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INTERNATIONAL/162: Offener Brief gegen globales Dienstleistungsabkommen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 19. September 2013

Handel: Offener Brief gegen globales Dienstleistungsabkommen - 350 Entwicklungsverbände warnen vor den Folgen

von Carey L. Biron


Bild: © Catherine Wilson/IPS

Auch Bildung, die hier in einer Schule in Papua-Neuguinea vermittelt wird, gehört zu den Dienstleistungen, über die derzeit verhandelt wird
Bild: © Catherine Wilson/IPS

Washington, 19. September (IPS) - Fast 350 internationale zivilgesellschaftliche Organisationen haben die Länder, die über ein globales Dienstleistungshandelsabkommen (TISA) verhandeln, zur Aufgabe ihres Vorhabens aufgefordert. Ein solches Vertragswerk werde sich negativ auf den universellen Zugang zu den öffentlichen Dienstleistungen und auf geltende nationale Schutzbestimmungen auswirken.

Die Handelsvertreter von fast 50 Ländern unter Führung der USA und der Europäischen Union stehen seit letztem Jahr in Verhandlungen über ein TISA-Rahmenwerk. Die Gespräche in Genf diese Woche markieren den Beginn der nächsten Verhandlungsphase: Regierungen legen nun ihre Sichtweisen zu bestimmten Aspekten des angestrebten Vertragswerks vor.

In einem offenen Brief vom 16. September warnten 341 nationale und internationale Organisationen in Vertretung Hunderter Millionen von Mitgliedern in aller Welt vor einem TISA-Abschluss. Er werde wichtige Dienstleistungen gefährden und zu einer Deregulierung führen, wie sie zum Teil schon für die letzte internationale Finanzkrise verantwortlich gewesen sei, warnen die Verbände.

Die TISA-Verhandlungen folgten einer weitgehend kommerziellen Agenda, die darauf abziele, "Handelsabkommen zur Festlegung der Länder auf extreme Liberalisierungs- und Deregulierungsmaßnahmen dazu zu nutzen, um Konzernen größere Profite zu Lasten von Arbeitnehmern, Bauern, Verbrauchern, Umwelt und vielen anderen zu beschaffen", heißt es in dem offenen Schreiben an die Adresse der an den TISA-Gesprächen beteiligten Handelsminister.


"Öffentliche Kontrolle der Dienstleistungen notwendig"

"Die Welt hat sich noch nicht vollständig von der größten globalen Wirtschaftskrise seit fast einem Jahrhundert erholt, die durch die extreme Deregulierung der Finanzindustrie ermöglicht wurde. Es ist klar, dass eine starke öffentliche Kontrolle der Dienstleistungen notwendig ist, damit den öffentlichen Interessen mehr Bedeutung beigemessen wird als dem privaten Profit", schreiben die Entwicklungsgruppen, die sich in Bereichen wie Armutsbekämpfung, Bildung, Wasser und Gesundheit engagieren.

"Dieses Abkommen wird weder von der Arbeiter- oder Umwelt-, noch von der Verbraucherfront unterstützt", meint Deborah James, Leiterin der Abteilung Internationale Programme des 'Center for Economic and Policy Research' (CEPR). Die Denkfabrik hat ihren Sitz in Washington. Das sei kein Wunder, denn es verfolge die Marktzugangsziele der reichsten Konzerne.

Zentraler Kritikpunkt ist die Ausweitung des geplanten Rahmenabkommens auf möglichst viele Sektoren wie Bildung, Wasser, Energiebereitstellung, Finanzdienstleistungen, Bau und Einzelhandel. Darüber hinaus steht zu befürchten, dass anders als bei vorangegangenen weltweiten Handelsabkommen, den Ländern nicht erlaubt sein könnte, welche Sektoren sie in dem Abkommen berücksichtigt und liberalisiert sehen wollen.

