Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → FRIEDENSGESELLSCHAFT

BERICHT/181: Stetige Militarisierung der deutschen Außenpolitik (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 4 - September/Oktober 2007
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

Germans to the front!
Die stetige Militarisierung der deutschen Außenpolitik

Von Edo Schmidt


Nach 1945 war es den Deutschen verboten, Militärpläne zu entwickeln. Dennoch arbeiteten direkt nach der Kapitulation vom 8. Mai Offiziere am Wiederaufbau einer deutschen Armee sowie an anderen militaristischen Strukturen.

Der bekannteste von ihnen ist Reinhard Gehlen, der Hitlers Feindaufklärung "Fremde Heere Ost" aufbaute, sich nach Kriegsende mit seinem Wissen US-Behörden andiente und später für den Nachfolgestaat der Nazi-Diktatur jahrzehntelang den Auslandsgeheimdienst "Bundesnachrichtendienst" (BND) führte.

Er arbeitete eng mit Hans-Maria Globke zusammen, Erster Staatssekretär Adenauers und bis 1963 oberster Beamter der Bonner Republik. Dieser war nicht nur Mitautor der Diktaturgesetze, die die Weimarer Republik beendeten, sondern auch der so genannten Nürnberger Rassegesetze von 1935, die Grundlage für die Enteignung, Verfolgung und spätere Vernichtung von rund sechs Millionen Jüdinnen und Juden sowie von über einhunderttausend Sinti und Roma (vgl. Braunbuch 1965:352).

Ferner wäre Johann Adolf Graf von Kielmansegg zu nennen, der in den 1960er Jahren den Nato-Landstreitkräften Europa/Mitte vorstand, und der während seiner ersten Militärkarriere bei der Besetzung Polens über die von der Wehrmacht beschlagnahmten Häuser schrieb: "Die Häuser starrten vor Schmutz, die Luft war kaum zu atmen. Erklärlich wurde das, wenn man die fast durchweg jüdischen Einwohner sah" (ebd.: 203).

Letzterer nahm im Oktober 1950, also kurz nach der Gründung der Bundesrepublik, an einem Geheimtreffen in der Eifel im Kloster Himmerod teil, als sich führende Nazi-Offiziere mit Bundeskanzler Konrad Adenauer und dessen "Sicherheitsberater" über die Neugründung der Wehrmacht berieten. Dieses Treffen war zwar illegal, aber man wollte nicht darauf warten, bis die Westalliierten nach einem deutschen Beitrag zur "Abwehr des Kommunismus" verlangten.

Der "Kalte Krieg" - der Dritte Weltkrieg - war bereits in vollem Gange. Und die Deutschen hatten auch schon wieder Kriegsziele: "Der beste Weg, den deutschen Osten wiederzuerlangen, ist die Wiederbewaffnung Deutschlands innerhalb der Europa-Armee", erklärte Konrad Adenauer 1952 mit Blick auf die künftige militärische und außenpolitische "Westanbindung".

1955 wurde schließlich die Bundeswehr auf Grundlage der "Himmeroder Denkschrift" gegründet. Erfahrenes Personal war noch genug vorhanden, selbst hochrangiges: "31 von 38 Generälen der neu gegründeten Bundeswehr waren Mitglieder des Generalstabes der Wehrmacht gewesen. Für den neuen Job brauchte man kein 'Wendehals' zu sein. General Adolf Ernst Heusinger, Wehrmachtsgeneral und späterer Generalinspekteur der Bundeswehr: 'Der Eintritt in die Europa-Armee wird es uns ermöglichen, unsere frühere Kampffront völlig wiederherzustellen" (Oberansmayr 2004:12).

So denkt jemand, der die Strategien für die Überfälle Nazi-Deutschlands auf seine Nachbarstaaten führend mitplante und für den "Endsieg" sogar das Einziehen von Kindern und Greisen, den "Volkssturm", vorschlug - und der nach der Niederlage von 1944/45 immer noch nicht genug hatte.

Kein Einzelfall: "1960 dienten bereits 15.000 Offiziere der Wehrmacht wieder in der Bundeswehr, 300 aus dem Führerkorps der SS." (Brendle 2005:12)

Aufgrund der Erfahrungen mit der Nazi-Diktatur unterlag die Bundeswehr bis 1989/1990 gewissen Beschränkungen, was ihre Aufgabenstellung betraf. Im Grundgesetz hat sich daran bis heute nichts geändert: Der reine Verteidigungsauftrag und das Verbot der Drohung mit Angriffskriegen sowie deren Vorbereitung und Durchführung ist in den einschlägigen Artikeln des Grundgesetzes (z.B. 87a oder 26) nach wie vor festgeschrieben.

