Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → FIAN

BERICHT/220: Zweierlei Menschenwürde? Asylbewerberleistungsgesetz auf dem Prüfstand (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 3/2010
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Zweierlei Menschenwürde?
Das Asylbewerberleistungsgesetz auf dem Prüfstand

Von Marei Pelzer


Seit dem das Bundesverfassungsgericht die Hartz-IV-Leistungen für verfassungswidrig erklärt hat, steht auch das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) verstärkt in der Kritik. Denn die Sozialleistungen für Asylsuchende sind rund 35 Prozent geringer als die Hartz-IV-Regelsätze. Seit der Einführung des AsylbLG wurden die Leistungen kein einziges Mal angehoben. Der Gesetzgeber, der das AsylbLG als Teil des sogenannten Asylkompromisses eingeführt hat, verfolgte mit den gekürzten Sozialleistungen vor allem den Zweck der Abschreckung. Teil dieser Abwehrlogik war auch, dass die Sozialleistungen für Asylsuchende in der Regel als Sachleistungen auszuzahlen sind. Das heißt: Unterbringung in Lagern, Lebensmittel aus Essenspaketen, Kleidung aus der Kleiderkammer.


Fast zwei Dekaden später wird nun erstmals das Bundesverfassungsgericht über diesen Teil des Asylkompromisses zu befinden haben. Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalens Legte Ende Juli 2010 das AsylbLG dem Karlsruher Gericht mit der Begründung vor, es halte die herabgesetzten Leistungen für verfassungswidrig.

Das Landessozialgericht NRW hält das AsylbLG aus zwei Gründen für verfassungswidrig. Zum einen seien die Leistungen nach dem AsylbLG genauso willkürlich festgelegt, wie die bisherigen Hartz-IV-Leistungen. Denn auch diese besitzen keine transparente Berechnungsgrundlage, sondern wurden ins Blaue hinein geschätzt. Der Bedarf muss jedoch nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nachvollziehbar berechnet werden. Die Verfassungswidrigkeit ergebe sich außerdem auch daraus, dass es sich um "evident zu niedrige Leistungen" handele. Unter Einbeziehung des "Taschengeldes" beläuft sich die monatliche Grundleistung nach dem AsylbLG für den "Haushaltsvorstand" auf 224,97 Euro, für "Haushaltsangehörige" auf 199,40 Euro und für Kinder - je nach Alter - zwischen 132,94, 178,95 oder 199,40 Euro. Als menschenwürdiges Existenzminimum können die Leistungen nicht angesehen werden. Offen lässt das Landessozialgericht indes die Frage, in welcher Höhe die Leistungen an Asylsuchende steigen müssten.

Aus Sicht von PRO ASYL muss die verfassungsrechtliche Kritik am AsylbLG grundsätzlicher formuliert werden. Eine Ungleichbehandlung darf es bei dem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum nicht geben! Das AsylbLG verstößt gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes (Artikel 3). Die Gründe, mit denen die Ungleichbehandlung gerechtfertigt werden soll, sind in keiner Weise akzeptabel. Verfassungsrechtlich gesprochen sind sie unverhältnismäßig.

So stellt die Abschreckung künftiger Asylsuchender und die Frustration der hier lebenden kein legitimes Mittel der Flüchtlingspolitik dar. Mal abgesehen davon, dass die neuere Migrationsforschung längst nicht mehr davon ausgeht, dass die erwartbaren Sozialleistungen für das Flucht- oder Migrationsverhalten maßgeblich wären. Entscheidend sind andere Faktoren wie soziale Netzwerke. Ist die beabsichtigte Abschreckung also schon nicht empirisch belegt, so ist sie verfassungsrechtlich als unangemessen anzusehen. Die soziale Existenz Einzelner darf nicht deswegen minimiert werden, um das künftige Verhalten anderer zu beeinflussen.

Ebenso wenig kann die Schlechterstellung von Asylsuchenden mit dem Argument ihrer fehlenden langfristigen Aufenthaltsperspektive gerechtfertigt werden. Dagegen spricht schon, dass die herabgesetzten Leistungen nicht nur kurzfristig gewährt werden. Mindestens vier Jahre müssen Asylsuchende damit auskommen. Außerdem fallen neben Asylsuchenden auch andere Gruppen unter das AsylbLG - wie Geduldete, die viele Jahre hier leben, oder sogar Personen mit einer humanitären Aufenthaltserlaubnis, die eine legale dauerhafte Aufenthaltsperspektive haben.

Es ist höchste Zeit, dass das AsylbLG als Repressionsinstrument auf dem Müllhaufen der Geschichte entsorgt wird. Die Menschenwürde ist unteilbar. Bestimmten Gruppen ein menschenwürdiges Leben vorzuenthalten, ist mit der Verfassung nicht vereinbar. Ob sich allerdings das Karlsruher Verfassungsgericht zu einer Abschaffung der diskriminierenden Sonderbehandlung durchringen oder nur minimale Korrekturen vorschreiben wird, bleibt abzuwarten.

Marei Pelzer ist Rechtspolitische Referentin von PRO ASYL.


*


Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 3/2010, November 2010, S. 3
Herausgeber: FIAN-Deutschland e.V., Briedeler Straße 13, 50969 Köln
Tel. 0221/702 00 72, Fax 0221/702 00 32
E-Mail: fian@fian.de
Internet: www.fian.de

Erscheinungsweise: drei Ausgaben/Jahr
Einzelpreis: 4,50 Euro
Abonnementpreis: Standardabo 15,- Euro,
Förderabo 30,- Euro (Ausland zzgl. 10,- Euro)


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Dezember 2010