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BERICHT/180: Agrarreform in China (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 1/2009
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Agrarreform in China

Von Uwe Hoering


Mitte Oktober 2008 verabschiedete das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Chinas einen Reformvorschlag, der den Bauern erlaubt, ihre Landnutzungsrechte abzutreten, etwa durch Verpachtung. Triebkräfte hinter dieser Reform sind die wachsende Ungleichheit zwischen Stadt und Land, die verbreiteten Bauernproteste und die Notwendigkeit, Chinas Landwirtschaft zu modernisieren.


Mit einer Landreform begann vor 30 Jahren Chinas Marsch in die wirtschaftliche Liberalisierung. 1978 ordnete der damalige Parteichef Deng Xiaoping an, dass die dörflichen Kommunen jedem Haushalt ein Stückchen Land zur Verfügung stellen sollten. Die Familien durften selbst entscheiden, was sie anbauten, und einen Teil des Ertrages verkaufen. Inzwischen werden nahezu alle Agrarprodukte privat vermarktet. Dieses "Haushalts-Vertragssystem" steigerte die Produktivität der Familienbetriebe deutlich, bis 1984 wachsen ihre Einkommen im Schnitt um 15 Prozent im Jahr.

1984 markiert den Beginn der exportorientierten Industrialisierung und der Vernachlässigung ländlicher Gebiete. Der Bau von Industriegebieten, Einkaufszentren und Wohnblöcken hat zu einer dramatischen Verringerung der landmirtschaftlichen Nutzfläche geführt. Die bereits kleinen Äcker der Familienbetriebe sind heute auf im Schnitt weniger als einen halben Hektar reduziert. Nach dem anfänglichen Produktivitätsschub in den 1980er Jahren stagnierte die Erzeugung von Grundnahrungsmitteln. Steigende Einfuhren, insbesondere von Getreide, Soja und Speiseöl, bedrohten die Ernährungssicherheit. Die Einhaltung des offiziellen Ziels, nicht mehr als fünf Prozent der benötigten Nahrungsmittel zu importieren, ist gefährdet. Dabei unterstreichen die jüngsten spekulativen Preissteigerungen eindrucksvoll die Gefahren einer übermäßigen Abhängigkeit vom schwankenden Weltmarkt.


Regierung reagiert auf Bauernproteste

Die im Oktober 2008 beschlossene Reform ist nicht zuletzt eine Antwort auf die zahlreichen Proteste von Bauern gegen die Beschlagnahme von Land durch Kader und Beamte für Bodenspekulation und oftmals fragwürdige Entwicklungsprojekte, meist ohne ausreichende Entschädigung. Die Reform soll ihnen größere Sicherheiten geben wie zum Beispiel eine garantierte Pachtzeit von mindestens 30 Jahren. Theoretisch können Bauern zudem von steigenden Landpreisen profitieren, indem sie ihr Land weiter verpachten, etwa wenn sie auf Arbeitssuche in die Städte abwandern. Privateigentum an Land soll es auch in Zukunft nicht geben. Weiterhin soll Land entweder dem Staat oder den Dorfkollektiven gehört. Auch schließt sie explizit eine Nutzungsveränderung aus, um die verbliebene landwirtschaftliche Nutzfläche gegen weitere Einschränkung durch Spekulation, Urbanisierung und Industrien zu verteidigen.

Rund 700 Millionen Menschen, etwa die Hälfte der chinesischen Bevölkerung, leben nach wie vor zumindest teilweise von der Landwirtschaft, die oft Subsistenzproduktion ist. Der Staat hofft nun, durch die neue Landpolitik, durch höhere staatliche Aufkaufpreise für Getreide und durch die Subventionierung von Dünger und Infrastruktur das wachsende Einkommensgefälle zwischen Stadt und Land zu verringern. Bis 2020 soll sich das ländliche Pro-Kopf-Einkommen von gegenwärtig etwa 590 US-Dollar/350 Euro im Jahr verdoppeln. Darüber hinaus wird erwartet, dass die Maßnahmen helfen, die Inlandsnachfrage zu stärken und durch ein höheres Angebot von Agrarprodukten die Inflation zu bremsen. Damit könnte China die Auswirkungen der gegenwärtigen Krise und der Rezession in wichtigen Exportmärkten besser abfedern.


Verdrängungsgefahr bleibt

Allerdings ist es fraglich, ob die Reform ausreichen wird, um lokale Machthaber von der Bodenspekulation auszuschließen. Nach wie vor haben die Dorfkomitees, die überwiegend von Parteivertretern dominiert werden, erheblichen Einfluss auf die Landzuteilung und die Übertragung von Nutzungsrechten. Darüber hinaus warnen selbst parteiinterne Kritiker davor, dass die Reform Bauern dazu verführen könnte, ihre Nutzungsrechte leichtfertig und billig abzugeben. Damit würden Millionen landloser Arbeiter geschaffen. Bislang ist der eigene Acker für viele der bis zu 200 Millionen ArbeitsmigrantInnen eine Sicherheit, auf die sie sich zurückziehen können, wenn die niedrigen Löhne, die miserablen Arbeitsbedingungen oder Entlassungen sie zwingen, in die Dörfer zurück zu gehen. Die gegenwärtige Krise, die voll auf diese Arbeiterinnen und Arbeiter durchschlägt, zeigt, wie notwendig das ist.

Der Autor ist freier Journalist.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 1/2009, S. 11
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Mai 2009