Schattenblick → INFOPOOL → BÜRGER/GESELLSCHAFT → BEDROHTE VÖLKER


EUROPA/608: Nordkaukasus - Memorandum "Frauen als Gewaltopfer brauchen besonderen Schutz"


Presseerklärung vom 13. Oktober 2016

Gewaltopfer: Frauen aus dem Nordkaukasus brauchen besonderen Schutz - Neues Memorandum dokumentiert erschütternde Einzelfälle


Frauen aus dem Nordkaukasus, die vor schwerer häuslicher, jedoch staatlich sanktionierter Gewalt nach Deutschland fliehen konnten, brauchen besonderen Schutz. Werden sie in ihr Herkunftsland abgeschoben, sind sie in großer Gefahr, erneut Opfer von Verbrechen zu werden. Zu diesem traurigen Ergebnis kommt ein 20-seitiges Memorandum der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), das jetzt veröffentlicht wurde. Die GfbV-Referentin für die GUS-Staaten, Sarah Reinke, hat darin Einzelschicksale dokumentiert und die Muster der Unterdrückung herausgearbeitet, der Frauen im Nordkaukasus ausgesetzt sind. Die GfbV verbindet mit der Veröffentlichung des Memorandums den dringenden Appell an die deutschen Behörden, diesen Flüchtlingen zu helfen und ihnen hier Zuflucht zu gewähren.

In Tschetschenien hat Regierungschef Ramzan Kadyrow die Unterdrückung von Frauen zur offiziellen Politik gemacht. Dort haben nach Angaben von Reinke Ehrenmorde, massive häusliche Gewalt, Verheiratung Minderjähriger und die allgegenwärtige Kontrolle von Seiten der männlichen Verwandten, aber auch des Staates alle Hoffnungen von Mädchen und Frauen auf ein selbstbestimmtes Leben zerschlagen. In zahlreichen persönlichen Gesprächen schilderten Frauen der GfbV-Referentin, wie sie von ihren Männern geschlagen und getreten, in Ehen gezwungen, von Nachbarn, oder Vorgesetzten vergewaltigt wurden.

Gelingt Gewaltopfern die Flucht nach Deutschland, werden sie bisher nur selten anerkannt: Die Quote liegt für Tschetschenen insgesamt bei unter sechs Prozent. Trotzdem ist hier die Zahl der Flüchtlinge aus dem Nordkaukasus gestiegen. Bis zu 3.000 geflohene Tschetschenen warten zurzeit in Weißrussland auf eine Möglichkeit, über Polen in die EU einzureisen

"Erfahrene Traumatherapeuten und Flüchtlingsberater bestätigen, dass besonders viele Flüchtlinge aus Tschetschenien unter schwersten Traumata leiden und dass es Muster von jahrelanger Verfolgung, Schikane, Folter und Willkür gegen Frauen gibt", heißt es in dem Memorandum. Auch der Druck auf Frauen und Mädchen in der Flüchtlingsgemeinschaft in Deutschland sei besonders hoch. Sie sollen so genannte tschetschenische Traditionen selbst im Exil streng beachten, jede noch so geringe Abweichung kann zum Ausschluss aus der Gemeinschaft oder gar zum Tod führen. Das dokumentierte Reinke anhand von Einzelfällen.

"Erst wenn die Frauen selbst als Individuen gestärkt werden, wenn sie verstehen, dass sie von Polizei und Behörden vor Gewalt geschützt werden, kann es gelingen, dass sie ihre schweren Traumata langsam überwinden", sagt Reinke. "Die Angst vor Abschiebung ist für diese Frauen unerträglich."

*

Quelle:
Presseerklärung Göttingen/Berlin, den 13.10.2016
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
Postfach 20 24, D-37010 Göttingen
Telefon: 0551/499 06-25, Fax: 0551/58028
E-Mail: presse@gfbv.de
Internet: www.gfbv.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Oktober 2016

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang