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BERICHT/176: Regierung feiert drei Millionen Kriegsdienstverweigerer (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 5 - Dezember 2007
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

Ersatz für nichts
Regierung feiert drei Millionen Kriegsdienstverweigerer

Von Peter Tobiassen


Drei Millionen staatlich anerkannte Kriegsdienstverweigerer gibt es inzwischen. Wer in der DFG-VK in den 1960er oder 1970er Jahren von dieser Zahl gesprochen hätte, wäre Spinner, bestenfalls Utopist genannt worden. Anfang Oktober wurde diese Zahl gefeiert - allerdings nicht von der DFG-VK, sondern von der Bundesregierung.

Der Bundesbeauftragte für den Zivildienst und die Präsidentin des Bundesamtes luden den Dreimillionsten und die Presse ein und hielten Lobreden auf die Verweigerer und ganz besonders auf den Zivildienst. Verkehrte Welt? Vermutlich nicht. Schließlich geht es dem CDU-geführten Jugendministerium darum, den Zwangsdienst für junge Männer aufrecht zu erhalten. Das gelingt indes nur, wenn möglichst viele Wehrpflichtige zu Kriegsdienstverweigerern gemacht werden.

Die CDU-nahe 'Neue Osnabrücker Zeitung' griff das Ereignis groß auf, schließlich kam der Auserwählte aus ihrer Stadt, Alexander Saurin, der Dreimillionste, diktierte den Redakteuren aber gleich das Richtige in die Feder: "Man sollte niemanden zwingen. Gerade soziale Einrichtungen sind darauf angewiesen, dass ihre Mitarbeiter motiviert sind." Altersgenossen - so gibt die Zeitung ihn wieder -, die sich weder von der Bundeswehr noch vom Zivildienst etwas versprechen, sollten daher nicht zur Rechenschaft gezogen werden. "Ich empfinde das nicht als ungerecht."

Die CDU-Minister von der Leyen (Jugend) und jung (Militär) stehen erheblich unter Druck, wenn sie die Wehrpflicht aufrechterhalten wollen. Nach der Bundeswehrplanung werden zurzeit noch 65.000, in der Zielvorgabe ab 2010 weniger als 60.000 Wehrpflichtige gebraucht. Bei Jahrgängen mit 430.000 Männern fällt es schwer, Wehrgerechtigkeit herzustellen, die das Grundgesetz zur Bedingung für die Wehrpflicht macht. je weniger zum unmittelbaren Kriegsdienst gebraucht werden, desto mehr müssen in Ersatzdiensten untergebracht werden, um dem System auch nur einen halbwegs gerechten Anstrich geben zu können. Den 65.000 Einberufungen zur Bundeswehr standen im letzten Jahr 86.000 Einberufungen zum Zivildienst gegenüber. Über 20.000 Kriegsdienstverweigerer leisteten den Zivildienst nicht mehr als Ersatz für den Wehrdienst, sondern als Ersatz für gar nichts.

Damit dieses System klappt, lassen von der Leyen und jung ihre MitarbeiterInnen an etlichen Stellschrauben drehen. Dem Verteidigungsminister geht es darum, möglichst viele Wehrpflichtige in die Untauglichkeit zu entlassen, damit er zum einen die "Creme" der Männer abschöpfen kann, zum anderen aber auch am Ende möglichst wenige Taugliche übrig behält, damit es nicht allzu sehr wehrungerecht aussieht.

Andererseits geht es aber auch darum, möglichst viele Männer zumindest irgendeinen Dienst tun zu lassen, um im nächsten Jahr dem Bundesverfassungsgericht verrechnen zu können, wie viele doch im Rahmen der allgemeinen Wehrpflicht Zivildienst geleistet hätten. Um diese Zahl hoch zu fahren, werden alle gleich zu Beginn der Musterung gefragt, ob sie Wehrdienst oder Zivildienst leisten möchten. Wer sich dann in Richtung "Zivildienst" äußert, dem wird am Ende der Musterung mit der Fahrtkostenerstattungsquittung auch gleich der KDV-Antrag zur Unterschrift vorgelegt. Verweigern ist ganz einfach - Unterschrift genügt.

Was nicht laut gesagt wird, aber später in der Statistik abzulesen ist: Wer vor oder bei der Musterung verweigert, wird anders gemustert. 2005 und 2006 verließen jeweils rund 13.000 Kriegsdienstverweigerer, die nach der Statistik eigentlich als "nicht wehrdienstfähig" hätten eingestuft werden müssen, das Kreiswehrersatzamt als Taugliche. Sie sind nun auf den Weg in den Zivildienst. Ihr Auftrag lautet: Wehrpflicht aufrechterhalten. Und: der Sicherheitsdienstpflicht entgegeneilen.

Ende September 2007 beschloss die CSU in ihrem Grundsatzprogramm: "Aus Gründen der Gerechtigkeit gegenüber der jungen Generation strebt die CSU eine Ausdehnung der Allgemeinen Wehrpflicht zu einer sicherheitspolitisch begründeten Dienstpflicht für Männer, die den Dienst auch im Zivil- und Katastrophenschutz ermöglicht, sowie eine bessere Anrechnung von Freiwilligendiensten an."

