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AKTION/868: Urgent Action - Erfolgreiche UA-Fälle


ai - URGENT ACTION - 08.12.2011

Das Jahr neigt zu dem Ende zu, Zeit für positive Rückmeldung


Ein Einblick in das Urgent Action-Archiv

Amnesty Internationals umfangreiches Archiv von Einzelfällen enthält unzählige Geschichten zu Personen, die unterstützt wurden und in einigen Fällen durch die Aktionen unserer Mitglieder und UnterstützerInnen wieder in Sicherheit leben können. In vielen Fällen hatte schon das Schreiben eines einzigen Briefes oder das Senden eines Faxes nachhaltigen Einfluss auf das Leben der Betroffenen. In anderen Fällen hat die Flut von Appellen dazu geführt, dass die EmpfängerInnen der Appelle ihrerseits verzweifelte Appelle an Amnesty International richteten.


Kolumbien:
Protestfax schneller im Gefängnis als der Häftling

1989 kam es zu einer erstaunlichen Begebenheit: Die Protestfaxe der Mitglieder des Eilaktionsnetzes erreichten das Gefängnis, noch ehe der Festgenommenen dort eintraf. Der künftige Gefangene - ein kolumbianischer Rechtsanwalt(*) - war zuhause von Sicherheitskräften verhaftet worden, schaffte es aber noch, den anderen Personen im Haus zuzurufen: "Ruft Amnesty an!" Sein Fall wurde umgehend zu einer Urgent Action und die ersten Faxe, in denen gegen seine Inhaftierung protestiert wurde, erreichten das Gefängnis noch vor ihm. Nach seiner Freilassung bedankte sich der Anwalt persönlich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Amnesty International.


Indonesien:
"Ich zählte die Briefmarken, nicht die Tage!"

In einem UA-Newsletter von 1998 findet sich die Geschichte des gewaltlosen politischen Gefangenen Tri Agus Susanto, der eine völlig neue Verwendung für die 1000 Briefe entdeckte, die er von Amnesty-Mitgliedern erhielt. Nach seiner Freilassung erzählte er Amnesty-Mitarbeitern davon:

"Gefangene mit Geld und entsprechenden Einfluss auf die Wärter hatten gewisse Freiheiten. Ich erlangte Einfluss durch die 5000 Briefe, die zu meinem Fall geschrieben wurden und von denen ich 1000 erhielt. Ich zählte deren Briefmarken, nicht die Tage! Denn nachdem ich die Briefmarken in einer indonesischen Philatelisten-Zeitschrift inseriert hatte, besuchte mich ein Briefmarkensammler, um sie abzuholen. Wir vereinbarten, Briefmarken gegen Federbälle zu tauschen, weil wir im Gefängnis Federball spielten und Federbälle Mangelware waren."


Ägypten:
Hören sie auf, Menschenrechte zu boykottieren

Für die Dauer der Weltmenschenrechtskonferenz 1993 in Wien hatten Amnesty International Österreich und Amnesty International Deutschland vor dem Gebäude der Vereinten Nationen einen Urgent Action-Stand errichtet. Ausgestattet mit 5 Faxgeräten erregte das mobile Aktionsbüro viel Aufmerksamkeit. Und schon am dritten Tag gab es einen Grund zu feiern: ein peruanischer Journalist wurde aus der Haft entlassen. Im Laufe der zweiwöchigen Konferenz wurden mehr als 25 000 Faxe verschickt.

Ein Fax ganz anderer Art ging unterdessen im Londoner Hauptsitz von Amnesty International ein: "Die Botschaft der Arabischen Republik Ägypten versteht ihre Sorge um die Menschenrechtsangelegenheiten und ihre damit verbundenen Aktivitäten. Doch wir arbeiten auch nur, genau wie Sie, und hätten deshalb eine Bitte: Wäre es möglich, dass Sie AUFHÖREN unser Fax zu blockieren? Schicken Sie Ihre Briefe bitte per Mail oder auf anderem Wege. Wir können unser Faxgerät wegen der anhaltenden Belegung durch Sie nicht benutzen."

Die Antwort von Amnesty International war simpel: "Wir werden aufhören Faxgeräte zu blockieren, wenn Regierungen aufhören Menschenrechte zu boykottieren."

(*) Wir stehen mit den betroffenen Personen derzeit nicht in Kontakt. Um ihre Identität zu schützen, haben wir ihre Namen nicht verwendet.


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Sri Lanka
Pressefreiheit

J.S. Tissainayagam - gewaltloser politischer Gefangener

Der srilankische Journalist und gewaltlose politische Gefangene J.S. Tissainayagam, genannt 'Tissa', wurde im Juni 2010 freigelassen, nachdem sich die Mitglieder von Amnesty International in unzähligen Briefen für ihn eingesetzt hatten. Er war 2009 in einem unfairen Verfahren zu 20 Jahren Zwangsarbeit verurteilt worden, weil er in zwei Artikeln das Vorgehen der srilankischen Regierung im Krieg gegen die paramilitärische Organisation Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) kritisiert hatte.