Erst nach der "Abwicklung" der DDR und den Vier-Plus-Zwei-Verhandlungen (4 ehemals alliierte + 2 deutsche Staaten), die zu den heute so genannten "Zwei-Plus-Vier-Verträgen" führten, erlangte die Bundesrepublik ihre volle Souveränität. Zwar wurden verschiedene Bundeswehrverbände in bi- und multinationale Streitkräfte "eingebunden", aber über die Europäische Union verfolgte die Kohl-Regierung - gemeinsam mit Frankreich und mit Unterstützung der Benelux-Staaten - ihre eigenen Militärinteressen. Dabei konnte sie auf die in den späten 1980er Jahren wiederbelebten Strukturen der Westeuropäischen Union (WEU) zurückgreifen.

1992 formulierte der damalige "Verteidigungsminister" Volker Rühe (CDU) in seinen "Verteidigungspolitischen Richtlinien" (VPR) erstmals "deutsche vitale Sicherheitsinteressen" und meinte den freien Zugang der deutschen Wirtschaft zu Rohstoffen sowie die für einen "Exportweltmeister" so wichtigen offenen Handelswege. Der Osten, vor allem aber der Balkan und der Kaukasus, seien nach dem Zerfall der Sowjetunion für die deutsche Außen- und Wirtschaftspolitik von besonderem Interesse. Mit den VPR wurde die Bildung so genannter "Krisenreaktionskräfte" der Bundeswehr angekündigt.

Damit zeichnete sich die Umwandlung der Bundeswehr von einer reinen Verteidigungsarmee (grundgesetzkonform!) zu einer Interventionsarmee (grundgesetzwidrig!) ab. Dies machte die Erlaubnis von "out-of-area-Einsätzen" nötig, also Einsätze außerhalb des Nato-Bündnisgebietes - und damit außerhalb der Verfassung! Dieses Dilemma konnte nur durch das Bundesverfassungsgericht gelöst werden.

Im Juli 1994 wurde denn auch ein entsprechendes Urteil gefällt. Darin hieß es, dass "out-of-area-Einsätze" im Rahmen des Handelns von "Bündnissen kollektiver Sicherheit" durchaus vertretbar seien. Tatsächlich erlaubt das Grundgesetz die Übertragung von hoheitlichen Aufgaben an ein "System kollektiver Sicherheit" (Artikel 24), wie z.B. die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) - ein Bündnis von ehemals sich feindlich gegenüberstehenden und nun kooperierenden Nationalstaaten (und kein offensiv ausgerichteter Militärpakt à la Nato oder EU). Aber es schließt die Aufstellung von Interventionstruppen sowie Angriffskriege eindeutig aus.

Hierüber setzte sich das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil von 1994 hinweg und legte das Grundgesetz einfach so weit aus, dass auch die Nato und die EU als solche Systeme definiert wurden, was immer noch höchst umstritten ist.

Bereits vor diesem Verfassungsgerichtsurteil, aber nach der Ablehnung eines Antrages auf einstweilige Verfügung am 8. April 1993, der Auslandseinsätze von Bundeswehrsoldaten unterbinden sollte, standen mehrere hundert Bundeswehrsoldaten in der somalischen Wüste Ostafrikas, um gemeinsam mit sieben (!) indischen Soldaten einen UN-Blauhelmeinsatz durchzufahren. Die Inder hatten aufgrund der Fragwürdigkeit dieses Einsatzes ihr ursprüngliches Angebot zurückgezogen und schickten lediglich diese sieben - die Mission hatte schlicht keinen Auftrag, denn es ging einzig und allein darum, einen Präzedenzfall für Auslandseinsätze der Bundeswehr zu schaffen.

Während die Luftwaffe vorher im Rahmen humanitärer Einsätze noch Decken, Zelte und Lebensmittel flog, verlegte man sich in der Folge dieses ersten out-of-area-Einsatzes und des anschließenden Urteils aus Karlsruhe darauf, Kampftruppen in alle Welt schicken zu können, was seit dem Nato-Angriffskrieg gegen Jugoslawien 1999 auch vermehrt geschieht. Koordiniert werden die hierfür erforderlichen Transportflüge übrigens in Münster, und zwar vom Lufttransportkommando der Bundeswehr an der Manfred-von-Richthofen-Straße in der gleichnamigen Kaserne.

