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ASIEN/213: China, die Olympischen Spiele und die Menschenrechte (ai journal)


amnesty journal 12/2007 - Das Magazin für die Menschenrechte

Die große Chance
China, die Olympischen Spiele und die Menschenrechte

Von Dirk Pleiter


Nur noch wenige Monate sind es, bis im August 2008 unter dem Motto "Eine Welt, ein Traum" die Olympischen Sommerspiele erstmals in der Volksrepublik China stattfinden. Vor sechs Jahren hatte sich das Internationale Olympische Komitee für die chinesische Hauptstadt Peking als Austragungsort entschieden. Diese Entscheidung war bereits damals von kontroversen Diskussionen begleitet, bei der insbesondere die Frage der Menschenrechte eine Rolle spielte. Während die einen behaupteten, die Spiele würden zu einer Verbesserung der Menschenrechtssituation führen, blieben andere skeptisch. Manche verwiesen sogar darauf, dass sich damit der chinesischen Führung eine ähnliche Chance wie den Nationalsozialisten 1936 bieten würde, um mit einer aufwendigen Medieninszenierung von den zahlreichen Menschenrechtsverletzungen abzulenken.

Ein solcher Vergleich ist jedoch allenfalls dazu geeignet, sich der Unterschiede bewusst zu werden. Wir haben es heute bei der VR China zwar mit einem weiterhin autoritären Regime zu tun, totalitär ist es jedoch nicht mehr. Auch werden die Spiele von einem großen Teil der Bevölkerung zu Recht als Anerkennung eines Entwicklungs- und Transformationsprozesses gesehen, der zu einem tiefgreifenden Wandel des Landes geführt hat.

Aber auch innerhalb Chinas gibt es Kritik an den Olympischen Spiele. Sie kommt beispielsweise von Seiten derer, die infolge der zahlreichen Baumaßnahmen für die Olympischen Sportstätten und durch den Ausbau der Infrastruktur aus ihren Wohn- oder Geschäftsräumen vertrieben wurden. Da die Spiele von der chinesischen Führung zu einem zentralen nationalen Projekt erhoben wurden, ist es für die Kritiker im Lande nicht einfach, auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen, ohne öffentlich als Spielverderber dazustehen. Wie dieser Spagat aussehen kann vermittelt ein Banner, auf dem Bauern im Juni 2005 in der Nähe von Peking gegen Umsiedlungen protestierten: "Unterstützt Olympia. Angemessenes Land für Bauern, die ihr Land verlieren." Auf den von ihnen genutzten Landflächen sollten Wassersportstätten errichtet werden.

Es ist nicht bekannt, ob diese Bauern in der Folge Repressalien zu erleiden hatten. In einer Reihe von Fällen ist dies jedoch belegt. Ye Guozhu hatte 2004 aufgrund von Baumaßnahmen für die Olympischen Spiele seine Geschäftsräume verloren. Als er eine Demonstration gegen Zwangsräumungen anmelden wollte, wurde er festgenommen und wegen "Unruhestiftung" zu vier Jahren Gefängnis verurteilt.

Fälle wie die von Ye Guozhu zeigen, dass die Olympischen Spiele nicht quasi automatisch zu einer Verbesserung der Menschenrechtssituation führen. Wer das glaubt, übersieht die Risiken, die sich dadurch für den Schutz der Menschenrechte ergeben. Um den Erfolg der Spiele nicht zu gefährden, setzen die chinesischen Behörden auf verstärkte innenpolitische Kontrolle. Schon heute ist zu beobachten, wie die Kontrolle der Medien intensiviert, Bürgerrechtler vermehrt überwacht werden und soziale Randgruppen, die das Bild eines sauberen und modernen Chinas stören könnten, verstärkten Repressalien ausgesetzt sind.

Fraglich ist auch, was passieren wird, sollte es während der Olympischen Spiele in Peking oder anderen Teilen des Landes zu Demonstrationen oder anderen Protestaktionen kommen. Wie werden die Sicherheitskräfte reagieren, wenn beispielsweise Anhänger der Falun Gong-Bewegung oder soziale Randgruppen vor den Kameras der Weltpresse ihre Spruchbänder entrollen?

Repressive Reaktionen könnten den Erfolg der Spiele gefährden. Die chinesischen Behörden stehen zudem unter dem Druck, Fortschritte im Bereich der Menschenrechte vorweisen zu müssen. Schließlich waren sie selbst es, die bei der Bewerbung für die Spiele eine Verbesserung der Menschenrechtssituation versprochen hatten.

Seitdem sind auch einige Maßnahmen getroffen worden, die als kleine, aber konkrete Schritte in eine positive Richtung gewertet werden können. So wurde durch eine verfahrensrechtliche Änderung die Möglichkeit erschwert, Todesurteile zu verhängen. Auch können die chinesischen Behörden darauf verweisen, dass die Arbeit ausländischer Journalisten erleichtert wurde. Sie müssen seit Anfang des Jahres nicht mehr in allen Fällen für ihre Recherchen die Genehmigung der Behörden einholen. Die Olympischen Spiele in Peking bieten somit die Chance, Fortschritte bei den Menschenrechten zu bewirken. Es gilt nun, diese Chance auch zu nutzen.

amnesty international hat aus diesem Grund eine Kampagne mit dem Ziel gestartet, die chinesischen Behörden zu konkreten Maßnahmen für die Verbesserung der Menschenrechtssituation zu bewegen. Einer von vier Schwerpunkten dieser Kampagne ist die Abschaffung der "Umerziehung durch Arbeit" und anderer Formen von Administrativhaft.