'Tissa' wird im März 2008 in der Abteilung für Terrorismusfahndung (Terrorist Investigation Division - TID) festgenommen, einer Hafteinrichtung in der Hauptstadt Colombo, als er dort seinen Kollegen Vadivel Jasikaran besucht. Der Drucker der Zeitschrift North Eastern Monthly ist am Tag zuvor verhaftet worden. Unter Verstoß gegen srilankisches Recht nimmt man auch 'Tissa' fest, ohne dass ein Haftbefehl gegen ihn vorgelegen hätte. Auch seine Familie wird nicht über die Festnahme informiert. Im August 2008 erhebt man auf der Grundlage des Antiterrorgesetzes Nr. 49 von 1979 Anklage gegen 'Tissa'. Ihm wird vorgeworfen, durch das Sammeln von Geld für die Zeitschrift North Eastern Monthly im Jahr 2006 "terroristische Organisationen unterstützt zu haben". Die einzigen von der Staatsanwaltschaft vorgelegten Beweise sind die beiden Artikel, die er 2006 für die Zeitschrift geschrieben hat. Darin hat er das Vorgehen der srilankischen Armee im Kampf gegen die LTTE sowie die Auswirkungen des Kriegs auf Zivilpersonen kritisiert.

Mitglieder von Amnesty International aus der ganzen Welt setzen sich für 'Tissa' ein. Sie schreiben Briefe, unterzeichnen Petitionen und nehmen an Protesten teil. 2009 wird er mit dem Preis für Internationale Pressefreiheit ausgezeichnet, und US-Präsident Obama bezeichnet seinen Fall als ein Beispiel für die Verfolgung von Journalist_innen in der ganzen Welt.

'Tissa' ist vor allem bekannt für seine wöchentliche Kolumne The Telescope in der englischsprachigen Zeitung Sunday Times. Von 2002 bis Mitte 2007 war er Redakteur der Zeitschrift North Eastern Monthly. Die Zeitschrift berichtete über Ereignisse in den Gebieten, die von den Kämpfen zwischen der Regierung und der LTTE am stärksten betroffen waren. In seinen Artikeln hatte 'Tissa' das Scheitern mehrerer srilankischer Regierungen beim Schutz der Menschenrechte von Tamil_innen kritisch kommentiert. Er tritt ungeachtet der ethnischen Herkunft für die Menschenrechte aller durch die Kämpfe in Sri Lanka betroffenen Zivilpersonen ein. "'Tissa' und ich möchten allen Aktivist_innen danken, die Petitionen unterschrieben und Briefe an die srilankische Regierung, an 'Tissa' und an die US-Regierung geschickt haben", sagte Ronnate Tissainayagam, 'Tissas' Frau, nach seiner Freilassung. "Alle diese Briefe und Unterschriften waren unglaublich wichtig, um 'Tissas' Fall voranzubringen und schließlich seine Freilassung zu bewirken. Die Briefe an 'Tissa' waren im Gefängnis ein großer Trost für ihn. Er hat jedes Schreiben aufbewahrt. Für mich war es eine große Ermutigung, zu wissen, dass all die Unterstützer_innen von Amnesty da draußen waren, seinen Namen nannten, Unterschriften sammelten, Poster hochhielten oder einfach nur an ihn dachten. Sie haben etwas bewegt. Dass wir jetzt wieder zusammen sind, ist der Ausdauer und Hartnäckigkeit der Aktivist_innen von Amnesty zu verdanken. Wir bitten Sie eindringlich, Ihre wichtige Arbeit fortzusetzen, damit andere unrechtmäßig Inhaftierte ebenfalls überleben und ihr Leid ein Ende hat."

'Tissa' und Ronnate Tissainayagam haben Sri Lanka aus Angst um ihre Sicherheit inzwischen verlassen.


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In Äquatorial Guinea
Entlassung aus dem Gefängnis: 2008

Pastor Samba - ein gewaltloser politischer Gefangener

Am 7. Juni 2008 wurde Pastor Bienvenido Samba Momesori aus dem Gefängnis in Evinayong, Äquatorialguinea, entlassen. Vor seiner Freilassung hatte Amnesty International mehrere Jahre lang an seinem Fall gearbeitet und Mitglieder aus der ganzen Welt hatten sich für ihn eingesetzt.

Am Sonntag, dem 26. Oktober 2003 wurde Pastor Bienvenido Samba Momesori in seiner Kirche in Malabo auf der Insel Bioko in Äquatorialguinea festgenommen. Die Behörden bestritten zwei Wochen lang, dass sie Pastor Samba festhielten, bevor sie seiner Familie gegenüber zugaben, dass er im Black Beach-Gefängnis in Malabo inhaftiert war. Später wurde er in eine andere Haftanstalt verlegt, offenbar, als die Behörden erfuhren, dass eine Delegation des Roten Kreuzes nach ihm suchte. Wieder verweigerten es die Behörden, seinen Aufenthaltsort preiszugeben. Erst ein halben Jahr später, Anfang Dezember 2003, erfuhr Pastor Sambas Familie, dass er im Gefängnis in Evinayong auf dem Festland inhaftiert war. Als Amnesty International die Nachrichten über Pastor Sambas Haft erreichten, setzten sich Mitglieder in verschiedenen Ländern in einer Reihe von Briefkampagnen für ihn ein. Die Organisation ging davon aus, dass seine Inhaftierung politische Gründe hatte: seine der Öffentlichkeit bekannte und immer friedlich vertretene politische Haltung und seine ethnische Herkunft. Tausende Briefe wurden an Pastor Samba und die Behörden, die ihn festhielten, geschrieben. Vertreter_innen von Amnesty International legten einige dieser Briefe dem äquatorialguineischen Botschafter in Großbritannien vor. Er versprach daraufhin, das Anliegen den zuständigen Behörden in Äquatorialguinea zu übermitteln. 2007 schrieb auch der Erzbischof von Canterbury in Großbritannien in Zusammenarbeit mit Amnesty International einen Artikel für die Zeitschrift New Statesman, in dem er die Leser_innen aufrief, mit Appellbriefen auf die äquatorialguineischen Behörden einzuwirken und darauf hinwies, dass er zwar die Freiheit habe, sich gefahrlos zu politischen Themen zu äußern, "dies für andere aber nicht der Fall ist".

