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BERICHT/158: Protest gegen Afghanistan-Einsatz (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 2 - April 2007
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

"Jedes Ziel ist ein Zuhause"
Schwerpunkt der Kampagne "Schritte zur Abrüstung": Afghanistan-Einsatz beenden

Von Joachim Schramm


Aus der im Grundgesetz - und dort auch nur unter dem Eindruck des Kalten Krieges eingefügt - ausschließlich zur Verteidigung erlaubten Bundeswehr ist schleichend eine Interventionstruppe geworden. 7.500 Bundeswehrsoldaten sind zurzeit in 10 Regionen der Welt im Einsatz, Tendenz zunehmend. Für dieses Jahr sind im Bundeshaushalt ca. 640 Millionen Euro für Auslandseinsätze vorgesehen, davon fast die Hälfte für den in Afghanistan. Um diese und zukünftige Einsätze möglich zu machen, werden zurzeit jährlich um die 4 Milliarden Euro für neue Waffensystem ausgegeben, geplant ist eine kontinuierliche Steigerungen auf zunächst 6 Milliarden Euro im Jahr 2011. Doch in die Diskussion um die Auslandseinsätze der Bundeswehr ist seit dem Herbst Bewegung gekommen.

Nicht mehr nur die Friedensbewegung spricht sich gegen die zunehmende Zahl der Auslandseinsätze aus. Im Zusammenhang mit dem Libanon-Einsatz, aber auch mit der Verlängerung des Enduring-Freedom-Mandats für Afghanistan mehrten sich die kritischen Stimmen in den Bundestags-Parteien, aber auch bei Militärs: "Die Politik hat bis jetzt noch nie eine Strategie entwickelt, die über die Tatsache hinausgeht, dass man in einem Land eingreifen will. Es gibt keine Strategie für den Balkan, es gibt keine für Afghanistan", so General Reinhardt, früherer KFOR-Befehlshaber laut FAZ vom 31. Oktober 2006. Kritik gilt inzwischen vor allem dem Einsatz in Afghanistan.

Seit über fünf Jahren ist die Bundeswehr in Afghanistan im Einsatz, sowohl im Rahmen der ISAF-Mission als auch im Rahmen der "Operation Enduring Freedom". Afghanistan ist seitdem nicht friedlicher geworden, was Kritiker nicht überrascht. Das zunächst für Kabul und nur wenige Teile des Landes vorgesehene militärische Engagement wird immer mehr ausgeweitet, ISAF und "Enduring Freedom" vermischen sich immer mehr.

Die zunehmenden Meldungen über blutige Aktionen der durch die Nato geführten ISAF-Truppen tragen dazu bei, die Anwesenheit der Bundeswehr am Hindukusch vermehrt in Frage zu stellen. 2006 sind 4.000 Menschen in diesen Kämpfen ums Leben gekommen, darunter zahlreiche Zivilisten. Längst steht der Nato eine Aufstandsbewegung gegenüber, in der sich die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der schlechten wirtschaftlichen Entwicklung, der Protest der wichtigen Bevölkerungsgruppe der Paschtunen gegen die mangelnde Berücksichtigung ihrer Position durch die Zentralregierung und das Streben der Taliban zurück an die Macht vereinen.

Aus deutscher Sicht zugespitzt hat sich die Situation durch die Entscheidung des Bundestages, Tornado-Aufklärer nach Afghanistan (und damit auch an die Grenze zum Iran) zu entsenden. Damit wird die Bundeswehr endgültig Kriegspartei und greift immer weiter in die Kämpfe ein, die mit der Frühjahrsoffensive der Nato eine neue Ausweitung erfahren. Verstärkt laufen die zivilen Aktivitäten auch deutscher Nicht-Regierungsorganisationen Gefahr, Leidtragende dieses militärischen Auftretens Deutschlands zu werden.

Hier bietet sich für die DFG-VK ein Ansatzpunkt, unsere prinzipielle Ablehnung von Auslandseinsätzen an dem zurzeit gefährlichsten und umstrittensten Einsatz deutlich zu machen und in die Öffentlichkeit zu tragen. Dies hat sich die Kampagne "Schritte zur Abrüstung" mit ihrem Schwerpunkt "Auslandseinsätze beenden" vorgenommen. Dabei ist Zielpunkt der geplanten Aktivitäten der Oktober, wenn das bisherige Mandat des Bundestages für den Bundeswehreinsatz im Rahmen der ISAF-Truppe in Afghanistan ausläuft und eine Verlängerung zur Diskussion steht. Mit vielfältigen Aktivitäten können wir als DFG-VK zu einem aktuell heftig umstrittenen Thema Stellung beziehen, unsere pazifistischen Ziele deutlich machen und so unser Bild in der Öffentlichkeit schärfen - und einen Beitrag zur Beendigung des Krieges in Afghanistan leisten.

