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AKTION/795: Urgent Action - Haiti - Drohende Zwangsräumung


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-284/2011, AI-Index: AMR 36/014/2011, Datum: 19. September 2011 - mr

Haiti
Drohende Zwangsräumung


RUND 300 MENSCHEN im Palais de l'Art in Delmas

Mehr als 300 Personen, die seit der Zerstörung ihrer Häuser durch das Erdbeben im Januar 2010 in einem provisorischen Lager in der Hauptstadt Haitis leben, sind von Zwangsräumung bedroht. Amnesty International ist in Sorge, dass sie im Falle einer Vertreibung keine angemessenen alternativen Unterkünfte erhalten und daher gezwungen sein werden, auf der Straße zu leben.

Den Menschen, die derzeit in einem provisorischen Camp namens Palais de l'Art in der Gemeinde Delmas in der Hauptstadt Port-au-Prince leben, sind unmittelbar von Zwangsräumung bedroht. Der Eigentümer des Parkplatzes des Veranstaltungszentrums Palais de l'Art, auf dem sich das Camp befindet, teilte den BewohnerInnen am 9. September mit, dass sie zehn Tage später vertrieben werden würden. Er legte zu diesem Zeitpunkt weder einen Räumungsbefehl des Gerichts noch eine andere rechtliche Anordnung vor. Während eines Besuchs des Camps am 17. September wurde einer Delegation von Amnesty International von dem Eigentümer mitgeteilt, er werde in zwei Wochen zurückkehren, um sie "herauszuschmeißen". Die 112 Familien - etwa 330 Menschen - leben in dem Lager, seit sie durch das verheerende Erdbeben im Januar 2010 obdachlos geworden sind. Man hat ihnen keine alternativen Unterkünfte angeboten. Falls sie vertrieben werden, wären sie gezwungen, auf der Straße zu leben. Schon im vergangenen Jahr kam es zu Räumungsdrohungen. Das Innenministerium traf dann aber eine Vereinbarung mit dem Eigentümer, durch die er Entschädigung dafür erhielt, dass die Binnenvertriebenen sechs Monate auf seinem Grund und Boden bleiben konnten. Nach Ablauf der sechs Monate möchte der Besitzer nun sein Land zurück. Im Juni versperrte er mehrere Tage das Eingangstor zu dem Camp und zwang die BewohnerInnen dadurch dazu, über eine 1,52 m hohe Mauer zu klettern, um hinein und hinaus zu gelangen. Zudem machte er einen Wassertank unnutzbar, wodurch die BewohnerInnen ohne Wasser waren.

Wie Tausende obdachlose HaitianerInnen, die unmittelbar nach dem Erdebeben vom Januar 2010 gezwungen waren, auf verfügbarem Land zu siedeln, leben auch die BewohnerInnen von Camp Palais de l'Art in provisorischen Unterkünften unter schlechten sanitären Bedingungen und ohne fließendes Wasser. Sie wollen nicht auf diesem Stück Land bleiben, doch möchten sie angemessene alternative Unterkünfte erhalten, so dass sie lange nach dem Erdbeben endlich wieder ein normales Leben aufnehmen können.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Derzeit leben in Haiti rund 680.000 Menschen in mehr als 1000 Notlagern. 70 Prozent von ihnen sind von Vertreibung bedroht, dem meist kein rechtsstaatliches Verfahren vorausgeht. Seit dem Erdbeben vom Januar 2010 sind nach UN-Angaben 67.162 Menschen Opfer von Vertreibung geworden. Während im Juli 2010 die Zahl der von Zwangsräumung bedrohten Lager noch 87 betrug, standen im Juli 2011 bereits 348 Lager vor der Zwangsräumung, eine Zunahme von 400 Prozent.

Viele der von Zwangsräumung bedrohten Camps befinden sich in der Gemeinde Delmas in Port-au-Prince. Im Mai 2011 wurden mehr als 300 obdachlose Familien, die im Stadtbezirk Delmas in provisorischen Lagern lebten, von den örtlichen Behörden und Angehörigen der haitianischen Polizei aus ihren Unterkünften vertrieben. Die Familien waren wie Hunderttausende andere Menschen durch das Erdbeben vom Januar 2010 obdachlos geworden und hatten keine andere Wahl gehabt, als provisorische Unterkünfte zu errichten, wo dies möglich war.