Zu der Zerstörung des jugoslawischen Staates vor allem durch die deutsche Außen- bzw. Interessenpolitik in den 1990er Jahren, dem "Genscherismus" (benannt nach dem damaligen FDP-Außenminister), nur so viel: die Verschiebung der südöstlichen Grenze von EU und Nato eröffnete ein willkommenes Übungsfeld für die Erlernung von Fähigkeiten, die für die heutigen "Aufgaben" der Bundeswehr dringend benötigt werden.

1999 flogen schließlich zum ersten Mal Bundeswehr-"Tornados" Angriffe - und verursachten unter anderem "Kollateralschäden" in einem olivgrün-roten Angriffskrieg. Niemand bezweifelte ernsthaft die Verfassungs- und Völkerrechtswidrigkeit dieser Militäraggression. Die Besetzung des Kosovo dauert bis heute an, denn Krieg ist nicht die Lösung irgendeines Problems (außer für Waffenhändler und Rüstungsschmieden), sondern schafft nur neue Probleme, was sich in Afghanistan, Irak, Tschetschenien, Libanon, Palästina usw. nur allzu leicht beobachten lässt.

Aber auch diese Besetzung liefert wertvolle Erfahrungen für die Truppe und hat den günstigen Nebeneffekt der Kontrolle der Verkehrs- und Handelswege auf dem Balkan. In diesem Sinne sind im Übrigen auch die heutigen Nato-Seemissionen im Mittelmeer und vor Gibraltar im Rahmen der "Operation Active Endeavour" sowie am Horn von Afrika im Rahmen der "Operation Enduring Freedom" zu sehen.

Mit dem Angriff auf Jugoslawien wandelte sich die Nato von einem reinen Verteidigungs- zu einem offensiv ausgerichteten Militärbündnis. Das war sie zwar in Teilen schon immer, aber auf einer Konferenz im April 1999 in Washington während des "Kosovokrieges" veränderte man auch formell die Bündnisaufgaben. Man wollte sich künftig der Konfliktvermeidung und der Friedenserhaltung sowie dem Aufrechterhalten des Welthandels und - ach ja! - der "Verhinderung humanitärer Katastrophen" widmen. Auch "Friedensschaffung" durch Militärinterventionen stand auf der Agenda, denn es kommt darauf an, wer Kriege führt.

Zur Propaganda, die in Deutschland angeblich nötig war, um diesen Krieg zu führen, seien nur Stichworte genannt: Fischers Auschwitz-Relativierung, Scharpings frei erfundenes KZ und die Geheimdiensterfindung "Operation Hufeisen" (vgl. Angerer/Werth 2001). Der damalige Nato-Sprecher James Shea bescheinigte der Bundesregierung ein ungeheures Geschick bei der Manipulation der veröffentlichten Meinung: "Die politischen Führer spielten die entscheidende Rolle für die öffentliche Meinung. Sie sind die demokratisch gewählten Vertreter. Sie wussten, welche Nachricht jeweils für die öffentliche Meinung in ihrem Land wichtig war. Nicht nur Minister Scharping, auch Kanzler Schröder und Minister Fischer waren ein großartiges Beispiel für politische Führer, die nicht der öffentlichen Meinung hinterher rennen, sondern diese zu formen verstehen." (ebd.)

Nach den Anschlägen vom 11. September: "Operation Enduring Freedom". Arbeitete die Nato 1999 noch selbst mit der albanischen Terrororganisation UCK zusammen, dient seit dem 11. September 2001 verstärkt die "Terrorismusbekämpfung" zur Legitimation von Kampfeinsätzen. Sie fand auch Eingang in den (bisher abgelehnten) Verfassungsvertrag der Europäischen Union. Mit Hilfe eines "Antiterror"-Diskurses wurde der Kontroll- und Repressionsapparat in der Bundesrepublik ohne jede Gegenwehr ausgebaut, und gleichzeitig wurden die bürgerlichen Freiheitsrechte stark eingeschränkt. Auf Autobahnen, Flughäfen und Bahnhöfen sowie in vielen Innenstädten entstand ein lückenloses Überwachungssystem.