Pastor Samba wurde am 7. Juni 2008 aufgrund einer Begnadigung anlässlich des 66. Geburtstages des Präsidenten Obiang freigelassen. Zwei Tage später wandte er sich an Amnesty International: "Ich möchte mich bei Ihnen dafür bedanken, dass sie mich aus dem Gefängnis geholt haben und Ihnen zu Ihrer Arbeit gratulieren. Ich wusste von Ihren Aktivitäten, denn vor zwei Jahren erhielt ich im Gefängnis einen Brief von einer Frau aus Spanien, die schrieb, sie sei Mitglied in einer NGO. Es war ein Wunder, dass dieser Brief mich überhaupt erreichte. Außerdem bekam ich Briefe über den Anwalt Fabian. Als Sie Ihren Jahresbericht veröffentlichten, hörte ich bei Radio Exterior de España [dem Radiosender für Spanier im Ausland] meinen Namen. Der Sender berichtete, dass Sie seit meiner Festnahme im Oktober 2003 für meine Freilassung eingetreten waren. Vielen Dank für Ihre Solidarität!"

Externe Links:
Artikel im New Statesman (Englisch):
http://www.newstatesman.com/human-rights/2007/02/equatorial-guinea-samba-trial


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Indien
Unternehmensverantwortung in Indien, Recht auf Gesundheit und eine Gesunde Umwelt, Recht auf Wasser

Der Fall Vedanta

Die indische Regierung erteilt 2010 dem Vorhaben eine Absage, in den Niyamgiri-Bergen im Osten Indiens Bauxit abzubauen - ein Meilenstein im Kampf um indigene Rechte und Unternehmensverantwortung. Die Entscheidung wird am 24. August 2010 bekannt gegeben und ist das Resultat jahrelangen Engagements der Dongria Kondh und anderer indigener Gemeinschaften, die das geplante Bergbauprojekt als eine Bedrohung für ihre Existenz bezeichnen. Das Beteiligung von Amnesty International hat entscheidend zum Erfolg der Kampagne beigetragen.

Amnesty International beginnt Mitte 2008 die Kampagne zu unterstützen und veröffentlicht Anfang 2010 einen Bericht mit dem Titel Don't mine us out of existence, in dem Menschenrechtsverstöße und rechtswidrige Vorgänge dokumentiert sind. Sechs Monate später wird ein Bericht der indischen Regierung, der zu ähnlichen Schlüssen kommt, die Grundlage für die Entscheidung der indischen Behörden, das Bergbauvorhaben zu stoppen. Die Pläne für den Ausbau einer Aluminium-Raffinerie auf die sechsfache Größe in Lanjigarh am Fuße der Hügel wird am 20. Oktober von der Regierung aufgegeben. Die Raffinerie hat in der Vergangenheit zu Wasser- und Luftverschmutzung geführt, die das Leben der örtlichen Gemeinschaften zerstören.

Die indische Regierung kommt zu dem Schluss, dass der geplante Bauxitabbau Forstschutz- und Umweltgesetze bereits in großem Umfang verletzt hat und zu weiteren Verstößen führen würde. Die Pläne zum Ausbau der Raffinerie werden als rechtswidrig eingestuft.

Die Entscheidung ist ein Schlag für die beteiligten Unternehmen - eine Tochterfirma des in Großbritannien ansässigen Unternehmens Vedanta Resources und dem staatseigenen indischen Bergbauunternehmen Orissa Mining Corporation.

Amnesty International hat mit den Dongria Kondh-Gemeinden zusammengearbeitet, um die ökologische Unbedenklichkeit, die ein Berufungsgericht dem Bergbauvorhaben bescheinigt hatte, anzufechten. Über 30 000 Amnesty-Mitglieder schreiben den indischen Behörden, während die Organisation mit der Firma Gespräche führt. In der Zwischenzeit protestierten darüber hinaus Amnesty-Mitglieder und andere NGOs bei der Jahreshauptversammlung von Vedanta vor dem Londoner Firmensitz. Die Kampagne und der Einsatz von Amnesty International haben dazu beigetragen, die Pläne zum Ausbau des Bauxitabbaus und der Raffinerie mehrere Monate lang zu verzögern, ehe die endgültige Entscheidung fällt, das Bergwerk nicht zu genehmigen.

Ein Sprecher der Dongria Kondh erklärt gegenüber Amnesty International: "Nach Jahren des Kampfes und Besuchen von Ausschussmitgliedern hat unsere Stimme endlich Delhi erreicht."