Begonnen haben wir im Rahmen der Schritte-Kampagne Anfang März mit einer eMail-Aktion gegen den geplanten Tornado-Einsatz. Unterstützt von anderen Friedensorganisationen wie dem Netzwerk Friedenskooperative, der Kooperation für den Frieden, dem Friedensratschlag, der IPPNW und IMI haben wir dazu aufgerufen, den Abgeordneten des eigenen Wahlkreise eine vorformulierte - oder selbst formulierte - Protestmail zu senden. Bis zum Abstimmungstag im Parlament beteiligten sich fast 1.400 Menschen an der Aktion - sicherlich noch nicht der breite Massenprotest, aber deutlich mehr als bei bisherigen Mail-Aktionen der DFG-VK.

Aus den öffentlichen Diskussionen um den Tornado-Einsatz wird wachsendes Unbehagen mit der deutschen Rolle in Afghanistan deutlich. Nicht nur, dass sich Prominente wie der Fernsehmoderator Roger Willemsen und der kritische Bundeswehrmajor Florian Pfaff an der Mailaktion beteiligten - auch aus den Reihen der angemailten Abgeordneten gab es positive Rückmeldungen bis hin zum CSU-Mitglied des auswärtigen Ausschusses des Bundestages Peter Gauweiler. Die Zahl von 156 Abgeordneten, die den Tornado-Einsatz abgelehnt haben, verweist auf die Chance, hier weiter nachzusetzen.

Der nordrhein-westfälische DFG-VK-Landesverband bereitet für das Frühjahr eine Aktions- und Diskussionstour gegen den Afghanistan-Einsatz vor. Beginnend mit dem Ostermarsch sollen in mehreren Städten an Rhein und Ruhr Infostände, kleine Aktionen und Diskussionsveranstaltungen zum Thema stattfinden. Dabei soll auch die Verbindung zum G8-Protest im Juni gezogen werden, der gemeinsam mit dem evangelischen Kirchentag in Köln, den Abschluss der Tour bildet.

Als Bestandteil der G8-Proteste findet am 1. Juni in Wittstock nördlich von Berlin eine "Begehung" des so genannten Bombodroms statt. Hier übt die Bundeswehr Bombenabwürfe auf Zielpyramiden aus Holz. Diese Pyramiden sollen zum Symbol des "Nein" zu Bombenabwürfen und jeglichen Auslandseinsätzen der Bundeswehr werden: "Jedes Ziel ist ein Zuhause" ist das Motto, mit dem auch in Nordrhein-Westfalen gegen den Bundeswehreinsatz in Afghanistan protestiert werden soll. Wie vor über sechzig Jahren die Städte an Rhein und Ruhr Ziel von Bombenflugzeugen waren, sind es jetzt die Dörfer und Siedlungen in Afghanistan. Transportable Nachbauten der Zielpyramiden werden Kern und Blickfang der Infostände und Aktionen sein. Flugblätter und Infomaterialien werden erstellt, ebenso Transparente mit dem Logo der Aktion und der Forderung nach Beendigung des Afghanistan-Einsatzes. Jürgen Wagner, geschäftsführender Vorstand der Informationsstelle Militarisierung (IMI) und Autor verschiedener rüstungskritischer Bücher wird Mitte Mai im Rahmen einer Infotour durch Nordrhein-Westfalen in mehreren Städten über Hintergründe des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr referieren.

Auch die Aktivitäten zum G8-Gipfel in Heiligendamm bieten Möglichkeiten, auf die Zusammenhänge zwischen Globalisierung und Militarisierung aufmerksam zu machen und für das konkrete Beispiel Afghanistan den Stopp der Auslandseinsätze zu fordern. Neben der "Besiedelung" des Bombodroms stellt die Großdemo am 2. Juni in Heiligendamm eine hervorragende Möglichkeit dar, unsere Forderung bekannt zu machen. Flugblätter gegen Auslandseinsätze zum Verteilen können bei den beteiligten Landesverbänden bestellt werden, ebenso das in NRW entworfene Transparent.

