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EUROPA/390: Türkei - Antichristliche Entwicklung nicht beschönigen!


Presseerklärung vom 19. April 2007

Gefährliche Allianz zwischen Staatsislam und chauvinistischem Kemalismus bedroht die Christen der Türkei!

Antichristliche Entwicklung nicht länger beschönigen!


Nach dem kaltblütigen Mord an drei Christen im Südosten der Türkei hat die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) am Donnerstag an Bundesregierung und die im Bundestag vertretenen Parteien appellierte, die zunehmend antichristliche Entwicklung in der Türkei nicht länger zu beschönigen. "Die herrschende Staatsideologie des Kemalismus bedient sich seit Jahrzehnten des gleichgeschalteten sunnitischen Islam, um die Demokratisierung des Landes zu verhindern", sagte der GfbV-Generalsekretär Tilman Zülch. "Dieser gilt als elementarer Bestandteil türkischer nationaler Identität, so dass die Christen de facto aus dem "Staatsvolk" ausgeschlossen sind. Auch in Deutschland ist der deutsch-türkisch-islamische Bund mit rund 600 Gemeinden und 870 Vereinen und seinen weit über 500 Moscheen dem staatlichen "Präsidium für Religionsangelegenheiten" in Ankara untergeordnet. Dieses gibt selbst den türkischen Imamen Woche für Woche für die Freitagspredigten die Generallinie an. Wir fordern deutsche Politiker und Bischöfe zur Stellungnahme auf, ob diese Art der Vermittlung von Religion mit den Grundprinzipien von Religionsfreiheit in unserem Land vereinbar ist."

Die Gesellschaft für bedrohte Völker erinnert daran, dass der Anteil der christlichen Bevölkerung bezogen auf die heutigen Grenzen der Türkei von 25 % auf 0,1 % zurückgegangen ist: 1913-1922 durch Genozid und von 1923 an durch anschließende ethnische Säuberungen (heute verharmlosend als "Bevölkerungsaustausch" bezeichnet) an armenischen, aramäisch-assyrischen und griechisch-orthodoxen Christen, durch Pogrome und Vertreibungen während der so genannten "Istanbuler Kristallnacht" 1955 und während der Zypern-Krise 1974 sowie durch Diskriminierungen und Verfolgungen von Christen seither.

o Die katholischen und evangelischen Kirchen in der Türkei besitzen bis heute keinen eigenen Rechtsstatus, sind somit keine eigenständigen Körperschaften und nicht rechtsfähig. Ihre Gottesdienste müssen meist in Privatwohnungen stattfinden. Außerhalb von Touristengebieten wird in der Regel kein Kirchenneubau erlaubt.

o Der in Istanbul/Konstantinopel ansässige orthodoxe Patriarch von weltweit über 250 Millionen orthodoxen Christen wird in der Türkei nur als Oberhaupt der etwa 3.000 dort verbliebenen Griechisch-Orthodoxen anerkannt.

o Arbeits- und Aufenthaltserlaubnisse werden Geistlichen nichttürkischer Staatsbürgerschaft in der Regel verweigert.

o Obwohl laut Artikel 40 des Lausanner Vertrages Nicht-Muslime das Recht auf Grundstücksbesitz hatten, war es religiösen Minderheiten bis 2002 verboten, solche Immobilien zu erwerben. In unzähligen Fällen kam es zu Enteignungen.

Nach Schätzungen der Gesellschaft für bedrohte Völker leben in der Türkei heute bis zu 60.000 apostolische, unierte oder evangelische Christen armenischer Nationalität, etwa 3.000 Griechisch-Orthodoxe in Istanbul, 2.000 Syrisch-Orthodoxe im Tur Abdin im Südosten des Landes und rund 3.000 im Großraum Istanbul, 3.000 Syrisch-Unierte sowie jeweils einige 10.000 katholische oder evangelische Christen vorwiegend nichttürkischer Staatsbürgerschaft.


Christen und Kurden und kurdische Christen

"Nicht von ungefähr hat sich die jüngste Bluttat in der kurdischsprachigen Region in und um Malatya ereignet", meinte der Nahostreferent der Gesellschaft für bedrohte Völker. Dr. Kamal Sido. "In den vergangenen 20 Jahren sind immer mehr Kurden zum Christentum übergetreten. In der Türkei ist von ca. 1.000 konvertierten Kurden die Rede. Der Verlag, der angegriffen wurde, hatte die Bibel auch ins Kurdische übersetzt und herausgegeben. Kombiniert man "christliche Mission" und Kurden, entsteht aus türkischer Sicht ein doppelt gefährlicher Komplex: Religiöse Unterwanderung und Gefährdung der Einheit des türkischen Staates. Aus dieser Perspektive verwundert es kaum, dass nach der Verfolgung und der ständigen Diskriminierung armenischer, assyro-aramäischer und griechisch-orthodoxer Christen, jetzt auch Kurden, die zum Christentum übertreten, in der Türkei einen schweren Stand haben. Sie sind in den Augen des Staates höchst verdächtig und gefährlich." *

Quelle:
Presseerklärung Göttingen vom 19. April 2007
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
Postfach 20 24, D-37010 Göttingen,
Tel.: 0551/49906-0, Fax: 0551/58028
E-Mail: info@gfbv.de
Internet: www.gfbv.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. April 2007