Mehrere Investor_innen haben sich wegen der Geschehnisse in Orissa von Vedanta distanziert. 2007 zog der Norwegische Rentenfond seinen Anteil in Höhe von 15,6 Millionen Dollar aus menschenrechtlichen Gründen aus dem Unternehmen zurück und reagierte damit auf Sachinformationen von Amnesty International und anderen Organisationen. Im Februar 2010 beendeten der Joseph Rowntree Charitable Trust und die Kirche von England ihre Beteiligung am Unternehmen Vedanta.

Links:
http://snipr.com/1114ox
http://www.survivalinternational.org/tribes/dongria


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Malawi
Die Geschichte des gewaltlosen politischen Gefangengen

Jack Mapanje

Dr. Jack Mapanje wird von 1987 bis 1991 vier Jahre lang von den malawischen Behörden in Haft gehalten. Der Grund sind seine Gedichte, in denen er Präsident Kamuzu Banda und seine Regierung kritisiert. Einen Teil seiner Zeit im Gefängnis verbringt Dr. Mapanje ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft. Amnesty International erklärt ihn im November 1987 zum gewaltlosen politischen Gefangenen und beginnt für seine Freilassung einzutreten. Aufgrund des enormen öffentlichen Drucks aus der ganzen Welt wird Jack Mapanje 1991 schließlich aus der Haft entlassen! Jack Mapanje ist einer der bekanntesten Dichter Malawis. 1981 erscheint in London sein Gedichtband Und Gott ward zum Chamäleon (Of Chameleons and Gods). 1985 lässt das malawische Kultusministerium das Buch an Schulen und Hochschulen verbieten.

Am 25. September 1978 wird Jack Mapanje in der Stadt Zomba im Süden des Landes von der Polizei festgenommen. Gleich nach der Festnahme sucht die Polizei mit ihm sein Universitätsbüro auf und beschlagnahmt dort einige Exemplare seines Buches. Zu diesem Zeitpunkt ist Jack Mapanje 43 Jahre alt, verheiratet, hat drei Kinder und leitet das Institut für Sprache und Literatur an der Universität Malawi. Amnesty International erklärt ihn zum gewaltlosen politischen Gefangenen, da er ausschließlich wegen seiner abweichenden Meinung festgenommen worden ist. Seine Gedichte sind den malawischen Behörden ein Dorn im Auge, da er sich darin kritisch zur damaligen Politik äußert. Amnesty International fordert die malawische Regierung daher zur sofortigen und bedingungslosen Freilassung von Jack Mapanje auf.

Darüber hinaus setzt man sich bei Amnesty International für Jack Mapanje ein, indem man die UN zum Handeln auffordert und Mitglieder mobilisiert. Viele von ihnen senden Briefe an die malawischen Behörden und Solidaritätsbekundungen in das Mikuyu-Gefängnis, in dem sich Jack Mapanje in Haft befindet. Nach seiner Freilassung berichtet er, dass ihm eine Postkarte besonders in Erinnerung geblieben ist. "Als ich im Gefängnis saß, hat es ein Jahr und zehn Monate gedauert, bis ich meine Frau, meine Kinder und andere Familienangehörige sehen durfte. Briefe, Zeitungen und Radios waren im Mikuyu-Gefängnis verboten. Drei Exemplare einer Standardausgabe der Bibel, die es dort gab, waren das Einzige, was nicht verboten war. Das war unsere einzige Lektüre. Ich wusste nicht, wie es dazu kam, aber irgendjemand schickte mir eine Postkarte aus Holland. Und aus irgendeinem Grund kam diese Postkarte auch tatsächlich bei mir an. Darauf stand auf Niederländisch "Grüße aus Holland". Die Unterschrift konnte ich nicht lesen. Sie können sich nicht vorstellen, was diese Postkarte für mich und alle anderen Gefangenen in Mikuyu bedeutete! Das war der erste Hinweis darauf, dass die internationale Gemeinschaft auf irgendeine Weise involviert sein könnte. Ich hatte ja keine Ahnung, dass man sich international für mich einsetzte. Überraschend bestellte mich der Gefängnisleiter in sein Büro. Er sagte zu mir: 'Sie haben eine ganze Menge Freunde.' Ich fragte ihn: 'Was meinen Sie?' Er antwortete: 'Diese Postkarte da, wissen Sie wessen Unterschrift das ist?' Ich schaute sie mir an. Ich wusste, dass sie aus Holland kam und sagte: 'Die Unterschrift kommt mir nicht bekannt vor, ich kenne den Absender nicht.' Aber im Innern dankte ich dem Schreiber herzlich - wer auch immer mir diese Postkarte geschickt hatte. Im Mikuyu-Gefängnis, genau wie in allen Gefängnissen, ist eine Ansichtskarte ein Zeichen der Hoffnung! Zu wissen, dass mein Leben und meine Freiheit andere Menschen da draußen interessiert, hat mir und den anderen Gefangenen sehr geholfen."

Jack Mapanje wurde 1991 endlich aus der Haft entlassen und ging nach England ins Exil. Dort setzte er seine Karriere als Universitätsdozent und Dichter erfolgreich fort. Heute lebt er im englischen York. Lange Zeit unterrichtete er "Kreatives Schreiben" und "Literatur aus der Haft" an der Universität von Durham. Zurzeit ist er Gastprofessor an der Universität von York und schreibt seine Biographie.

