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INTERNATIONAL/156: Israelis gedenken der Vertreibung von Palästinensern (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 18. April 2013

Nahost: 'Nakba'-Landkarte auf Hebräisch - Israelis gedenken der Vertreibung von Palästinensern

von Jillian Kestler-D'Amours


Bild: Jillian Kestler-D'Amours/IPS

Vortrag auf Hebräisch über Palästinenser-Vertreibungen in Israel
Bild: Jillian Kestler-D'Amours/IPS

Tel Aviv, 18. April (IPS) - Mit einem großen Feuerwerk über der Skyline von Tel Aviv hat der Staat Israel kürzlich sein 65-jähriges Bestehen gefeiert. Inmitten des Jubels beschäftigt sich eine kleinere Gruppe von Israelis mit einem Aspekt der Gründungsgeschichte, der bisher weitgehend totgeschwiegen wird: der Vertreibung von Hunderttausenden Palästinensern.

Zum Unabhängigkeitstag am 15. April stellte die Gruppe 'Zochrot' (auf Hebräisch 'Erinnern') die erste Landkarte in hebräischer Sprache vor, auf der Hunderte palästinensischer Dörfer im historischen Palästina eingezeichnet sind, die seit den Anfängen der zionistischen Bewegung bis zum Krieg 1967 zerstört wurden. Ebenso sind jüdische und syrische Ortschaften eingetragen, die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts dem Erdboden gleichgemacht wurden.

Jedes verschwundene Dorf und jede Stadt sind mit einem Punkt in rot, blau, gelb, lila oder grün markiert, um auf verschiedene Charakteristika der Orte und die unterschiedlichen Formen der Vertreibung hinzuweisen. Auch die Namen der israelischen Gemeinden, die dort entstanden, wo sich ehemals palästinensische Dörfer befunden hatten, sind auf der Karte eingezeichnet.

"Es ist jetzt dafür an der Zeit, oder?" meint Zochrot-Gründer Eitan Bronstein, der erklärt, warum seine Organisation die unter dem Namen 'Nakba' bekannte Vertreibung der Palästinenser dokumentieren wollte. "Für uns ist es sehr wichtig, nicht nur die Zerstörung zu zeigen, sondern diese als Hintergrund für heutige Ereignisse darzustellen. Es ist wichtig zu erkennen, dass ein bestimmter Wohnort nahe bei einem ehemaligen palästinensischen Dorf oder einer Stadt liegt."


In israelischer Gründungszeit mehr als 500 palästinensische Dörfer zerstört

Von der Nakba (auf Arabisch: 'Katastrophe') waren etwa 750.000 Palästinenser betroffen, die vor und während der israelischen Staatsgründung 1947 bis 1948 vertrieben wurden oder flohen. Die israelische Armee zerstörte mehr als 500 palästinensische Dörfer, und die Vertriebenen dürfen bis heute nicht in ihre Häuser zurückkehren. Palästinenser bilden weltweit die größte Flüchtlingsgemeinde. Viele von ihnen leben weiterhin in Lagern im Westjordanland, im Gazastreifen sowie in Jordanien, Syrien und im Libanon.

Der 52-jährige Hanna Farah stammt aus dem palästinensischen Dorf Kufr Bir'im in der nordisraelischen Region Galiläa, unweit der Grenze zum Libanon. Seine Familie wurde 1948 vertrieben, und er wuchs in einem Lager im Heimatdorf seiner Mutter in Galiläa auf. "Ich bin und immer und ewig in Kufr Bir'im zu Hause", erklärt Farah, der inzwischen in Jaffa lebt. Er hofft nun, dass die Nakba-Karte auf Hebräisch den Israelis die Augen für ihre Geschichte öffnet.

"Wenn sie zum Grillen in den Park gehen, sitzen sie auf den Steinen palästinensischer Häuser", sagt er. "Vielleicht wird diese Karte ein bisschen wie eine Art Elektroschock wirken. Die meisten von ihnen halten sich die Augen zu, weil es für sie unangenehm ist. Vielleicht sind sie aber jetzt bereit, das Problem zu erkennen und auf einer realen Ebene zu diskutieren."

Die israelische Aktivistin Rivka Vitenberg betont, wie wichtig es sei, über Nakba zu diskutieren, vor allem in einer Gesellschaft, in deren Schulen nur die israelische Sichtweise vermittelt werde. "Als ich hier aufwuchs, erzählten uns die Lehrer immer, dass wir nur einen Staat haben, die Araber dagegen 22. Als ich von der Perspektive der Palästinenser erfuhr, merkte ich, dass dies nicht ganz stimmte, denn auch hier leben Araber."

Eine im Februar veröffentlichte Studie des Rats für religiöse Institutionen im Heiligen Land kommt zu dem Schluss, dass sowohl die israelischen als auch die palästinensischen Schulbücher eine einseitige Sichtweise vermitteln. Historische Ereignisse wie die Nakba oder der Unabhängigkeitskrieg Israels würden "selektiv dargestellt", um die jeweilige Sicht auf die nationale Geschichte zu zeigen.


Israel will Erinnerung an Vertreibungen auslöschen

Eitan Bronstein erkennt aber auch allmähliche Veränderungen in der israelischen Gesellschaft, die dazu geführt haben, dass über Nakba mittlerweile offener diskutiert wird. Dies hänge unter anderem damit zusammen, dass sich die palästinensischen Flüchtlinge mit ihrer Forderung, nach Hause zurückkehren zu können, inzwischen mehr Gehör verschaffen könnten, meint er.

Die israelische Regierung bemüht sich indes, die Nakba aus der Erinnerung zu tilgen. 2011 trat ein umstrittenes Gesetz in Kraft, das es staatlich finanzierten Institutionen untersagte, Veranstaltungen zum Gedenken an Nakba auszurichten. In dem ursprünglichen, nicht angenommenen Gesetzentwurf war vorgesehen, Hinweise auf Nakba als Straftat zu verfolgen und mit bis zu drei Jahren Haft zu ahnden. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:

http://zochrot.org/en
http://www.ipsnews.net/2013/04/mapping-palestinian-expulsions-in-hebrew/

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IPS-Tagesdienst vom 18. April 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. April 2013