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BERICHT/178: Wachsende Ablehnung des Afghanistan-Einsatzes (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 5 - Dezember 2007
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

Wachsende Ablehnung des Afghanistan-Einsatzes
DFG-VK übergibt fast 50.000 Unterschriften an Bundestags-Petitionsausschuss

Von Joachim Schramm


Die Bundeswehr fährt in Afghanistan nicht nur Patrouille und kümmert sich um zivile Hilfe - sondern macht auch aktiv Jagd auf Aufständische." So war es am 8. November auf der Website des Magazins "Focus" zu lesen.

Trotz aller rhetorischen Versuche, das Engagement Deutschlands in Afghanistan als Beitrag zur Zivilisierung des Konflikts darzustellen, wird an solchen und anderen Beispielen deutlich: Die Bundeswehr ist längst Teil des Krieges gegen die aufständischen Teile der Bevölkerung. Dabei sind die Grenzen zwischen dem angeblich der Sicherung des Aufbaus dienenden ISAF-Einsatzes und der "Antiterror"-Operation "Enduring Freedom" (OEF) kaum noch wahrnehmbar. Die Aktion, auf die sich der genannte "Focus"-Bericht bezieht, ist ein ISAF-Einsatz, bei dem 200 Bundeswehrsoldaten 700 afghanische Soldaten "unterstützen".

Jahr der Kontroversen: Mit der Bundestagsabstimmung über die Verlängerung des OEF-Mandats der Bundeswehr am 15. November endete für die parlamentarische Ebene ein Jahr der Kontroversen um das deutsche Engagement in Afghanistan. Während es in den zurückliegenden Jahren kaum Diskussionen um den Militäreinsatz am Hindukusch gab, gestaltete sich dies dieses Jahr deutlich anders.

Angesichts der zunehmenden Wandlung der ISAF-Aktionen zum offenen Kampf gegen die Taliban und andere Aufständische mehrte sich in der deutschen Debatte die Kritik an der deutschen Beteiligung. Besonders die Entscheidung über die erstmalige Stationierung von Aufklärungs-"Tornados" der Bundeswehr weckte Befürchtungen über eine Ausweitung der deutschen Kriegsbeteiligung. 157 Abgeordnete, so viel wie noch nie bei Afghanistan-Entscheidungen, stimmten im März gegen den Einsatz. Im Vorfeld dieser Entscheidung und noch deutlicher danach zerbrach das von der Bundesregierung gemalte Bild, die Bundeswehr diene vorrangig auch dem Schutz deutscher ziviler Hilfe.

Zunächst in einzelnen Stellungnahmen und dann im Oktober als gemeinsame Erklärung von "VENRO" (Verband Entwicklungspolitik Deutscher Nichtregierungsorganisationen) wandten sich Entwicklungshilfeorganisationen gegen eine Vereinnahmung durch die Militärs: "Frieden, Wiederaufbau und Entwicklung können nur gelingen, wenn die militärische Gewaltspirale beendet, das Primat der militärischen Konfliktlösung durch einen verstärkten zivilen Wiederaufbau abgelöst und das Vertrauen der afghanischen Bevölkerung zurück gewonnen wird." Parallell dazu führten die Berichte über immer mehr zivile Opfer der westlichen Kriegsführung, aber auch die steigende Zahl deutscher Opfer zu einer eindeutig ablehnenden Haltung gegenüber dem Auslandseinsatz in der deutschen Bevölkerung. Im August forderten laut einer ARD/Infratest-Umfrage 64 Prozent der Bundesbürger den möglichst schnellen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan.

Schon zu Beginn des Jahres hatte die DFG-VK beschlossen, den Protest gegen den Afghanistaneinsatz der Bundeswehr zu einem Aktionsschwerpunkt zu machen. Der Landesverband Nordrhein-Westfalen hatte dies in seiner Jahresplanung so vorgesehen, und auch für die Kampagne "Schritte zur Abrüstung" wurde im Januar verabredet, einen Schwerpunkt auf dieses Thema zu legen. Mit einer Referententour durch Nordrhein-Westfalen und der Herausgabe eines Aktionsflyers der "Schritte"-Kampagne wurde begonnen, die Forderungen unserer Organisation nach Abzug aller Soldaten breiter bekannt zu machen.

Deutlich wurde hier zunächst, dass auch in den Reihen der eher kritisch Eingestellten die Argumente der Bundesregierung nicht ohne Echo geblieben waren. Die Frage, ob zivile Hilfe, aber auch die teilweise verbesserte Menschenrechtslage der Bevölkerung nicht eines militärischen Schutzes bedürfe, bewegte viele Menschen. Gleiches galt für die Sorge um den Beginn eines Bürgerkrieges bei Abzug der ausländischen Truppen.

