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BERICHT/131: Menschenrechte in Afghanistan (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 1/2007
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Wirtschaftliche und soziale Menschenrechte in Afghanistan

Von Britta Schweighöfer


Selbstmordattentate, Bomben, kriminelle Übergriffe: fragt man sich, was für die Zukunft Afghanistans Priorität hat, so scheint die Antwort auf der Hand zu liegen - zunächst einmal die Verbesserung der Sicherheitslage. Ein nicht geringer Teil der AfghanInnen bewertet dies offenbar anders. Auf die Frage nach den drei größten Herausforderungen und Problemen, die für die Zukunft gelöst werden müssen, antworten sie mit den Stichworten Wasserversorgung, Einkommensmöglichkeiten, Gesundheitswesen, Wohnen, Bildung und Nahrung.


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Die Umfrage ist Teil der Datengrundlage des Berichts zu wirtschaftlichen und sozialen Menschenrechten in Afghanistan, der im Mai letzten Jahres von der Unabhängigen Afghanischen Menschenrechtskommission herausgegeben wurde. Er deckt eine breite Palette von Themen ab - darunter Nahrung, Kinderarbeit, Land- und Eigentumstitel, Zugang zu Wasser, Gesundheit, Bildung sowie den Zugang zu Rechtsmitteln. Dem Bericht liegen unter anderem fast 8.000 Interviews zugrunde, wobei die Schwerpunkte zum einen auf den ländlichen Raum, zum anderen auf besonders gefährdete Gruppen (Minoritäten, von Frauen geführte Haushalte, alte Menschen, RückkehrerInnen, intern Vertriebene und andere) gelegt wurden. 38 Prozent der Befragten sind Frauen. Damit ist die Studie nicht im statistischen Sinne repräsentativ, wirft trotzdem aber vielfältige Schlaglichter auf die afghanische Lebensrealität.

So geben zum Beispiel fast 13 Prozent der Befragten an, von Entwicklungsprojekten - hauptsächlich in den Bereichen Wohnen und Landzugang - ausgeschlossen worden zu sein. Interessant auch die genannten Gründe, auf die der Ausschluss zurückgeführt wird. Gut 40 Prozent glauben, dies sei entweder durch Armut oder aufgrund einer nicht geleisteten Bestechung bedingt. Fast 19 Prozent führen ihre ethnische Zugehörigkeit an. Auch wenn die Antworten als Eigenwahrnehmung der Situation zu verstehen sind - und nicht zwingend die Realität widerspiegeln - sollten sie jede Entwicklungsorganisation doch zumindest aufhorchen lassen, denn fast alle Programme folgen dem Anspruch, sich gerade an die ärmsten und verletzlichsten Gruppen der Gesellschaft zu richten. Zumindest ein kritischer Blick auf die eigene Projektarbeit scheint angeraten.

Interessant auch die eingeschlagenen Lösungswege bei Konflikten, die vor allem um Landtitel, Eigentums- und Wasser(nutzungs-)rechte auftreten. Zu fast 55 Prozent wurden in der Konfliktlösung traditionelle Institutionen wie "Shuras", Ältestenräte oder Mullahs angefragt, zu gut 38 Prozent wurden die Probleme an Regierungsvertreter, Gerichte oder die Polizei herangetragen. Eben diese Institutionen - die Vertrauen in staatliche Akteure aufbauen sollten - scheinen zu versagen. Mit fast 58 Prozent fuhren sie die Liste der Personen an, die zur Problemlösung nichts beigetragen haben.

Afghanistan hat den internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte 1983 ratifiziert. Die Rechte auf Gesundheit und auf Bildung sind seit 2004 auch Bestandteil der Verfassung und damit im nationalen Rechtsweg einklagbar. Folglich schließt der Bericht der Unabhängigen Afghanischen Menschenrechtskommission auch mit einem klarer Empfehlungsbündel an die Regierung. Dazu zählen auch, die Verpflichtungen Afghanistans aus dem WSK-Pakt zur Grundlage der "Nationalen Entwicklungsstrategie" zu machen und Armut als Verletzung von Menschenrechten anzuerkennen. Weiter werden eine verbesserte Datenerhebung, ein klares Verständnis darüber, wer die betroffenen Gruppen sind, Monitoring-Mechanismen und Berichterstattung angemahnt. Auch die internationale Gemeinschaft wird hierbei unterstützend in die Pflicht genommen.

Übrigens sagten über 80 Prozent der befragten AfghanInnen, dass sie positiv in die Zukunft blicken. Ob dieser optimistische Blick gerechtfertigt ist, wird auch davon abhängen, ob die Wahrnehmung der westlichen Welt weiterhin um Sicherheitsfragen und Terrorismus kreist, so wie vermutlich auch bald der deutsche Tornado über Südafghanistan.

Die Autorin ist Geschäftsführerin von FIAN-Deutschland

Der volle Bericht "Economic and Social Rights
in Afghanistan" ist einsehbar unter
http://www.aihrc.org.af/indexeng.htm

Schätzungsweise 38 Prozent der ländlichen Haushalte (sechs Millionen Menschen) sind von chronischem oder vorübergehendem Nahrungsmangel betroffen.
Viele davon sind von Frauen geführte Haushalte, Haushalte mit einer hohen Kinderzahl und/oder behinderten Familienangehörigen und leben in Gebieten, die beschränkten Zugang zu Bewässerung, Märkten und Dienstleistungen haben.
Schätzungsweise 41 Prozent der Kinder unter fünf Jahren sind unterernährt.
Die Rate der Müttersterblichkeit ist eine der höchsten weltweit.
1.600 Todesfälle auf 100.000 Geburten.
42 Prozent der Befragten geben an, keinen Zugang zu ausreichendem und über 50 Prozent keinen Zugang zu sauberem Wasser zu haben.
Über 60 Prozent der Befragten geben an, dass der Haushalt verschuldet ist. Im Schnitt in der Höhe von sechs Jahreseinkommen.

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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 1/2007, März 2007, S. 13
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Juli 2007