Videos
https://adam.amnesty.org/asset-bank/action/viewAsset?id=24994&index=6&total=7&view=viewSearchItem


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Nigeria
Die Geschichte des gewaltlosen politischen Gefangengen

Fela Kuti

Fela Kuti ist ein nigerianischer Musiker, der in den 1970er und -80er Jahren vor allem politisch motivierte Songs schrieb und veröffentlichte. Er wurde zunächst mehrere Male drangsaliert und festgenommen und 1984 schließlich zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilt. Amnesty International startete daraufhin Aktionen für seine Freilassung und Fans aus der ganzen Welt wandten sich an Amnesty International, um zu erfahren, wie sie ihn unterstützen könnten. Nach monatelangem Druck seitens Amnesty International wurde er 1986 freigelassen. Im selben Jahr trat er in den USA bei einer Reihe von Benefizkonzerten für Amnesty International auf.

In den 1970er Jahren wird die Militärregierung Nigerias auf die kritischen Texte des Musikers Fela Kuti aufmerksam. 1976 wird er zum ersten Mal festgenommen, vier weitere Festnahmen folgen. 1977 wird sein Haus in Brand gesetzt und als ihn im selben Jahr mehrere hundert Soldaten zuhause festnehmen, werden einige seiner Familienangehörigen dabei schwer verletzt. Im September 1984 wird Fela wieder verhaftet. Diesmal wird ihm vorgeworfen, ausländische Währung rechtswidrig auszuführen. Das Geld hatte er von seinem britischen Konto abgehoben. Im November 1984 wird er zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilt. Doch es gibt Hinweise darauf, dass seine Inhaftierung politisch motiviert ist. Der Brigadegeneral und Stabschef Tunde Idiagbon kündigt sogar an, dass die Regierung für einen langen Freiheitsentzug von Fela sorgen wird und schließt mit dem Satz "Ich hoffe, er wird im Gefängnis versauern". Außerdem werden wichtige Entlastungszeugen, darunter Zollbeamte, offenbar daran gehindert, im Prozess gegen Fela Kuti auszusagen. Amnesty International geht davon aus, dass Fela Kuti keine Straftat begangen hat und nur aufgrund seines gewaltfreien politischen Engagements festgehalten wird. Die Organisation bezweifelt, dass er einen fairen Prozess erhält.

1985 treffen die ersten Unterstützungsschreiben bei Amnesty International ein. In einer Nachricht aus dem US-amerikanischen Pennsylvania heißt es: "Ich lernte Felas Musik als DJ eines Radiosenders kennen. Er ist unglaublich begabt. Ich glaube, dass die nigerianische Regierung ihn wegen seiner Stücke gegen die Despoten zum Schweigen bringt". Andere Anhänger von Fela Kutis Musik erkundigen sich, wie sie zu seiner Freilassung beitragen könnten. Ein Brief erreicht Amnesty International aus Genf "Ich komme aus der Schweiz und mache selbst Musik. Fela erzählt in einem Song, dass die Soldaten in sein Haus kamen, alles kurz und klein schlugen und seine Mutter töteten. Ich habe nun erfahren, dass er aus politischen Gründen verhaftet wurde. Wenn Sie mehr wissen und wenn es etwas gibt, was ich tun kann, um ihm in seiner Situation zu helfen, lassen Sie es mich bitte wissen. Ich stehe zu Ihrer Verfügung".

AktivistInnen von Amnesty International und Fela Kutis Fans üben monatelang Druck auf die Behörden aus, bis Fela schließlich am 24. April 1986 aus der Haft entlassen wird.

Zu seinen ersten Auftritten nach der Festnahme gehören sechs Benefizkonzerte für Amnesty International. Während der "Conspiracy of Hope"-Tour im Juni 1986 tritt Fela Kuti in den USA neben Größen wie U2, Sting, Bryan Adams, Peter Gabriel, Lou Reed und Joan Baez auf.

2010 wird die Bühnenshow Fela! in London uraufgeführt. Sie bringt Felas Musik und seine Geschichte einer neuen Generation nahe. Sein Sohn Femi lässt dem Publikum die folgende Nachricht zukommen: "Mein Vater Fela Kuti wurde 1986 aus dem Gefängnis entlassen, weil Amnesty International ihn als gewaltlosen politischen Gefangenen betrachtete und sich für ihn einsetzte. Ich bin also einer der Tausenden, deren Leben durch die Arbeit von Amnesty International unmittelbar beeinflusst wurde. Bitte unterstützen Sie Amnesty, indem Sie sich für die Menschen einsetzen, deren Recht auf freie Meinungsäußerung beschnitten wird."


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Israel und besetzte palästinensische Gebiete

Khaled Hussein 'Abd al-Karim Jaradat

Der Englischlehrer Khaled Hussein 'Abd al-Karim Jaradat ist seit den 1980er Jahren mehrfach ohne Anklage oder Gerichtsverfahren in Verwaltungshaft gehalten worden. Seine sechs Kinder mussten häufig ohne ihn auskommen, weil er wieder einmal im Gefängnis einsaß. Als Khaled Jaradat im Jahr 2008 ein weiteres Mal festgenommen wurde, begannen in mehreren Ländern Gruppen von Amnesty International, sich für ihn einzusetzen. 2010 erhielt Khaled Jaradat seine Freiheit zurück und bedankte sich bei den Gruppenmitgliedern dafür, dass sie von der israelischen Regierung beharrlich seine Freilassung eingefordert hatten.

