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BERICHT/299: "Reserve hat Ruh'" ... ist vorbei (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 3 - Juli/August 2013
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

"Reserve hat Ruh" ... ist vorbei
Der "neue Heimatschutz" bedeutet Einschränkung der bürgerlichen Freiheitsrechte

Von Joachim Schramm



In der zur "Armee im Einsatz" umstrukturierten Bundeswehr spielen die Reservisten eine neue, aufgewertete Rolle. Unter anderem bilden sie die so genannten Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskräfte (RSU).

Darüber berichtete im letzten Jahr stolz der Präsident des Reservistenverbandes, der CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter: "Im Juni konnte die erste Einheit der Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskräfte in der Bremer Scharnhorst-Kaserne in Dienst gestellt werden. Weitere 29 Einheiten werden deutschlandweit folgen, um die aktive Truppe bei ihren Aufgaben im Rahmen des Heimatschutzes zu unterstützen."

Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland Pfalz folgten, und am 14. Juni wurde in Essen die nordrhein-westfälische RSU-Einheit in einem öffentlichen Aufstellungsappell präsentiert. Dagegen protestierte ein Bündnis verschiedener Friedensgruppen, u.a. auch die örtliche DFG-VK-Gruppe und der DFG-VK-Landesverband NRW.

"Vor dem Hintergrund schlimmer historischer Erfahrungen mit Militäreinsätzen bei inneren Konflikten wenden wir uns entschieden gegen diese Neukonzeption des Heimatschutzes durch Zivil-Militärische Zusammenarbeit und Regionale Unterstützungs- und Sicherungskompanien. Ziviler Katastrophenschutz und polizeiliche Aufgaben sind genauso wenig Aufgabe der Bundeswehr wie ihre Werbeveranstaltungen in den Schulen!", hieß es in dem Aufruf zu der Aktion.


"Sandsackschleppen" verschleiert die wirklichen Aufgaben

Die RSU sind Bestandteil der neuen "Konzeption der Reserve", die Kriegsminister de Maizière Anfang 2012 vorgestellt hat. Darin heißt es: "Die Neuausrichtung der Bundeswehr erweitert die Aufgaben- und Verantwortungsbereiche für Reservisten. (...) Reservisten werden dazu abhängig von ihrer Ausbildung und Verfügbarkeit in allen Aufgabengebieten der Bundeswehr eingesetzt."

Auch wenn in den Medien vor dem Hintergrund des zeitgleich gerade auftretenden Hochwassers in Süd- und Ostdeutschland dieser Eindruck erweckt wurde, geht es bei den Reservisten nur am Rande um Hochwasserschutz und Schneeräumen. Reservisten werden auf freiwilliger Basis im Afghanistankrieg eingesetzt, Reservisten der RSU sollen "Verteidigungsaufgaben auf deutschem Hoheitsgebiet sowie Amtshilfe (...), zum Schutz kritischer Infrastruktur und bei innerem Notstand" übernehmen. Der innere Notstand reicht von Großdemonstrationen bis zu Streiks, in deren Zusammenhang Reservisten also zum Einsatz kommen können.

2009 stellte die Bundestagsfraktion Die Linke eine kleine Anfrage zum Thema Bundeswehreinsatz im Inneren (Drucksache 16/13970); darin wurde gefragt: "Beabsichtigt die Bundesregierung, Maßnahmen zu ergreifen, die ausschließen, dass die ZMZ-Strukturen [ZMZ = Zivil-militärische Zusammenarbeit] zur Unterstützung polizeilicher Repressivmaßnahmen gegen Streikende und/oder Demonstrantinnen und Demonstranten herangezogen werden, um eine Wiederholung von Szenarien wie anlässlich des G8-Gipfels 2007 zu verhindern, und wenn ja, welche Maßnahmen sind geplant oder bereits eingeleitet?" Die Antwort der Regierung: "Nein". Weiter wurde gefragt: "Inwiefern ist ausgeschlossen, dass beispielsweise Streiks im Transport-, Energie- oder Sanitätssektor oder bei der Müllabfuhr als Begründungen für ein Tätigwerden der ZMZ-Strukturen herangezogen werden können?" Die lapidare Antwort der Regierung: "Die Prüfung der Voraussetzungen für eine Unterstützung der Bundeswehr im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben ist dem jeweiligen konkreten Einzelfall vorbehalten."

