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BERICHT/221: Nahrungssicherheit im Lichte des Klimas der Gerechtigkeit (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 3/2010
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Nahrungssicherheit im Lichte des Klimas der Gerechtigkeit

Von Ulrike Röhr


Die Auswirkungen des Klimawandels treffen alle, Männer und Frauen, Alte und Junge, Arme und Reiche. Aber sind sie auch alle im gleichen Ausmaß betroffen oder spiegeln sich in der Betroffenheit die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und die ungleiche Verteilung von Macht und Ressourcen wider?


Daten zu Frauen in der landwirtschaftlichen Produktion sowie zur Ernährung sprechen eine deutliche Sprache. Weltweit werden in Entwicklungsländern 60 bis 80 Prozent der Nahrungsmittel. von Frauen hergestellt, die ärmsten Teile der Bevölkerung in ländlichen Regionen werden zu 90 Prozent durch die landwirtschaftlichen Aktivitäten von Frauen ernährt (1).

Folgende Aspekte zeigen, dass Frauen sich trotzdem meistens am Ende der Versorgungskette befinden:

Frauen bewirtschaften in vielen Ländern die Böden mit den geringsten Erträgen, auf denen sich eine exportorientierte Produktion nicht rentiert. Der Klimawandel verschlechtert die Bodenproduktivität weiter. Verschärft wird die Situation dadurch, dass Wasser entweder immer knapper wird, in Form von Niederschlägen zu unregelmäßig beziehungsweise zu ungewohnten Zeiten oder zu stark auftritt.

Fehlende Bildung und mangelnder Zugang zu Informationen führen dazu, dass Frauen in aller Regel am wenigsten über die Auswirkungen des Klimawandel und mögliche Anpassungsmaßnahmen informiert sind. Durch die sich verschlechternden Umweltbedingungen steigt der Aufwand für die häusliche Versorgungsarbeit stetig und verstärkt die Zeitknappheit, zum Beispiel für Bildungsmaßnahmen. Ein Entrinnen aus dem Teufelskreis von Ungleichheit, Armut, geringer Bildung und geringer Beteiligung an Entscheidungen wird immer schwieriger.

Voraussetzungen für die Umsetzung von Anpassungsmaßnahmen sind der Zugang zu Krediten und der Erwerb von Landrechten, aber nur fünf Prozent des Landbesitzes weltweit ist in Frauenhand. Um ihre Rechte durchzusetzen, beginnen Frauen auf der ganzen Welt sich zu organisieren. Gemeinsam verschaffen sie sich Zugang zu Informationen und Gehör, wenn beispielsweise transnationale Unternehmen ihnen das Land für den Ausbau von lukrativen Monokulturen zu nehmen versuchen.


Was kann getan werden?

So dramatisch wie die geschilderte Situation auch ist, so dringlich es ist, sie zu verändern: Es kann und darf trotzdem nicht darum gehen, Frauen einzig als Opfer des Klimawandels zu sehen und dabei zu übersehen, dass sie oftmals auch das Wissen und die Weisheit besitzen, nachhaltige, langfristig wirksame Lösungen zu suchen. In Indien beispielsweise demonstrieren Frauen aus der niedrigsten Kaste der Dalit beeindruckend ihr Anpassungsvermögen an die Umweltbedingungen, indem sie bis zu 19 verschiedene Arten indigener Pflanzen auf ein Feld pflanzen. Durch die Kombination der Pflanzen werden zusätzliches Wasser, Dünger oder Pestizide vermieden. "Bei meiner Art der Bepflanzung nimmt die eine Pflanze etwas aus dem Boden, was die andere ihr wieder gibt, und ich bekomme alles was ich benötige: Öl, Getreide und Gemüse", beschreibt es eine der Frauen (2).

Schnelle Lösungen, mit möglichen neuen Risiken verbunden, sind nicht die Sache der Frauen. So haben sie beispielsweise bereits sehr früh auf die möglichen negativen Auswirkungen der Agro-Kraftstoffe hingewiesen. Aber wer hörte ihnen zu? Heute sind diese Hinweise allgemein bekannt. Vergessen ist, dass es die Frauen waren, die bereits früh ihre Stimme warnend erhoben haben. Und vergessen ist auch, dass das subjektive, nicht auf wissenschaftlichen Daten beruhende "Frühwarnsystem" von Frauen gut funktioniert und sehr zuverlässig ist. Was ihnen fehlt, ist die Entscheidungsmacht. Hier muss dringend eingegriffen werden, soll verhindert werden, dass sich die Geschlechterverhältnisse weiter zu Ungunsten von Frauen verschlechtern. Hier muss dringend nachgebessert werden, wenn der Klimawandel wirksam gebremst und seine Folgen begrenzt werden sollen. Ohne Gerechtigkeit und gleichberechtigte Teilhabe als oberstem Prinzip aller Klimaschutz- und Klimaanpassungsmaßnahmen werden diese nicht die gebotene Wirkung entfalten.


Ulrike Röhr ist Leiterin von genanet - Leitstelle Gender, Umwelt, Nachhaltigkeit (www.genanet.de) und Vorstandsmitglied bei GenderCC - Women for Climate Justice (www.gendercc.net)



Anmerkungen:
(1) Women Major Group (2008): Discussion Paper CSD16
(2) www.gendercc.net/fields/agriculture.html


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 3/2010, November 2010, S. 6
Herausgeber: FIAN-Deutschland e.V., Briedeler Straße 13, 50969 Köln
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Dezember 2010