In diesem Zusammenhang werden in Deutschland wieder Köpfe vermessen - diesmal allerdings zur Sammlung biometrischer Daten, die in Ausweisdokumenten und wer weiß wo noch gespeichert werden. Die Migration nach Europa und vor allem in die Bundesrepublik wurde beinahe vollständig verunmöglicht. Inzwischen sind sogar Kriegsschiffe im Mittelmeer unterwegs, um MigrantInnen abzufangen.

Im Oktober 2001 wurde damit begonnen, Afghanistan zu bombardieren - der erste Schritt in einem "dauerhaften" Antiterror-Weltkrieg, den die Bush-Administration zynischerweise "Operation Enduring Freedom" nannte und dabei von einem "Kreuzzug" sprach. Und dies, als die Taliban längst bereit waren, Osama Bin Laden, den angeblichen Urheber der Anschläge vom 11. September, auszuliefern. Statt zu verhandeln, holte man lieber längst fertige Militärpläne aus Pentagon-Schubladen und pflegte das willkommene neue Feindbild, das von nun an helfen würde, alle Rüstungsprojekte zu legitimieren.

An der Besetzung Afghanistans beteiligen sich auch deutsche Soldaten - zeitweise sogar in leitender Funktion z.B. durch den Einsatz des Deutsch-Niederländischen Korps, das in Münster am Hindenburgplatz sein Hauptquartier hat -, spielt das zentralasiatische Land doch eine wichtige Rolle für den Rohstofftransport aus der rohstoffreichen Region des Kaspischen Meeres sowie für die Machtprojektion des Westens. Außerdem waren die Taliban für den Westen nicht länger interessant, da sie unfähig schienen, die Sicherheit der Pipeline-Projekte zu garantieren, über die sie lange unter anderem mit US-Konsortien verhandelten. (Vgl. Rashid 2001)

Die Propaganda für diesen Krieg lief wie von selbst: Unmittelbar nach den Anschlägen von New York und Washington spielten die Medien bzw. ihre ProtagonistInnen total verrückt und gingen voll auf Kriegskurs ("War on Terror", "America strikes back" usw.).

Auch in Deutschland: Kriegs- und Autokanzler Schröder sprach von der "uneingeschränkten Solidarität" und meinte blinde Gefolgschaft in den Krieg. Ein anderer legte sich besonders mächtig ins Zeug: "In dieser Stunde sind wir alle Amerikaner!", so Peter Struck (SPD) im Bundestag. Später, als ob es ihm peinlich wäre, angesichts der globalen Kriegführung der Bundesrepublik immer noch "Verteidigungsminister" genannt zu werden, kündigte er am 5. Dezember 2002 die Erarbeitung neuer "Verteidigungspolitischer Richtlinien" mit dem Satz an: "Die Sicherheit der Bundesrepublik wird auch am Hindukusch verteidigt."

Im Mai 2003 veröffentlichte Struck dann die neuen Richtlinien der Bundeswehr, in denen offen von einem "Umbau zu einer Interventionsarmee" trotz aller Verbote in der Verfassung gesprochen wird. Die Bundeswehr werde zwar etwas kleiner, dafür aber "flexibler", d.h. schneller verlegbar. Die Bereiche Luftwaffe, Heer und Marine werden komplett umstrukturiert und effektiver für Kampfeinsätze aufeinander eingestellt. Ein Bestandteil dieser neuen "Armee im Einsatz" (Weißbuch 2006) ist die Elitekampftruppe "Kommando Spezialkräfte". Ursprünglich als Sonderfall der Krisenreaktionskräfte geplant, wurde sie (vermutlich) erstmals in Afghanistan eingesetzt. Über die Einsätze und Aufgaben dieser zwielichtigen Kleinkriegstruppe stimmt kein Parlament ab, denn sie sind so geheim, dass nicht einmal der jeweilige Bundeskanzler bzw. die Bundeskanzlerin umfassend informiert wird.