Im Laufe des Jahres gaben die kritischen Stellungnahmen der zivilen Hilfsorganisationen selbst eine Antwort auf die erste Frage. Zum Problem eines drohenden Chaos beim Abzug der westlichen Truppen wurden Mitte des Jahres erste Vorschläge in die Diskussion gebracht, die hier zivile Alternativen der Stabilisierung aufzeigten.

Mit verschiedenen Aktionsangeboten versuchte die DFG-VK, die Menschen zum Handeln zu bewegen. Zur "Tornado"-Abstimmung im März boten wir über die Homepage der "Schritte zur Abrüstung" eine eMail-Aktion an, mit der man sich direkt an die Abgeordneten seines Wahlkreises wenden konnte. Ungefähr 1.300 Menschen beteiligten sich, mehr als bei ähnlichen Aktion zuvor, aber natürlich nicht endgültig zufriedenstellend.

Schon zu den Ostermärschen hatten wir eine Unterschriftensammlung unter eine Petition begonnen, die die Abgeordneten des Bundestages aufforderte, kein neues Mandat für den Bundeswehreinsatz in Afghanistan zu erteilen. Auf einer zunächst vom nordrhein-westfälischen DFG-VK-Landesverband betriebenen Aktions-Homepage "www.auslandseinsaetze-beenden.de" wurden Hintergrundinformationen angeboten und weitere Aktionsmöglichkeiten aufgezeigt.

Zum Sommer hin konnten wir unsere Aktivitäten ausweiten, da auch die übrige Friedensbewegung stärker in das Thema einstieg. Im Vorfeld der für September beschlossenen Demonstration in Berlin wurde unsere Unterschriftensammlung auch von der "Kooperation für den Frieden" übernommen. Auch das zweite bundesweite Koordinationsgremium der Friedensbewegung, der Kasseler Friedensratschlag, startete eine Unterschriftensammlung unter einen fast wortgleichen Text. Unser Bundesgeschäftsführer Monty Schädel hatte in diesem Bündnisbereich positiv auf unsere Vorarbeiten verweisen können und erfolgreich um Unterstützung geworben. Auch die zwischenzeitlich "geliftete" Homepage "auslandseinsaetze-beenden" spielte in Folge eine wichtige Rolle in der Verbreitung der Petition und der Werbung für die Berlin-Demonstration.

Dass diese Aktivitäten und die allgemeine öffentliche Diskussion nicht ohne Wirkung blieben, zeigte sich in den Bundestagsparteien. Die Grünen-Basis erzwang einen Sonderparteitag, der einen zumindest militärkritischeren Kurs der Partei beschloss und der machtorientierten Führungsspitze einige Kopfschmerzen verursachte. Auch in der SPD rumorte es, was die Parteiführung zu heftigem Intervenieren zwang. Eine Reise durch die geschonte Wirklichkeit einiger Gegenden Afghanistans und der hoch emotional inszenierte Auftritt der afghanischen Frauenministerin vor der SPD-Fraktion brachte die Kritiker jedoch mehrheitlich wieder auf Kurs.

10.000 Menschen versammelten sich am 15. September in Berlin zur größten Afghanistan-Demonstration seit 2001. Am 10. Oktober konnten dann VertreterInnen der DFG-VK, des Kasseler Friedensratschlages und der Berliner Friedensbewegung fast 50.000 Unterschriften gegen eine Verlängerung der Afghanistan-Mandate an den Petitionsausschuss des Bundestages übergeben. Der raffinierte und demokratisch sehr fragwürdige Schachzug der Bundesregierung, die Abstimmung über die Verlängerung des "Tornado"-Einsatzes mit der über das immer noch stärker akzeptierte ISAF-Mandat zu verknüpfen, brachte dann am 12. Oktober die gewünschte Mehrheit im Bundestag. Immerhin 127 Abgeordnete verweigerten jedoch ihre Zustimmung.

Angesichts dieses doch eindeutigen Ergebnisses war offenbar bei vielen Friedensbewegten "die Luft raus", was weitere Aktionen gegen die im November anstehende OEF-Entscheidung anging. Die hierzu von uns angebotenen Möglichkeiten, die Abgeordneten per email oder auch durch einen direkten Telefonanruf noch einmal zu einer ablehnenden Haltung zu ermutigen, wurden nur noch im bescheidenen Umfang genutzt. Mit der Pro-OEF-Entscheidung des SPD-Parteitages stand allerdings die Mehrheit im Bundestag im Vorhinein fest. Das Ergebnis der Abstimmung am 15. November ist zwar erschreckend vor dem Hintergrund, dass erneut ein völkerrechtswidriger Militäreinsatz der Bundeswehr vom Parlament abgesegnet wurde. Die Zahl der 145 Gegenstimmen quer durch fast alle Fraktionen zeigt jedoch, dass die Keime für eine zukünftige Ablehnung dieses Einsatzes auch im Parlament gelegt sind.

