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BERICHT/203: Interview mit der Friedensforscherin Frida Berrigan (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 4 - September 2008
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

"Wenn man im Werkzeugkasten nur einen Hammer hat, sehen alle Probleme wie Nägel aus."

Interview mit der Friedensforscherin und -aktivistin Frida Berrigan über die US-Politik


ZIVILCOURAGE: Frida, Du hat in einem kürzlich veröffentlichten Artikel die Ausdehnung des US-Verteidigungs- bzw. Kriegsministeriums, des Pentagons, während der Regierungszeit von George W. Bush beschrieben. Welches sind die Hauptmerkmale dieser Expansion und welche Folgen werden sie Deiner Meinung nach haben?

FRIDA BERRIGAN: In meinem Artikel habe ich das Augenmerk auf sieben Bereiche gelenkt, in denen das Pentagon während der Administration von Präsident Bush in den letzten sieben Jahren seinen Einfluss erweitert hat. Hier will ich mich auf drei wichtige Bereich konzentrieren, auch weil dies in den Medien kaum Erwähnung findet: den diplomatischen Dienst, den Waffenhandel und die Spionageorganisationen.

Das Pentagon als Diplomat: Die Regierung Bush hat wiederholt ihre Geringschätzung für Diskussionen und Kompromisse, Verträge und Abkommen bekundet und eine ebenso hohe Bewunderung für das, was durch Drohungen und Gewaltanwendung erreicht werden kann.

Es ist daher keine Überraschung, dass die außenpolitischen Richtlinien des Weißen Hauses zunehmend durch das Militär bestimmt und umgesetzt werden. Mit einem Rüstungshaushalt, der alle Operationen des Außenministeriums und der nichtmilitärischen Entwicklungshilfe zusammengerechnet um mehr als das Dreißigfache übertrifft, ist das Pentagon in zwei traditionelle Bollwerke des Außenministeriums - diplomatischer Dienst und Entwicklungshilfe - einmarschiert. Es dupliziert oder ersetzt zunehmend die Aktivitäten des Außenministeriums, wobei es oft den Schwerpunkt im diplomatischen Dienst von Kontakten unter Diplomaten auf Beziehungen von Militär zu Militär verlagert. Heute gibt es im Außenministerium fast 6.600 Beschäftigte im diplomatischen Dienst - weniger als das Personal einer Flugzeugträger-Kampfgruppe. Es gibt mehr Soldaten in Militärkapellen als Beschäftigte im diplomatischen Dienst.

Das Pentagon als Waffenhändler: In den Jahren unter Bush hat das Pentagon seine Rolle als vorderster Waffenhändler des Planeten aggressiv ausgeweitet, indem es überall, wo es möglich war, Waffenverkäufe durchgesetzt und so eine Zukunft mit Konflikten und Krieg gesät hat. 2006 - das letzte Jahr, für das vollständige Daten vorliegen (*) - zeichneten die Vereinigten Staaten mit Verkäufen von 14 Milliarden US-Dollar für mehr als die Hälfte der weltweiten Rüstungsgeschäfte verantwortlich. Hervorheben möchte ich ein Geschäft mit F-16 Kampfflugzeugen an Pakistan im Wert von 5 Milliarden Dollar und ein Abkommen im Wert von 5,8 Milliarden Dollar über die vollständige Neubewaffnung der internen Sicherheitskräfte Saudi-Arabiens.

Russland als Waffenhändler Nr. 2 verzeichnete Lieferungen im Wert von 5,8 Milliarden Dollar, etwas mehr als ein Drittel der US-Rüstungsgeschäfte. Das verbündete Großbritannien war Dritter mit 3,8 Milliarden Dollar. Diese drei waren 2006 für 85 Prozent der weltweiten Rüstungslieferungen verantwortlich, von denen mehr als 70 Prozent in Entwicklungsländer gingen.

Das Pentagon als Informationssammler und Spion: Das Pentagon beschränkt sich nicht auf militärische Aufgaben. Bei den Nachrichtendiensten vollzog sich die beherrschende Übernahme des Pentagons in den Bereichen Nachrichtensammlung und Analyse rasch, auf plumpe Art und mit verhängnisvollen Folgen. Das Ergebnis ist eindeutig: Es gibt weniger Menschen in den Nachrichtendiensten, die arabisch, farsi oder paschtu sprechen und mehr Schauveranstaltungen mit Vier-Sterne-Generalen oder Drei-Streifen-Admiralen, die in den 23-Uhr-Nachrichten und den Sonntagmorgen-Talkshows regierungskonforme Positionen verkünden. Laut Tim Shorrock, einem investigativen Journalisten und Autor des Buchs "Spies for Hire: The Secret World of Intelligence Outsourcing", kontrolliert das Pentagon inzwischen mehr als 80 Prozent der gesamten US-Ausgaben für die Nachrichtendienste, die er für 2007 auf ca. 60 Milliarden Dollar schätzt.

