Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → FIAN

BERICHT/194: Welternährungsgipfel - Gipfel des Stillstands (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 3/2009
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Welternährungsgipfel - Gipfel des Stillstands

Von Armin Paasch


Auf dem Welternährungsgipfel 1996 hatten die Regierungen versprochen, die Anzahl der chronisch Unterernährten bis 2015 zu halbieren. Als die Regierungen jetzt vom 16.-18. November 2009 abermals zum Gipfel in Rom zusammentraten, standen sie vor einem Scherbenhaufen. Fast drei Viertel der Zeit sind abgelaufen, und die Zahl der Hungernden ist nicht gesunken, sondern übersteigt erstmals in der Menschheitsgeschichte eine Milliarde. Auf eine selbstkritische Analyse und einen Kurswechsel in der Welternährungspolitik hoffte man auf dem Gipfel trotzdem vergebens. Die Staatsoberhäupter der G8 stellten sich der Diskussion erst gar nicht und blieben zu Hause. Außer Silvio Berlusconi, der hatte es ja nicht weit.


Eine Abschlusserklärung ist gewöhnlich eine Erklärung zum Abschluss eines Gipfels. Anders bei diesem Gipfel. Kaum hatte er begonnen, da zauberten die Regierungen auch schon ihre Erklärung hervor, die sie in den Wochen zuvor ausgehandelt hatten. Stolz verkündete Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner im Deutschlandfunk: "Das Recht auf Nahrung wird erstmals auch ausdrücklich von allen Staaten bestätigt. Das ist für uns ein ganz wichtiger Punkt." Ein Scheinerfolg, denn das Recht auf Nahrung ist seit 1976 im Internationalen Pakt für Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte rechtsverbindlich anerkannt. Auch haben schon 2004 alle Mitgliedstaaten der Welternährungsorganisation FAO umfassende Leitlinien zum Recht auf Nahrung einstimmig verabschiedet.

Dass die bloße Nennung des Rechts auf Nahrung 2009 als Erfolg gefeiert wird, lässt den Mangel an Substanz in den Beschlüssen erahnen. Tatsächlich ist die Erklärung in weiten Teilen ein Dokument des Stillstands. Es fehlen neue und verbindliche Zusagen von Entwicklungsgeldern für eine nachhaltige ländliche Entwicklung. In einem früheren Entwurf hatte es noch geheißen, der Anteil der ländlichen Entwicklung an den Entwicklungsgeldern solle von drei auf 18 Prozent angehoben werden, also auf den Stand von 1980. Die Endversion begnügt sich dagegen mit der Wiederholung der G8-Zusage von L'Aquila, innerhalb der nächsten drei Jahre 20 Milliarden US-Dollar zur Ernährungssicherung zu mobilisieren. Unbeantwortet bleibt auch die Frage, welche Art von Landwirtschaft gefördert werden soll: auf Hochtechnologie und Weltmarkt ausgerichtete oder ökologisch und lokal angepasste Anbaumethoden?

Auffällig ist auch die nahezu komplette Ausblendung internationaler Ursachen des Hungers. Die Erklärung erwähnt weder den Ausverkauf von Land in Afrika und Asien an ausländische Staaten und Konzerne, noch das Agrardumping vieler Industrieländer. In Sachen Agrarhandel pocht die Erklärung gebetsmühlenartig auf einen Abschluss der Verhandlungen in der Welthandelsorganisation (WTO) und eine weitere Liberalisierung der Märkte. Zur Spekulation und dem öffentlich geförderten Boom der Agrartreibstoffe, zwei zentralen Faktoren der Preissprünge bei Nahrungsmitteln 2007 und 2008, empfehlen die Regierungen weitere Untersuchungen und Dialog, aber keinerlei Gegenmaßnahmen. Es passt in dieses Bild, dass das Menschenrecht auf Nahrung in der Erklärung ausschließlich als Verantwortung der Entwicklungsländer dargestellt wird.

Als Lichtblick werten Nichtergierungsorganisationen und soziale Bewegungen hingegen die Rückendeckung des Gipfels für das Komitee zur Welternährungssicherung (CFS) der UNO. Bereits im Oktober war dieses seit 1996 bestehende Komitee grundlegend reformiert und aktuell zum zentralen Gremium für die Koordination, Strategiebildung und Überwachung von Welternährungspolitik aufgewertet worden. Stimmrecht haben nur Regierungen, doch zivilgesellschaftliche Organisationen, insbesondere von Kleinbauern, LandarbeiterInnen, Indigenen und Nomaden, erhalten weit reichende Mitspracherechte. Eine wichtige Arbeitsgrundlage sind die FAO-Leitlinien für das Recht auf Nahrung.

Welchen Einfluss das Komitee entfalten kann, muss sich erst noch erweisen. Voraussetzung ist, dass die vom Komitee zu erarbeitende "globale Rahmenstrategie" als verbindliche Maßgabe für Landwirtschafts-, Handels-, Sozial- und Entwicklungspolitik für internationale Organisationen anerkannt wird. Das muss auch für die Weltbank und den Internationalen Währungsfonds gelten. Ob dies gelingt, ist jedoch sehr fraglich. Die USA und einige andere G8-Staaten setzen sich derzeit dafür ein, die 20 Milliarden US-Dollar von L'Aquila an einen Treuhandfonds der Weltbank zu übertragen. Wenn die Ressourcen der Weltbank zugeschoben werden, droht die UNO auf dem Abstellgleis zu landen. Beim G20-Gipfel in Pittsburgh hatte sich die Bundesregierung noch gegen diesen Vorschlag gewendet. Es bleibt zu hoffen, dass sie bei dieser Haltung bleibt und sich für eine Stärkung der UNO einsetzt.

Der Autor ist Handelsreferent von FIAN-Deutschland.


*


Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 3/2009, Juni 2009, S. 3
Herausgeber: FIAN-Deutschland e.V., Briedeler Straße 13, 50969 Köln
Tel. 0221/702 00 72, Fax 0221/702 00 32
E-Mail: fian@fian.de
Internet: www.fian.de

Erscheinungsweise: drei Ausgaben/Jahr
Einzelpreis: 4,50 Euro
Abonnementpreis: Standardabo 15,- Euro,
Förderabo 30,- Euro (Ausland zzgl. 10,- Euro)


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Dezember 2009