Auch im Reservistenkonzept de Maizières kommt die Strategie zum Ausdruck, eine vielfältige Bedrohung unserer Gesellschaft an die Wand zu malen und die Notwendigkeit des Staates und der Gesellschaft zu behaupten, sich sowohl militärisch als auch zivil dagegen wehren zu müssen. Dabei wird die Trennung, die das Grundgesetz aus gutem Grund zwischen zivilen Aufgaben des Staates und einem militärischen Vorgehen macht, schrittweise aufgeweicht und beiseite geschoben. Es wird immer häufiger von zivil-militärischer Zusammenarbeit geredet, wobei bei dieser Zusammenarbeit das Militär eindeutig das Sagen hat.


Höchstrichterlich abgesegnet: Militäreinsatz im Innern

Im Weißbuch des "Verteidigungs"ministeriums ist von einem umfassenden Sicherheitsbegriff die Rede, in dem Bedrohungsszenarien vom Terrorismus über Eingriffe in den freien Handel, Flüchtlingsströme bis hin zu Epidemien aufgebaut und in einen Topf zusammengerührt werden. Ihre persönliche Sicherheit ist für die meisten Menschen ein hohes Gut. Und so spielen die Kriegsbefürworter hier geschickt mit diesem Sicherheitsbedürfnis, um einen Repressionsapparat aufzubauen, Freiheitsrechte einzuschränken und dem Militär immer mehr Eingriffsrechte zuzugestehen, nach außen und im Inneren. Die USA machen es vor, wie dort umfassend auf Daten von Bürgern zugegriffen werden kann, wie des Terrorismus verdächtige amerikanische Staatsbürger ohne Gerichtsurteil durch Drohnenangriffe getötet werden können, alles unter den Stichworten Sicherheit und Heimatschutz.

So weit sind wir in Deutschland noch nicht. Doch auch hier will der Staat verhindern, dass wir fragen, warum Menschen in anderen Teilen der Welt vielleicht auch Anspruch auf "unsere" Rohstoffe erheben können, warum Menschen vor den Zuständen in ihren Ländern zu uns flüchten, warum Menschen zu Terroristen werden. Nein, Fragen will man nicht, denn die Antworten wären doch zu unangenehm für die Mächtigen in unserem Land und ihre Politik, die dafür maßgeblich verantwortlich ist. Also wird all das als Bedrohung an die Wand gemalt.

Und auf solche Bedrohungen wird dann die aus staatlicher Sicht einzig denkbare Antwort gegeben: Der Ausbau des Militärs, die Ausweitung von Krieg und anderen militärischen Einsatzmöglichkeiten, neue Waffensysteme wie die Drohnen und die Einschränkung der persönlichen Freiheitsrechte. In diese Entwicklung passt auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom August 2012, nach dem entgegen aller Erfahrungen aus unserer Geschichte die Bundeswehr im Inland militärische Mittel zur Abwehr von Gefahren einsetzen darf.


Auf der Suche nach gesellschaftlicher Unterstützung

Was ist nun in dieser Strategie die Rolle der Reservisten? Sie stocken die Personalstärke der Armee wieder auf, die im Zuge der Bundeswehrreform gerade reduziert wird. Das geschieht in drei "Säulen": Die erste, die sog. "Truppenreserve" ergänzt die aktiven Einheiten im Kriegseinsatz, z.B. in Afghanistan. Die zweite Säule, die "Territoriale Reserve" agiert im Inneren, wie schon beschrieben. Die dritte Säule umfasst alle nicht aktivierten Reservisten, die bei Bedarf die Mannschaftsstärke der Bundeswehr um mehrere zehn- oder hunderttausend Mann ergänzen könnten.

Und Reservisten haben noch eine weitere Aufgabe. So heißt es in den Leitlinien: "Es kommt vor allen Dingen darauf an, auf allen Ebenen beginnend im privaten Freundeskreis und endend im politischen Raum, den Stellenwert der Bundeswehr und ihrer Reserve in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken. Nur so wird es gelingen ... die breite Unterstützung der Streitkräfte durch die Gesellschaft sicher zu stellen."

Bundeswehr im Kriegseinsatz, Bundeswehr im Inneren, Bundeswehr als unkritisch akzeptierter Teil der Gesellschaft: Dagegen setzen wir uns als DFG-VK gemeinsam mit anderen zur Wehr, vielleicht auch bei diesen nächsten RSU-Terminen: 9. August: Potsdam; 23. August: Wiesbaden; 12. September: Burg; 18. Oktober: Bogen (RSU-Kompanie Oberpfalz); 16. November: Dresden


Joachim Schramm ist Geschäftsführer des DFG-VK-Landesverbands Nordrhein-Westfalen.

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Quelle:
ZivilCourage Nr. 3 - Juli/August 2013, S. 18-19
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft -
Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK)
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Erscheinungsweise: zweimonatlich, sechs Mal jährlich
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. August 2013