Was heißt das nun für das kommende Jahr? 2007 hat mit vielen Legenden und Verharmlosungen über den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr aufgeräumt. Im nächsten Jahr wird der Kriegscharakter dieses Einsatzes noch deutlicher werden, denn die afghanische Aufstandsbewegung wächst weiter und wird sich als entschlossener Gegner auch der deutschen Soldaten erweisen. Weitere Opfer auf beiden Seiten sind vorhersehbar. Es ist also für die Friedensbewegung dringend notwendig, weiter über diesen Krieg aufzuklären und für seine Beendigung aktiv zu bleiben. Dies ist auch deshalb von großer Bedeutung, da weitere Auslandseinsätze der Bundeswehr ähnlichen Ausmaßes und Charakters folgen werden, wenn es den Militärs und der Regierung gelingt, diesen Einsatz bis zum bitteren Ende durchzuziehen.

In Auswertung der Demonstration in Berlin vom 15. September haben die bundesweiten Zusammenschlüsse der Friedensbewegung für das kommende Jahr zwei Afghanistan-Tagungen ins Auge gefasst. Im Januar stellt die Kooperation für den Frieden ihre alljährliche Strategiekonferenz unter dieses Thema und will beratschlagen, wie es mit den Protesten gegen den Afghanistan-Krieg weitergehen kann. Im weiteren Verlauf des Jahres soll dann eine weitere, auch international ausgerichtete Tagung über den Krieg durchgeführt werden. Auch der Kasseler Friedensratschlag Anfang Dezember wird über Aktivitäten diskutieren.

Die DFG-VK wird auf ihrer Bundesausschuss-Sitzung im Dezember über die Aktionsschwerpunkte der Schritte-Kampagne 2008 beraten. Dabei werden die Aktivitäten zur Beendigung des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr und der Förderung ziviler Alternativen für das Land eine wichtige Rolle spielen. Ins Auge gefasst ist hier zum Beispiel, zu bestimmten Terminen zu gleichzeitigen dezentralen Aktionen aufzurufen, um den Protest in der Fläche sichtbar zu machen und vielen Menschen die Teilnahme zu ermöglichen. Ebenso könnten Aktionspakete vorbereitet werden, um mit deren Hilfe bei Landesparteitagen von SPD und Grünen oder auch bei Gewerkschaftstagen die Teilnehmer zu informieren und zu entsprechendem Umdenken und Handeln aufzufordern. Auch eine Ausstellung sowie eine Plakatserie zum Thema Afghanistan stehen als Idee im Raum. Diese und weitere Ideen werden bis zum Jahresbeginn konkretisiert werden.

Wir haben im laufenden Jahr die Erfahrung gemacht, dass viele Aktive aus der DFG-VK, aber auch darüber hinaus unsere entsprechenden Aktivitäten im Rahmen der Kampagne "Schritte zur Abrüstung" unterstützt haben. Die angebotenen Faltblätter wurden gut angenommen, die Unterschriftensammlung von vielen Ortsgruppen unterstützt. Herauszuheben ist die Gruppe Kiel, die allein über 6.000 Unterschriften sammelte! Doch auch finanziell wurden wir von Mitgliedern und anderen Friedensbewegten breit unterstützt. Fast 10.000 Euro kamen als Spenden zusammen! Das motiviert uns, auf diesem Wege weiter zu machen. Das Thema Afghanistan und die von uns erarbeiteten Materialien und Aktionsangebote bieten die Möglichkeit, die DFG-VK breit als handelnde Friedensorganisation erkennbar zu machen. Ein gutes Stück ist uns das 2007 bereits gelungen. Setzen wir im kommenden Jahr noch einen drauf!


Joachim Schramm ist Geschäftsführer des nordrhein-westfälischen DFG-VK-Landesverbands und aktiv in der bundesweiten DFG-VK-Arbeitsgruppe "Schritte zur Abrüstung".


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Quelle:
ZivilCourage Nr. 5 - Dezember 2007, S. 26-27
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK e.V.),
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Erscheinungsweise: zweimonatlich
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Januar 2008