Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → FAKTEN

AUFRUF/037: Auslieferung von türkischem politischen Gefangenen in Italien an die Türkei droht! (Netzwerk)


"Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen" - 5. April 2010

Auslieferung von türkischem politischen Gefangenen in Italien an die Türkei droht!

Bei Auslieferung droht Avni Er Folter! Amnesty International unterstützt Avni Er


Avni Er ist ein türkischer politischer Gefangener in Italien, ihm droht die Auslieferung an den Folterstaat Türkei, damit droht ihm Folter und Misshandlung. Derzeit befindet sich Avni Er in Haft in einer Abschiebungslager (CIE) der Stadt Bari/ Süditalien. Da Avnis Antrag auf Asyl und Anerkennung von internationalem Schutz, also sein Flüchtlingsstatus, abgeleht wurde, klagen seine Anwälte gegen die Ablehnung. Der Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EuGMR) hatte die italienischen Behörden bereits dazu verurteilt, Avni Er sein Recht auf Auslieferungsschutz zu gewährleisten, bis eine erstinstanzliche Entscheidung über seinen Antrag auf Asyl und Anerkennung von internationalem Schutz vorliegt. Nun beantragten seine Anwälte den Schutz bis zur Berufungsverhandlung zu erweitern.

Jedoch könnten die Italienischen Behörden Avni Er ausliefern, bevor sich die Gerichte überhaupt mit seiner Berufung befasst haben.

Avni Er verließ die Türkei im Alter von 11 Jahren und ist seitdem nicht mehr in die Türkei zurückgekehrt. Seiner Verhaftung am 1.4.2004 ging eine international angelegte Polizeioperation voraus, bei der allein in der Türkei Dutzende demokratische Vereine gestürmt, über 100 MenschenrechtsaktivistInnen festgenommen und 87 anschließend verhaftet wurden.

Avni Er wurde im Dezember 2006 im italenischen Perugia wegen Mitgliedschaft in der revolutionären Bewegung DHKP-C verurteilt: Sieben Jahre mit anschließender Ausweisung aus Italien.

Im April 2007 forderte die Türkei Avni Ers Auslieferung im Zusammenhang mit vermeintlicher Mitgliedschaft in der revolutionären Bewegung DHKP-C. Die italienischen Behörden lehnten dieses Ersuchen mit der Begründung ab, dass dies zweimal dieselbe Verurteilung bedeutete. Jedoch laufen in der Türkei die Verfahren gegen Avni Er weiter. Dies bedeutet, dass Avni Er wahrscheinlich bei seiner Ankunft in der Türkei verhaftet wird.

Amnesty International ist der Auffassung, dass eine Auslieferung von Avni Er die Verletzung internationalen Rechts bedeutet, denn Folter oder anderen Misshandlungen sowie ein unfaires Gerichtsverfahren sind sehr wahrscheinlich.

Senden Sie bitte unverzüglich Briefe in Englisch, Italienisch oder in Ihrer Sprache!
Fordern Sie darin die italienischen Behörden auf, Avni Er nicht auszuliefern, ihm droht in der Türkei Folter und Misshandlung. Dies verletzt Italiens Verpflichtung als Vertragstaat der Genfer Flüchtlingskommission von 1951 und des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe, niemanden in ein Land abzuschieben, in dem der Person schwere Menschenrechtsverletzungen drohen.

VOR 13 MAI 2010 AN:

Minister des Inneren/Anrede: Dear Minister
Roberto Maroni, Ministro dell'Interno
Innenministerium

Kopien an:
Palzza Viminale
Questore (Polizeipräsident)
Piazza del Viminale, 1
Giorgio Manari
00184 Roma, Italy
di Bari
Fax: + 39 06 6549832
Murat Nr. 4
Email:
Bari,Italy
liberta.civiliimmigrazione@interno.it
080 5291154

Bitte auch Kopien an die Diplomaten Italiens in Ihrem Land schicken!



Zusatzinformation

Italien ist gesetzlich verpflichtet, als Vertragsstaat der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 und des UN-Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe, Personen nicht in ein Land zurückzuführen, in dem der Person schwere Menschenrechtsverletzungen wie Folter oder Misshandlung drohen. Das völkerrechtliche Prinzip des Non-Refoulement, das für alle Staaten bindend ist, verbietet die Abschiebung von Personen in ein Land, wo ihnen schwere Menschenrechtsverletzungen, darunter auch Folter, drohen könnten. Italien ist als Vertragsstaat an die Internationale Übereinkunft über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und das Zusatzprotokoll von 1967 gebunden, ebenso an die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte.