In diesem Jahr werden weit über 5.000 als Kriegsdienstverweigerer anerkannte Wehrpflichtige ein Freiwilliges Soziales oder Ökologisches Jahr leisten, das direkt aus dem Zivildiensthaushalt finanziert wird. Ihre Pflicht, Zivildienst zu leisten, erlischt mit der Absolvierung des Freiwilligen Jahres. "Das gilt nicht für den Zivildienst im Verteidigungsfall" lesen dann manche im Zivildienst gesetz und sind überrascht. Das Innenministerium plant für das nächste Jahr die Einführung eines Freiwilligen Katastrophenschutzjahres, natürlich auch anrechenbar auf Dienstpflicht für Männer. Bürgerschaftliches freiwilliges Engagement junger Männer wird missbraucht, um ein Zwangssystem aufzubauen.

Im Bericht über den dreimillionsten Zivi - pardon: Kriegsdienstverweigerer - beschreibt die Neue Osnabrücker Zeitung auch einen typischen Wehrdienstleistenden und einen typischen Zivildienstleistenden. Letzteren trifft die Zeitung in der Paracelsus-Klinik. "Die Paracelsus-Kliniken Deutschland GmbH ist einer der großen privaten deutschen Klinikträger und seit über 30 Jahren im Gesundheitswesen erfolgreich tätig" heißt es unter www.paracelsus-kliniken.de.

In den Kliniken geht es um die gute und hochwertige Versorgung der Patienten und darum, Gewinne zu erwirtschaften, damit die Gesellschafter ebenfalls zufrieden sind. Zivis helfen dabei kräftig mit. Der im Internet mitgelieferte Geschäftsbericht weist für das erste Halbjahr 2007 einen Überschuss von zwei Millionen Euro aus. Wer dachte, Zivildienstleistende würden in gemeinnützigen Einrichtungen zum Wohle der Menschen tätig sein, wird spätestens hier stutzen. Wie kann eine normale GmbH Zivildienstleistende beschäftigen? Warum arbeiten hier betriebswirtschaftlich billige Zivis, wenn doch genügend Geld (2 Millionen Euro Überschuss in einem halben Jahr) für reguläre Arbeitsplätze vorhanden ist? Ausnahmefall? Oder hat die Zivildienstaufsicht versagt?

Nein. Die Neue Osnabrücker Zeitung hat einen Durchschnitts-Zivi angetroffen. Etwa ein Drittel der Zivildienstleistenden arbeitet in ganz normalen gewinnorientierten Unternehmen, in denen es vorrangig darum geht, die Rendite der Aktionäre oder die Gewinne der Gesellschafter zu erhöhen. Zivildienstleistende werden vom Staat an gewinnorientierte Unternehmen ausgeliehen, damit diese mit deren Arbeitskraft Kohle machen können. Der Bund zahlt den Unternehmen einen Zuschuss und übernimmt alle Sozialversicherungszahlungen für diese Mitarbeiter. Die Unternehmen kostet die Arbeitsstunde Zivi - alles eingerechnet - rund drei Euro. Selbst die übelsten Dumpinglöhne sind teurer. Sollte der Zivi nicht so wollen wie sein Arbeitgeber, regiert das Strafrecht. Wenn der Zivi sich weigert, eine Anordnung des Vorgesetzten auszuführen, kann er mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft werden (Paragraph 54 Zivildienstgesetz), wenn er vorzeitig kündigt, steht darauf Gefängnis bis zu fünf Jahren (Paragraph 53 ZDG). Die Kündigung wird dann "Dienstflucht" genannt.

"Im Zivildienst erfüllen anerkannte Kriegsdienstverweigerer Aufgaben, die dem Allgemeinwohl dienen", heißt es in Paragraph 1 Zivildienstgesetz. Darum geht es im Zivildienst schon lange nicht mehr, sondern nur noch um die Aufrechterhaltung der Wehrpflicht. Der Kriegsdienstverweigerer, der ehrlich und konsequent von Anfang an erklärt, er werde keine Menschen umbringen, stützt das System, das er ablehnt. Er hilft mit, dass weiterhin Menschen zum Kriegsdienst gezwungen werden können, er hilft mit, dass das Wehrpflichtsystem weiterhin funktioniert. Alexander Saurin, der Dreimillionste, hat klar gesagt, dass er das nicht will. Aber er wurde geschluckt von der Werbemaschinerie des Ministeriums.

Den Zwang zum Kriegsdienst durchbricht am ehesten derjenige, er nicht (zu früh) verweigert. Die Bundeswehr benötigt nur rund 60.000 von 430.000 - selbst der kleinste Jahrgang hat in absehbarer Zeit noch 370.000 Männer. Weit über 300.000 werden nicht einberufen werden können - warum also sollten sich Männer voreilig zum Zivildienst melden und Ersatz für etwas leisten, was nie von ihnen gefordert werden kann und wird? Es reicht, den KDV-Antrag dann zu stellen, wenn der Einberufungsbescheid zum Grundwehrdienst schon auf dem Tisch liegt.

Peter Tobiassen ist Geschäftsführer der Zentralstelle KDU.


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Quelle:
ZivilCourage Nr. 5 - Dezember 2007, S. 30-31
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK e.V.),
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Januar 2008