Unterdessen am Hindukusch: Die Menschenrechtslage hat sich durch den andauernden Krieg laut Amnesty International dramatisch verschlechtert, ebenso die Lage der Frauen - in der Propaganda der Bundesregierung für diesen Krieg war die Aufhebung ihrer Unterdrückung eines der Hauptmotive (vgl. Jelpke 2007). Sie wird sich kaum durch die "Tornados" der Bundeswehr, die zur Zielleitführung bei Nato-Bombardements eingesetzt werden, verbessern lassen. Der Äußerung Jaap de Hoop Scheffers, des Nato-Generalsekretär, "Wir bauen Schulen, Straßen und demokratische Institutionen", lässt sich hinzufügen: "Und zerstören sie anschließend wieder durch die Bombardierung der Zivilbevölkerung!".

Dieses Muster der Kriegführung entspricht der "Fisch im Wasser"-Theorie der US-Regierung während des Vietnamkrieges: Heute sind es die Taliban, die sich in einigen Städten und Regionen "wie Fische im Wasser" bewegen können, also muss der "Sumpf trockengelegt" werden, indem der Krieg gegen die Zivilbevölkerung ausgedehnt wird. Übrigens genau dort, wo Pipelines gebaut werden, denn die Taliban sind inzwischen zu einer realen Bedrohung für diese Projekte geworden. Das ist der Grund, weshalb die Nato ihre Kriegführung in Afghanistan intensiviert, was durch die militaristische Vokabel "Frühjahrsoffensive" aus der Nato-Zentrale in Brüssel verharmlost werden sollte - wie auch die Beteiligung der Bundeswehr am Bombenterror der Nato mit der Bezeichnung "Aufklärungsflüge".

Und noch eine Parallele wird immer deutlicher: Die Situation in Afghanistan erinnert fatal an Tschetschenien, wo die russische Armee ebenfalls Pipelines schützt und gleichzeitig die Zivilbevölkerung bekriegt - seit nunmehr über einem Jahrzehnt.

Zum Irakkrieg sei hier nur angemerkt: Bundeswehr, BND und deutsche Polizei waren (und sind) beteiligt, auch wenn die rot-grüne Regierung im Wahlkampf um des Machterhaltes willen das Gegenteil behauptete. Übrigens hatten damals die "Awacs-Aufklärer", in denen Bundeswehrsoldaten ihren "Dienst" verrichteten, über dem Nordirak die gleiche Aufgabe wie die im Frühjahr dieses Jahres "angeforderten" "Tornados" der Bundeswehr. Damit letztere von der Nato in Afghanistan "dringend benötigt" werden konnten, mussten erst britische "Aufklärungsflugzeuge" abgezogen werden. Die deutsche Regierung will ganz offensichtlich solche Kampfeinsätze von, ihrem Militär. Und hinter der Regierung steht die (Rüstungs-)Industrie.

Ausblick: "Enduring War". Schon heute fließt mindestens jeder achte Euro vom Bundeshaushalt in die Bundeswehr bzw. in deren globale Kriegführung - und in die hierfür benötigten Rüstungsprojekte, wie den Truppentransporter-Airbus A380, den "Eurofighter" (vorher Jäger 90"), die neuen Kampfhubschrauber und die kleineren Panzerfahrzeuge sowie die moderne Nahkampfausrüstung für den "Infanteristen der Zukunft" (Bundeswehrwerbung). Und wohin die Reise geht, zeigt der überarbeitete und fast beschlossene EU-Vertrag (die ehemalige EU-Verfassung): er enthält ein "Aufrüstungsgebot", und die Rüstungsagentur, die ein stetiges Ansteigen der Rüstungsausgaben aller europäischen Regierungen überwachen soll, existiert bereits!

Künftig wird die Bundeswehr, das zeigt das Beispiel Libanon, überall dabei sein, da offenbar sämtliche Beschränkungen aus der Vergangenheit gefallen sind. Entsprechend sieht die Rolle Deutschlands innerhalb von Nato und EU aus:

Die Bundeswehr ist an vier multinationalen Korps beteiligt, die die Kampfeinsätze im Rahmen von Nato-"Operationen" führen: dem Deutsch-Amerikanischen, dem Deutsch-Französischen, dem Nordostkorps (mit Polen und Dänemark) sowie dem Deutsch-Niederländischen Korps. Diese Truppen sollen gemäß der Nato-Strategieplanung sowie der VPR auf der ganzen Welt einsetzbar sein.