In meinem Artikel betrachte ich außerdem den enormen Anstieg der Rüstungsausgaben, wie sich das Pentagon als erste Antwort auf Naturkatastrophen und humanitäre Krisen positioniert und wie es im Gegensatz zu anderen Ressorts und Behörden Zukunftspläne erstellt und dabei seine Politik weit ins 21. Jahrhundert projiziert. Die Folgen der Expansion des Pentagon in Diplomatie und Nachrichtendienste sowie die aggressivere Vermarktung von Kriegswaffen sind weitreichend. Der große amerikanische Philosoph Mark Twain hat einmal gesagt: "Wenn du in deinem Werkzeugkasten nur Hämmer hast, sehen alle deine Probleme wie Nägel aus."

Die Vereinigen Staaten haben einen riesigen Werkzeugkasten, und sie werden oft als globaler Problemlöser betrachtet. Mit der Expansion des Pentagon wird jedoch immer deutlicher, dass wir nur auf ein Werkzeug vertrauen: auf das Militär für eine große Palette komplexer Probleme von Terrorismus bis zu Tsunamis und Ausbrüchen von Thyphus. Wir weisen dem Militär die Aufgabe zu, Demokratien aufzubauen, Diktatoren abzusetzen und Zahnkliniken zu betreiben. Das funktioniert nicht.

ZIVILCOURAGE: Wer zahlt für den enormen Anstieg der Rüstungsausgaben in den letzten Jahren?

FRIDA BERRIGAN: Wir zahlen, wir, die Menschen in den Vereinigten Staaten, und wir werden noch für viele Generationen zahlen. Ich glaube allerdings, dass auch die Menschen in anderen Ländern einen Teil dieser Last tragen müssen.

Als Präsident Bush im Januar 2001 an die Macht kam, war das Kernbudget des Pentagon mit 300 Milliarden Dollar bereits sehr hoch. Im Fiskaljahr 2009 - der letzte Haushalt unter Bush - wird das reguläre Pentagon-Budget ungefähr 541 Milliarden Dollar betragen, einschließlich der Ausgaben für Atomsprengköpfe und Atomreaktoren auf Kriegsschiffen im Haushalt des Energieministeriums. Das ist allerdings nur das Kernbudget - die Kosten der Kriege sind nicht darin enthalten. Laut Haushaltsbüro des Kongresses haben die Abgeordneten mit Stand Februar für den Krieg im Irak und die Besetzung des Landes, für die andauernde Kriegführung in Afghanistan und für andere militärische Operationen im weltweiten Krieg gegen den Terror 752 Milliarden Dollar bewilligt. Das Pentagon schätzt, dass es für das Fiskaljahr 2009, das im Oktober 2008 beginnt, weitere 170 Milliarden Dollar benötigt. Das würde die Kriegsausgaben seit 2001 auf 922 Milliarden Dollar hochschrauben.

Bob Herbert, Kolumnist bei der New York Times, hat einen nützlichen Vergleich präsentiert, um diese unbegreifliche Zahl verständlich zu machen: Ein Stapel von eintausend 1000-Dollar-Geldscheinen [die zwar seit 1969 nicht mehr ausgegeben werden, aber weiterhin gültig sind - Anm. d. Red.] ist ungefähr 6 Inches hoch. Dieser Stapel entspricht einer Millionen Dollar. Ein Stapel dieser Banknoten im Wert von 1 Milliarde Dollar würde so hoch wie das Washington-Monument sein, ein Stapel mit dem Äquivalent von 1 Billion Dollar wäre 95 Meilen hoch. 922 Milliarden Dollar über sieben Jahre entsprechen ca. 2,5 Milliarden Dollar pro Woche für das Führen von Kriegen.

Das ist aber nur das Geld, das wir jetzt ausgaben. Die langfristigen wirtschaftlichen Folgen einer Kriegsführungspolitik kommen hinzu. Die Ökonomen L. Bilmes und J. Stiglitz haben in ihrem Buch "The Three Trillion Dollar War" den Preis herausgearbeitet, der für den Krieg gezahlt werden muss einschließlich der Zinsen für öffentliche Schulden, der gestiegenen Kosten für Öl sowie der Ausgaben für medizinische Versorgung und Versehrtenrenten für die mehr als 70.000 Soldaten, die verwundet wurden. Sie passen ihre Schätzung von 3 Billionen Dollar bereits nach oben an. In Interviews nach Erscheinen des Buchs hat Stiglitz begonnen, langfristige Gesamtkosten von 5 Billionen Dollar zu prognostizieren.

Wer zahlt also? Wir alle bezahlen. Wir beobachten, dass auf Bundesstaats- und Kommunalebene die Ausgaben für Bildung, Gesundheit und Sozialhilfe gekürzt werden. Wir sehen die Preise für notwendige Konsumgüter steigen. Wir sehen Menschen, die entlassen werden, Familien, die aus ihren Wohnungen vertrieben werden. In den Vereinigten Staaten heißt es überall, den Gürtel enger zu schnallen - nur im Pentagon nicht.