Diese Haftformen erlauben es den Sicherheitsbehörden, Menschen willkürlich zu inhaftieren, ohne dass ein Gericht über die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung entscheiden muss. Davon betroffen sind auch aus politischen Gründen missliebige Personen. Gegen sie können aufgrund vager Bestimmungen, beispielsweise wegen "Störung der öffentlichen Ordnung", bis zu drei Jahre "Umerziehung durch Arbeit" verhängt werden. Seit Jahren wird auch in China eine weitgehende Reform der Administrativhaft diskutiert. Eine Umsetzung dieser Reformpläne wäre ein Beleg dafür, dass die chinesischen Behörden es mit ihrem Versprechen, die Menschenrechtssituation zu verbessern, tatsächlich ernst meinen.

Auch bei der Todesstrafe, einem weiteren Schwerpunkt dieser Kampagne, bekunden Vertreter der chinesischen Regierung immer wieder, dass man sich eine Abschaffung vorstellen könne. Allerdings werden diese Aussagen meist mit dem Hinweis versehen, dass man noch nicht so weit sei. Immerhin gibt es Anzeichen dafür, dass die Zahl der Todesurteile leicht zurückgegangen ist, seitdem das Oberste Volksgericht alle Todesurteile noch einmal prüfen muss. Da die Justiz in der Volksrepublik weiterhin nicht unabhängig ist, könnte die Zahl der Todesurteile auch wieder steigen, wenn es im Rahmen von Anti-Kriminalitätskampagnen innenpolitisch opportun erscheint. Als wirksame Maßnahme wäre es daher notwendig, den Anwendungsbereich der Todesstrafe drastisch einzuschränken. Nach wie vor können zahlreiche Delikte, die keine Anwendung von Gewalt voraussetzen, mit dem Tode geahndet werden. Die Fälschung von Mehrwertsteuerquittungen ist nur ein Beispiel dafür.

Für die Spiele haben die chinesischen Behörden die Freiheit der Medien zugesagt. Doch bis heute ist das Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit in China stark eingeschränkt. Zwar sind seit Anfang 2007 Verordnungen in Kraft, die die Arbeit ausländischer Journalisten erleichtern, allerdings gelten diese nur bis Ende 2008 und insbesondere gelten sie nicht für inländische Journalisten.

Unverändert streng ist auch die Zensur des Internets. Kaum ein Land verfügt über ein so ausdifferenziertes System der Überwachung wie China. Wahrscheinlich kontrollieren mehr als 30.000 Polizisten das Internet rund um die Uhr. Darüber hinaus werden verschiedene Technologien zum Filtern von Inhalten sowie dem Blockieren von Internetseiten eingesetzt, die fast alle von ausländischen Unternehmen wie etwa Yahoo, Google und Microsoft stammen. Wer aus Sicht der Behörden das Internet missbraucht, dem droht die Festnahme und im schlimmsten Fall eine langjährige Haftstrafe.

Inwieweit sich die Behörden an ihre Zusage halten, den Medien Freiheit zu gewähren, sollte daran gemessen werden, ob es zur Abschaffung der entsprechenden Zensurbestimmungen kommt. Auch sollten diejenigen, die wegen der legitimen Nutzung des Internets inhaftiert wurden, unverzüglich freigelassen werden.

Zu einem Risiko könnten die Olympischen Spiele für die Menschenrechtsverteidiger werden. Vor großen Veranstaltungen unterliegen sie noch mehr Kontrollen als sonst. Zuletzt war dies vor dem Parteitag der Kommunistischen Partei im Oktober zu beobachten. Gleich mehrere Bürgerrechtler wurden unter Hausarrest gestellt, festgenommen oder sind einfach verschwunden. Andere wurden von Unbekannten zusammengeschlagen. Wenn sich dies während der Olympischen Spiele nicht wiederholen soll, muss verstärkt Druck auf die chinesische Regierung ausgeübt und von ihr der Schutz der Menschenrechtsverteidiger eingefordert werden.

Damit die mit den Spielen verbundenen Risiken nicht eintreten, sondern im Gegenteil die Chancen für die Menschenrechte tatsächlich genutzt werden, ist aktives Engagement gefordert. Hier sind alle beteiligten Akteure gefragt. Eine besondere Verantwortung hat das Internationale olympische Komitee (IOC). Deren Präsident hat betont, dass das IOC hier eine positive Rolle spielen könnte. Bislang ist aber offensichtlich wenig geschehen. Das Komitee sollte sich hier an den chinesischen Bürgerrechtlern orientieren, die das Motto der Olympischen Spiele in einem offenen Brief ergänzten: "Eine Welt, ein Traum und universelle Menschenrechte".

Der Autor ist China-Experte der deutschen ai-Sektion.


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World Yoga Day 2008 zugunsten der China-Kampagne von amnesty international

Yoga für die Menschenrechte: Der World Yoga Day 2008 findet zugunsten von ai statt. Mit dem Erlös soll die China-Kampagne "Gold für Menschenrechte" unterstützt werden. Weltweit werden am 3. Februar 2008, Yoga-Lehrer und -Schulen ihre Räume für eine Yoga-Stunde zur Verfügung stellen, um gemeinsam mit ai einen Beitrag zur Verbesserung der Menschenrechtssituation in China zu leisten. In allen Zeitzonen werden jeweils von 11 bis 13 Uhr Ortszeit Yoga-Klassen abgehalten. Das Ergebnis wird ein 24-stündiger Yoga-Marathon rund um die ganze Welt sein. Der World Yoga Day fand erstmals im Jahr 2007 statt. Dabei kamen rund 15.000 Euro für eine Frauenhilfsorganisation zusammen. Der World Yoga Day soll künftig jährlich stattfinden.

Weitere Informationen unter: www.world-yoga-day.net und unter: www.goldfuermenschenrechte.de


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Quelle:
amnesty journal, Dezember 2007, S. 12-14
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Dezember 2007