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BERICHT/229: Interview mit Frank Braßel - "Heute ist das Recht auf Nahrung akzeptiert" (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 1/2011
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

INTERVIEW
"Heute ist das Recht auf Nahrung akzeptiert"

FIAN-Mitbegründer Frank Braßel im Interview mit Kristina Reymann


Frank Braßel war vor 25 Jahren eines der Gründungsmitglieder von FIAN. Heute lebt er in Ekuador und arbeitet als entwicklungspolitische Fachkraft des eed in einem unabhängigen Agrarforschungszentrum. Er kommt aus Herne, wo sich die erste Geschäftsstelle von FIAN Deutschland befand. 1990 wurde er Geschäftsführer von FIAN Deutschland. Danach war er für die Blumenkampagne zuständig. Von 2007 bis 2010 war Frank Braßel im internationalen Vorstand von FIAN aktiv.


Kristina Reymann: Du gehörst zu den Gründungsmitgliedern von FIAN und beschäftigst dich inzwischen seit einem Vierteljahrhundert mit der Organisation. Was bedeutet dir FIAN?

Frank Braßel: Ich persönlich finde, dass FIAN ein ideales Instrument bietet, um etwas gegen Menschenrechtsverletzungen und Unrecht in dieser Welt zu tun. Man kann sich konkret einbringen. Für mich ist immer das Zentrale gewesen, dass man nicht nur analysiert. In einer immer unübersichtlicher werdenden Welt, einer Welt, wo man so oft Ohnmachtsgefühle haben muss - ich zumindest habe die - bietet FIAN in Form der Eilaktionen, der Kampagnen, der Aktionen was ganz Konkretes, wo man eingreifen kann.

Kristina Reymann: Dir ist wichtig, dass du persönlich etwas gegen Menschenrechtsverletzungen tun kannst?

Frank Braßel: Genau. Es reicht mir nicht zu wissen, was alles schlecht ist auf dieser Erde, sondern ich möchte eingreifen und das macht FIAN möglich, sei es z.B. durch die aktuelle Klimakampagne oder durch die klassischen Eilaktionen oder durch eine Teilnahme an Aktionen in einzelnen Städten.

Kristina Reymann: Wie kam es dazu, dass du zum Gründungsmitglied von FIAN geworden bist?

Frank Braßel: Es war fast zufällig, dass ich Mitgründer von FIAN wurde. Ich habe immer schon zu Eine-Welt-Themen gearbeitet und irgendwer sagte mal: Komm doch mal da vorbei, das ist eine interessante Sache, da läuft eine Debatte um soziale Menschenrechte. Und weil mich soziale Themen immer interessiert haben, bin ich dazu gekommen,

Kristina Reymann: Wie hast du die Anfangszeit von FIAN erlebt?

Frank Braßel: FIAN-intern war es eine immens spannende Zeit. Wir haben ja von Null angefangen. Wir waren knapp zwanzig Menschen aus der Bundesrepublik auf diesem Gründungstreffen und es gab da keine ernsthafte Struktur. Alles wurde von Privatmenschen gemacht, aus Privathaushalten, mit einem ehrenamtlichen Engagement auf allen Ebenen, vom Vorstand bis hin zur Verschickung der Eilaktionen. Das war natürlich eine sehr spannende Geschichte, dass man einfach so von unten, also total von unten, eine Organisation aufgebaut hat. FIAN war ja auch lange Zeit extrem puristisch, was die Annahme von Fremdgeldern anging.

Kristina Reymann: Inwiefern?

Frank Braßel: Wir haben über Jahre hinweg überhaupt keine Fördermittel von niemandem genommen, weder von Hilfswerken, noch weniger von 'Regierungen oder von politischen Stiftungen, sondern alles wurde quasi aus eigener Tasche, aus den Beiträgen und aus den Spenden finanziert. Nach zwei, drei Jahren hat mich irgendjemand in Kontakt gebracht zu einem christlichen Motorradclub aus dem Ruhrgebiet, der uns damals half die damaligen Eilaktionen an drei- bis vierhundert Adressen in der Bundesrepublik zu verschicken. Das war schon eine logistische Herausforderung. Da saß ich dann mit diesem christlichen Motorradclub zusammen und hab mit denen dann einen Abend im Monat verbracht, um diese Geschichten einzutüten. Ganz unterschiedliche Leute haben sich in ganz unterschiedlicher Hinsicht eingebracht.

Kristina Reymann: Im Büro von FIAN gab es in der ersten Zeit nur einen einzigen Computer für das ganze Team. Das ist heute undenkbar. Außerdem kann man heutzutage chatten, mailen, skypen und Informationen in Sekundenschnelle über das Internet weiterleiten. Damals war das noch nicht möglich. Wie habt ihr euch vernetzt und kommuniziert?

Frank Braßel: Es gab gerade das Fax in einer bezahlbaren Form, man hat viel miteinander telefoniert, man hat sich noch Briefe geschrieben und man hat sich gesehen, zum Beispiel auf den Vorstandssitzungen. Insbesondere die Seminare waren damals sehr wichtig. Dort haben wir uns alle selbst weiterqualifiziert und intensiv mit Menschenrechtsthemen auseinandergesetzt.