ZIVILCOURAGE: In Alexandria hat das Netzwerk des Internationalen Friedensbüros letzten November auf seiner Jahrestagung über die Verbindung zwischen nachhaltiger Entwicklung und nachhaltiger Abrüstung diskutiert. Erwartest Du in diesem Zusammenhang von einer neuen Regierung substanzielle Änderungen? Wird über Abrüstung Entwicklung oder die Rolle des Militärs im Präsidentschafts-Wahlkampf überhaupt gesprochen?

FRIDA BERRIGAN: Nein, der Diskurs zwischen McCain und Obama dreht sich um vage Kategorien wie Erfahrung versus Vision, Realismus versus Hoffnung, Weisheit versus jugendliche Energie.

Auf detaillierte Nachfragen scheint sich Obama als nachdenklicher Falke zu positionieren. In seinem 2006 erschienenen Buch "The Audacity of Hope: Thoughts on Reclaiming the American Dreams" hat er geschrieben: "Es ist an der Zeit zuzugeben, dass ein Verteidigungshaushalt und eine Streitkräftestruktur, die sich vor allem an einem Dritten Weltkrieg orientieren, strategisch wenig sinnvoll sind." Als Präsident würde er jedoch das Militär ausbauen. Im April 2007 hat er beim "Council on Global Affairs" in Chicago die Aufstockung der Streitkräfte um zusätzliche 65.000 Bodensoldaten und 27.000 Marine-Infanteristen befürwortet. Außerdem forderte er mehr arabisch sprechende Militärangehörige.

McCain seinerseits ist ein "falkischer Falke". Wenn er während seiner Wahlkampagne nicht den Song "Bombardiert den Iran" anstimmt, befürwortet er ebenfalls eine Aufstockung der US-Streitkräfte, vor allem der Bodentruppen und des Marinekorps. Darüber hinaus sagt er, die Vereinigten Staaten brauchten "einen neuen Mix der Militärstreitkräfte, bestehend aus Einheiten für zivile Angelegenheiten, spezielle Operationen und hoch mobilen Kräften, die in der Lage sind, in den Konflikten zu kämpfen und zu siegen, denen sich Amerika gegenübersteht." Er unterstützt das nationale Raketenabwehrprogramm, für das die Vereinigten Staaten bisher mehr als 100 Milliarden Dollar ausgegeben haben, ohne ein funktionierendes System hervorzubringen. Allgemein befürwortet er eine "Modernisierung" der Streitkräfte und der US-Waffentechnologie.

Worte wie "nachhaltig" und "Entwicklung", "Frieden" und "Demokratie" werden von beiden Kandidaten benutzt, doch bisher fehlt es ihnen an Substanz.

ZIVILCOURAGE: Von außen betrachtet erscheinen die Aussichten für Friedensaktivisten in den USA ziemlich frustrierend zu sein. Wie siehst Du die Situation?

FRIDA BERRIGAN: Am besten lässt sich die Situation meiner Ansicht nach beschreiben mit der Aussage "Die Friedensbewegung versucht es". Die Politik der Bush-Administration wird in weiten Kreisen kritisiert. Meinungsumfragen zeigen, dass Bush nur noch wenig Zustimmung findet und die Amerikaner das Weiße Haus für den Krieg und die wirtschaftlichen Probleme verantwortlich machen. Es ist aber nicht leicht, Amerikaner von Wut zu Opposition, von Ablehnung zu organisiertem Handeln zu bewegen. United for Peace and Justice - ein Netzwerk von mehr als 1.000 Organisationen verteilt über das ganze Land - stellt sich dieser Aufgabe, aber wir benötigen nach wie vor die Beispiele, Inspiration und den Ansporn unserer Mitstreiter überall auf der Welt. Erinnert uns also weiter daran, dass wir mehr tun müssen!


Anmerkung:
(*) Frida Berrigan bezieht sich in ihren Aussagen zu den Rüstungsexporten auf den von Richard F. Grimett verfassten und im letzten September veröffentlichten Bericht "Conventional Arms Transfers to Developing Nations, 1999-2006 des "Congressional Research Service". Dessen Berechnungsansätze unterscheiden sich teilweise von denen des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri, auf die sich Jürgen Grässlin in der Titelgeschichte dieses Hefts bezieht.


Frida Berrigan, 31, arbeitet als leitende Programmverantwortliche der Initiative für Rüstung und Sicherheit bei der New America Foundation. Vorher war die Friedensforscherin u.a. in leitender Funktion beim Arms Trade Resource Center beim World Police Institute an der New School in New York tätig. Frida Berrigan ist aktives Mitglied der War Resisters League (WRI) und schreibt regelmäßig Kolumnen für "Foreign Policy in Focus" und "In These Times Magazine". Sie ist die Tochter des 2002 verstorbenen und auch in Deutschland sehr bekannten gewaltfreien Aktivisten Philip Berrigan. Das Interview für die ZivilCourage mit ihr führte Guido Grünewald, der internationale Sprecher der DFG-VK.


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Quelle:
ZivilCourage Nr. 4 - September 2008, S. 4-5
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK e.V.),
Kasseler Straße 1A, 60486 Frankfurt
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Erscheinungsweise: zweimonatlich
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. September 2008