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AKTION/185: Offener Brief an R.T. Erdogan - Gleichberechtigung für kurdische Kultur!


Presseerklärung vom 7. Oktober 2008

Offener Brief an den Ministerpräsidenten der Türkei Recep Tayyip Erdogan

Beginnen Sie mit europäischer Nationalitätenpolitik
Gleichberechtigung für kurdische Sprache und Kultur!


Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,

am 17. Oktober vergangenen Jahres hat Ihr Parlament Ihrer Regierung mit den Stimmen von 507 der 550 Abgeordneten für ein Jahr die Vollmacht erteilt, im Nachbarland Irak militärisch zu intervenieren.

Die Zeit, in der Sie für Ihre Militäroperationen keine weitere Zustimmung des türkischen Parlaments benötigten, ist nun zu Ende. Nach neuen militärischen Auseinandersetzungen mit der PKK müssen Sie sich jetzt für künftige Interventionen erneut die parlamentarische Zustimmung holen.

Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hat den Extremismus der totalitären PKK immer wieder aufs schärfste verurteilt. Wir betrauern die gefallenen türkischen Soldaten ebenso wie die getöteten PKK-Anhänger. Wir fordern Sie jedoch nachdrücklich dazu auf, die Existenz von etwa 15 Millionen Staatsbürgern kurdischer Muttersprache (Kurmanci und Zaza) in der Türkei endlich anerkennen!

Über Verbrechen der PKK berichten die türkischen Medien kontinuierlich. Doch die ununterbrochene Unterdrückung der kurdischsprachigen Bevölkerung der Türkei, die Verfolgung all jener kurdischen Menschen und Bürgerrechtler, die friedlich für die Gleichberechtigung ihrer Sprache und Kultur eintreten oder demonstrieren, ist zu selten ein Thema für türkische Medien und Politik. Kemal Atatürk hatte die Gleichberechtigung von türkischen und kurdischen Bürgern seines Landes versprochen und propagiert. Doch die Realität waren dann Massaker, Vertreibung und Folter in den 20-er und 30-er Jahren des vergangenen Jahrhunderts.

Die Türkei strebt in die Europäische Union. Viele europäische Länder haben große ethnische und sprachliche Minderheiten. Italien hat seinen 300.000 deutschen Südtirolern, Spanien seinen sechs Millionen Katalanen, Großbritannien seinen acht Millionen Walisern und Schotten regionale Selbstverwaltung und die völlige Gleichberechtigung ihrer Sprachen und Kulturen gewährt. Das haben auch viele andere Mitgliedsstaaten der EU ihren mitwohnenden Nationalitäten eingeräumt.

Durch Ihre Politik der Unterdrückung, an der sich Militär, Behörden, Justiz und Regierung beteiligen, erreichen Sie nur, dass die militärischen Auseinandersetzungen niemals enden und immer blutiger werden.

Deshalb appellieren wir an Sie, Herr Ministerpräsident, beginnen Sie mit einem Ausgleich zwischen der türkischen Mehrheit und der kurdischen Minderheit in Ihrem Land. Beide sind türkische Staatsbürger, beide identifizieren sich mit ihrem Staat, solange dieser Staat gleiche Rechte gewährt.

Dazu gehört, dass die Kurden ein Recht auf Anerkennung ihrer Sprache in den Schulen und Universitäten, bei Behörden und in der Öffentlichkeit haben.

Entkrampfen Sie die türkisch-kurdischen Beziehungen: Lassen Sie die noch immer 3835 kurdischen Gefangenen frei, erlassen Sie eine Generalamnestie für alle PKK-Anhänger. Wir erinnern Sie daran, dass diejenigen Generäle, Offiziere und Mannschaftsränge, die an Verbrechen an kurdischen Zivilisten und Gefangenen beteiligt waren, nie zur Verantwortung gezogen wurden.

Beginnen Sie mit dem Aufbau der 3876 zerstörten kurdischen Dörfer und bereiten Sie ein Rückkehrprogramm für die zwei Millionen intern vertriebenen Dorfbewohner vor.

Bemühen Sie sich um gute Beziehungen zum benachbarten irakischen Bundesland Kurdistan, mit dem Sie schon jetzt durch die Präsenz türkischer Unternehmen vieltausendfach verbunden sind. Dort wird für die ansässige turkmenische Bevölkerung ein vorbildlicher Minderheitenschutz praktiziert.

Bitte widerstehen Sie dem Druck der militärischen Falken unter Ihren Generälen. Lösen Sie das kurdische Problem auf friedliche und demokratische Weise.

Mit freundlichen Grüßen,

Tilman Zülch
Präsident der Gesellschaft für bedrohte Völker International


PS: Wir erlauben uns dieses Schreiben zu veröffentlichen und allen Mitgliedern der Großen Nationalversammlung der Türkei sowie Politikern und Medien in Europa, in den USA, Kanada, Australien und in der islamischen Welt zukommen zu lassen.


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Quelle:
Presseerklärung Göttingen vom 7. Oktober 2008
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
Postfach 20 24, D-37010 Göttingen,
Tel.: 0551/49906-0, Fax: 0551/58028
E-Mail: info@gfbv.de
Internet: www.gfbv.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Oktober 2008