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BERICHT/204: Blumenarbeiter fordern existenzsichernde Löhne (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 3/2009
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

NEUES AUS DER BLUMENKAMPAGNE

"Wir arbeiten für Steine"
BlumenarbeiterInnen fordern Existenz sichernde Löhne

Von Gertrud Falk


Die Forderung nach menschenwürdigen Arbeitsbedingungen ist im Zuge der Globalisierung lauter geworden. Die Verlagerung der Produktion in Länder mit niedrigem Lohnniveau und geringen Auflagen zu Arbeitnehmerrechten und Umweltschutz hat zwar Arbeitsplätze in Entwicklungsländern geschaffen. Allerdings können die Arbeitsbedingungen in der Regel kaum als menschenwürdig bezeichnet werden. Sie entsprechen nicht menschenrechtlichen Standards. Dies gilt auch für die Löhne.


Verletzung sozialer Menschenrechte

Auch die Löhne in Blumenbetrieben in Afrika und Lateinamerika sind in der Regel so niedrig, dass sie gemäß der Menschenrechtsnormen nicht als angemessen gelten können. Ugandische BlumenarbeiterInnen verdienen im Durchschnitt 25 Euro pro Monat. Davon können sie sich und ihre Familien nicht ausreichend ernähren, geschweige denn Schulgebühren ihrer Kinder bezahlen. Allein für den Lebensmittelbedarf einer Familie brauchen sie den doppelten Betrag "Wir sagen deswegen, dass wir für Steine arbeiten", macht die ugandische Blumenarbeiterin Mary Adio (Mame geändert) die Not deutlich. Kenianische BlumenarbeiterInnen klagen vor allem über den zu niedrigen Mietzuschlag, der auch einer mehrköpfigen Familie nur die Anmietung eines Wohnraumes ermöglicht. In Ecuador benötigen BlumenarbeiterInnen gemäß des Nationalen Amts für Statistik das Zweieinhalbfache des Mindestlohns um die Grundbedürfnisse einer Familie zu decken.

Auch die ArbeiterInnen anderer afrikanischer und lateinamerikanischer Länder klagen darüber, dass ihr Lohn nicht die Kosten für grundlegende Bedürfnisse wie Nahrung, Wohnung, Kleidung, Bildung, Gesundheitsversorgung, Strom und Fahrtkosten deckt. Auf der internationalen Konferenz zu den Arbeitsbedingungen im Blumensektor, die am 23. und 24. September in Nairobi stattgefunden hat, haben daher die teilnehmenden Michtregierungsorganisationen (NRO) und Gewerkschaften gefordert, dass die Zahlung Existenz sichernder Löhne weltweit im Sektor verpflichtend wird.


Existenz sichernder Lohn ist Menschenrecht

Es gibt keine international verbindliche Definition von "Existenz sichernder Lohn". Gewerkschaften definieren ihn als einen Lohn, der ausreicht, um grundlegende Bedürfnisse zu decken und darüber hinaus gehende Mittel zur Verfügung zu haben. Ein Existenz sichernder Lohn ist also mehr als ein Mindestlohn, der zur bloßen Deckung von Grundbedürfnissen ausreicht.

In den Menschenrechtsnormen kommt zwar der Begriff "Existenz sichernder Lohn" nicht vor. Sie verpflichten aber dennoch den Staat für ein befriedigendes und gerechtes Einkommen zu sorgen, das ein menschenwürdiges Leben ermöglicht. In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte heißt es in Artikel 23,3: "Jeder, der arbeitet, hat das Recht auf gerechte und befriedigende Entlohnung, die ihm und seiner Familie eine der menschlichen Würde entsprechende Existenz sichert, gegebenenfalls ergänzt durch andere soziale Schutzmaßnahmen."

Der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sagt in Artikel 7a:

"Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden auf gerechte und günstige Arbeitsbedingungen an, durch die insbesondere gewährleistet wird
(a) ein Arbeitsentgelt, das allen Arbeitnehmern mindestens sichert (...)
ii. einen angemessenen Lebensunterhalt für sie und ihre Familien in Übereinstimmung mit diesem Pakt;".

Da die Lebenshaltungskosten in jedem Land anders sind, gibt es bisher keine Berechnung eines Existenz sichernden Lohns, die weltweit gültig ist. Gewerkschaften und NRO plädierten auf der Konferenz in Nairobi daher dafür, dass die ArbeiterInnen in jedem Land selbst die Höhe eines Existenz sichernden Lohns berechnen sollen.


Die asiatische Kampagne für Mindestlöhne

In Arien hat dagegen kürzlich die länderübergreifende Asia Floor Wage Campaign (Asiatische Kampagne für Mindestlöhne, www.asiafloorwage.org) einen Vorstoß zur einheitlichen Berechnung eines Existenz sichernden Lohns in der Bekleidungsindustrie gemacht. Mit der Forderung nach einem vergleichbaren Lohn in allen asiatischen Ländern will sie verhindern, dass Betriebe damit drohen können, in ein anderes Land abzuwandern, wenn die Löhne erhöht werden. Ihre Mitglieder schlagen vor, zunächst den Bedarf für die Ernährung einer vierköpfigen Familie pro Woche zu berechnen. Die doppelte Summe soll dann als Existenz sichernder Lohn gelten, der bis eine sechstägige Arbeitswoche mit 48 Stunden gezahlt werden soll. Anhand der statistischen Berechnung der Kaufkraft pro Kopf und auf Basis des US-Dollars kann dann ein länderübergreifender Existenz sichernder Lohn in Dollar-Kaufkraft berechnet werden.

