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BERICHT/186: Freiwilliger Zivildienst? (Forum Pazifismus)


Forum Pazifismus Nr. 16 - IV/2007
Zeitschrift für Theorie und Praxis der Gewaltfreiheit

Freiwilliger Zivildienst?
Schritte auf dem Weg zu einer allgemeinen Dienstpflicht

Von Ulrich Finckh


Der Bundesbeauftragte für den Zivildienst berichtet, dass er oft auf die Möglichkeit eines verlängerten freiwilligen Zivildienstes angesprochen wird, weil Zivis lieber Zivildienst machen als arbeitslos sein wollen und Zivildienststellen ihre Zivis gern länger haben wollen. Das geschilderte Problem ist aber ein Scheinproblem, denn nach dem Zivildienst kann jede Dienststelle ihre Zivis ohne Schwierigkeiten weiter beschäftigen. Sie hat dafür drei Möglichkeiten: normales Beschäftigungsverhältnis (voll oder in Teilzeit), Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) und Minijob. Da Zivis keine normalen Arbeitskräfte ersetzen dürfen, kann das normale Beschäftigungsverhältnis eigentlich nicht in Frage kommen. Dann wäre nämlich klar, dass der Zivi an einer Stelle tätig ist, an der er nicht tätig sein darf Deshalb muss diese Möglichkeit ausscheiden, obwohl sie bei einer Tagung zum Thema "Zivildienst als Lerndienst" von Verbänden und Dienststellen mehrfach gefordert wurde. Wenn ein Zivi allerdings gesetzeskonform als zusätzliche Kraft eingesetzt wird, kann er ohne Schwierigkeiten durch Freiwillige oder "Minijobber" (also im Rahmen einer geringfügigen 400-Euro-Beschäftigung) ersetzt werden. Wenn er selber weitermachen will, kann er auch die eine oder andere dieser beiden Möglichkeiten wählen. Beim FSJ hat er allerdings zu beachten, dass dessen Mindestdauer sechs Monate beträgt (und sich dabei natürlich die Frage stellen würde, ob der Betroffene nicht gleich anstelle des Zivildienstes ein FSJ machen sollte). Das angebliche Problem einer Verlängerung des Zivildienstes kann es also eigentlich weder für die Dienststellen noch für die Zivis geben.

Was steckt dann hinter den Fragen nach einer Verlängerung auf Seiten der Zivis? Es kann nach meiner Einschätzung eigentlich nur der Vergleich mit den Freiwilligen bei der Bundeswehr sein. Wer dort freiwillig länger dient, erhält viel bessere finanzielle Bedingungen. Das sehen die Zivis bei Klassenkameraden, die bei der Bundeswehr freiwillig länger dienen. Da fragen sie mit einem gewissen Recht, warum es für ihren Ersatzdienst keine vergleichbare Regelung gibt. Weil der längere Dienst bei der Bundeswehr freiwillig ist, kann er allerdings nicht unter die verpflichtende Gleichbehandlung fallen. Die Zwangssituation mit Befehl und Gehorsam und Strafandrohungen, die bundeswehrtypisch ist, hat nur im militärischen Dienst Sinn. Lediglich im erzwungenen Ersatzdienst kann eine entsprechende Regelung begründet werden. In freiwilliger Tätigkeit außerhalb des Militärs ist sie fehl am Platz, und die Berufung auf Art. 3 GG dürfte nicht greifen.

Der Vorschlag des Bundesbeauftragten für einen freiwilligen verlängerten Zivildienst ist in der bisher bekannt gewordenen Form m. E. verfehlt. Er übernimmt die bundeswehrtypischen Strukturen des mit Strafen drohenden Zwangsdienstes ohne inhaltliche Begründung dafür. Er ist nicht gleich geregelt mit gleicher Bezahlung und vergleichbaren Verpflichtungen, kann es wohl auch nicht sein. Er soll jederzeit kurzfristig kündbar sein, was für die ZDS wenig sinnvoll ist; das könnte mit einem Dienst im FSJ ebenso geregelt werden. Er soll dabei ohne staatliche Zuschüsse auskommen, was teurer als eine Tätigkeit im FSJ wäre. Für die ZDS ist er also kein sinnvolles Angebot. Für die Zivis ist er es auch nicht. Im FSJ hätten sie wenigstens fachliche Begleitung, Lernangebote, mehr Freiheit und weniger Einschränkungen der Tätigkeiten. Die derzeitigen Planungen für den "freiwilligen Zivildienst" überzeugen nicht.

