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BERICHT/138: Hungerkatastrophen - Ursachen, Folgen, Strategien (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 2/2007
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Hungerkatastrophen - Ursachen, Folgen, Strategien

Von Ulrich Post und Rafael Schneider


Hunger und Unterernährung sind immer noch die Gesundheitsrisiken Nr. 1 weltweit; sie verhindern, dass Menschen ein aktives Leben in Würde führen. Die FAO schätzt die Zahl der Hungernden auf weltweit 854 Millionen, das heißt einer von sieben Menschen leidet an Hunger und Unterernährung. In 31 Ländern spitzt sich die Hungerkrise derzeit zu einer Hungerkatastrophe zu.


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Afrika zählt 23 Hungerkrisenländer, es folgen Asien (sieben Länder) und Lateinamerika (ein Land). Die UN schätzen, dass etwa acht Prozent der durch Hunger verursachten Todesfälle durch Hungerkatastrophen verursacht werden. Nur in den seltensten Fällen sind diese Katastrophen durch ein einzelnes Naturereignis ausgelöst worden. Hungersnöte sind eine dramatische Störung des sozialen wirtschaftlichen und institutionellen Gefüges einer Gemeinschaft, das normalerweise die Produktion, Verteilung und Konsum von Nahrungsmitteln regelt. Hungersnöte sind zumeist auf ein Zusammenwirken von politischem, wirtschaftlichem und ökologischem Fehlverhalten zurückzuführen und dadurch sehr vielschichtig.


Komplexe Ursachen

Laut FAO wurden 17 der 31 Hungerkrisen Anfang 2007 durch Bürgerkriege und Konflikte ausgelöst. Ströme von Vertriebenen und Flüchtlingen können in Ländern wie Zentralafrikanische Republik, Elfenbeinküste, Demokratische Republik Kongo, Guinea, Sudan aber auch Afghanistan oder Timor-Leste nicht mehr ausreichend mit Nahrung versorgt werden und machen häufig externe Nahrungsmittelhilfe notwendig. In anderen Ländern führte die verschlechterte Sicherheitslage zur Aufgabe der existenziell wichtigen lokalen Landwirtschaft (Zentralafrikanische Republik, Somalia, Tschad). Ist die Krise weitgehend überwunden, zeigt sich der Wiederaufbau der Landwirtschaft in Post-Konfliktländern als sehr langwieriger Prozess. Sierra Leone und Liberia sind Beispiele für Post-Konftiktländer, deren Landwirtschaft bis heute keine Hungerkrisen zu vermeiden vermag.

Witterungsbedingte Ursachen, die immerhin zu 14 der 31 aktuellen Hungerkrisen führten, sind angesichts der aktuellen Klimaprognosen besorgniserregend. Denn hier sind mehrfache Dürren und Hochwasser die Hauptverursacher von Hungerkatastrophen. Zwar sind die meisten dieser Hungerkrisen an weitere Faktoren wie Konflikte gekoppelt, aber mit Mauretanien, Madagaskar, Kenia und Bolivien (hier auch Frost in den Höhenlagen) liegen Fälle vor, deren Ursachen im Wetterverlauf liegen. Die Zunahme von Dürreperioden in bereits heute trockenen Regionen und die höhere Hochwassergefahr in Feuchtgebieten sind Prognosen (IPCC-Berichte 2007), die das Hungerkatastrophenrisiko in vielen Entwicklungsländern, vor allem aber in Afrika, verstärken werden. Um Hunger und Hungerkatastrophen zu verstehen, vorherzusehen und zu vermeiden, wird es zunehmend wichtig sein, die vielfältigen künftigen Folgen der globalen Klimaerwärmung in die Betrachtung der Ursachen einzubeziehen. Es ist davon auszugehen, dass künftig durch Klimawandel gepaart mit Bevölkerungswachstum bislang fruchtbare Lebensräume vieler Menschen sich zunehmend zu landwirtschaftlichen Ungunsträumen entwickeln werden - also in Trockengebiete, Hochwasserbereiche, Überflutungsräume in Küstenlagen oder in Zonen, die vielfach von tropischen Wirbelstürmen betroffen werden.


Neue Bedrohungen

Die Zunahme von Nahrungsmittelknappheit, Wassermangel, fehlenden Landwirtschaftlichen Nutzflächen und die daraus resultierenden Migrationen haben das Potenzial, zu Konflikten um Existenzrechte und zur Zunahme von Hungerkatastrophen zu führen. In diesem Kontext spielt auch die Frage der erneuerbaren Energien und insbesondere der Biomassengewinnung zur Kraftstoffherstellung eine wichtige Rolle. Die Ernährungslandwirtschaft wird künftig mit der Landwirtschaft zur Energiegewinnung konkurrieren müssen. Ernährungssicherung und Energiesicherheit sind dadurch nicht mehr voneinander zu trennen. Die Vielfältigkeit der Ursachen für Hungerkrisen nimmt insgesamt erheblich zu.

