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AKTION/630: Urgent Action - VR China - AIDS-Aktivist zu Haftstrafe verurteilt - Aktivisten droht Folter


ai - URGENT ACTION
UA-NR: UA-117/2011, AI-Index: ASA 17/020/2011, Datum: 19. April 2011 - pn

VR CHINA
AIDS-Aktivist zu Haftstrafe verurteilt - Aktivisten droht Folter


NI YULAN, Menschenrechtsverteidigerin
DONG JIQIN, Menschenrechtsverteidiger

Die ehemalige Anwältin und Menschenrechtsverteidigerin für das Recht auf Wohnen Ni Yulan und ihr Ehemann Dong Jiqin kamen in Peking in Haft. Sie werden wegen des Verdachts "Streit angefangen und Ärger provoziert zu haben" in Gewahrsam gehalten. Ihnen drohen Folter und andere Misshandlungen.

Die Polizei inhaftierte Ni Yulan und Dong Jiqin am 7. April. Ni Yulans Tochter erhielt am 13. April ein amtliches Schreiben vom Büro für öffentliche Sicherheit des Stadtbezirks Xicheng in Peking in dem es hieß, sie werde wegen des Verdachts "Streit angefangen und Ärger provoziert zu haben" festgehalten. Am 15. April erhielt sie ein ähnliches Schreiben in Bezug auf Dong Jiqin. Berichten zufolge befindet sich das Paar in der Changqiao Haftanstalt in Peking in Polizeigewahrsam.

Ni Yulan wird nun schon zum dritten Mal für einen längeren Zeitraum von der Polizei festgehalten. Als sie im Jahr 2002 den Abriss eines Wohnhauses in Peking filmte, brachten die Behörden sie zu einer nahe gelegenen Polizeidienststelle, wo sie über mehrere Tage hinweg gefoltert wurde; dabei brach man ihr die Füße und die Kniescheiben. Ihre Verletzungen waren derart schwerwiegend, das sie seither im Rollstuhl sitzt. Als Ni Yulan daraufhin versuchte, wegen der Schläge bei den Behörden Beschwerde einzulegen, wurde sie verhaftet und wegen "Behinderung öffentlicher Angelegenheiten" zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt. Ihrem Ehemann Dong Jiqin war der Zutritt zu der Verhandlung untersagt worden.

Nachdem Ni Yulan im Jahr 2003 aus der Haft entlassen wurde, setzte sie sich weiterhin für die Rechte derjenigen ein, deren Wohnhäuser vor den Olympischen Spielen in Peking im Jahr 2008 abgerissen werden sollten. Im Jahr 2008 nahm man sie kurz vor den Olympischen Spielen erneut fest und sie kam zwei Jahre lang in Haft, da sie versuchte den Abriss ihres eigenen Hauses zu verhindern. In Haft war sie Folter und anderen Misshandlungen ausgesetzt. Man versagte ihr außerdem eine angemessene medizinische Versorgung.

Nach der Freilassung von Ni Yulan im April 2010 war das Paar wohnungslos. Sie lebten in einem Hotel bis die Polizei sie auf die Straße drängte und es ihnen unmöglich machte, eine Wohnung zu mieten oder sogar bei Freunden unterzukommen. Im Juni 2010 brachte die Polizei das Paar in der Pension Yuxingong in Peking unter, nachdem Dutzende von UnterstützerInnen eine Solidaritätsdemonstration für Ni Yulan und Dong Jiqin abgehalten hatten. Sie waren jedoch erneut verschiedenen Schikanen durch die Behörden ausgesetzt, wie etwa das Kappen der Wasser- und Elektrizitätsversorgung sowie des Internetzugangs. Darüber hinaus standen sie unter Überwachung.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Die Inhaftierung von Ni Yulan und Dong Jiqin ist ein weiterer besorgniserregender Schritt, der sich in die Entwicklung eines immer massiveren Durchgreifens gegen abweichende Meinungen einreiht. Im Zuge dessen wurden bereits Dutzende von AktivistInnen festgenommen, davon viele in den vergangenen beiden Monaten.

Seit dem 19.Februar hat die chinesische Polizei mehr als 100 AktivistInnen im ganzen Land inhaftiert, ihnen eine der verschiedenen Formen des Hausarrests auferlegt oder sie unter Überwachung gestellt. Zu den Betroffenen zählen auch ein Dutzend bekannter RechtsanwältInnen, die sich für Menschenrechte engagieren. Diese Maßnahmen werden scheinbar in der Bemühung durchgeführt, von der "Jasmin-Revolution" beeinflusste Proteste in China zu verhindern. Mindestens fünf Personen wurden offiziell wegen Verdachts auf "Gefährdung der Staatssicherheit" verhaftet und mindestens eine Person wurde in ein Lager für "Umerziehung durch Arbeit" eingewiesen; dabei handelt es sich um eine Form von Haftstrafe, die meist von der Polizei und nicht vom Gericht verhängt wird und die oft in Verbindung steht mit einer politischen "Erziehung" der Häftlinge. Darüber hinaus gaben mindestens zwölf RechtsanwältInnen an, sie seien für eine kurze Zeit festgenommen worden. Dabei sei Druck auf sie ausgeübt worden, nicht die Fälle derer zu übernehmen, die sich derzeit in Haft befinden. Die Polizei verbot ihnen sogar, sich auf Twitter über die Gefangenen zu äußern.