Beim Kirchentag in Köln wollen die beteiligten Landesverbände der DFG-VK (u.a. Bayern und NRW) die Unterstützung einer offiziellen Resolution des Kirchentages zur Beendigung des Afghanistan-Einsatzes erreichen. Dazu werden Aktive aus den Landesverbänden über drei Tage auf dem "Markt der Möglichkeiten" Unterschriften sammeln. Unterstützen mindestens 3.000 Kirchentagsbesucher die Forderung, wird sie als offizielle Resolution des Kirchentages veröffentlicht und weitergegeben.

Im Rahmen der Friedensfahrradtour "Auf Achse für Frieden und Abrüstung" wird auch das Thema Auslandseinsätze thematisiert. Diese Friedensfahrradtour wird von den DFG-VK-Landesverbänden Bayern und Baden-Württemberg zum vierten Mal in Reihe veranstaltet. Diese Fahrradtour besucht Standorte der Bundeswehr und der Rüstungsindustrie in den beiden Bundesländern. Eine zentrale Forderung lautet "Für zivile Außenpolitik - gegen Militärinterventionen". Politischer Startpunkt der diesjährigen Tour wird der Truppenübungsplatz Grafenwöhr in der Oberpfalz sein. Am 28. Juli wird es eine Mahnwache oder Kundgebung geben unter dem Motto "Kein Krieg von deutschem Boden - Truppenübungsplatz umwandeln."

Neben diesen konkreten Planungen werden im Kampagnenrat "Schritte zur Abrüstung" zurzeit weitere Aktivitäten gegen den Afghanistan-Einsatz diskutiert. Eine Zuspitzung bis hin zu der Bundestagsdebatte über eine Verlängerung des Afghanistan-Mandats im Oktober macht die Ausweitung der Öffentlichkeitsarbeit auf der einen Seite und die Planung von Aktionen rund um den Termin der Entscheidung - möglichst zusammen mit Bündnispartnern - notwendig.

Diskutiert werden daher die Formulierung einer Petition an den Bundestag, die erstmals mit einer Zeitungsanzeige zum 8. Mai, dem Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges mit möglichst vielen Unterstützern veröffentlicht werden soll. Dann könnten unter diese Petition über den Sommer hin bundesweit Unterschriften gesammelt werden, bis am 1. September zum Antikriegstag eine weitere Anzeige mit Unterstützern den Endspurt einläuten würde.

Um die Bundestagsdebatte herum würden dann gemeinsam mit anderen Friedensorganisationen Mahnwachen u.ä. in Berlin organisiert werden.

In den nächsten Wochen werden wir diese Planungen weiter präzisieren und die Umsetzung angehen, wobei wir auf breite Unterstützung durch Landesverbände, Gruppen und Einzelaktive angewiesen sind. Diese Materialien stehen zur Verfügung: das Flugblatt des DFG-VK-Landesverbandes NRW, ein ebenfalls zum breiten Verteilen gedachtes Faltblatt der "Schritte"-Kampagne, ein inhaltliches Faltblatt zu Auslandseinsätzen allgemein in der bekannten "Schritte"-Reihe, das Transparent "Jedes Ziel ist ein Zuhause - Afghanistan-Einsatz beenden" vom DFG-VK-Landesverband NRW sowie der Nachbau der Zielpyramide als Blickfang für Infostände und Aktionen.

"Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit!" Dieser Satz unserer Grundsatzerklärung gilt nicht nur für große Kriege, sondern auch für die sich ausweitende Zahl der verharmlosend "Auslandseinsätze" genannten Kriegsbeteiligungen der Bundeswehr. Wo, wenn nicht hier, müssen wir aktiv werden, wenn wir unsere Grundsatzerklärung ernst nehmen.


Joachim Schramm ist Geschäftsführer des DFG-VK-Landesverbandes Nordrhein-Westfalen und Mitglied im Kampagnenrat "Schritte zur Abrüstung". Weitere Informationen sind im Internet erhältlich unter den Adressen www.schritte-zur-abruestung.de und www.dfg-vk-nrw.de


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Quelle:
ZivilCourage Nr. 2 - April 2007, S. 7-9
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK e.V.),
Kasseler Straße 1A, 60486 Frankfurt
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Erscheinungsweise: zweimonatlich
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Mai 2007