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FRAGEN/018: Friedensaktivisten in Kalkar gegen NATO-Kommandozentrale und bewaffnete Drohnen (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 39 vom 26. September 2014
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

"Eher schon ein Heißer Krieg"
Friedensaktivisten wollen in Kalkar gegen NATO-Kommandozentrale und bewaffnete Drohnen demonstrieren

Interview mit Irène Lang von Markus Bernhardt



UZ: Weshalb organisiert das Organisationsteam des Ostermarsch Rhein-Ruhr am 3. Oktober eine Demonstration gegen die NATO-Kommandozentrale in Kalkar am Niederrhein?

Irène Lang: In der ehemaligen Bundeswehrkaserne "von Seydlitz" wird eine Kommandozentrale der NATO eingerichtet, von der aus per Computer Luftkriegsübungen gesteuert werden können. Ziel ist: Krieg mit unbemannten Geräten zu führen - wie dies heute bereits mit den Kampfdrohnen geschieht. Der "geistige Vater" war US-Luftwaffengeneral Philip M.Breedlove, "Kommandeur der US-Luftstreitkräfte in Europa und Afrika, der Nato-Luftstreitkräfte Ramstein und Direktor des Kompetenzzentrums der NATO-Luftstreitkräfte mit Sitz im nordrhein-westfälischen Kalkar". Die NATO spricht in ihren neuesten Unterlagen nicht mehr von Verteidigungsaufgaben, sondern von Krieg. Und das wird bereits geübt. Das bedeutet schlicht: Von Kalkar am Niederrhein geht Krieg aus und Kalkar kann in umgekehrter Richtung Ziel eines Gegenschlages sein!

UZ: Unterstützt die rot-grüne Landesregierung euer Vorhaben?

Irène Lang: Das wäre etwas Neues. Die Ministerpräsidentin von NRW, Hannelore Kraft (SPD), hat auf einen Brief des Bundessprechers VVN-BDA Uli Sander wie folgt antworten lassen: "(...) Ich denke allerdings, dass Sie selbst kaum davon ausgehen werden, dass Ihr Appell hier in Düsseldorf auf offene Ohren treffen wird, da Sie Positionen vertreten, die von der weit überwiegenden Mehrheit in der Bundes- und Landespolitik und der großen Mehrheit in der Bevölkerung nicht geteilt werden.

Die Bundeswehr ist Teil unseres freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaates und sie hat ihren Platz in der Mitte der Gesellschaft. Es kann keine Rede davon sein, dass - wie Sie es in Ihrem Brief formulieren - das Grundgesetz Einsätze der Bundeswehr, zumal im Kontext der internationalen Staatengemeinschaft, kategorisch verbietet. Das Grundgesetz legt allerdings hohe Hürden an, wenn es um die Legitimation solcher Einsätze geht und verlangt nach dem Primat der Politik eine Entscheidung des Deutschen Bundestages vor jedem relevanten Einsatz. So ist sichergestellt, dass die Bundeswehr stets im Einklang mit der Mehrheit des Parlaments agiert.

Was nun die Aktivitäten in Kalkar/Uedem angeht, so haben die verantwortlichen Stellen der Bundeswehr bestätigt und nachvollziehbar dargestellt, dass Auftrag, Aufgaben und tägliche Arbeit der Angehörigen der Bundeswehr und der ausländischen Streitkräfte in den NATO-Dienststellen in vollem Umfang auf den Vorgaben unseres Grundgesetzes zur Landes- und Bündnisverteidigung basieren. Dazu gehört selbstverständlich auch die Durchführung von Übungen, wie Sie sie in Ihrem Schreiben kritisieren."

Die Partei "Bündnis 90/Die Grünen" hat sich seit dem Krieg gegen Jugoslawien aus der Friedensbewegung verabschiedet. Dies bedeutet natürlich nicht, dass es nach wie vor einzelne Grüne und Sozialdemokraten gibt, die beim Ostermarsch Rhein-Ruhr mitarbeiten.

UZ: Wisst Ihr, wie die Beschäftigten der Kommandozentrale auf die angekündigten Proteste reagieren?