Ni Yulan arbeitete 18 Jahre lang als Rechtsanwältin. Sie nahm viele politisch brisante Fälle auf, bei denen es um Beschwerden und Proteste gegen den Abriss von Wohnhäusern ging. Weder Ni Yulan noch Dong Jiqin haben an den Jasmin-Protesten in China teilgenommen. Als Ni Yulan in besagter Pension in Peking lebte, hielt sie den Kontakt zu AktivistInnen, RechtsanwältInnen und JournalistInnen und veröffentlichte weiterhin Menschenrechtsverletzungen auf ihrem Mikroblog. Der Dokumentarfilmregisseur He Yang richtete mit seinem Film Emergency Shelter aus dem Jahr 2010 die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Verfolgung von Ni Yulan. In dem Film sieht man sie und ihren Mann, wie sie im Park von Peking leben; er zeigt auch Ni Yulan wie sie detailliert über ihre Folter spricht. Sie leidet an Atem-, Herz- und Verdauungsstörungen und kann wegen der Folter durch die Polizei nicht mehr laufen.

Die höchste Haftstrafe für Personen, die für schuldig befunden werden "Streit anzufangen und Ärger zu provozieren" (Paragraph 293 des chinesischen Strafgesetzes) beträgt fünf Jahre. Da Ni Yulan wegen ihres Engagements bereits zuvor zur Zielscheibe wurde und da ihre Vorgeschichte geprägt ist von Folter und Misshandlungen durch die Polizei, sind Ni Yulan und ihr Ehemann einem hohen Risiko ausgesetzt, erneut gefoltert oder misshandelt zu werden.


EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE E-MAILS ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

- Ich appelliere an Sie, Ni Yulan und Dong Jiqin unverzüglich und bedingungslos freizulassen, es sei denn die Behörden können nachvollziehbare Gründe anführen, dass Ni Yulan und Dong Jiqin eine international anerkannte Straftat begangen haben.

- Sorgen Sie bitte dafür, dass Ni Yulan und Dong Jiqin unverzüglich Kontakt zu ihren Familien und einem Rechtsbeistand ihrer Wahl aufnehmen können, sowie Zugang zur nötigen medizinischen Versorgung erhalten.

- Stellen Sie ebenfalls sicher, dass Ni Yulan und Dong Jiqin in Haft weder gefoltert noch misshandelt werden.

- Ich bitte Sie eindringlich, wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um das Recht auf angemessenes Wohnen gemäß Artikel 11 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte zu sichern, der von China unterzeichnet und ratifiziert wurde.


APPELLE AN

DIREKTOR DER BEHÖRDE FÜR ÖFFENTLICHE SICHERHEIT IN PEKING
Fu Zhenghua Juzhang
Beijingshi Gong'anju
9 Dongdajie, Qianmen
Dongchengqu, Beijingshi 100740
VOLKSREPUBLIK CHINA
(korrekte Anrede: Dear Director)
Fax: (00 86) 10 65242927

BÜRGERMEISTER VON PEKING
GUO Jinlong Shizhang
Beijingshi Renmin Zhengfu
2 Zhengyilu
Dongchengqu, Beijingshi 100744
VOLKSREPUBLIK CHINA
(korrekte Anrede: Dear Mayor)
Fax: (00 86) 10 65192233

MINISTERPRÄSIDENT
WEN Jiabao Guojia Zongli
The State Council General Office
2 Fuyoujie, Xichengqu,
Beijingshi 100017,
VOLKSREPUBLIK CHINA
(korrekte Anrede: Your Excellency)
Fax: (00 86) 10 65961109
(c/o Ministry of Foreign Affairs)


KOPIEN AN

BOTSCHAFT DER VOLKSREPUBLIK CHINA
S.E. Herrn Hongbo Wu
Märkisches Ufer 54
10179 Berlin
Fax: 030-27 58 82 21
E-Mail: de@mofcom.gov.cn


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Chinesisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 30. Mai 2011 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY

- Call on authorities to release Ni Yulan and Dong Jiqin immediately and unconditionally, unless authorities can show reasonable grounds for suspecting them of having committed an internationally-recognized criminal offence;

- Urge the authorities to ensure they have immediate access to their families, legal representation of their choice, and any medical care they may require;

- Call on authorities to guarantee that Ni Yulan and Dong Jiqin will not be tortured or ill-treated in custody;

- Urge the authorities to take effective measures to guarantee the right to adequate housing, guaranteed in Article 11 of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, which China has signed and ratified.


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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-NR: UA-117/2011, AI-Index: ASA 17/020/2011, Datum: 19. April 2011 - pn
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
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Fax: 030/42 02 48 - 330
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Internet: www.amnesty.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. April 2011