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GRUNDSÄTZLICHES/256: Abschaffung der Todesstrafe (ai journal)


amnesty journal 11/2007 - Das Magazin für die Menschenrechte

"Die wenigsten Menschen sind informiert"
Ein Gespräch mit Sue Gunawardena-Vaughn, Direktorin des "Programms zur Abschaffung der Todesstrafe" von ai-USA.

Interview: Silvia Feist


FRAGE: Vor 30 Jahren wurde die Todesstrafe in den USA wieder eingeführt, nachdem sie faktisch seit 1967 ausgesetzt war. Wie kam es dazu?

SUE GUNAWARDENA-VAUGHN: Die Richter des Obersten Gerichtshofs überprüften die Gesetzgebung grundlegend. 1972 entschieden sie, dass die meisten der geltenden Gesetze "willkürlich und unbeständig" seien. Die Todesstrafe erklärten sie aber nicht für verfassungswidrig. Die Staaten schrieben daraufhin ihre Gesetze neu ...

FRAGE: ... und 1977 wurde Gary Gilmore in Utah als erster unter den neuen Gesetzen hingerichtet. Wie kommt es, dass eine Nation wie die USA bis heute an der Todesstrafe festhält?

SUE GUNAWARDENA-VAUGHN: Den Vorwurf, die USA seien barbarischer als Europa, halte ich nicht für gerechtfertigt. Auch in Europa hat eine Mehrheit der Bevölkerung die Todesstrafe bis zu ihrer Abschaffung befürwortet. Die öffentliche Meinung folgt der Politik.

FRAGE: Was ist die größte Herausforderung im Kampf gegen die Todesstrafe?

SUE GUNAWARDENA-VAUGHN: Dass wir es mit 50 verschiedenen Staaten zu tun haben. Die Situation im Osten unterscheidet sich von der in Texas oder von der in Massachusetts. Die größte Schwierigkeit ist aber, dass die wenigsten Menschen wirklich über die Todesstrafe informiert sind. Arbeitsplätze, Steuern, Bildung, der Krieg im Irak - viele Fragen sind den Menschen näher. Wir wollen das Thema im Mainstream verankern, um schließlich eine Gesetzesänderung zu erreichen.

FRAGE: Wie viele Amerikaner befürworten die Todesstrafe?

SUE GUNAWARDENA-VAUGHN: Umfragen zufolge sind es 65 Prozent. Die meisten haben aber keine Vorstellung unter welchen Bedingungen Todesurteile verhängt werden. Wenn Leute etwas über den Fall von Troy Davis hören, sind sie fassungslos, dass es so weit kommen konnte.

FRAGE: Welche Strategie verfolgen Sie?

SUE GUNAWARDENA-VAUGHN: Der Widerstand gegen die Todesstrafe muss in jedem Bundesstaat eigenständig organisiert werden. Wir arbeiten mit kirchlichen Organisationen und konservativen Gruppen. Und wir suchen ganz bewusst nach unerwarteten Allianzen. Uns verbindet mit Polizisten, Staatsanwälten oder Gefängniswärtern mehr, als man denkt. Wenn ein ehemaliger Richter und FBI-Direktor wie William Sessions als Befürworter der Todesstrafe Zweifel an der rechtmäßigen Verurteilung im Fall von Davis anmeldet, ist das viel wert. Es geht mir nicht darum, Recht zu haben, sondern diese Sache zu gewinnen.

FRAGE: Welche Unterstützung von außen wünschen Sie sich?

SUE GUNAWARDENA-VAUGHN: Finanzielle Unterstützung, wie sie beispielsweise das "Death Penalty Information Center" durch die Europäische Kommission erfährt. Manchmal gefährden die europäischen Todesstrafengegner aber auch unsere Bemühungen: Texas will sich nicht einmal von Washington D.C. etwas vorschreiben lassen, geschweige denn von der Europäischen Union. Das Wichtigste ist, sich über die Situation hier zu informieren und dann strategisch vorzugehen. Wenn eine Handelsdelegation nach Texas fliegt, kann es durchaus helfen, sehr diplomatisch nach der Menschenrechtssituation zu fragen. Nachzuhören, wie viele Menschen in den vergangenen Jahren hingerichtet worden sind. Aber einfach zu fordern, die USA sollen die Todesstrafe abschaffen, das ist sinnlos.


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Quelle:
amnesty journal, November 2007, S. 24
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. November 2007