraktives Dienstleistungs- und Geschäftszentrum für inländische und ausländische Touristen" umgewandelt werden; darüber hinaus wurden bisher aber kaum zusätzliche Einzelheiten genannt. Die BewohnerInnen wurden vor Vertragsabschluss nicht konsultiert. Im Jahr 2008 berichteten einige VertreterInnen der Betroffenen gegenüber Amnesty International, dass sie erst aus Fernsehnachrichten von dem Vertragsabschluss und den Plänen erfahren hatten.

Seit dem Beginn der Aufschüttung des Sees wurden die AnwohnerInnen von Polizeikräften und ArbeiterInnen des Bauunternehmens wiederholt bedroht und drangsaliert; zudem gab es wiederholt Versuche, die DorfbewohnerInnen an Zusammenkünften und friedlichen Protesten gegen die rechtswidrigen Zwangsräumungen zu hindern. Als der Generalsekretär der Vereinten Nationen im Oktober 2010 zu einem Besuch anreiste, wurde eine friedliche Demonstration von AnwohnerInnen des Boeung Kak-Sees von PolizeibeamtInnen unter Ausübung exzessiver Gewalt niedergeschlagen. Einer der Anwohner, Suong Sophorn, wurde bewusstlos geschlagen und von den Polizeikräften bis zum Ende des Besuchs des Generalsekretärs festgehalten. Er war bereits zuvor, im Jahr 2009, einmal festgenommen und zur Zahlung einer Geldstrafe verurteilt worden; damals hatte er mit Farbe "Stoppt die Vertreibungen" an sein Haus geschrieben.

Die Zwangsräumungen am Boeung Kak-See stehen auch deshalb in der Kritik, da die Anwohnergemeinschaft und drei Nichtregierungsorganisationen einen weiteren Fall durch die Weltbank überprüfen lassen. Darin wird dargelegt, dass den AnwohnerInnen die Möglichkeit einer Eintragung ihrer Landrechte gemäß des von der Weltbank geregelten Landrechteprojekts "Land Management and Administration Project" (LMAP) verwehrt wurde, das zur Eintragung ebensolcher Rechte in Kambodscha entworfen wurde.


EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE E-MAILS, FAXE ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

- Stoppen Sie die rechtswidrige Zwangsräumungen der Dörfer 6, 20, 21, 22 und 24 in der Umgebung des Boeung Kak-Sees.

- Beginnen Sie mit den Betroffenen faire Konsultationen über angemessene Entschädigungen oder Alternativunterkünfte. Ziehen Sie außerdem den Vorschlag der AnwohnerInnen über eine Umsiedlung innerhalb des derzeit von ihnen bewohnten Geländes in Erwägung.

- Stellen sie zudem sicher, dass die Rechte der BewohnerInnen des Boeung Kak-Sees respektiert und geschützt werden und setzen sie der exzessiven Gewaltanwendung, Dranglasierung, Einschüchterung und Beschneidung der Rechte auf friedliche Proteste der BewohnerInnen ein Ende.


APPELLE AN

GOUVERNEUR
Kep Chuktema,
69 Blvd. Preah Monivong
Khan Daun Penh
Phnom Penh
KAMBODSCHA
(korrekte Anrede: Your Excellency)
Fax: (00 855) 23 430 681
E-Mail: info@phnompenh.gov.kh

INNENMINISTER
Sar Kheng, Minister of Interior and Deputy Prime Minister,
75 Norodom Blvd
Khan Chamkarmon
Phnom Penh
KAMBODSCHA
(korrekte Anrede: Your Excellency)
Fax: (00 855) 23 212708
E-Mail: moi@interior.gov.kh


KOPIEN AN

AUßENMINISTER
Hor Nam Hong, Minister of Foreign Affairs and International Cooperation-
No 3 Samdech Hun Sen Street
Sangkat Tonle Bassac-Khan Chamcar Mon-Phnom Penh
KAMBODSCHA
Fax: (00 855) 23 216 141

BOTSCHAFT DES KÖNIGREICHS KAMBODSCHA
S.E. Herrn Widhya Chem
Benjamin-Vogelsdorff-Straße 2
13187 Berlin
Fax: 030-4863 7972
E-Mail: REC-Berlin@t-online.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Khmer, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 19. April 2011 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY

- Demanding the authorities ensure no forced evictions of families living around Boeung Kak Lake are carried out;

- Calling on the authorities to engage in meaningful consultation with the affected families about adequate compensation, or adequate alternative housing, including by giving serious consideration to the alternative proposal by residents for on-site development;

- Urging the authorities to ensure that the rights of the residents of Boeung Kak Lake are respected and protected, including by ensuring an immediate end to the excessive use of force, and harassment, intimidation and restrictions on the right to peaceful protest.


In ganz Kambodscha sind tausende Menschen von rechtswidrigen Zwangsräumungen, illegalen Landnahmen und Landstreitigkeiten betroffen, einige davon in Verbindung mit Bewilligungen wirtschaftlicher Landnutzungen für mächtige Unternehmen und Einzelpersonen. Die Zahl der Menschen und Gemeinden, die bei den Behörden für ihr Wohnrecht protestieren und Gesuche einreichen, ist in den vergangenen Jahren gestiegen.

Kambodscha ist Vertragsstaat verschiedener Abkommen zum Schutz der Menschenrechte, darunter auch der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sowie der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte, die rechtswidrige Zwangsräumungen und damit verbundene Menschenrechtsverletzungen untersagen. Daher muss die kambodschanische Regierung ihrer Bevölkerung Schutz vor rechtswidrigen Zwangsräumungen gewähren und bereits laufende Zwangsräumungen einstellen.

Eine Zwangsräumung ist dann rechtswidrig, wenn die Betroffenen weder frühzeitig darüber informiert noch konsultiert werden, wenn ihnen kein rechtlicher Schutz gewährt und keine angemessene alternative Wohnmöglichkeit zugesichert wird.


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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-063/2011, AI-Index: ASA 23/001/2011, Datum: 8. März 2011 - jf
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
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Telefon: 030/42 02 48-306
Fax: 030/42 02 48 - 330
E-Mail: presse@amnesty.de
Internet: www.amnesty.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. März 2011