Khaled Hussein 'Abd al-Karim Jaradat ist von Beruf Englischlehrer. In seiner Heimatstadt Silat al-Harthiya im von Israel besetzten Westjordanland engagiert er sich für gemeinnützige Projekte wie etwa den Bau eines Krankenhauses. Dadurch hat er sich weithin einen Namen gemacht.

Seit den 1980er Jahren ist Khaled Hussein 'Abd al-Karim Jaradat mehrfach in Verwaltungshaft gehalten worden, zuletzt vom 3. März 2008 bis zum 15. Juli 2010. Der israelische Allgemeine Sicherheitsdienst General Security Service (GSS) behauptete seinerzeit, Khaled Jaradat sei Mitglied des Islamischen Dschihad, einer militanten Palästinenserorganisation. Beweise für eine derartige Anschuldigung legte der Sicherheitsdienst nicht vor, weshalb Khaled Jaradat und sein Rechtsanwalt auch nicht die Möglichkeit haben, seine Inhaftierung vor Gericht anzufechten. Mit den Bestimmungen zur Verwaltungshaft ist den israelischen Behörden ein Mittel an die Hand gegeben, Menschen ohne Anklage oder Gerichtsverfahren für unbegrenzte Zeit die Freiheit zu entziehen. Verwaltungshäftlingen wird keine Möglichkeit eingeräumt, sich zu verteidigen oder auch nur die Gründe für ihre Inhaftierung anzufechten. Die israelischen Behörden machen geltend, derartige Maßnahmen dienten der "Sicherheit".

Im April 2010 statteten Delegierte von Amnesty International der Familie von Khaled Jaradat einen Besuch ab und trafen dabei auch mit seinen sechs Kindern zusammen. Auf die Frage, was denn die Abwesenheit seines Vaters für ihn bedeutet und was er dadurch am meisten vermisst, antwortete der 13-jährige Sohn von Khaled Jaradat:

"Mein Vater hat mir immer bei den Englischhausaufgaben geholfen. Jetzt kann ich niemanden mehr fragen, wenn ich im Unterricht etwas nicht verstanden habe. Außerdem hat mein Vater gerne im Garten gearbeitet, wir haben dort zusammen gearbeitet. Das hat uns richtig Spaß gemacht. Jetzt muss ich alles alleine bewältigen. In unserem Garten wachsen Aprikosen, Pflaumen, Limonen und auch Oliven. Und überhaupt weiß mein Vater so viele Dinge, von denen meine Mutter nur wenig Ahnung hat. Er weiß beispielsweise wie man Falafel zubereitet."

Während seiner letzten Haft haben sich Gruppen von Amnesty International unter anderem in Deutschland, Irland, Österreich und Schweden in Briefen für die Freilassung von Khaled Jaradat eingesetzt. Ihr Engagement war nicht vergeblich, denn am 15. Juli 2010 kam Khaled Jaradat aus dem Gefängnis frei. Nun ist er wieder bei seiner Familie.

All jenen, die sich für Khaled Jaradat verwandt haben, versicherte er: "Ich empfinde große Wertschätzung für die Arbeit und den Einsatz der Mitglieder von Amnesty International zugunsten meiner Freilassung. Bei mir sind zahlreiche Briefe eingegangen. Ich kann mich zwar nicht an alle Namen der vielen BriefeschreiberInnen erinnern, doch sie haben mich wissen lassen, dass sie bei den israelischen Behörden um meine Haftentlassung nachgesucht haben. Es kann überhaupt kein Zweifel daran bestehen, dass der von Amnesty International erzeugte Druck zu meiner Freilassung geführt hat. Dafür möchte ich Euch danken. Und ich hoffe sehr, dass Ihr in Euren Bemühungen nicht nachlasst, bis auch andere noch inhaftierte Menschen ihre Freiheit zurück erhalten haben."


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Zabib - Irak
Qusay 'Abdel-Razaq

Als man den Polizisten Qusay 'Abdel-Razaq Zabib nach seiner Festnahme 2008 ohne Anklage oder Gerichtsverfahren in ein irakisches Gefängnis bringt, befürchtet er, dass man ihn nun jahrelang in Haft halten wird. Doch im September 2010 veröffentlicht Amnesty International einen Bericht über Inhaftierungen im Irak, in dem das Schicksal von Qusay 'Abdel-Razaq Zabib stellvertretend für Tausende andere in Haft befindliche Menschen geschildert wird. Darüber hinaus startet Amnesty International eine Reihe von Aktionen zugunsten von Qusay 'Abdel-Razaq Zabib, an denen sich Menschen rund um den Erdball beteiligen. Drei Monate später kommt Qusay 'Abdel-Razaq Zabib frei!

