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ASIEN/272: Afghanischer Journalist in Unrechtsverfahren zu 20 Jahren Haft verurteilt


Presseerklärung vom 21. Oktober 2008

Berufungsverfahren gegen zum Tode verurteilten Journalisten Parvez Kaambakhsh endet mit Schuldspruch

Afghanischer Journalist in Unrechtsverfahren zu 20 Jahren Haft verurteilt


Als "Unrechtsurteil" hat die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) die Verurteilung des afghanischen Journalisten Parvez Kaambakhsh zu 20 Jahren Haft durch ein Berufungsgericht in Kabul am heutigen Dienstag bezeichnet. "Dies ist ein schwarzer Tag für den Rechtsstaat Afghanistan, da mit dieser Willkürjustiz das internationale Ansehen des Landes massiv beeinträchtigt wird", erklärte der GfbV-Asienreferent Ulrich Delius. Der Nachwuchsjournalist sei Opfer eines Machtkampfes in Afghanistan geworden. So sei nicht Gerechtigkeit, sondern Rechtsbeugung Grundlage seines Berufungsverfahrens gewesen. Dabei seien sowohl afghanisches und internationales Recht als auch das traditionelle islamische Recht, die Scharia, missachtet worden. Der Anwalt des Journalisten kündigte nach dem Urteil an, den Schuldspruch nicht hinnehmen, sondern den Obersten Gerichtshof anrufen zu wollen.

Massive Vorwürfe erhob Delius auch gegen den afghanischen Staatspräsidenten Hamid Karzai. Das Urteil gegen Kaambaksh dokumentiere, dass Karzai kein Garant für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sei. Er habe sich nicht - wie zuvor mehrfach, auch im Gespräch mit deutschen Politikern, versprochen - für die Freilassung des Journalisten eingesetzt. Offenbar wollte der Staatspräsident sich vor den Wahlen 2009 nicht der Kritik radikal-islamischer Kräfte aussetzen.

Parvez war am 23. Januar 2008 in einem Gerichtsverfahren, das auch Prinzipien des islamischen Rechts nicht entsprach, "wegen Angriff und Beleidigung des Heiligen Propheten sowie wegen vorsätzlicher Verfälschung von Koran-Versen" zum Tode verurteilt worden. Ihm wurde vorgeworfen, einen Text unter Studenten der Balkh-Universität verbreitet zu haben, der den Islam beleidigte. Parvez bestreitet dies bis heute und erklärt, seine Unterschrift sei gefälscht worden. Auch glaubwürdige Foltervorwürfe wurden nicht angemessen untersucht. Nach afghanischem Recht hätte das Verfahren gegen Parvez schon Ende September 2008 abgeschlossen sein müssen. Aufgrund der Anklagepunkte hätte er zu höchstens fünf Jahren Haft verurteilt werden dürfen.

Das Verfahren gegen Parvez hatte im Dezember 2007 begonnen. Der Rat islamischer Geistlicher der Provinz Balkh empfahl, ihn mit dem Tod zu bestrafen. Seit seiner Verhaftung am 27.10.2007 setzt sich die GfbV für ein gerechtes Verfahren und die Freilassung von Parvez ein, weil seine Festnahme beispielhaft deutlich macht, wie schlecht es um den Aufbau eines demokratischen Rechtsstaates in Afghanistan steht.

Mit der Inhaftierung und Verurteilung von Parvez sollte vor allem sein Bruder Sayed Yaqub Ibrahimi getroffen werden, ein angesehener Journalist und gefürchteter Kritiker der Warlords und ihrer Willkürherrschaft, sagte Delius.


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Quelle:
Presseerklärung Göttingen vom 21. Oktober 2008
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
Postfach 20 24, D-37010 Göttingen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Oktober 2008