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AKTION/580: Urgent Action - Syrien - Zugang zu Anwälten verweigert


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-026/2010-4, AI-Index: MDE 24/010/2011, Datum: 11. März 2011 - mr

SYRIEN
Zugang zu Anwälten verweigert

Weitere Informationen zu UA-026/2010 (MDE 24/001/2010, 27. Januar 2010; MDE 24/011/2010, 18. Mai 2010; MDE 24/028/2010, 16. November 2010 und MDE 24/003/2011, 3. Februar 2011)


Herr HASSAN SALEH
Herr MA'ROUF MULLA AHMED
Herr MUHAMMAD AHMED MUSTAFA

Die drei kurdischen gewaltlosen politischen Gefangenen, die seit dem 6. Juni 2010 vor einem syrischen Sondergericht stehen, haben auch vor dem Verhandlungstag am 13. März keinen Zugang zu ihren Rechtsanwält_innen. Die Rechtsbeistände der Männer haben nun angekündigt, das Verfahren aus Protest zu boykottieren.

Hassan Saleh, Ma'rouf Mulla Ahmed und Muhammad Ahmed Mustafa sind führende Mitglieder der in Syrien nicht zugelassenen kurdischen Partei Yeketi. Der Prozess gegen die drei Kurden findet vor dem Obersten Staatssicherheitsgericht (Supreme State Security Court - SSSC) statt. Es handelt sich dabei um ein Gericht außerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit, dessen Verfahren internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren zuwiderlaufen. Die Anklage gegen die Männer lautet auf "Versuch der Abspaltung von Teilen des syrischen Territoriums" und auf "Mitgliedschaft in einer internationalen politischen oder sozialen Organisation". Offenbar fußt die Anklage darauf, dass die drei Kurden auf dem Parteitag von Yeketi am 3. Dezember 2009 Autonomie für die von Kurden bewohnten Regionen Syriens gefordert hatten.

Am 9. März 2011 veröffentlichte die Verteidigung der Männer eine Erklärung, dass sie das Verfahren der Männer vor dem SSSC von nun an boykottieren wird, da der Prozess eine Reihe von Mängeln aufweist, wie z.B. die Tatsache, dass ihren Klienten das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand verweigert wird.

Laut Angaben syrischer Quellen brachte man die drei Männer zwar am 20. Juli 2010 in den Gerichtsaal zur Verhandlung und setzte sie dort in den für Angeklagte vorgesehenen käfigartigen Bereich, es wurde ihnen jedoch nicht gestattet, mit ihren Rechtsanwält_innen zu sprechen oder ihnen auch nur die Hand zu geben. Am 19. Oktober 2010 und 6. Februar 2011 fanden zwei weitere Verhandlungstage statt, doch die angeklagten Männer wurden nicht in den Gerichtssaal gebracht, obwohl ihre Anwält_innen mehrmals sagten, dass sie ihre Mandanten gerne sehen würden. Während der Verhandlung am 6. Februar reichten die Anwält_innen einen schriftlichen Antrag beim obersten Richter dieses Gerichts ein, ihre drei Mandanten zu sehen. Der Richter gab Berichten zufolge sein Einverständnis und bat die Anwält_innen, eine halbe Stunde im Gerichtssaal zu warten. Als die halbe Stunde vorüber war, waren die Angeklagten immer noch nicht in den Gerichtssaal gebracht worden, um ihre Rechtsanwält_innen zu treffen. Diese forderten den Richter erneut auf, seine Erlaubnis zu geben, doch er soll darauf erwidert haben: "Ich bin nicht befugt, Ihnen Zugang zu den Männern zu gewähren, da es gegenteilige Anweisungen der Sicherheitskräfte gibt."

Im Februar erhielten Hassan Saleh, Ma'rouf Mulla Ahmed und Muhammad Ahmed Mustafa seit ihrer Festnahme am 26. Dezember 2009 zum ersten und einzigen Mal Besuch von ihrer Familie.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Hassan Saleh, Ma'rouf Mulla Ahmed und Muhammad Ahmed Mustafa werden derzeit in der politischen Abteilung des Zentralgefängnisses von Damaskus, das unter dem Namen 'Adra-Gefängnis bekannt ist, nahe der Hauptstadt festgehalten. Im Februar erhielten Hassan Saleh, Ma'rouf Mulla Ahmed und Muhammad Ahmed Mustafa zum ersten und einzigen Mal seit ihrer Festnahme am 26. Dezember 2009 Besuch von ihren Familien. Nach Angaben syrischer Quellen dauerten die Besuche weniger als eine halbe Stunde und fanden in Anwesenheit der Gefängniswärter_innen statt, die darauf bestanden, dass die Männer ausschließlich auf Arabisch mit ihren Angehörigen sprechen. Vermutlich wollten sie nicht, dass sie sich auf Kurdisch unterhalten, da die Gefängniswärter_innen das Gespräch in dieser Sprache nicht verstanden hätten. Berichten zufolge wirkten die Männer geschwächt. Die drei Kurden leiden unter diversen körperlichen Beschwerden. Hassan Saleh und Muhammad Ahmed Mustafa sollten unter anderem wegen einer Erkrankung an der Schilddrüse regelmäßig Medikamente einnehmen, Ma'rouf Mulla Ahmed leidet unter einem Bandscheibenvorfall. Es ist nicht bekannt, ob die drei Männer Zugang zu den von ihnen benötigten Medikamenten haben.

