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BERICHT/160: Kleinwaffen ächten, Rüstungsexporte stoppen! (ZivilCourage)


ZivilCourage - Nr. 2 - April 2007
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

Wider den Kult der Gewalt
"Kleinwaffen ächten, Rüstungsexporte stoppen!"

Von Joachim Thommes und Sabine Olbrich


Der weltweite massenhafte Export, Besitz und Einsatz von Kleinwaffen ist zu einer unübersehbar aktuellen virulenten Gefahr geworden. Zu den so genannten "Kleinwaffen" zählen u.a. Schnellfeuer- und Maschinengewehre, Maschinenpistolen, Pistolen und Revolver, aber auch kleinkalibrige Mörser. Nicht nur in den Krisen-, Konflikt- und Kriegsregionen, die eine hohe mediale Aufmerksamkeit erreichen, scheint eine zivile, auf weniger Gewalt basierende und friedlichere Entwicklung ohne die Ächtung, das Einsammeln und die Zerstörung von Kleinwaffen zunehmend unerreichbar. Auch bei Konflikten, die abseits des Medieninteresses stattfinden, deswegen aber nicht minder verheerend sind, sind Kleinwaffen ein entscheidendes destabilisierendes Moment und müssen daher eine wesentlich stärkere Beachtung einer kritischen Öffentlichkeit finden, als dies bisher der Fall war.


Schon allein das Vorhandensein von Kleinwaffen in einer Krisenregion birgt in der Regel unabsehbare Gefahren. So schwinden die Handlungsoptionen der zivilen Akteure und der internationalen Organisationen bereits dann dramatisch, wenn in einer Krisenregion Kleinwaffen im größerem Umfang vorhanden sind, und - schlimmer noch - leicht zugänglich aufbewahrt oder offen getragen werden können. Damit sind sie Teil einer auf Gewalt basierenden Alltagskultur. Kein Wunder also, dass z.B. Oxfam und Amnesty International auf die Kleinwaffenproblematik aufmerksam wurden und mit anderen auch in diesem Jahr die Lobbying-Kampagne "Waffen unter Kontrolle" fortfahren.

Doch stellt sich auch die Frage, ob es nur um einen Missbrauch von Kleinwaffen geht. Werden Kleinwaffen "besser", "sicherer" und "nützlicher", wenn sie nur nicht in die "falschen" Hände gelangen können? Die DFG-VK bearbeitet die Problematik grundsätzlicher: Wir fordern die generelle Ächtung von Kleinwaffen und den Stopp aller Rüstungsexporte. Hierbei versuchen wir, den Fokus ebenso auf die "erfolgreich" export-orientierten deutschen Produzenten von Kleinwaffen zu setzen und zugleich die massive Mitverantwortung von Politik, Gesellschaft und Wirtschaft aufzuzeigen.

Wir treten dem "Kult der Gewalt", also dem Glauben an die generelle Bereitschaft, Konflikte mit (Klein-)Waffengewalt lösen zu können, offen entgegen. Wir misstrauen den über Medien und Massenkultur verbreiteten oberflächlichen Bildern und Berichten über Kriegs- und Krisenregionen dieser Welt. Die öffentlich propagierten Erklärungsmuster suggerieren allzu oft, dass der Kult der Gewalt angesichts brutalster und selbstverständlicher Unterdrückung unüberwindbar sei und allenfalls durch "zivilisierte", sprich westliche Militärgewalt, gemildert oder gar gelöst werden könne.

In den permanenten Kriegen und Übergriffen der Banden und Warlords, in den kaum beachteten Rohstoffkriegen der Schwarz- und Graumarktkartelle, durch die hochgerüsteten privaten Söldnerarmeen und Sicherheitsfirmen, die in den Diensten von transnationalen Konzernen und korrupten Eliten stehen, aber auch im Auftrag von Regierungen ihre eigenen Kriege führen können, in den neuen Partisanen-, Religions- und Befreiungskriegen unserer Zeit zeigt sich: Permanenter Krieg und andauernde Gewalt werden zur Alltagserfahrung von Millionen von Menschen.