Aber nicht nur Klima und Krisen verursachen Hungerkatastrophen. Ein besonderes Augenmerk gilt auch der Gesundheit. So haben beispielsweise Cholera und Dengue-Epidemien schon mehrfach Hungerkrisen ausgelöst, weil sie der Landwirtschaft die Arbeitskräfte rauben. Eine zunehmend strukturelle Bedeutung nimmt HIV/AIDS ein: In Lesotho und Swaziland verursachten Dürrejahre gekoppelt mit einer hohen HIV/AIDS-Prävalenz Hungerkrisen. Die HIV/AIDS-Pandemie führt in allen Wirtschaftsbereichen, so auch in der Landwirtschaft, zu einem Teufelskreis zwischen sinkender Arbeitsleistung, sinkender Erträgen, zunehmendem Hunger und dadurch weiter abfallender Arbeitsleistung - mit katastrophalem Ausgang.


Zugang zu Ressourcen zentral

Alle Hungerkatastrophen spielen sich in Armutsländern ab. Hunger ist eine besonders schlimme Form der Armut. Akut hungernde Menschen verlieren sowohl die physische wie auch die psychische Kraft, sich selbst aus ihrer Lage zu befreien - sie befinden sich in einem Zustand der Not und sind auf Hilfe angewiesen. Hunger und Armut hängen zusammen, und es ist unbestritten, dass sie sich gegenseitig verstärken und Entwicklung verhindern. Denn wer hungert, kämpft nur noch ums Überleben.

Hunger und Armut haben vielfältige Ursachen, sie sind aber immer Folge eines mangelnden Zugangs zu Ressourcen, Errungenschaften, Leistungen und Möglichkeiten, die eine Gesellschaft - insbesondere eine globalisierte Gesellschaft - bietet. Der Zugang zu Ressourcen bleibt im Katastrophenfall den Reichen und den Machthabenden vorbehalten. Macht und Ohnmacht sind daher die Extreme, die Hungerkrisen kennzeichnen. Ausgewogene Machtverhältnisse hingegen führen zu einem gerechteren Zugang zu Ressourcen. Amartya Sen hat festgestellt, dass es in keiner funktionierenden Demokratie jemals zu einer Hungersnot gekommen ist. Demokratische Strukturen begünstigen die Verwirklichung der Menschenrechte, auch des Rechts auf Nahrung. Gesellschaftlich getragene soziale Netzwerke können in der Demokratie auch im Krisenfall funktionieren und sichern damit auch marginalisierten Menschen, die zunehmend wenig differenzierend als the vulnerables stigmatisiert werden, den Zugang zu Nahrung und Wasser.

Das Menschenrecht auf Nahrung mit den zugehörigen Freiwilligen Leitlinien sichert nicht nur allen Menschen eine adäquate Ernährung zu jedem Zeitpunkt zu, es verpflichtet sogar die einzelnen Staaten, dieses Recht zu verwirklichen. Doch gerade in Konftiktländern, meist sogenannten failing und failed states (gescheiterten Staaten), tun sich Regierungen schwer, dieser Pflicht nachzukommen. Mangel an Warn- und Informationssystemen, aber auch Desinteresse führen dazu, dass Hungerkatastrophen nicht erkannt und den Vereinten Nationen nicht oder zu spät gemeldet werden. Ist der Katastrophenfall jedoch eingetreten, gestaltet es sich schwierig, zeitnah eine adäquate Bedürfnisanalyse durchzuführen. Für eine effiziente Nahrungsmittelhilfe, die in einer langfristigen Entwicklung mündet, ist eine fundierte Bedarfsanalyse jedoch unerlässlich. Sie vermeidet, dass hilfsbedürftige Menschen von adäquater Nahrungsmittelhilfe ausgeschlossen werden und sichert den Wiederaufbau der lokalen Landwirtschaft und Märkte nach Überwindung der Hungerkatastrophe ab.

Hungersnöte treten in aller Regel nicht plötzlich auf, sondern entwickeln sich langsam, insbesondere dort, wo es an Prävention mangelt. Zur Prävention, zur Vermeidung und Überwindung von Hungerkatastrophen sind Frühwarnsysteme notwendig, die rechtzeitige, angepasste und effiziente Maßnahmen ermöglichen. Hungerkatastrophen zu vermeiden oder zu beenden bedeutet, aufkommende komplexe Krisen zu erkennen und zu bewältigen. Die vielschichtigen Faktoren, die zur frühzeitigen Erkennung einer sich anbahnenden Hungerkatastrophe zu erfassen sind, zeigen sich in einer Zunahme struktureller Armut: Wenn Armut zunimmt, Menschen den Zugang zu lebenswichtigen Ressourcen verlieren und die vorhandenen Armut reduzierenden Systeme versagt haben, muss der Einsatz von Nahrungsmittelhilfe geprüft werden. Die Herausforderung, rechtzeitig eine Zunahme der Armut zu erfassen, macht den Einsatz qualifizierter Fachkräfte notwendig und kommt in erster Linie den jeweiligen Staaten zu. Insbesondere in Konfliktländern, aber auch in Regionen, die zunehmend vom Klimawandel bedroht werden, sollten lokale und internationale Organisationen sich verpflichtet sehen, zur Wahrung des Rechts auf Nahrung beizutragen und aufkommende Hungerkatastrophen frühzeitig zu signalisieren.

Die Autoren sind Mitarbeiter der Deutschen Welthungerhilfe.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 2/2007, März 2007, S. 4-5
Herausgeber: FIAN-Deutschland e.V., Düppelstraße 9-11, 50679 Köln
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Erscheinungsweise: drei Ausgaben/Jahr
Einzelpreis: 4,50 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. August 2007