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AUFRUF/076: Rechte statt Mitleid für Ostafrika - Schriftsteller fordern Umdenken (medico international)


medico international - Pressemitteilung vom 23.08.2011

Aufruf: Rechte statt Mitleid für Ostafrika / Schriftsteller fordern politisches Umdenken


(Frankfurt/Main) Mit dem gemeinsamen Aufruf "Rechte statt Mitleid für Ostafrika" fordern 35 Schriftsteller vor allem aus Afrika und Europa solidarisches Handeln und strukturelle Veränderungen, um Hungerkatastrophen künftig zu verhindern.

Maßgeblich verfasst wurde der Aufruf von dem bedeutenden somalischen Romanautor Nuruddin Farah und dem deutschsprachigen Schriftsteller und Journalisten Ilija Trojanow in Kooperation mit der sozialmedizinischen Hilfs- und Menschenrechtsorganisation medico international. "In der Hungersnot in Ostafrika zeigen sich die katastrophalen sozialen Folgen, vor denen uns Klimaforscher seit Jahren warnen", erläutert Ilija Trojanow, der den Klimawandel in seinem neuen Roman thematisiert.

Zu den Autoren gehören auch die diesjährige Caine Prize Trägerin NoViolet Bulawayo, der bekannteste kenianische Schriftsteller Meja Mwangi und der mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnete ungarische Romancier Péter Esterházy. Sie fordern die aktive Bekämpfung des Klimawandels, den Aufbau einer nachhaltigen Landwirtschaft, ein Verbot der Spekulation mit Nahrungsmitteln und des modernen Landraubs. Gerade in Äthiopien sind riesige fruchtbare Gebiete an ausländische Investoren verkauft worden, die dort Lebensmittel für den Export oder die Biospritproduktion anbauen.

"Die Menschen sterben nicht nur an einer unglückseligen Dürre, sondern auch an weitreichenden, systemimmanenten Missständen: an den Folgen des Klimawandels, der neoliberalen Ideologien, militaristischen Interventionen und instabilen Getreidemärkten. Und an der Unwilligkeit der Staatenwelt, die verschiedenen Warlords, die seit 20 Jahren Somalia zerstören, international zu ächten und zu verfolgen", heißt es in dem Aufruf der Schriftsteller, die in ihren jeweiligen Ländern von Elfenbeinküste über Somalia und Kenia bis Südafrika, Irak, Indien und Europa für eine gerechte Gesellschaft aktiv sind.

medico international unterstützt eine lokale Organisation bei der Bekämpfung des Hungers in Ostkenia und fordert zugleich ein politisches Umdenken. "Hilfe in der Not und strukturelle Veränderungen zur Beseitigung der Ursachen von Hunger sind kein Akt des guten Willens, sondern eine völkerrechtlich bindende Pflicht. Wir brauchen keine Politik des Mitleids, sondern eine der politischen Verantwortung. Um den Druck auf die Regierungen zu erhöhen, haben wir uns mit Schriftstellerinnen und Schriftstellern aus vielen Teilen der Welt vernetzt", erklärt Anne Jung, Afrika-Referentin von medico international.


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Rechte statt Mitleid für Ostafrika
Afrikanische und europäische Schriftsteller für solidarisches Handeln und strukturelle Veränderungen


Wir müssen die Ursachen von Tragödien verstehen, damit sich diese nicht wiederholen. Die Katastrophe in Ostafrika ist keineswegs unfassbar, sie hat sich seit Jahren und Jahrzehnten angekündigt. Die Menschen sterben nicht nur an einer unglückseligen Dürre, sondern auch an weitreichenden, systemimmanenten Missständen: an den Folgen des Klimawandels, der neoliberalen Ideologien, militaristischen Interventionen und instabilen Getreidemärkten. Und an der Unwilligkeit der Staatenwelt, die verschiedenen Warlords, die seit 20 Jahren Somalia zerstören, international zu ächten und zu verfolgen.