Das Modell klingt auch für die internationale Blumenkampagne interessant. Denn auch die Besitzer der Blumenplantagen drohen den ArbeiterInnen und Gewerkschaften bei hohen Lohnforderungen, dass sie in andere Länder abwandern. Seine Durchsetzung wird auf Widerstände bei Regierungen und Unternehmern stoßen. Insbesondere in der derzeitigen Wirtschaftskrise, die die Blumenindustrie nicht ausgespart hat. Aber die Freude an Blumen wird doppelt sein, wenn Mary nicht mehr nur für Steine arbeitet.


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Wirtschaftskrise auf dem Rücken der BlumenarbeiterInnen

Kolumbianische BlumenarbeiterInnen bitten um Unterstützung


Die Wirtschaftskrise hat keinen Bogen um den Blumensektor gemacht. In Kenia rechnen die Produzenten mit einem Rückgang des Verkaufs zum Jahresende um bis zu 30 Prozent. Die großen Farmen am Naivasha-See haben ihre Produktion um 25 Prozent zurückgefahren. In Ecuador ist der Rosenexport um 35 Prozent eingebrochen.

In Kolumbien nutzen allerdings einige Plantagenbesitzer die Krise, um genau die Plantagen zu schließen, deren ArbeiterInnen in der unabhängigen Gewerkschaft Untraflores organisiert sind. Prominentestes Beispiel ist die Farm Benilda, auf der auch Aidé Silva, die Vorsitzende von Untraflores, beschäftigt ist. "Die Geschäftsführung behauptet, dass der Betrieb nicht mehr wirtschaftlich arbeite. Das stimmt nicht. Einzelne Produktionsphasen wurden gezielt in andere Betriebe der Unternehmensgruppe ausgegliedert, um den Betrieb unwirtschaftlich zu machen," erläutert sie.

Rund 400 der insgesamt 1.300 ArbeiterInnen halten den Betrieb seit Anfang September besetzt, nachdem die Geschäftsführung Löhne und Sozialabgaben zurückgehalten hatte. Darüber hinaus weigert sich das Unternehmen, den ArbeiterInnen die gesetzlich vorgeschriebene Abfindung zu zahlen.

Untraflores hat Musterbriefe an das Sozialministerium, die Handelskammer sowie den Produzentenverband Asocolflores formuliert und bittet darum, diese Briefe abzuschicken. Weitere Informationen und die Musterbriefe finden Sie auf der Internetseite von FIAN-Deutschland unter
www.fian.de


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Werden Sie aktiv!

"Fair Flowers - Mit Blumen für Menschenrechte" braucht Ihre Unterstützung


Im Rahmen der Kampagne für faire Blumen haben FIAN-Deutschland und FIAN-Österreich ein Faltblatt für FloristInnen erstellt: Verkaufen Sie faire Blumen! Darin werden die Vorteile des Verkaufs fair produzierter Blumen nicht nur für die ArbeiterInnen, sondern auch für die FloristInnen dargestellt. Denn FloristInnen können sich durch den Verkauf dieser Blumen einen Marketing-Vorteil verschaffen. Zusätzlich bestätigen FloristInnen, dass sich Verletzungen an fair produzierten Blumen im Unterschied zu konventionellen nicht entzünden. Darüber hinaus gibt das Faltblatt praktische Tipps, wie und wo FloristInnen FLP- und Fairtrade-Blumen einkaufen können.

Geben Sie das Faltblatt an FloristInnen in ihrer Nähe weiter und ermutigen Sie sie, fair produzierte Blumen in ihr Sortiment aufzunehmen. Das Faltblatt können Sie gegen Versandkosten in der FIAN-Geschäftsstelle bestellen. Im Online-Shop von FIAN-Deutschland finden Sie es unter der Bestellnummer d26.


A Blooming Business - Ein blühendes Geschäft

Unter diesem Titel hat der niederländische Filmemacher Tom van Zant einen bewegenden Film über die Blumenindustrie am Naivasha-See in Kenia gedreht. Van Zant hat einige BlumenarbeiterInnen, aber auch Fischer und einen Wasserlieferanten in der Region portraitiert. Im Vordergrund des Filmes steht eine Arbeiterin, die allein erziehende Mutter von vier Kindern ist. Alle InterviewpartnerInnen reden offen über Verletzungen ihrer Rechte am Arbeitsplatz und über die Umweltfolgen der Blumenindustrie. Der Film ist in Englisch und Kisuaheli, beides mit englischen Untertiteln produziert. Dadurch kann er auch von Menschen mit geringen Englischkenntnissen verstanden werden. Die 52 Minuten lange DVD können Sie in der FIAN-Geschäftsstelle gegen 10 Euro Pfand plus Versandkosten ausleihen. Im Online-Shop von FIAN-Deutschland finden Sie ihn unter der Bestellnummer d27.


Gertrud Falk ist Koordinatorin der Kampagne Fair Flowers - Mit Blumen für Menschenrechte von FIAN-Deutschland.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 3/2009, November 2009, S. 20
Herausgeber: FIAN-Deutschland e.V., Briedeler Straße 13, 50969 Köln
Tel. 0221/702 00 72, Fax 0221/702 00 32
E-Mail: fian@fian.de
Internet: www.fian.de

Erscheinungsweise: drei Ausgaben/Jahr
Einzelpreis: 4,50 Euro
Abonnementpreis: Standardabo 15,- Euro,
Förderabo 30,- Euro (Ausland zzgl. 10,- Euro)


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Februar 2010