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BERICHT/238: Vernetzte Sicherheit und "Comprehensive Approach" (Forum Pazifismus)


Forum Pazifismus Nr. 21 - I/2009
Zeitschrift für Theorie und Praxis der Gewaltfreiheit

Vernetzte Sicherheit und "Comprehensive Approach"
Die schleichende Paramilitarisierung der Außen- und Entwicklungspolitik

Von Jürgen Rose



"Keine Entwicklung ohne Sicherheit" - dieses Mantra läßt das sicherheitspolitische Establishment gebetsmühlenhaft immer dann erklingen, wenn es um die Legitimation der immer unheilvoller verlaufenden Nato-Mission am Hindukusch geht. Vor jeder Kamera und jedem Mikrophon propagiert deshalb Verteidigungsminister Dr. Franz Josef Jung das Schlagwort von der "vernetzten Sicherheit". Dasselbe meinend sprechen die Nato-Offiziellen vom "Comprehensive Approach", den es in Afghanistan umzusetzen gelte. Was aber verbirgt sich wirklich hinter diesen Termini technici?

Das Konzept der "vernetzten Sicherheit" wurde einer staunenden Öffentlichkeit im "Weißbuch der Bundesregierung zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr" von 2006 präsentiert. Endgültig festgeschrieben wird dort die "Transformation" der Bundeswehr von einer klassischen Abschreckungs- und Verteidigungstruppe zur postmodernen Interventions- und Angriffsarmee mit globalem Auftrag. Der Schlüsselbegriff zum Verständnis dieser Entwicklung lautet: Entgrenzung - und zwar in vielfacher Hinsicht.

Zunächst manifestiert sich diese in einem geographisch wie inhaltlich "globalisierten" Sicherheitsbegriff, zu dem im Weißbuch 2006 ausgeführt wird: "Deutschlands Sicherheit ist untrennbar mit der politischen Entwicklung Europas und der Welt verbunden. Dem vereinigten Deutschland fällt eine wichtige Rolle für die künftige Gestaltung Europas und darüber hinaus zu." Eine Gestaltungsrolle unter Einschluss militärischer Gewaltmittel wohlgemerkt, denn schließlich konstituieren die deutschen Streitkräfte und ihr Gebrauch den zentralen Gegenstand jedes Weißbuches. Nahezu beliebig, quasi allumfassend dehnen die Weißbuch-Autoren das Verständnis von Sicherheit aus, wenn sie an selber Stelle formulieren: "Nicht in erster Linie militärische, sondern gesellschaftliche, ökonomische, ökologische und kulturelle Bedingungen, die nur in multinationalem Zusammenwirken beeinflusst werden können, bestimmen die künftige sicherheitspolitische Entwicklung. Sicherheit kann daher weder rein national noch allein durch Streitkräfte gewährleistet werden. Erforderlich ist vielmehr ein umfassender Ansatz, der nur in vernetzten sicherheitspolitischen Strukturen sowie im Bewusstsein eines umfassenden gesamtstaatlichen und globalen Sicherheitsverständnisses zu entwickeln ist."

Mit diesem rhetorischen Kunstgriff einer tautologischen Ausweitung des Sicherheitsbegriffs wird versucht, dem angesichts der real existierenden weltpolitischen Problemlagen ernüchternd ineffektiven militärischen Instrumentarium eine Legitimität zu bewahren, die eigentlich längst obsolet geworden ist. Darüber hinaus betont das Weißbuch unter dem Schlagwort der "vernetzten Sicherheit" die Notwendigkeit für eine "noch engere Integration politischer, militärischer, entwicklungspolitischer, wirtschaftlicher, humanitärer, polizeilicher und nachrichtendienstlicher Instrumente der Konfliktverhütung und Krisenbewältigung."

Jeder soll mit jedem zusammenarbeiten, sowohl zivile und militärische, als auch nationale und internationale Akteure, um irgendwie Sicherheit im globalen Maßstab herzustellen - was immer auch darunter zu verstehen sein mag. Nahezu identische Konzeptionen verfolgt auch die Nato. Schon 2006 hat der Nato-Rat in seiner "Comprehensive Political Guideline" einer engen zivil-militärischen Zusammenarbeit herausragende Bedeutung beigemessen. Denn was die internationalen Einsätze der Allianz anging, hatten die Verbündeten die "wachsende Bedeutung von Stabilisierungsoperationen und militärische Unterstützung von Wiederaufbaubemühungen im Anschluss an einen Konflikt" erkannt. Allzu deutlich illustriert die sowohl im Irak als auch in Afghanistan desolate Lage, dass es längst nicht mehr genügt, lediglich einen Feldzug zu gewinnen. Entscheidende Bedeutung besitzt vielmehr, dass auch die anschließende Besatzung funktioniert. Und hierfür werden eben nicht nur schwerbewaffnete Soldaten zur Aufstandsbekämpfung benötigt, sondern vornehmlich Entwicklungshelfer, Juristen, Ingenieure, Lehrer und Polizisten für den zivilen Wiederaufbau. Genau darauf zielt der so emphatisch propagierte "Comprehensive Approach" ab. Dessen Kernelement bildet die so genannte "Civil-Military Cooperation", kurz Cimic, wie es im Nato-Jargon heißt. Das deutsche Konzept der "vernetzten Sicherheit" nennt dasselbe zivil-militärische Zusammenarbeit, kurz ZMZ.


