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INTERNATIONAL/119: Bolivien - Wenn die Straße kommt, Indigene sind bereit für den Widerstand (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 16. Juli 2012

Bolivien: Wenn die Straße kommt - Indigene sind bereit für den Widerstand

von Franz Chávez



La Paz, 16. Juli (IPS) - Die Indigenen aus dem nordbolivianischen Departement Beni machen sich wieder auf den Weg nach Hause. Nach ihrem neunten Marsch zum Regierungssitz in La Paz hatten sie 13 Tage vor den Türen des Vizepräsidentschaftsamtes ausgeharrt. Die Wache vor dem Präsidentschaftssitz von Evo Morales selbst war ihnen untersagt worden. Ihr Protest richtet sich gegen den Bau einer internationalen Fernstraße durch ihr Territorium.

Die Indigenen fürchten, dass das Vorhaben einen Teil ihres Landes zerstören und die Straße eine Ausweitung der Koka-Plantagen nach sich ziehen werde. Nach einem Marsch im Oktober 2011 erließ die Regierung ein Gesetz, das den Bau der Straße durch den Nationalpark Isiboro Sécure (Tipnis) verbietet. Doch nach einer Demonstration von Befürwortern des Projekts kündigte Morales Anfang des Jahres an, die Bürger in einer Volksbefragung entscheiden zu lassen. Der Ausgang ist noch vollkommen offen.

"Wir gehen hocherhobenen Hauptes", sagte Fernando Vargas, der den Protest angeführt hat. "Die Regierung darf keine Befragung durchführen, die unser Territorium in Frage stellt." Rund 1.000 Frauen, Männer und Kinder hatten sich auf den 600 Kilometer langen Weg zum Regierungssitz des südamerikanischen Landes gemacht. 62 Tage lang liefen sie aus den tropischen Niederungen des Landes bis in die mehr als 3.000 Meter hoch gelegene Stadt La Paz.

Passend für die Temperaturen in ihrer Heimat, aber nicht vorbereitet auf die Minusgrade, die sie in La Paz erwarteten, trugen die Indigenen Sandalen und leichte Kleidung. Die Bewohner der Stadt zeigten ihre Solidarität mit den Protestierenden, indem sie ihnen Kleidungsstücke brachten und Spielzeug für die Kinder.


Tränengas statt Dialog

Von ihrem Präsidenten sind sie enttäuscht. Morales hatte sich vor seiner Wahl der indigenen Sache verschrieben, doch statt sie anzuhören, wurden die Indigenen nun abgewiesen. Zunächst durften sie sich nicht auf dem Platz Murillo vor dem Sitz des Präsidenten aufhalten, dann wurden sie mehrere Male von der Polizei mit Wasserwerfern und Tränengas vertrieben.

"Der Präsident hatte weder mit den Frauen noch mit den Kindern Mitleid", klagte Yolanda Anderson von den Sirionó, einem kleinen Volk, das sich in den Wäldern des Departements Beni verbirgt. Auf dem Marsch begleiteten sie ihre zweijährige Tochter und ihr achtjähriger Sohn. "Das macht uns traurig."

"Nachdem der Präsident uns nicht auf dem Platz Murillo haben wollte, werden wir auch niemanden auf unser Territorium lassen", sagte Vargas. Noch deutlicher wurde Marcelino Chairiqui Bozo, Präsident des Volkes der Mosetén, der zehn Gemeinden vorsteht, die verstreut auf einer Fläche von 1.000 Hektar in den Departements Beni, Cochabamba und La Paz leben. "Wir werden dazu gezwungen, unsere Pfeile und Bögen zu benutzen, um unser Gebiet zu schützen."


Kampf ums eigene Land seit 1990

"Als man uns den Titel übergeben hat, der unser Land als Gemeinschaftsgut auszeichnet, wurde uns versichert, dass unser Land unveräußerbar und unteilbar sei", fügte Mosetén hinzu. "Wenn wir nun unser Land verteidigen, dann halten wir uns damit strikt an die Verfassung." Die Landtitel sind ein Erfolg des indigenen Kampfes. Seit 1990 wirkte das Bündnis der Indigenen Ostboliviens auf eine Verfassungsänderung hin, um das Land, auf dem die Indigenen seit Jahrhunderten leben, und das unter anderem an Großgrundbesitzer veräußert worden war, wieder zurückzugewinnen.

"Auf unserem Territorium sind wir klar im Vorteil. Wenn es notwendig ist, dann werden wir unser Leben einsetzen, um uns zu verteidigen", sagte Mosetén. "Die Regierung nötigt uns dazu, uns gegen unsere eigenen Mitbürger zu erheben."

Doch nicht nur Märsche und der bewaffnete Kampf sind Mittel, mit denen die Indigenen den Bau der Straße verhindern wollen. Einige berufen sich auch auf die Religion. "Die Regierung behandelt uns wie Verbrecher - aber in der Bibel heißt es: "Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders ...?", sagte Juana Eirubi gegenüber IPS. Die 62-Jährige hat sich trotz ihres hohen Alters an dem Marsch beteiligt. "Die aktuelle Regierung ist die schlimmste von allen", fügte sie hinzu. (Ende/IPS/jt/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Juli 2012