Die Situation auf dem Globus ist dramatisch. Fakt ist: Bereits heute gibt es Regionen, beispielsweise in Afrika, in denen Generationen von Menschen in einem permanenten Zustand der Gewalt und des Krieges leben müssen. Nur durch eine schwierige, langwierige und umfangreiche psycho-soziale Nachsorge in diesen hochgradig traumatisierten Gesellschaften könnte der Weg zum Frieden dauerhaft geebnet werden. Und nur dann kann die notwendige Entwicklungs- und Wideraufbauhilfe zur erfolgreichen Umsetzung kommen. Perspektiven für ein Leben nach den alltäglichen Gewalterfahrungen müssen entwickelt und realisiert werden.

Fakt ist: Kleinwaffen töten und verstümmeln nicht nur auf dem afrikanischen Kontinent täglich und massenhaft. So verursachen Kleinwaffen laut Schätzungen des Internationalen Roten Kreuzes rund 80 Prozent der Kriegstoten weltweit.

Fakt ist: Wir leben in einer Welt, in der die alten bekannten Bedrohungsszenarien durch neue ersetzt worden sind. Heute sind die Kriege, Konflikte und angebliche Bedrohungen zumeist asymmetrisch, d.h. so genannte Partisanen, Religions- und Befreiungskämpfer oder anders motivierte bewaffnete Gruppen kämpfen nicht nur gegeneinander, sondern auch gegen Regierungen, Staaten oder Staatengruppen. Und sie kämpfen gegen hochgerüstete, waffenstarrende Großmächte. In diesem Sinne sind sie Kombattanten in einem ungleichen, asymmetrischen Krieg. In diesen Kämpfen und Kriegen kommen fast ausschließlich leichte, gut zu transportierende, preiswerte und überall zu beschaffende Waffen - die Kleinwaffen - zum Einsatz. Die Folge sind destabilisierte Staaten wie z.B. Afghanistan. Hier leben die Menschen seit langem von einer u.a. auf Drogengeldern aufgebauten Kriegswirtschaft, deren Gewinne lediglich wenigen zugute kommen.

Hierzu passt, dass in einigen besonders konfliktreichen und geostrategisch relevanten Regionen der Welt den jeweiligen Staatsgewalten entweder das Gewaltmonopol oder gleich der ganze Staat abhanden gekommen ist. Hierzu passt auch, dass es den größten Rüstungsexportnationen - darunter seit Jahren auch Deutschland - immer wieder gelingt, mehr Waffen zu verkaufen und diese direkt oder über Umwege auch in Krisen- und Kriegsgebiete gelangen zu lassen. Dies steht verfassungs- und völkerrechtlichen Regelungen entgegen. Viel würde schon in Bewegung kommen, wenn sich Deutschland an die Politischen Grundsätze zum Rüstungsexport bzw. die Rüstungsexportbeschränkungen des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG) und des Kriegswaffenkontrollgesetzes (KWKG) halten würde. Dieses Vorgehen würde die Vereinten Nationen in ihrem Bemühen um effektive Waffenhandelskontrollen unterstützen. In diesem Sinne sind Initiativen wie die ATT-Kampagne der UN selbst dann zu unterstützen, wenn sie aus Sicht der DFG-VK nicht weit genug gehen.

In der UN-Resolution 61/89 vom 6. Dezember 2006 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen mit überwältigender Mehrheit den Beginn von Verhandlungen zu einem internationalen, rechtlich verbindlichen Übereinkommen zur Kontrolle des Handels mit konventionellen Rüstungsgütern "Arms Trade Treaty" beschlossen. In der Präambel dieser Resolution wird das Recht aller Staaten bekräftigt, konventionelle Rüstungsgüter zur Sicherung der Landesverteidigung, von legitimen Sicherheitsbedürfnissen und der Teilnahme an internationalen Friedenseinsätzen herzustellen, einzuführen, auszuführen, zu transferieren und selbst bereitzuhalten. Gleichzeitig wird festgestellt, dass mit diesen Rechten auch völkerrechtliche Verpflichtungen auf Basis der VN-Charta und anderer grundlegender Regelwerke einhergehen. Die Achtung des humanitären Völkerrechts und der internationalen Menschenrechte bei Rüstungstransfers wird ausdrücklich bekräftigt. Es wird ferner betont, dass die Schaffung einheitlicher internationaler Standards für Rüstungstransfers unverzichtbar zur Sicherung von Frieden, Sicherheit und nachhaltiger Sicherheit ist.