Amnesty Internationals Berichte zeigen, dass Folter und Misshandlungen im Gewahrsam der Sicherheitskräfte in der Türkei wieder zugenommen haben: In Polizeistationen und Gefängnissen, in denen Avni Er sich wahrscheinlich befinden wird. Die gemeldeten Fälle von Folter und anderen Misshandlungen haben innerhalb der letzten zwei Jahre zugenommen. Amnesty International erhält immer wieder Berichte von Misshandlungen und Folterungen in Polizeigewahrsam und in Gefängnissen.

Amnesty International verfügt über dokumentierte Fälle von Folter und anderen Misshandlungen in Polizeigewahrsam, dies gilt insbesondere für Menschen, die verfolgt werden, weil Verdacht der Sympathie mit der DHKP-C besteht. Ein aktuelles Beispiel ist Engin Çeber (29), der zusammen mit anderen verhaftet wurde und am 10. Oktober 2008 an den Folgen von Folter durch Polizisten, Gefängniswärter und Gendarmen gestorben ist. Verfolgungen in der Vergangenheit, wie die, denen vorgeworfen wirdá Aktionen im Namen der DHKP-C durchgeführt zu haben lassen die Besorgnis aufkommen, dass Avni Ers Leben in türkischen Gefängnissen gefährdet ist. Im Prozess wegen der Tötung des prominenten Geschäftsmann Özdemir Sabanciá wurde Mustafa Duyar, angebliches Mitglied der revolutionären Bewegung DHKP-C, 1999 in der Haft ermordet, während der Prozess stattfand, ermordet von Einzelpersonen, so wird behauptet, die in Verbindungen zu staatlichen Institutionen stehen.

Auf der Grundlage der Antiterrorismusgesetze angeklagte Personen mussten mit langwierigen und unfairen Prozessen vor Sonderstrafgerichten rechnen, die an die Stelle der Staatssicherheitsgerichte getreten waren. Die Staatsanwaltschaften an diesen Gerichten stützten ihre Beweisführung häufig auf Aussagen, die unter Folterungen zustande gekommen sein sollen. Prozesse, die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte als unfair beanstandet worden waren und deshalb neu aufgerollt werden mussten, hielten dem Kriterium der Unparteilichkeit nach wie vor nicht stand und beinhalteten auch keine Überprüfung und Neubewertung der Beweislage. Die Verfahren zogen sich zudem extrem in die Länge. Vorschriften zur zeitlichen Begrenzung der Untersuchungshaft waren bis Ende 2006 noch nicht rechtswirksam geworden und trugen überdies der Erfordernis, Gerichtsverfahren innerhalb angemessener Fristen abzuschließen, nicht ausreichend Rechnung.
(Index: EUR 44/013/2006)

Amnesty International dokumentierte auch das beständig sich wiederholende Muster: Keine Sicherstellung des Rechts auf eine effektive Verteidigung: Was den Zugang zu einem Rechtsbeistand während des Verhörsá beinhaltet. Weiterhin wurden dokumentiert: unzureichende medizinische Untersuchungen, Anschuldigungen auf Aussagen, die unter Folter oder anderen Misshandlungen erpresst wurden, wurden nicht untersucht. Ein gravierendes Problem sind, wie gesagt, unfaire Gerichtsverfahren. Dies gilt insbesondere für Fälle, die nach der Antiterrorgesetzgebung verhandelt werden. Verurteilungen erfolgen oft nach unzureichender Beweisermittlung und - vor allem in Fällen, die sich schon seit vielen Jahren hinziehen - unter Heranziehung von wahrscheinlich unter Folter erpressten Aussagen. Im September 2008 wurde Selahattin Ökten wegen angeblicher Teilnahme an militärischen Operationen der PKK zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Einziges Beweismittel: Das Gericht gründete seine Entscheidung auf eine zweifelhafte Zeugenaussage, die unter Folter erzwungen worden sein soll.
(Siehe: Amnesty International Report 2009)


*


Quelle:
Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen
E-Mail: hamburg@political-prisoners.net
Internet: www.political-prisoners.net


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. April 2010