Der Kurzschluss im Denken

Hinter dieser so harmlos und friedfertig klingenden Terminologie verbirgt sich freilich ein ganz gewaltiger Pferdefuß. Denn unter dem Deckmantel der zivil-militärischen Zusammenarbeit oder Cimic vollzieht sich die schleichende Paramilitarisierung der Außen- und Entwicklungspolitik. Der Grund dafür ist darin zu suchen, dass im Rahmen dieser Konzepte die ursprünglich nicht-militärischen Instrumente genau wie die zivilen Akteure nunmehr in verstärktem Maße der Militärlogik untergeordnet werden. So lässt sich in Afghanistan beobachten, dass Sicherheit immer mehr vor Entwicklung und Wiederaufbau rangiert.

Durch diesen Trend zur "Versicherheitlichung" aber werden Konfliktursachen und Probleme, die eigentlich ökonomischer und sozialer Natur sind und militärisch gar nicht bearbeitet, geschweige denn gelöst werden können, plötzlich zum Gegenstand von Sicherheitspolitik erklärt und in der Folge zu einem Aufgabengebiet des Militärs umdefiniert. Mit mehr oder weniger sanfter Gewalt werden die zivilen Akteure dazu gebracht, ihre Sicht der Dinge sicherheitspolitisch zu reformieren oder besser: zu deformieren. Solchermaßen wird das Denken in nicht-militärischen Kategorien immer weiter zurückgedrängt und zugleich auf die vorgebliche "ultima ratio" militärischen Agierens umprogrammiert. Dieser Kurzschluss im Denken verhindert freilich die unabdingbare Frage nach den Konfliktursachen und blockiert so die schwierige Suche nach gewaltfreien und strukturellen Lösungen.

Die Ironie dieses Prozesses der "Versicherheitlichung" liegt darin, dass mit der Erweiterung des Sicherheitsbegriffs ursprünglich eine völlig andere, ja gegensätzliche Zielrichtung verbunden war. Dadurch, dass Sicherheit nämlich umfassend oder ganzheitlich definiert wurde, sollte die Reduktion auf die vorherrschende verengte militärische Perspektive überwunden werden. Und zwar auf zweierlei Weise: Zum einen kam es darauf an, die Relevanz von nicht-militärischen Themenfeldern dadurch zu steigern, dass sie zu Sicherheitsproblemen avancierten. Zum anderen verband sich mit einem umfassend verstandenen Sicherheitsbegriff die Hoffnung auf eine Zivilisierung der Sicherheitspolitik. Erreicht werden sollte dies, indem nichtmilitärische Instrumente einbezogen und aufgewertet wurden sowie durch mehr kooperative anstelle von konfrontativen Handlungsweisen.

Anstelle der erstrebten Zivilisierung der Sicherheitspolitik hat gerade die Erweiterung des Sicherheitsbegriffs ihrer durchgreifenden Militarisierung Tür und Tor geöffnet. Letztlich ist es dem Militär gelungen, das Sicherheitsverständnis nahezu vollständig - umfassend eben - zu usurpieren. In dieser militärischen Logik dient der umfassende Sicherheitsbegriff konsequent zu Ende gedacht der mentalen Vorbereitung des totalen Sicherheitsstaats und die vernetzte Sicherheitspolitik seiner institutionalisierten Absicherung.

Angesicht dieser gelinde ausgedrückt bedenklichen Entwicklung scheint es mehr als angebracht, über einen Rückverweis des Militärs auf seine originäre Funktion nachzudenken. Und diese besteht im Schutz des Staates und seiner Bürger vor äußerer Bedrohung. Seinem Wesen nach ist dieser Auftrag defensiv, nicht offensiv. Daraus wiederum folgt, dass die Sicherheit Deutschlands eben nicht am Hindukusch verteidigt wird, sondern in Deutschland.


Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr und Mitglied im Vorstand des Arbeitskreises "Darmstädter Signal", eines Zusammenschlusses kritischer ehemaliger und aktiver Offiziere und Unteroffiziere der Bundeswehr, der sich u.a. für den absoluten Vorrang präventiver ziviler Konfliktlösungen vormilitärischen Maßnahmen, eine Verkleinerung der Bundeswehr und die Abschaffung der Wehrpflicht einsetzt sowie die Teilnahme der Bundeswehr an "friedenserzwingenden militärischen Kampfeinsätzen" ablehnt.


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Quelle:
Forum Pazifismus - Zeitschrift für Theorie und Praxis
der Gewaltfreiheit Nr. 21, I/2009, S. 28 - 30
Herausgeber: Internationaler Versöhnungsbund - deutscher Zweig,
DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen) mit der Bertha-von-Suttner-Stiftung der
DFG-VK, Bund für Soziale Verteidigung (BSV) und Werkstatt für
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juni 2009