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GRUNDSÄTZLICHES/055: Alternativen zur Macht der Agrarkonzerne (FoodFirst)


FoodFirst Ausgabe 2/2015
FIAN Deutschland - Mitgliedermagazin für das Menschenrecht auf Nahrung

Alternativen zur Macht der Agrarkonzerne

Von Justus Haussmann und Nina Bünger


Immer wieder wird uns suggeriert, dass eine Entwicklung hin zu einer industriellen, großflächigen und auf wenige einheitliche Sorten reduzierte Landwirtschaft der einzige Weg sei, die Welt zu ernähren. Für eine Minderheit ist diese Entwicklung wünschenswert. Andere - sicherlich die Mehrheit - sehen sie als unausweichlich und leider notwendig an. Alles, was nicht diesem Bild entspricht, wird als utopisch oder rückwärtsgewandt abgestempelt. Dass dies wissenschaftlich nicht haltbar ist, zeigt beispielsweise der Weltagrarbericht aus 2008 (www.weltagrarbericht.de). Wichtiger noch: Diese Entwicklung als unabwendbar darzustellen, soll Widerstand lähmen und Alternativen klein halten.


40 Jahre industrielle Landwirtschaft

Dabei ist das genaue Gegenteil dieser Darstellung richtig. Die massive Ausbreitung industrieller Landwirtschaft hat bis heute nicht zu einer wirkungsvollen Bekämpfung des Welthungers geführt. Immer noch leiden knapp eine Milliarde Menschen an schwerem Hunger. Eine weitere Milliarde ist mangel- oder fehlernährt, unter anderem wegen extrem weiterverarbeiteter industrieller Nahrung. Eine wichtige Ursache des Hungers ist, dass Nahrungsmittel, die im globalen Süden im industriellen Maßstab für den Export produziertwerden, nicht bei den Armen vor Ort ankommen. Kleinbäuerliche Landwirtschaft hingegen macht die Nahrungsmittel lokal verfügbar. Sie ernährt schon heute die Hälfte der Weltbevölkerung - und rund 80 Prozent der KleinbäuerInnen produzieren unter agrarökologischen Bedingungen (siehe Artikel zur Agrarökologie auf 5.6). Die zentrale Behauptung großer Agrarkonzerne, industrielle Bewirtschaftungsmethoden seien wesentlich effizienter als kleinbäuerliche, ist schlichtweg falsch. In Kuba beispielsweise erzeugen KleinbäuerInnen mit einem Aufwand von einer Kalorie agrarökologisch bis zu 30 Kalorien Nahrung. Industrielle Landwirtschaft produziert mit demselben Energieaufwand im Durchschnitt nur 1,5 Kalorien.


Alternativen: vielfältig und umsetzbar

Es existieren zahlreiche vielversprechende Möglichkeiten, mit Entwicklungshilfegeldern nicht länger den Ausbau industrieller Landwirtschaft zu fördern, sondern kleinbäuerliche, agrarökologische Bewirtschaftungsformen zu stärken. Ein Ansatz sind Kooperationen zwischen KleinbäuerInnen und agrarökologischen Forschungsinstitutionen. Das agrarökologische Programm Agroecología Universidad Cochabamba (AGRUCO) der Universität Cochabamba in Bolivien ist hier beispielhaft. Das Projekt läuft seit 1990 und wird seit zwanzig Jahren von der Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) gefördert. Die ForscherInnen der Universität entwickeln im Rahmen von AGRUCO Techniken und Konzepte agrarökologischer Bewirtschaftung in Bolivien und arbeiten dabei in engem Austausch mit lokalen KleinbäuerInnen. Die Bevölkerung in Cochabamba lernt so, wie Anbaumethoden verbessert werden können, und die WissenschaftlerInnen erhalten Zugang zum reichen Erfahrungsschatz der indigenen KleinbäuerInnen. Dies wirkt sich wiederum positiv auf die Forschungsergebnisse zur nachhaltigen Bewirtschaftung aus - ein sich gegenseitig verstärkender Prozess. Durch AGRUCO gelang es, die Ernteerträge beim ökologischen Anbau der einheimischen Kartoffel Huachya zu verdreifachen. Auch konnten die Kosten des Anbaus durch die Wiedereinführung von organischen Düngern gesenkt werden, denn Kunstdünger ist teuer. Gestiegene Einnahmen und gesunkene Kosten haben zu einer Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der KleinbäuerInnen geführt. Ohne Agrochemikalien geht es also deutlich besser - das Gegenteil von dem, was große Chemiekonzerne behaupten.