Der 36 Jahre alte Qusay 'Abdel-Razaq Zabib ist Polizist in der nahe Tikrit im Nordirak gelegenen Ortschaft 'Uwaynat. 2008 nehmen ihn US-amerikanische Einheiten unter dem Verdacht fest, mit bewaffneten regierungsfeindlichen Gruppen zu kollaborieren, die gegen die US-amerikanische Militärpräsenz im Irak sind.

Qusay 'Abdel-Razaq Zabib befindet sich bis März 2010 in US-amerikanischer Haft. Dann wird das Gefängnis, in dem er inhaftiert ist, den irakischen Behörden unterstellt. Sie halten ihn weiter fest, obwohl die US-Behörden zu diesem Zeitpunkt seine Freilassung empfehlen.

Im Juli 2010 kann Amnesty International ein Gespräch mit dem inhaftierten Qusay 'Abdel-Razaq Zabib führen. Dabei sagt der 36-Jährige: "Meine Freilassung muss von der US-Regierung in die Wege geleitet werden, denn schließlich waren es US-amerikanische Einheiten, die mich festgenommen und ohne Anklage in Haft gehalten haben."

Im September 2010 beginnt Amnesty International eine Kampagne gegen die fortdauernde Inhaftierung von Menschen im Irak, die weder angeklagt werden noch ein Gerichtsverfahren erhalten. Der Fall von Qusay 'Abdel-Razaq Zabib wird dabei beispielhaft vorgestellt. Im Rahmen der Kampagne wird zudem eine Eilaktion für die Freilassung von Qusay 'Abdel-Razaq Zabib gestartet, an der sich Tausende Menschen beteiligen.

Ende 2010 erfährt die Familie von Qusay 'Abdel-Razaq Zabib, dass die Antiterrorabteilung in der südirakischen Stadt Najaf ihren Angehörigen offenbar mit einem anderen Mann gleichen Namens verwechselt hat. Sie lässt sich daraufhin von der Abteilung eine Bescheinigung ausstellen, dass es sich bei ihrem Angehörigen Qusay 'Abdel-Razaq Zabib nicht um den gesuchten Mann handelt. Da es sich um eine Verwechslung handelt kommt Qusay 'Abdel-Razaq Zabib am 30. Dezember 2010 aus der Haft frei.

Im Januar 2011 hat Amnesty International Gelegenheit, persönlich mit ihm zu sprechen. Dabei berichtet er, dass er im Gewahrsam weder gefoltert noch anderweitig misshandelt wurde. Außerdem sagt er: "Ich weiß, dass Amnesty International sich für mich eingesetzt hat. Dafür möchte mich sehr herzlich bedanken."

Qusay 'Abdel-Razaq Zabib ist nun wieder bei seiner Familie. Er möchte seine Arbeit bei der irakischen Polizei gerne wieder aufnehmen.


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GuantÁnamo-Häftling
Nach mehr als vier Jahren endlich frei

Bisher al-Rawi, irakischer Staatsbürger mit Wohnsitz in Großbritannien, ist von den US-amerikanischen Behörden unter dem Verdacht, Verbindungen zum Netzwerk Al-Qaida zu unterhalten, rund viereinhalb Jahre lang ohne Anklage oder Gerichtsverfahren in Haft gehalten worden. Nach seiner Festnahme in Gambia wurde er zunächst nach Afghanistan und von dort in das Gefangenenlager Guantánamo Bay gebracht. Bisher al-Rawi ist in den Jahren seiner Haft misshandelt worden und hat keinen Kontakt zu einem Rechtsbeistand aufnehmen dürfen.

Kurz nach der Festnahme von Bisher al-Rawi 2002 in Gambia begann Amnesty International, zugunsten des Irakers aktiv zu werden. Mitglieder der Organisation verlangten von den britischen und US-amerikanischen Behörden die Freilassung von Bisher al-Rawi und den Schutz seiner Menschenrechte. Dem Gefangenen selbst schickten sie Briefe, um ihm die Gewissheit zu geben, dass draußen Menschen um sein Schicksal wissen und sich für ihn einsetzen. Im April 2007 erhielt Bisher al-Rawi nach mehr als vier Jahren Haft seine Freiheit zurück. Gegen ihn ist niemals Anklage erhoben worden.

Im November 2002 fliegt Bisher al-Rawi nach Gambia. Bei seiner Ankunft wird er dort zusammen mit Jamil al-Banna, einem ebenfalls in Großbritannien ansässigen Mann, unter der Anschuldigung festgenommen, Verbindungen zum Netzwerk Al-Qaida zu unterhalten. Beide Männer werden anschließend ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten und während dieser Zeit von US-Ermittlern Verhören unterzogen. Anfang Januar 2003 verlegt man Bisher al-Rawi und Jamil al-Banna nach Afghanistan auf den dortigen US-amerikanischen Luftwaffenstützpunkt Bagram, wo zu jener Zeit extrem harte Haftbedingungen herrschen und Misshandlungen an der Tagesordnung sind. Über den Aufenthaltsort der zwei Männer machen weder die gambischen noch die US-amerikanischen Behörden Angaben.

Schon kurz nach ihrer Festnahme in Gambia startet Amnesty International im Dezember 2002 eine Eilaktion zugunsten von Bisher al-Rawi und Jamil al-Banna. Als beide Männer nach Afghanistan gebracht werden, ruft Amnesty International in weiteren Eilaktionen dazu auf, ihre Menschenrechte zu achten.

