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INTERNATIONAL/068: Brasilien - "Occupy"-Bewegung erreicht Rio (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 7. November 2011

Brasilien: 'Occupy'-Bewegung erreicht Rio

von Fabiola Ortiz

Zeltlager von Kapitalismuskritikern in Rio de Janeiro - Bild: © Fabiola Ortiz

Zeltlager von Kapitalismuskritikern in Rio de Janeiro
Bild: © Fabiola Ortiz

Rio de Janeiro, 7. November (IPS) - Die Protestbewegung gegen soziale Ungleichheit, Konsumkultur und den Umgang mit der Weltfinanzkrise findet auch in Brasilien ihre Anhänger. Unter dem Slogan 'Occupy Rio' haben Aktivisten in der Zuckerhut-Metropole ihre Zelte aufgeschlagen.

Etwa 200 junge Leute beteiligen sich zurzeit an den friedlichen Demonstrationen auf einem der Hauptplätze im Stadtzentrum, den täglich Tausende Menschen passieren. Sie haben auf dem Cinelândia Platz, in dessen Nähe sich das Rathaus, das Stadttheater und die Nationalbibliothek befinden, etwa 120 Zelte aufgebaut.

"Ihr seid frei" und "Kommt aus euren Wohnzimmer-Gefängnissen, euer Leben ist mehr wert als eine Soap-Opera-Folge", ist auf Spruchbändern zu lesen. Und: "Verwandelt Waffen in Kunst". Seit dem 22. Oktober finden auf dem Platz gewaltfreie Demonstrationen statt, die ein großes Bedürfnis nach Freiheit verspüren lassen.

Die globalen Proteste der 'indignados', der 'Unzufriedenen', gegen den Umgang mit der Finanzkrise ist von Madrid, Barcelona und Málaga über New York, Oakland und Seattle in andere Großstädte übergeschwappt.


Für einen Wandel in Wirtschaft, Politik, Kultur und Ökologie

Wie der 18-jährige Eduardo de Oliveira Moraes berichtete, der zu den Organisatoren der Proteste in Brasilien gehört, spielt Pluralität in dem Camp der Protestierer eine große Rolle. Jenseits aller Hierarchie-Barrieren treffen sich die Menschen auf dem Platz, um miteinander zu diskutieren und gegen unterschiedliche Missstände zu protestieren. Sie wollen Veränderungen nicht nur in der Politik und Wirtschaft, sondern auch in der Kultur und beim Umweltschutz.

"Wir protestieren auch gegen Korruption und den Schlingerkurs der Regierung", sagte Oliveira Moraes. Er war unter den Ersten, die sich auf dem Cinelândia Platz versammelten. "Jeder hat seine eigenen Gründe, um hier zu sein", erklärte er. "Anfangs wollten wir nur eine Woche bleiben. Inzwischen wissen wir nicht mehr, wann wir von hier weggehen werden. Dieser Platz ist in öffentlicher Hand, also gehört er uns."

'Occupy Rio' beschäftigt sich nicht nur mit globalen Fragen, sondern auch mit Problemen in Rio selbst. Die Aktivisten versuchen beispielsweise Brücken zu lokalen Bewegungen in den Elendsvierteln, den Favelas, zu schlagen. Deren Bewohner wehren sich gegen Zwangsumsiedlungen im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft 2014 und den Olympischen Spielen 2016, die in Rio de Janeiro stattfinden sollen.

Auf der Agenda der Bewegung stehen außerdem die sozialen und ökologischen Folgen des Baus von Wasserkraftwerken im Amazonas-Urwald. Auch wenn die Proteste keinem genauen Organisationsschema folgen, muss doch alles gut koordiniert sein. Die 200 Aktivisten müssen sich über Sauberkeit, Sicherheit und den Zeitplan für Workshops einig sein, wie sie IPS berichteten.

Ihre Nahrungsmittel besorgen sich die Bewohner des Camps teils selbst. Außerdem spenden ihnen Restaurants im Zentrum Lebensmittel. "Momentan ist die Lage wegen des Regens in der Stadt schwierig. Nahrungsmittelengpässe haben wir aber nicht", sagte der 41-jährige Ronald Stresser.

Er geht davon aus, dass sich die Besetzung des Platzes weiter hinziehen wird. Jeden Tag kommen neue Leute dazu. "Sie lassen ihre Vorurteile hinter sich und schließen sich unseren Debatten an", sagte Stresser.


Gemeinschaftsgärten in Rio

"Inzwischen gibt es sieben Milliarden Menschen auf der Welt, und die Situation ist unhaltbar geworden", beklagte er. Überall auf der Welt müsse man sich darüber bewusst werden, dass gesellschaftliche Veränderungen notwendig seien. Stresser glaubt fest daran, dass sich tatsächlich etwas verändern wird. "Die Proteste haben auf Städte in aller Welt übergegriffen. Und wir werden immer stärker."

Der 28-jährige Philosophie-Student Wander Ferreira hat sich der Nachhaltigkeitsgruppe angeschlossen und kümmert sich um das vernachlässigte Grün in der Stadt. "In der Stadt gibt es viele vergessene Ecken, in denen wir Gärten anlegen und unsere Nahrung selbst anbauen", sagte er. "Das ist eine sehr befriedigende Aufgabe und eine einzigartige Lebenserfahrung." (Ende/IPS/ck/2011)


Links:
http://www.youtube.com/watch?v=zIWBABXbi10&feature=related
http://www.youtube.com/watch?v=FvZlR3-VEJw&feature=related
http://ipsnews.net/news.asp?idnews=105722

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 7. November 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. November 2011