In der Hungersnot Ostafrikas zeigen sich die katastrophalen sozialen Folgen des Klimawandels. Trotzdem könnten wir den Menschen lokal helfen, wenn es finanzielle Hilfen gäbe für Nomaden, Viehhüter und Kleinbauern, damit sie tiefere Brunnen bohren und Techniken einführen, um das Regenwasser, das meist sintflutartig niedergeht, zu sammeln.

Die Opfer des Klimawandels haben ein Recht auf Hilfe - vor den Katastrophen.

Eine lokale, nachhaltige landwirtschaftliche Produktion passt nicht in das Kalkül der global herrschenden Ökonomie. Anstatt arbeitsintensive, autarke Techniken zu unterstützen, wird Entwicklungshilfe immer häufiger dazu benutzt, ein rein exportorientiertes Wirtschaften einzuführen. Riesige fruchtbare Gebiete am Horn von Afrika werden an ausländische Investoren verkauft und Rohstoffhändler setzen auf steigende Weizenpreise.

Der Landraub und die Spekulation mit Nahrungsmitteln müssen unterbunden werden.

Die politische Brutalisierung Somalias hat komplexe Ursachen, die bis in die Zeit der Blockkonfrontation zurückreichen. Der seit zehn Jahren am Horn von Afrika geführte "Krieg gegen den Terror" hat die Agonie Somalias verlängert. Nicht die existenziellen Bedürfnisse der somalischen Bevölkerung stehen dabei im Vordergrund, sondern die Sicherung internationaler Seefahrtswege.

Militaristische Interventionen im Dienste der eigenen Sicherheit müssen aufhören.

Notwendig ist nicht eine Politik des Mitleids, sondern eine der politischen Verantwortung. Die Hungernden haben ein Recht auf Anerkennung als Bürgerinnen und Bürger dieser Welt. Sie haben wie alle anderen Menschen Rechte, zu denen auch das Recht auf Nahrung nach Artikel 25 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte gehört. Hilfe in der Not und strukturelle Veränderungen zur Beseitigung der Ursachen von Hunger sind kein Akt des guten Willens, sondern eine völkerrechtlich bindende Pflicht. Dies durchzusetzen bedarf des politischen Willens von Regierungen. Und des öffentlichen Drucks von unten. Auch von uns.

Die Hungernden sind Bürgerinnen und Bürger dieser Welt.

Dieser Aufruf erscheint mit Unterstützung der Frankfurter Hilfs- und Menschenrechtsorganisation medico international.



Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner:

• Leila Aboulela (Sudan)
• Andreas Ammer (Deutschland)
• NoViolet Bulawayo (Simbabwe)
• Alex Capus (Schweiz)
• György Dragomán (Ungarn)
• Peter Esterhazy (Ungarn)
• Nuruddin Farah (Somalia/Südafrika)
• Diana Ferrus (Südafrika)
• Abdulrazak Gurnah (Tansania)
• Guy Helminger (Luxemburg)
• Felicitas Hoppe (Deutschland)
• Ranjit Hoskoté (Indien)
• Carsten Jensen (Dänemark)
• Jamal Mahjoub (Sudan)
• Abbas Khider (Irak/Deutschland)
• Easterine Kire Iralu (Indien)
• Angela Krauss (Deutschland)
• Michael Krüger (Deutschland)
• Robert Menasse (Österreich)
• Pedro Rosa Mendes (Portugal)
• Meja Mwangi (Kenia)
• Michael Obert (Deutschland)
• José Oliver (Deutschland/Spanien)
• Niyi Osundare (Nigeria)
• Christoph Ransmayr (Österreich)
• Christine und Rudolf Scholten (Österreich)
• Jan Seghers (Deutschland)
• Brita und Wolf Steinwendtner (Österreich)
• Véronique Tadjo (Elfenbeinküste)
• Stephan Thome (Deutschland)
• Uwe Timm (Deutschland)
• Ilija Trojanow (Deutschland/Österreich)
• Abdourahman Waberi (Djibouti)
• John Wray (USA)
• Jean Ziegler (Schweiz)


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Quelle:
medico international - Pressemitteilung vom 23.08.2011
Herausgeber: medico international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. August 2011