Und nun bekommen sie noch durch die EU "Konkurrenz": Bis Ende 2007 werden 13 Battlegroups ("Schlachtgruppen"!) mit einer Stärke von jeweils 1.500 Soldat/innen gebildet. An vier von ihnen ist die Bundeswehr beteiligt. Innerhalb von 15 Tagen sollen sie in einem Radius von 6.000 Kilometern rund um Brüssel einsatzfähig sein, ohne auf die Logistik der Nato zurückgreifen zu müssen. Eine intensive Zusammenarbeit und gemeinsame Einsätze von EU und Nato sind jedoch geplant. Die Battlegroups sollen sich vor allem um "gescheiterte Staaten" in Afrika "kümmern" - solange diese über interessante Rohstoffe verfügen! Einzelne EU-Staaten stellen sich schon jetzt auf Einsätze ein, denen nicht einmal ein UN-Mandat zugrunde liegen muss. Kommt die EU-Verfassung - z.B. in abgespeckter Version als EU-Vertrag -, wären dann Kampfeinsätze möglich, die der EU-Ministerrat im Alleingang beschließt. In Ausnahmefällen kann dies sogar ein (vorgesehener) EU-Außenminister aufgrund von entsprechenden Geheimdienstinformationen in die Wege leiten. Die Parlamente, also die gewählten VolksvertreterInnen, müssen damit nicht unbedingt behelligt werden - oder wenn, dann geht dies zur Not auch nachträglich. Damit wird die EU und zum wiederholten Male Deutschland zum "global player", denn der Vierte Weltkrieg hat schon begonnen.


Edo Schmidt ist DFG-VK-Mitglied und seit vielen Jahren in der Friedensarbeit in Münster engagiert


Quellen

Angerer, Jo und Matthias Werth: Es begann mit einer Lüge. Film-Dokumentation über die Regierungspropaganda im "Kosovokrieg", ausgestrahlt am 8. Februar 2001 in der ARD

Arbeitsstelle Frieden und Abrüstung (Hg.): Am Hindukusch und anderswo. Die Bundeswehr - Von der Wiederbewaffnung in den Krieg, Köln 2005

Bundesministerium der Verteidigung (Hg.): Verteidigungspolitische Richtlinien für den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung 1992

BMVg (Hg.): Verteidigungspolitische Richtlinien 2003

BMVg (Hg.): Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr 2006

Braunbuch. Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik. Staatsverlag der DDR, Berlin 1965

Brendle, Frank: 50 Jahre Bundeswehr. Neugründung mit dem alten Personal der "schmutzigen" Wehrmacht. In: Zivil-Courage. Nr. 5/6, Dezember 2005:12

Jelpke, Ulla: Freiheitsversprechen unerfüllt. Die triste Lage der Frauen in Afghanistan war ein Vorwand für Krieg. Geändert hat sich für sie seit der US-geführten NATO-Invasion Ende 2001 außerhalb von Kabul fast nichts. In: Feminismus. Frauen im Krieg. Beilage der Tageszeitung "junge Welt" vom 28. Februar 2007

Oberansmayr, Gerald: Auf dem Weg zur Supermacht. Die Militarisierung der Europäischen Union, Wien 2004.

Rashid, Ahmed: Taliban. Afghanistans Gotteskrieger und der Dschihad, München 2001

Schmidt, Edo: Demokratische Propaganda. Wie in westlichen Demokratien Kriege vorbereitet werden In: Gruppe B.A.S.T.A. (Hg.): Münster ist im Krieg. Und wir sind dagegen! Über die "Stadt des Westfälischen Friedens" und ihre Rolle in den heutigen globalen Kriegen, Münster 2002

ders.: "Non!" "Nee!" "No!" - "Nein?" Gegen die neue EU-Verfassung! Gegen ein neoliberales, militarisiertes Europa der Großbanken, Rüstungs- und Energiekonzerne! In: direkte aktion #170 vom Juli/August 2005

Subcomandante Marcos: Der Vierte Weltkrieg hat schon begonnen. In: Le Monde diplomatique vom August 1997


*


Quelle:
ZivilCourage Nr. 4 - September/Oktober 2007, S. 4-7
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK e.V.),
Kasseler Straße 1A, 60486 Frankfurt
Redaktion: ZivilCourage, Postfach 90 08 43, 21048 Hamburg
Tel. 040/18 05 82 87, Telefax: 01212/571 94 60 95
E-Mail: zc@dfg-vk.de
Internet: www.zc-online.de

Erscheinungsweise: zweimonatlich
Jahres-Abonnement: 12,00 Euro einschließlich Porto
Einzelheft: 2,00 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Februar 2008