Wie von 'Public Services International' (PSI), einen Gewerkschaftsdachverband in mehr als 140 Ländern, zu erfahren ist, könnten 90 Prozent aller existierenden Dienstleistungen in das Abkommen aufgenommen werden. Das würde bedeuten, dass sämtliche Wirtschaftsaspekte einer Gesellschaft dereguliert und für den internationalen Wettbewerb geöffnet würden.

"Wir sind der Meinung, dass es bei diesem Deal darum geht, öffentliche Dienstleistungen in die Hände privater und ausländischer Konzerne zu überführen, denen es nur um Profit geht", betont die PSI-Generalsekretärin Rosa Pavanelli. "Dadurch werden die Rechte der Menschheit auf einen bezahlbaren Zugang zu wichtigen öffentlichen Dienstleistungen wie Gesundheits-, Wasser und Sanitärversorgung sowie Energie, Bildung, Sozialleistungen und Renten unterminiert und gemeinsame Güter und natürliche Ressourcen weiter ausgeplündert."


Stillhalte-Mechanismus

Auch fürchten die Kritiker, dass in das Abkommen Klauseln aufgenommen werden, die jede Regulierung der Sektoren verhindern werden. Ein solcher Stillhalte-Mechanismus sei jedoch zutiefst undemokratisch. "Starke Bestimmungen und die Kontrolle der öffentlichen und privaten Dienstleistungen sind für jede Demokratie wichtig", heißt es in dem Brief.

Unter der Gruppierung namens 'Really Good Friends of Services' ('Wirklich gute Freunde von Dienstleistungen') nehmen derzeit Australien, Chile, Costa Rica, Hongkong, Island, Israel, Japan, Kanada, Kolumbien, Mexiko, Neuseeland, Norwegen, Panama, Pakistan, Peru, Südkorea, die Schweiz, Taiwan, die Türkei und die USA an den TISA-Gesprächen teil. Auch die Mitglieder der Europäischen Union sind vertreten. Liechtenstein und Paraguay wollen sich ebenfalls den Verhandlungen anschließen.

Die TISA-Gespräche könnten sich besonders negativ auf die Volkswirtschaften der Entwicklungsländer auswirken, warnen die Gegner. "Die Dienstleistungen in den fortgeschrittenen Ländern haben meist einen Wettbewerbsvorteil", erläutert James, die den offenen Brief mit vorangebracht hatte. "Hier geht es nicht um einen Ausgleich, um den Versuch, den Entwicklungsländern einen größeren Zugang zu den Weltmärkten zu ermöglichen. Es gibt kein Modell zugunsten eines Handels für Entwicklung", versichert sie. "Hier geht es um die Bereicherung von Unternehmen, die sich einen größeren Marktzugang sichern wollen."

Die Diskrepanz trete deutlich zutage, wenn man sich die derzeitigen Unterhändlerstaaten ansehe. Die meisten seien Mitglieder der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Auf der anderen Seite des Pariser Klubs der Reichen seien acht Entwicklungsländer vertreten, die sich zumindest ideologisch an die erstere Staatengruppe anlehnten.


Kein Interesse von Lateinamerika

"Schauen wir uns die teilnehmenden lateinamerikanischen Länder an: Kolumbien, Chile, Panama und Peru sind Staaten, die sich bereits auf Freihandelsabkommen mit den USA eingelassen haben. Doch wo sind die Brasilianer und Argentinier, die sich um regionale Integration bemühen, um einen Ausgleich der Volkswirtschaften weg von einem auf Export ausgerichteten Wachstum und die in nationalen und sozialen Ausgaben gute Chancen sehen? Sie nehmen nicht teil."

Die Organisatoren der laufenden TISA-Gespräche wollen bis Jahresende, wenn der Gipfel der Welthandelsorganisation (WTO) in Indonesien stattfindet, substanzielle Fortschritte erzielt haben. Im nächsten Jahr soll das Abkommen dann stehen. (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

http://www.ourworldisnotforsale.org/en/signon/international-civil-society-sends-letter-governments-opposing-proposed-trade-services-agreeme
http://www.ipsnews.net/2013/09/proposed-global-accord-called-a-disaster-for-public-services/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 19. September 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. September 2013