Neben dem massiven Drängen auf Einhaltung rechtlicher Aspekte engagiert sich die DFG-VK aktiv gegen den "Kult der Gewalt". Dabei spielen Kleinwaffen aber nicht nur in diesen, vollständig in die globalen Wirtschaftsströme integrierten Krisen-, Konflikt- und Kriegsregionen eine zunehmend gefährliche und destabilisierende Rolle. Auch in den Industrienationen ist der Kult der Gewalt angekommen, moderne Kleinwaffen spielen dabei eine Schlüsselrolle. Nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern auch in den meisten europäischen Gesellschaften nehmen Gewalt, militärische Ideale und der private Waffenbesitz einen großen Raum in der Massenkultur ein.

Kein Fernsehnachmittag, kein "Killerspiel" findet mehr ohne moderne Kleinwaffen statt. Bereits nach der Schule werden Jugendlichen durch Serien, wie z.B. JAG - Im Namen der Ehre", militärische, auf dem Gewaltprinzip basierende, letztlich also anti-demokratische und anti- emanzipatorische Werte vermittelt. Besonders erschreckend ist, es dass in dieser Serie - einer TV-Serie über Militäranwälte - rigorose "humanitäre Militäraktionen", die zudem im Widerspruch zum Völkerrecht stehen, im Bewusstsein junger Menschen als human verankert werden. Es ist nicht verwunderlich, dass amerikanische Militärs den Zulauf bei den Marines "JAG" zuschreiben.

Junge Menschen erfahren durch massenkulturell wirksame Kino- und Fernsehwelt, durch Kriegscomputerspiele, dass es scheinbar keine Alternative zur gewaltbasierten, waffenstarrenden Konfliktlösung gibt. Auffällig ist in diesem Zusammenhang sicherlich der Einsatz von Kleinwaffen durch Jugendliche bei Schulmassakern (Erfurt u.a.) nach amerikanischem Muster. Neben diesen medial viel beachteten "Großereignissen" an Schulen erscheint die alltägliche Gewalt und damit einhergehend die alltägliche Unfähigkeit zur gewaltfreien Konfliktaustragung an Schulen vergleichsweise wenig berichtenswert. Peter Bürgers Studie "Kino der Angst", Preisträger des 2006 erstmalig verliehenen Bertha-von-Suttner-Kunst- & Medienpreises, macht eindrucksvoll deutlich, wie in Hollywood neueste Militärplanungen des Pentagon in Blockbuster-Filme mit hohem Budget einfließen, die aufgrund der aufwendigen Bewerbung in den Kinopalästen laufen, wo sie entsprechend große Zuschauermengen anziehen.


Auf diese Fehlsteuerungen möchte die DFG-VK-Kampagne "Kleinwaffen ächten, Rüstungsexporte stoppen!" aufmerksam machen, sensibilisieren und Gegengewichte schaffen. In diesem Jahr befasst sich die Kleinwaffenkampagne der DFG-VK daher schwerpunktartig mit der Entwicklung von Lehr- und Unterrichtsmaterial zum Themenkomplex Kleinwaffen/Rüstungsexporte/Kult der Gewalt. Zurzeit werden zwei Unterrichtseinheiten entwickelt und an Schulen getestet. Diese sollen ab August allen Interessierten in der DFG-VK und darüber hinaus zur Verfügung stehen.

Die erste Unterrichtseinheit "Virtuelle Welten - Reale Welten" legt den Schwerpunkt auf die konkreten Auswirkungen von Kleinwaffen vor Ort, speziell auf dem afrikanischen Kontinent. Jürgen Grässlins Buch "Versteck Dich, wenn sie schießen" (Gesamttext des Buches siehe wwwjuergengraesslin.com bei "Buchautor"), in dem er die Entwicklung im Bürgerkriegsland Somalia an der Lebensgeschichte Samiiras beschreibt, an deren Verlauf der Exportschlager von Heckler & Koch, das G3, entscheidenden Anteil hat. Die u.g. Verfilmung der Thematik schafft einen hautnahen Zugang zur Thematik.