Vermutlich im März 2003 werden Bisher al-Rawi und Jamil al-Banna nach Guantánamo überstellt. Aber auch dort ergeht gegen keinen der beiden Männer Anklage. Ebenso wenig erhalten sie Zugang zu RechtsanwältInnen.

Ab Juli 2003 ruft Amnesty International die britischen Behörden ein ums andere Mal auf, über ihre diplomatische Vertretung bei den zuständigen US-amerikanischen Stellen zugunsten von Bisher al-Rawi, Jamil al-Banna und anderen Personen mit Daueraufenthaltsrecht in Großbritannien tätig zu werden. Die zwei Männer hatten in Großbritannien unter Beobachtung der Behörden gestanden, was für Amnesty International den Verdacht begründet, dass staatliche Stellen in ihre Festnahme, ihre rechtswidrige Überführung nach Guantánamo Bay und ihre Misshandlung verwickelt sind.

Bei Anhörungen vor dem Oberen Gericht von England und Wales bestätigt sich im Jahr 2006 der Verdacht, dass britische Stellen an der Inhaftierung von Bisher al-Rawi und Jamil al-Banna beteiligt gewesen sind. Unter dem Druck von Amnesty International und anderen erklären sich die britischen Behörden schließlich bereit, bei ihren US-amerikanischen Partnern um die Freilassung von Bisher al-Rawi und um seine Rückführung nach Großbritannien nachzusuchen.

Amnesty International erhält in der Zwischenzeit Kenntnis über weiter Folterpraktiken und harte Haftbedingungen auf dem Stützpunkt Guantánamo Bay. Im Januar 2007 berichtet der Rechtsanwalt von Bisher al-Rawi, sein einst völlig gesunder Mandant werde nach mittlerweile neun Monaten Einzelhaft "langsam aber sicher verrückt". Gegen Bisher al-Rawi, war als Strafsanktion Einzelhaft angeordnet worden, weil er es abgelehnt hatte, weitere Verhöre über sich ergehen zu lassen.

Bisher al-Rawi kommt schließlich im April 2007 ohne Anklageerhebung frei und kehrt nach Großbritannien zurück. Nach seiner Haftentlassung äußert er sich mit den Worten: "Ich möchte mich bei Amnesty International und allen anderen für ihre wundervolle Arbeit bedanken, eine Arbeit, die mir wie eine Blume der Hoffnung erscheint. Ohne die sofortige Intervention von Amnesty während unserer überaus schwierigen ersten Tage in gambischer Haft wären wir jetzt wahrscheinlich tot."

Seit Beginn der Überstellungen nach Guantánamo hat Amnesty International die US-amerikanischen Behörden aufgerufen, sämtliche dort inhaftierten Gefangenen entweder einer erkennbar strafbaren Handlung anzuklagen und unter Beachtung internationaler Rechtsgrundsätze vor Gericht zu stellen oder aber aus der Haft zu entlassen. Seit Jahren schreiben Mitglieder von Amnesty International aus allen Kontinenten Briefe und Appelle, um vielen der Guantánamo-Gefangenen das Gefühl zu vermitteln, dass es Menschen gibt, die sich für sie einsetzen und die Einhaltung der Menschenrechte einfordern. Einige dieser Briefe haben Bisher al-Rawi erreicht.

"Amnesty International und das, wofür die Organisation eintritt, stellen eine Flamme der Hoffnung dar. So habe ich es empfunden, als mich in Guantánamo Briefe erreichten, aus denen so viel Unterstützung sprach. In den einsamen Stunden in meiner leeren Zelle hat es mir sehr viel bedeutet, die Kopie eines Briefes oder einer Karte in Händen zu halten und die an mich gerichteten Worte zu lesen. "Wir haben Dich nicht vergessen".

Bisher al-Rawi ist einer von 16 britischen Staatsbürgern oder in Großbritannien ansässigen Menschen, denen im November 2010 nach einer Serie von Schadensersatzprozessen wegen der Beteiligung britischer Stellen an ihrer Inhaftierung, Folterung und Misshandlung finanzielle Wiedergutmachung zugesprochen wurde. Berichte in den Medien lassen vermuten, dass die Regierung die Zahlungen geleistet hat, um mögliche Enthüllungen über die Rolle der britischen Geheimdienste an den Vorgängen abzuwenden. Shaker Aamer, ein ehemals in Großbritannien ansässiger Mann, befindet sich nach wie vor in Guantánamo in Haft. Im Juli 2010 kündigte die Regierung in London eine Untersuchung der Rolle britischer Behörden bei der Misshandlung von Personen an, die im Ausland in Haft gehalten worden waren. Damit kam die Regierung entsprechenden Forderungen von Amnesty International und anderen Organisationen nach. Über Umfang und die konkrete Ausgestaltung der Ermittlungen macht sie allerdings bisher keine Angaben. Die US-Regierung ist ihrer Pflicht, für die an Bisher al-Rawi und anderen Personen im Namen der Terror-Bekämpfung verübten Menschenrechtsverletzungen Verantwortung zu übernehmen und Wiedergutmachung zu leisten, bis zum heutigen Tag nicht nachgekommen.


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Quelle:
ai - URGENT ACTION
Urgent Action - Erfolgreiche UA-Fälle
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Dezember 2011