Das führt notwendig zur Frage, was denn dann zu solchen Überlegungen führen kann. Mir fallen nur zwei Möglichkeiten ein. Die eine ist aber die bösartige Unterstellung, dass alles unüberlegt, bestenfalls gut gemeint, aber eben nicht gut ist. Will man das dem Bundesbeauftragten nicht unterstellen, bleibt nur die Möglichkeit, dass ganz andere Überlegungen dahinter stecken. Das könnte angesichts der ungeklärten Situation der Wehrpflicht der Fall sein. Bekanntlich hat die SPD die merkwürdige "freiwillige Wehrpflicht" erfunden. Die Unionsparteien wollen die Wehrpflicht nicht nur erhalten sondern zu einer sicherheitspolitisch begründeten allgemeinen Dienstpflicht ausbauen. Das könnte bedeuten, dass alle jungen Männer, womöglich alle jungen Menschen, zu einem Dienst verpflichtet werden sollen und lediglich wählen können, welchen sie "freiwillig" leisten wollen. Dann würde die Wehrpflicht bleiben, aber der Militärdienst wäre ein "freiwilliger" geworden. Auf diese Weise würde ein sicherheitspolitisch begründeter Dienst für die Allgemeinheit die derzeitige Wehrpflicht ersetzen, und die großen Parteien könnten behaupten, sie hätten die Wehrpflicht beibehalten, aber gleichzeitig weitgehend auf Freiwilligkeit umgestellt. Angesichts der Sorge, die Freiwilligen könnten wegen der zunehmenden militärischen Interventionen ausgehen, hätte man weiterhin das Druckmittel der Dienstpflicht. In einem solchen Zusammenhang wären verlängerte Dienste aller Art denkbar. Könnte das hinter den unklaren Plänen für den freiwillig verlängerten Zivildienst und hinter den ebenso unklaren Diskussionen zur Wehrpflicht stecken?

Ich muss gestehen, dass ich hier überaus misstrauisch bin. Aus Großbritannien und den USA wird berichtet, dass die Anwerbung von freiwilligen Soldatinnen und Soldaten wegen der Kriege in Irak und Afghanistan zunehmend schwieriger wird und die Werber überlegen müssen, wo und wie sie noch Freiwillige für das Militär finden können. Da kann es gut sein, dass auch deutsche Militärs und Militärpolitiker sich auf eine ähnliche Entwicklung vorbereiten wollen. Es wird ja vielfach damit argumentiert, man brauche die Wehrpflicht, um genügend Freiwillige für die Bundeswehr zu finden. Derzeit beruht der Mangel an Freiwilligen aber nur auf einem Organisationsproblem. Wenn die Annahmestellen zu geringe Kapazitäten haben und außerdem schlecht arbeiten, können sie nicht so viele Freiwillige annehmen, wie die Bundeswehr gern hätte. Das führt dann dazu, dass man den, Interessenten sagt, sie könnten sich ja aus der Truppe heraus verpflichten. An der Wehrpflicht wird deshalb festgehalten, obwohl 50.000 Einberufungen unter 400.000 Wehrpflichtigen eines Jahrgangs natürlich reine Willkür sind. Wegen der Wehrungerechtigkeit muss umorganisiert werden, wenn man die Pflicht erhalten, aber die Ungerechtigkeit beseitigen will. Da gibt es auch schon einige Versuche. Mit der Änderung der Kriterien für Wehrdienstfähigkeit, die dazu geführt hat, dass fast die Hälfte eines Jahrgangs angeblich nicht mehr wehrdienstfähig ist, hat sich Minister jung nur lächerlich gemacht. So ungerecht Ungerechtigkeit beseitigen zu wollen, geht nicht. Deshalb soll der Zivildienst bisher der Wehrpflicht zu Hilfe kommen. Das beginnt mit großzügiger Zuerkennung von Tauglichkeit an Kriegsdienstverweigerer und geht weiter mit viel stärkerer Heranziehung zum Zivildienst. Jeder weitere Ausbau des Zivildienstes könnte als Vorbereitung einer Dienstpflicht gedacht sein. Aber ist das machbar?

An dieser Stelle ist daran zu erinnern, dass Art. 12 GG eine Dienstpflicht ausdrücklich verbietet. Abgeordnete sind zwar, wenn sie die nötigen Mehrheiten sehen, schnell bereit, das Grundgesetz zu ändern. Hier würde es aber nicht um eine Änderung gehen, sondern um das in Art. 19 Abs. 2 GG verbotene Antasten des Wesensgehaltes von Art. 12 GG. Darüber hinaus ist an die internationalen Konventionen zu erinnern, die Zwangs- und Pflichtdienste verbieten. Außer der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (Art. 23) sind das vor allem der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (Art. 8 Abs. 3), der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Art. 7), auch die Europäische Sozialcharta und der ILO-Vertrag. Die wichtigsten Konventionen sind dabei ursprünglich gegen Kolonialismus, Nationalsozialismus und Stalinismus gerichtet. Deutschland hat an allen drei Verbrechen Anteil gehabt und muss sich besonders hüten, Zwangs- und Pflichtdienste (abgesehen vom Militärdienst) zu organisieren. Wer heute an Pflichtdienste denkt, weiß offensichtlich nicht, welche Belastungen der deutschen Vergangenheit dabei hochkommen. Sollten die Pläne für einen verlängerten Zivildienst in solchen Zusammenhang gehören, kann man schon jetzt sagen, dass sie sinnlos sind, weil sie scheitern werden.


Ulrich Finckh ist Mitglied des Versöhnungsbunds und war von 1971 bis 2003 Vorsitzender der Zentralstelle KDV


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Quelle:
Forum Pazifismus - Zeitschrift für Theorie und Praxis
der Gewaltfreiheit Nr. 16, IV/2007, S. 34-36
Herausgeber: Internationaler Versöhnungsbund - deutscher Zweig,
DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen) mit der Bertha-von-Suttner-Stiftung der
DFG-VK, Bund für Soziale Verteidigung (BSV) und Werkstatt für
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. März 2008