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ASIEN/245: Nepal - Aufbruch ohne Aufklärung (ai journal)


amnesty journal 10/11/2009 - Das Magazin für die Menschenrechte

Aufbruch ohne Aufklärung
In Nepal fordern Menschenrechtsorganisationen von der Regierung,
endlich das Schicksal der "Verschwundenen" aufzuklären.

Von Annemarie Willjes


Viel hat sich in Nepal verändert. Der König ist abgesetzt, das Land ist eine Republik geworden. Die jüngsten Wahlen zur verfassungsgebenden Versammlung hat die Communist Party of Nepal (Maoist) gewonnen. Doch noch immer lastet das Erbe des Bürgerkriegs schwer auf dem Land. Der Friedensvertrag von November 2006 sieht vor, innerhalb von 60 Tagen Angaben zum Verbleib von Personen zu veröffentlichen, die während des zehn Jahre währenden Konflikts verschwunden sind.

Sicherheitskräfte und Maoisten sind für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich, rund 13.000 Menschen kamen bei dem Konflikt ums Leben. Doch wenig ist geschehen, um das Schicksal der "Verschwundenen" zu klären und andere schwere Menschenrechtsverletzungen wie außergerichtliche Hinrichtungen und Folter zu ahnden. Noch Anfang 2008 listete das Internationale Rote Kreuz mehr als 800 Namen von "Verschwundenen" auf. Im Januar dieses Jahres trat ein Gesetz über "Verschwundene" in Kraft. Doch Menschenrechtsorganisationen kritisieren, dass das Gesetz internationalen Standards nicht genügt.

Vertreter mehrerer Menschenrechtsorganisationen, darunter auch Amnesty International, übergaben deshalb Anfang September der nepalesischen Regierung ein Memorandum. Darin wird sie aufgefordert, das Gesetz über die "Verschwundenen" endlich internationalen Standards anzupassen und eine Kommission einzuberufen, die die zahllosen Fälle von "Verschwindenlassen" während des Bürgerkriegs untersuchen soll.

So wie im Fall von Jit Man Basnet. Der Anwalt, Journalist und Menschenrechtsverteidiger wurde 2004 von Soldaten verhaftet und "verschwand" fast neun Monate lang in der Bhairabnath-Kaserne in Kathmandu, einem weitläufigen Gelände in der Hauptstadt. Er selbst vermutet, dass er wegen seiner kritischen Berichterstattung inhaftiert wurde. Ihm wurden Verbindungen zu den Maoisten unterstellt.

Nach 258 langen Tagen wurde er schließlich als "unschuldig" unter Auflagen entlassen. Im Militärgewahrsam wurde er gefoltert und verbachte fast die gesamte Zeit mit verbundenen Augen und ohne Kontakt zur Außenwelt. Die Haftbedingungen waren miserabel: Trotz der strengen Kälte trugen die Gefangenen zerrissene Kleider und besaßen keine Schuhe. Viele Häftlinge starben aufgrund der schlechten Bedingungen.

Basnet unterzeichnete mehr als ein Dutzend Papiere, darunter auch falsche Geständnisse, aus Angst, die Folter könne sich wiederholen. 2007 veröffentlichte er das Buch "258 Dark Days", das vom Advocacy Forum und von der Asian Human Rights Commission herausgegeben wurde. Er nennt darin nicht nur die Namen seiner Mithäftlinge, sondern auch derjenigen, die gefoltert, vergewaltigt, misshandelt und getötet haben sollen. Als Basnet daraufhin Morddrohungen erhielt, startete Amnesty im August 2007 eine Eilaktion aus Sorge um seine Sicherheit. Schon vorher war er aus Angst vor einer erneuten Verhaftung nach Indien geflohen.

Bei einem Besuch in Deutschland im November 2008 schilderte Jit Man Basnet eindrücklich seine Tage in geheimer Haft. "Ich hatte nur wenig Hoffnung zu überleben. Jedes Mal, wenn ich bade, denke ich daran, wie sie mich in kaltes Wasser tauchten. Wer diese Erfahrung nicht selbst gemacht hat, wird meine Schilderungen nicht glauben", berichtete er. Er forderte, dass die Täter vor Gericht gestellt und verurteilt werden, und verlangte eine Entschädigung für die erlittene Folter und Haft. Bis heute fühlt sich Jit Man Basnet bedroht. Er wagt sich nur in Begleitung in die Öffentlichkeit.

Bislang ist keiner der Täter zur Rechenschaft gezogen worden. Und das gilt nicht nur für die Menschenrechtsverletzungen während des Konflikts, sondern auch danach. Mehr als 1.300 neue Fälle von Folter sind seit April 2006 verzeichnet worden. Die Polizei setzt oft Folter und andere Misshandlungen gegen Verdächtige ein. Auch Journalisten sind nach wie vor gefährdet. Sie sind Drohungen, Einschüchterungen und Angriffen ausgesetzt. Mindestens zwei Journalisten sollen Angaben zufollge 2008 getötet, ein weiterer entführt und zahlreiche Medienarbeiter festgenommen, angegriffen oder bedroht worden sein.


Die Autorin ist Mitglied der Nepal/Buthan-Ländergruppe der deutschen Amnesty-Sektion.


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Quelle:
amnesty journal, Oktober/November 2009, S. 49
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. November 2009