Kristina Reymann: Wie wichtig war euch die Fallarbeit?

Frank Braßel: FIAN hatte zu Beginn den Standpunkt, dass FIAN sich nur zu den ganz konkreten Fällen von Landkonflikten und anderen Verletzungen oder Bedrohungen des Rechts auf Nahrung äußern sollte. Ganz behutsam - rückblickend ist das fast niedlich - wurde dann darüber diskutiert, wie wir auch andere Themen mal ansprechen könnten. Ich finde schon, dass die Fallarbeit ein ganz wichtiges Instrument und ein wichtiger Vorteil von FIAN ist. Sie dient sowohl als Unterstützung für Kampagnen, als auch als Ansprechmöglichkeit von Bürgerinnen und Bürgern und ist wichtig bei der Lobbyarbeit in der UNO, weil man einfach Argumentationsketten und Beispiele hat.

Kristina Reymann: Wie seid ihr mit euren Themen in die Öffentlichkeit gekommen?

Frank Braßel: Wir haben uns in den 90ern mal von einem Journalisten beraten lassen. Damals gab es ein großes Tankerunglück und FIAN verfolgte zur gleichen Zeit den Fall einer Indígena-Gemeinde in Ecuador, die gegen den Landraub und die Verpestung ihrer natürlichen Ressourcen durch einen großen Ölmulti kämpfte. Daraufhin haben wir uns bei der Beratung gefragt: Wäre das jetzt so ein Beispiel, wo man sagen könnte, alle Welt redet jetzt über diesen großen Ölunfall, aber in seiner Alltäglichkeit ist die Ölverseuchung im ecuadorianischen Amazonastiefland für das Recht auf Nahrung der Indigenen dort viel dramatischer? Der Journalist meinte, dass das ein sehr guter Aufhänger sein könne und sagte: Da könnt ihr jetzt nicht noch zwei Wochen drüber reden. Entweder schreibt ihr die Pressemitteilung heute und schickt sie morgen raus oder ihr macht es gar nicht.

Kristina Reymann: Wie ging die Geschichte aus?

Frank Braßel: Wir haben uns hingesetzt und einen Text geschrieben und tatsächlich stand diese Meldung dann in einigen Tageszeitungen. Das hatte FIAN bis dahin nie erreicht. Da haben wir gemerkt, dass wir die Elemente, die wir in der Fallarbeit haben, einfach ein bisschen kreativer umsetzen müssen, damit man sich auch zu ein paar generellen Themen äußern kann. Wir haben eingesehen, dass man nicht alles über einzelne Fälle abdecken kann, sondern dass es einfach Entwicklungen in der internationalen Politik und in der internationalen Wirtschaft gibt, die Auswirkungen auf das Menschenrecht auf Nahrung haben und die man deswegen auch thematisieren muss. Trotzdem denke ich schon, dass die konkreten Fälle und Eilaktionen in vielfältiger Hinsicht Kernelemente der FIAN-Arbeit zum Recht auf Nahrung sind.

Kristina Reymann: Was ist aus deiner Sicht der bisher größte Erfolg von FIAN?

Frank Braßel: Ein Erfolg ist, dass das Recht auf Nahrung heute in Deutschland und auch international völlig akzeptiert und in einem gewissen Rahmen bekannt ist. Vor 25 Jahren war es auf allen Ebenen wirklich völlig exotisch, über dieses Thema zu sprechen, sei es nun in der allgemeinen Öffentlichkeit oder in Eine-Welt- oder Menschenrechtsgruppen und erst recht im Dialog mit Regierungsstellen. Da muss man schon sagen, dass ein sehr massiver Wandel eingetreten ist. Das war vor zwanzig, fünfundzwanzig Jahren wirklich so, als würde man über irgendwelche extraterrestrischen Themen reden. Aber leider muss man natürlich auch sagen, dass ist erstmal ein Erfolg in den ideologischen Sphären. Wir müssen leider feststellen, dass die Zahl der Hungernden nicht zurückgegangen, sondern sogar gestiegen ist. Ich lebe jetzt in einem Land der sogenannten Dritten Welt und da kann man auch sehen, dass die gültige Politik des Neoliberalismus und der Ausplünderung von natürlichen Ressourcen nach wie vor ganz dramatische Formen hat. Das ist die andere Seite der Realität, der wirtschaftlichen, der sozialen Realität, die mit dem programmatischen Überbau nicht einhergeht.

Kristina Reymann: Vielen Dank für das Gespräch!


Das Interview wurde geführt und gekürzt von Kristina Reymann, Mitarbeiterin in der Geschäftsstelle von FIAN Deutschland.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 1/2011, April 2010, S. 7-8
Herausgeber: FIAN-Deutschland e.V., Briedeler Straße 13, 50969 Köln
Tel. 0221/702 00 72, Fax 0221/702 00 32
E-Mail: fian@fian.de
Internet: www.fian.de

Erscheinungsweise: drei Ausgaben/Jahr
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juni 2011