Die überwiegend im Nordosten Syriens beheimateten Kurd_innen machen bis zu zehn Prozent der Bevölkerung des Landes aus. Sie werden aus Gründen ihrer Identität diskriminiert, unter anderem unterliegen sie beim Gebrauch ihrer Sprache und im kulturellen Leben Einschränkungen. Zehntausende syrische Kurd_innen sind de facto staatenlos und haben dadurch einen noch schlechteren Zugang zu ihren sozialen und wirtschaftlichen Rechten.

Der SSSC missachtet systematisch die grundlegenden Rechte auf Verteidigung der Angeklagten. Sie erhalten nur eingeschränkten Zugang zu ihren Rechtsanwält_innen und haben keine Möglichkeit, Rechtsmittel gegen Urteil und Strafmaß einzulegen. Darüber hinaus lässt das Gericht "Geständnisse" als Beweismittel zu, die allem Anschein nach unter Folter erpresst werden. Vorwürfen von Angeklagten, sie seien gefoltert oder misshandelt worden, wird nur äußerst selten nachgegangen. Amnesty International hat eine Überprüfung der Tätigkeit des SSSC empfohlen mit dem Ziel, dieses Gericht entweder grundlegend zu reformieren oder aber gänzlich abzuschaffen.


EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE FAXE ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

- Ich fordere Sie mit Nachdruck auf, Hassan Saleh, Ma'rouf Mulla Ahmed und Muhammad Ahmed Mustafa unverzüglich und bedingungslos freizulassen, da es sich bei den Männern um gewaltlose politische Gefangene handelt, die allein deshalb inhaftiert sind, weil sie friedlich ihre Rechte auf freie Meinungsäußerung und Vereinigungsfreiheit wahrgenommen haben.

- Ich mache mir große Sorgen um die drei Männer, da ihr Gerichtsverfahren vor dem Obersten Staatssicherheitsgericht (Supreme State Security Court - SSSC) stattfindet, einem Gericht, dessen Prozesse den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren bei weitem nicht entsprechen.

- Bitte tragen Sie Sorge dafür, dass den drei Männern Zugang zu einem Rechtsbeistand ihrer Wahl sowie jeglicher benötigter medizinischer Versorgung gewährt wird.


APPELLE AN

STAATSPRÄSIDENT
Bashar al-Assad
Presidential Palace, al-Rashid Street,
Damascus, SYRIEN
(korrekte Anrede: Your Excellency)
Fax: (00 963) 11 332 3410

INNENMINISTER
Major Sa'id Mohamed Samour
Ministry of Interior
'Abd al-Rahman Shahbandar Street
Damascus, SYRIEN
(korrekte Anrede: Your Excellency)
Fax: (00 963) 11 222 3428


KOPIEN AN

AUßENMINISTER
Walid al-Mu'allim
Ministry of Foreign Affairs
al-Rashid Street, Damascus, SYRIEN
(korrekte Anrede: Your Excellency)
Fax: (00 963) 11 214 6251

BOTSCHAFT DER ARABISCHEN REPUBLIK SYRIEN
S.E. Herrn Radwan Loutfi
Rauchstr. 25, 10787 Berlin
Fax: 030-5017 7311
E-Mail: info@syrianembassy.de oder press@syrianembassy.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Arabisch, Englisch, Französisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 22. April 2011 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY

- Urging the authorities to release Hassan Saleh, Ma'rouf Mulla Ahmed and Muhammad Ahmed Mustafa immediately and unconditionally, as they are prisoners of conscience, detained solely for the peaceful exercise of their right to freedom of expression and association.

- Expressing concern that the three men are being tried by the SSSC, a court that falls far short of international standards.

- Urging the authorities to ensure that the three men are given access to their lawyers and any medical attention they may require.


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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-026/2010-4, AI-Index: MDE 24/010/2011, Datum: 11. März 2011 - mr
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin
Telefon: 030/42 02 48-306
Fax: 030/42 02 48 - 330
E-Mail: presse@amnesty.de
Internet: www.amnesty.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. März 2011