Irène Lang: Wir demonstrieren das dritte Mal in Kalkar. Wir wissen deshalb, dass die Menschen vor Ort zum Einen froh sind, einen Arbeitsplatz zu haben, zum Anderen aber erstaunt sind, wenn wir ihnen erzählen, was sich in ihrer Nähe abspielt. Denn das gehört zum "Kriegsspiel": Die Medien schweigen.

Unsere Genossin Inge Holzinger (Ostermarsch Rhein-Ruhr), stieß in ihrer Lokalzeitung auf einen Artikel mit dem Titel "Wenn die NATO Krieg spielt". Darin stand, dass von Kalkar aus die NATO künftig den gesamten Luftraum nördlich der Alpen observiert und "sichert". Aufgrund von weiteren Recherchen von Uli Sander, Journalist und Bundessprecher der VVN-BdA (Ostermarsch Rhein-Ruhr) und Bernhard Trautvetter (Essener Friedensforum, DFG-VK) wissen wir heute sehr genau, welche Aufgaben diese Kommandozentrale der NATO hat und fühlen uns verpflichtet darüber zu informieren und protestieren.

UZ: Ihr wollt am 3. Oktober auch gegen die unbemannten Drohnen mobilisieren. Diese werden bereits weltweit eingesetzt, gibt es da noch eine realistische Chance, diese Entwicklung zu stoppen?

Irène Lang: Die Frage ist nicht, ob diese Entwicklung gestoppt werden kann. Sie muss gestoppt werden: Wenn die Bundesregierung in diesen Tagen "friedliche" Drohnen zur Aufklärung über die Ukraine fliegen lässt, ist dies bereits eine Beteiligung am Krieg. Kampfdrohnen, d. h. mit Waffen bestückte Drohnen, müssen verboten werden.

UZ: Die NATO will zukünftig ihre Präsenz an der russischen Grenze in Estland, Litauen, Lettland und Polen verstärken und hält zur Zeit ein Manöver in der Ukraine ab. Droht eine Neuauflage des Kalten Krieges?

Irène Lang: In der Tat scheint manches an die Zeiten des Kalten Kriegs zu erinnern, jedoch ist ein Krieg mit direkter NATO-Beteiligung in Nicht-NATO-Staaten eher schon ein Heißer Krieg. Zum Glück lassen sich 70 Prozent der Bevölkerung von dieser Medienkampagne nicht anstecken. Aber wir sind herausgefordert, gegen jede weitere Provokation zu protestieren und die europäischen Regierungen zu zwingen, zu Verhandlungen mit Russland zurückzukehren. Denn wir - die Masse der Bevölkerung - zahlen wieder die Zeche. In unseren Zeitungen wird berichtet, wie gut es uns wirtschaftlich geht, aber im Ausland schreibt man von einer "Delle" in der Entwicklung der deutschen Wirtschaft und fürchtet die Auswirkungen auf andere europäische Länder.

UZ: Die Mehrheit der Bundesbürger lehnt Kriegseinsätze ab und trotzdem ist die Friedensbewegung schwach aufgestellt. Wie erklärt ihr diesen Widerspruch?

Irène Lang: Menschen gehen auf die Straße, wenn sie sich direkt betroffen fühlen: Das war damals gegen die Atomraketen so, das ist heute mit der Umwelt, d. h. wir müssen uns klar machen, dass wir heute bereits betroffen sind. Das Geld, das in die Rüstung fließt, fehlt im sozialen Bereich, Deutschland ist nach den USA der größte Geldgeber der NATO. Manche Politiker denken schon laut über eine Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht nach. Es fehlt an "Personal" für die zahlreichen Auslandseinsätze und nun auch noch die Ukraine! Deutschland befindet sich an vielen Orten im Krieg, das muss uns allen bewusst werden und unsere Rüstungsschmiede vor der Haustür "Rheinmetall" macht gute Profite und will zur Freude des SPD-Wirtschaftsministers nun auch in den U-Boote-Bau einsteigen. Also Gründe genug sich nach Kalkar aufzumachen!


Irène Lang ist Mitglied der DKP, engagiert sich in der Kommunal- und Frauenpolitik und seit über zehn Jahren beim Ostermarsch Rhein-Ruhr

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 46. Jahrgang, Nr. 39 vom 26. September 2014, Seite 8
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Oktober 2014