Ein weiterer Ansatz ist die Einrichtung von Saatgut-Banken. Hier steht die Erhaltung der biologischen Sortenvielfalt im Vordergrund, welche für nachhaltige Landwirtschaft unerlässlich ist. KleinbäuerInnen lernen gewöhnlich nur im direkten Austausch untereinander, welche Saatgutsorten sich mit Blick auf die lokalen Bedingungen am besten eignen. Durch geografische Isolation vieler KleinbäuerInnen ist dieser Austausch jedoch begrenzt. Ein gutes Beispiel dafür, wie dem abgeholfen werden kann, bietet das Western Terai Landscape Complex Project (WTLCP) in Nepal. Das Projekt lief von 2006 bis 2012 und wurde von verschiedenen Geldgebern gefördert, unter anderem vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP). Im Westen Nepals wurden insgesamt sechs gemeinschaftliche Saatgut-Banken aufgebaut, die Samen von mehr als 600 verschiedenen Getreide- und Gemüsesorten einlagerten. Diese Saatgut-Banken sowie regelmäßige "Artenvielfalts-Messen" führten zu einer schnelleren und weiteren Verbreitung des Wissens der KleinbäuerInnen über lokale Saatgutsorten und die entsprechenden Anbaumethoden.

Eine der effektivsten Formen der Förderung kleinbäuerlicher Landwirtschaft ist der Aufbau von Erzeugergemeinschaften. Das Beispiel des Koloharena-Netzwerks in Madagaskar zeigt, wie KleinbäuerInnen durch den Zusammenschluss zu größeren Gemeinschaften profitieren können. Von 1999 bis 2008 unterstützte die Behörde der Vereinigten Staaten für internationale Entwicklung (United States Agency for International Development, USAID) den Aufbau des Netzwerks. Koloharena ist ein Dachverband von 29 kleinbäuerlichen Kooperativen mit insgesamt 20.000 Mitgliedern. Das Netzwerk hat die Verbreitung einer speziellen agrarökologischen Methode des Reisanbaus (System of Rice Intensification, SRI) unter den angeschlossenen KleinbäuerInnen wesentlich einfacher gemacht. Dadurch konnten die durchschnittlichen Ernteerträge fast verdoppelt und die Bewirtschaftung nachhaltig gestaltet werden. Vor allem aber hat Koloharena die Verhandlungsmacht der KleinbäuerInnen gesteigert. Sie erhalten für ihre Ernte nun einen Festpreis, der jeweils zu Saisonbeginn von Koloharena mit den AbnehmerInnen verhandelt wird. Dies hat die Einkommenssicherheit erhöht und ermöglicht den KleinbäuerInnen, in Verbesserungen der Arbeitsmittelzu investieren und Rücklagen anzulegen.


Alternativen in Deutschland

Auch in Deutschland gibt es vielversprechende Ansätze zur Stärkung alternativer Ernährungssysteme. Die deutsche Nyéléni-Initiative für Ernährungssouveränität basiert auf einer globalen, 2007 in Mali initiierten Bewegung von KleinbäuerInnen, die sich zum Ziel gesetzt hat, das globale Agrar- und Ernährungssystem zu verändern und aktiv mitzugestalten. Seit 2014 gibt es auch einen deutschen Ableger, der durch Aktions- und Regionalgruppen zur Vernetzung verschiedener Initiativen im Landwirtschafts- und Ernährungsbereich beiträgt. So können regionale Probleme identifiziert, Alternativen gefunden und gemeinsame Aktionen zur Umsetzung von Ernährungssouveränität organisiert werden. 2016 soll hierzu ein großes, deutschlandweites Nyéléni Forum stattfinden (www.Nyeleni.de).

Ein weiteres Beispiel dafür, dass es auch anders geht, ist das Netzwerk Solidarische Landwirtschaft (SoLaWi). Mehrere Privathaushalte tragen die Kosten eines landwirtschaftlichen Betriebs, wofür sie im Gegenzug dessen Ernteertrag erhalten. Die Lebensmittel werden hier nicht mehr über den Markt vertrieben, sondern fließen in einen eigenen, durchschaubaren Wirtschaftskreislauf, der von den TeilnehmerInnen mit organisiert und finanziert wird. Das sorgt für echte Transparenz ohne Zertifzierungsbürokratie und befreit die BäuerInnen von dem Preisdruck durch die schwankenden Weltmarktpreise. Aktuell gibt es bereits 79 bestehende SoLaWi-Betriebe in Deutschland (vor einem Jahr waren es noch 47) und über 90 Anfragen für die Gründung weiterer SoLaWi-Initiativen. Die Gründung solcher Initiativen wird durch das Netzwerk Solidarische Landwirtschaft unterstützt (siehe auch FoodFirst 1+2/2014, www.solidarische-landwirtschaft.org).


Die [im Schattenblick nicht veröffentlichten Grafiken der Printausagabe] (© Marischka Lutz) entstammen der Broschüre Konzernmacht grenzenlos - die G7 und die weltweite Ernährung. Die Broschüre wird auf Seite 14 der Printausgabe vorgestellt und steht auf www.fian.de kostenlos zum Download bereit.

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Quelle:
FoodFirst - FIAN Deutschland - Mitgliedermagazin für
das Menschenrecht auf Nahrung, Ausgabe 2/2015, Seite 4-5
Herausgeber: FIAN Deutschland e.V., Briedeler Straße 13, 50969 Köln
Tel. 0221/7020072, Fax 0221/7020032
E-Mail: fian@fian.de
Internet: www.fian.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Oktober 2015

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