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BERICHT/155: Die Welternährungsorganisation unter Reformdruck (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 1/2008
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Die Welternährungsorganisation unter Reformdruck
Chance aber auch hohe Risiken für die Umsetzung des Rechts auf Nahrung

Von Michael Windfuhr


Welternährungs- und Weltagrarfragen erleben derzeit eine Renaissance auf der internationalen politischen Agenda. Zu den alten sind große neue Herausforderungen hinzugetreten, vor allem der Klimawandel, gestiegener Fleischkonsum und der Boom von Agrartreibstoffen. Tragisch, dass die Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO = food and Agriculture Organisation) ausgerechnet in dieser Situation in einer tiefen Krise steckt.


Seit Jahren schwindet das Vertrauen der Mitgliedsstaaten in die FAO. In der Folge ist das reguläre Budget deutlich gesunken - auf derzeit bescheidene 360 Millionen US-Dollar. Viele Geber wickeln außerdem große Teile ihrer Mittel für die FAO in Form von bilateralen Projekten oder Fonds ab, da hierbei ihr Einfluss auf die Ausgestaltung der Projektarbeit größer ist. Die FAO steht unter großem Reformdruck. 2008 wird wohl ein Schlüsseljahr. In den kommenden Monaten wird über die Empfehlungen einer unabhängigen externen Evaluierung beraten, die in den letzten zwei Jahren durchgeführt wurde. Wichtige Entscheidungen stehen im Herbst 2008 auf einer Sondersitzung der FAO-Konferenz an. Zur Debatte stehen dabei nicht nur institutionelle und Managementfragen, sondern gerade auch die zukünftige inhaltliche Prioritätensetzung und Ausrichtung der FAO.


Negative Evaluierung

Die Gesamtbilanz der Evaluierung ist für die FAO eindeutig negativ. Zwar erbringe sie weltweite Dienstleistungen und öffentliche Güter, die von keiner anderen Stelle übernommen oder geleistet werden könnten, besonders im Bereich der Standardsetzung und der Verarbeitung von Erkenntnissen rund um das Thema Welternährung. Trotzdem stecke die FAO insgesamt in einer substanziellen Krise: Das Vertrauen vieler Mitglieder und Geber in die Leistungsfähigkeit der Organisation ist gering. Die Arbeit in den Mitgliedsländern wird als besondere Schwachstelle hervorgehoben. Durch den Rückgang der Haushaltsmittel seien selbst in den Arbeitsbereichen, in denen die FAO Stärken hat, oft kaum noch ausreichende Kapazitäten vorhanden. Das Management wird als zu hierarchisch, bürokratisch und machtkonzentriert charakterisiert. Dies sei auch einer der Gründe für die besonders schlechte Stimmung im Mitarbeiterstab. Engagement und Risikobereitschaft würden systematisch untergraben, deshalb seien umfassende Reformen notwendig.

Während die FAO mit der Umstrukturierung und Prioritätensetzung befasst ist, werden Agrarthemen international derzeit von anderen zwischenstaatlichen und privaten Akteuren besetzt. Die Weltbank hat den Weltentwicklungsbericht 2008 dem Thema Landwirtschaft gewidmet. Mit der Bill and Melinda Gates Foundation (BMGF) ist ein neuer Geber entstanden, dessen Budget inzwischen deutlich größer ist als das der FAO. Die privaten Akteure puschen besonders die Durchführung einer Grünen Revolution für Afrika. Ihr Entwicklungsmodell setzt auf technische Innovationen, die mit marktfähigen Bauern in Afrika umgesetzt werden soll. Es fehlen überzeugende Rezepte, um die Marginalisierung der Kleinbauernfamilien zu überwinden, die Hauptursache des Hungers.


Recht auf Nahrung stärken

Der Weltbank und privaten Stiftungen das Feld der Landwirtschaft und Ernährung zu überlassen, wäre fahrlässig. Die Zivilgesellschaft muss daher in den nächsten Monaten einen Spagat üben: sich für eine Organisation mit teilweise schwacher Erfolgsbilanz und bisweilen zweifelhafter Ausrichtung einsetzen. Es gilt, die FAO als Organisation zu stärken und zugleich sicher zu stellen, dass die Bekämpfung des Hungers mehr Priorität bekommt, Deutsche Nichtregierungsorganisationen wie Brot für die Welt und Welthungerhilfe haben der Bundesregierung schon Vorschläge für eine neue Prioritätensetzung in der FAO gemacht. Mut macht derzeit, dass das Recht auf Nahrung immer besser in der Wahrnehmung der FAO verankert wird. Dass der Welternährungstag im Oktober 2007 unter dem Motto "Recht auf Nahrung" organisiert wurde, ist ein Symbol, dass noch vor Jahren undenkbar gewesen wäre. Es ist ein Beleg dafür, dass jahrelange Lobbyarbeit von Nichtregierungsorganisationen - in diesem Falle besonders auch die von FIAN - Erfolg haben kann.


Der Autor ist Leiter des Team Menschenrechte im Diakonischen Werk der EKD/Brot für die Welt.


"Die Polizisten feuerten Warnschüsse. Wir machten die Straße nicht frei, nach jedem Schuss schrieen wir "Ho!". Plötzlich wurde mein ganzes Bein taub. Ich schrie: "Ich bin angeschossen!" (...) Wir hatten demonstriert, weil manche von uns seit drei Jahren auf Entschädigung für ihre enteigneten Felder warteten. Alle kamen, selbst die ältesten Großmütter, etwa 600 Leute."
Kwaku Addae, Landwirt, über seine Schusswunde - Dorf Sansu bei Obuasi


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 1/2008, S. 14
Herausgeber: FIAN-Deutschland e.V., Briedeler Straße 13, 50969 Köln
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Erscheinungsweise: drei Ausgaben/Jahr
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. August 2008