Ziel der Unterrichtseinheiten ist es, die Sozialkompetenz der Schüler durch handlungsorientiertes Lernen und Wissenserwerb durch praktische Anwendung zu stärken. So ist beispielsweise in der zweiten Unterrichtseinheit "Die Krieger der Zukunft rüsten auf" geplant, den Jugendlichen in einem Plan- und Rollenspiel, die Möglichkeit zu bieten, eigene Erfahrungen zu sammeln. Sie sollen eigenständig Materialrecherche zu dem Themenkomplex Kleinwaffen betreiben und dabei u.a. Interviews mit Bürgern und Experten führen. Im Planspiel schlüpfen sie in die Rollen von Regierungsverantwortlichen und UN-Vertretern, argumentieren als Waffenlobbyisten und stellen ihre Situation als Opfer dar. Am Ende dieser Unterrichtseinheit sollen die Schüler die erarbeiteten Positionen nach Möglichkeit öffentlich und eigenständig vertreten. Im Idealfall wird die Lokalpresse von den Schülern eingeladen und berichtet über die Arbeit der Jugendlichen zum Thema.

Die Unterrichtsmaterialien stellen auch das hervorragende Filmmaterial von Peter Ohlendorf in den Mittelpunkt, der mit seinen beiden Filmen "Das G3 im Visier" sowie "Tödliche Geschäfte" (siehe wwwjuergengraesslin.com bei "Filme") zwei fundiert recherchierte Filme zum Themenkomplex der Kleinwaffenentwicklung, -produktion und dem -export produziert hat, die teilweise bereits in gekürzten Versionen Eingang in das WDR-Schulfernsehen gefunden haben.

Bei der Entwicklung der Unterrichtseinheiten und Projektmaterialien steht vor allem die Möglichkeit einer verstärkten DFG-VK-Arbeit an Schulen und im außerschulischen Bereich im Vordergrund. Umgekehrt eröffnet sich eine Chance, die DFG-VK und deren Friedensarbeit jungen Menschen nahe zu bringen. Erste Testläufe mit dem erarbeiteten Material werden derzeit durchgeführt. So nehmen ein Dutzend Jugendliche an einem Medienworkshop zum Thema "Mit aller Waffengewalt für den Frieden?" in Schweinfurt teil. Die Erfahrungen dieses Seminars sollen auch zur Verbesserung des Unterrichts- und Projektmaterials genutzt werden.

In Kooperation mit dem Deutschen Aktionsbündnis Kleinwaffen Stoppen (DAKS) erarbeitet die DFG-VK darüber hinaus auch konkrete Aktionsangebote für den Herbst dieses Jahres. Gemeinsam mit dem DAKS werden wir auch auf Lehrerfortbildungen für das neue Unterrichtsmaterial werben. Der vielbeachtete Newsletter des DAKS wird regelmäßig über die Aktivitäten, den Stand der Arbeit und die Beteiligungsmöglichkeiten berichten. Der digitale DAKS-Newsletter kann kostenfrei bei André Maertens (ribfr@breisnet-online.de) abonniert werden.


Als mittelfristiges Ziel möchte die DFG-VK mit dieser Kampagne eine Vielzahl von Jugendlichen zu erreichen - ein wichtiger Schritt auf dem längeren Weg zur Ächtung von Kleinwaffen und dem Stopp der Rüstungsexporte.


Joachim Thommes und Sabine Olbrich sind aktiv in der Kleinwaffenkampagne; Kontakt zur Kampagne per eMail: thommes@dfg-vk.de oder graesslin@dfg-vk.de


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Quelle:
ZivilCourage Nr. 2, April 2007, S. 11-13
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK e.V.),
Kasseler Straße 1A, 60486 Frankfurt
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Erscheinungsweise: zweimonatlich
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Juni 2007