Der Bürgermeister von Delmas hatte seinerzeit seine Absicht bekundet, innerhalb von drei Monaten alle öffentlichen Plätze von dort hausenden Menschen zu "räumen", um den Tourismus in Haiti zu fördern und Investitionen ins Land zu holen. Er ordnete an, alle in den Lagern lebende Menschen ohne vorherige Benachrichtigung oder Konsultation von dort zu vertreiben. In Begleitung des Bürgermeisters rissen daraufhin städtische Bedienstete und PolizistInnen die Zelte ab und vernichteten die Zeltplanen. Einige der BewohnerInnen waren zum Zeitpunkt der Abrissmaßnahmen nicht vor Ort, sondern gingen ihren täglichen Aktivitäten nach. Als sie zurückkehrten, fanden sie ihre Unterkünfte zerstört vor. Zudem waren persönliche Gegenstände vernichtet oder beschlagnahmt worden.

Mehreren Hundert Familien, die im Lager Mosayik und im benachbarten Camp Mormon in Delmas leben, droht aktuell ebenfalls die Zwangsräumung, ohne dass ihnen alternative Unterkünfte angeboten worden wären.

Die Interamerikanische Menschenrechtskommission ordnete am 18. November 2010 vorbeugende Maßnahmen an und forderte die haitianischen Behörden auf, ein Moratorium für alle Zwangsräumungen von Lagern zu erlassen, in denen Menschen wohnen, die nach dem Erdbeben vom Januar 2010 obdachlos geworden sind. Die Menschenrechtskommission verlangte, alle rechtswidrig Vertriebenen in Gebiete mit einem Mindestmaß an Sicherheit und Hygiene umzusiedeln. Von der Interamerikanischen Menschenrechtskommission erlassene Maßnahmen sind für die betroffenen Staaten bindend.


EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE E-MAILS, FAXE ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

- Ich bitte Sie eindringlich, die Zwangsräumungen der BewohnerInnen von Camp Palais de l'Art nur durchzuführen, sofern eine rechtliche Grundlage vorliegt, eine vorherige Benachrichtigung sowie ein Beratung mit den Betroffenen stattgefunden hat und allen angemessene alternative Unterkünfte angeboten werden können.

- Ich erwarte, dass die von der Interamerikanischen Menschenrechtskommission angeordneten vorbeugenden Maßnahmen umgesetzt werden. Sie besagen, dass Zwangsräumungen von Lagern für intern vertriebene Menschen bis auf Weiteres unterbleiben und bereits rechtswidrig vertriebene Menschen an Orte gebracht werden, in denen ihre Sicherheit gewährleistet und ein Mindestmaß an sanitären Einrichtungen vorhanden ist.

- Ich verweise auf die UN-Richtlinien über den Schutz von Binnenflüchtlingen, in denen es heißt, dass Binnenflüchtlinge das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard einschließlich Unterkunft und Grundversorgung besitzen und vor willkürlicher Vertreibung geschützt werden müssen.


APPELLE AN

MINISTER OF JUSTICE A.I.
Jean-Max Bellerive
Ministre de la Justice, Ministère de la Justice
18 Rue Charles Summer, Port-au-Prince, HAITI
(korrekte Anrede: Monsieur le Ministre / Dear Minister / Sehr geehrter Herr Minister)
E-Mail: secretariat.mjsp@yahoo.com

LEITER FÜR POLITISCHE ANGELEGENHEITEN UND
MENSCHENRECHTE IM INNENMINISTERIUM
Pierre Canisius Guignard
Directeur des affaires politiques et des droits humains,
Ministère de l'Intérieur Port-au-Prince, HAITI
(korrekte Anrede: Monsieur le Directeur / Dear Director / Sehr geehrter Herr Guignard)
E-Mail: pedro_ht@yahoo.fr


KOPIEN AN

amnesty.international.caribbean@gmail.com
(Sie werden gesammelt und an relevante Addressaten verteilt)

BOTSCHAFT DER REPUBLIK HAITI
S.E. Herrn Jean Robert Saget
Uhlandstraße 14, 10623 Berlin
Fax: 030-8855 4135
E-Mail: haitbot@aol.com oder
ambahaiti@aol.com (Sekretariat)


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Französisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 31. Oktober 2011 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY

- Urge the authorities to ensure that residents of Camp Palais de l'Art are not evicted without due process, adequate notice, consultation and that all of those affected have access to adequate alternative accommodation;

- Urge them to comply with the precautionary measures issued by the Inter-American Commission on Human Rights which call for a moratorium on all evictions from Internally Displaced Persons (IDP) camps and the transfer of anyone unlawfully evicted to places with minimum sanitary and security conditions;

- Remind them that UN Guiding Principles on Internally Displaced Persons state that such persons have the right to an adequate standard of living, including shelter, housing and protection against arbitrary displacement.


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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-284/2011, AI-Index: AMR 36/014/2011, Datum: 19. September 2011 - mr
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
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Heerstr. 178, 53111 Bonn
Telefon:+ 49 228 98373-0, Fax: +49 228 630036
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Internet: www.amnesty.de/ua; www.amnesty.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. September 2011