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BERICHT/323: Friedenspädagogik im Kaiserreich (Forum Pazifismus)


Forum Pazifismus Nr. 41/42 - I-II. Quartal 2014
Zeitschrift für Theorie und Praxis der Gewaltfreiheit

Friedenspädagogik im Kaiserreich
Über eine Fülle weithin unbekannter Kritik-, Denk- und Handlungsansätze

Von Karlheinz Lipp


Die Rahmenbedingungen für die Entstehung und Entwicklung einer Friedenspädagogik im Kaiserreich erwiesen sich als denkbar ungünstig. Die vielen gut organisierten und finanziell starken nationalistisch-militaristischen Verbände, deren Mitgliedschaft in die Millionen ging, leisteten einen erfolgreichen Beitrag zur Militarisierung der Gesellschaft.

Form und Inhalt des Schulunterrichts dienten im Kaiserreich zur sozialen Militarisierung der Untertanen und ergänzten so gezielt die Manöver, Paraden und Sedanfeiern. Der Unterricht war autoritär, paramilitärisch und stupide strukturiert, das simple Abfragen von Faktenwissen dominierte.

Diese sehr weit verbreitete Kriegspädagogik ist quellenmäßig leicht zugänglich, gut erforscht und daher hinlänglich bekannt. Für die friedenspädagogisch Engagierten gilt dies nicht. Falsch wäre es jedoch davon abzuleiten, dass eine Friedenspädagogik im Kaiserreich überhaupt nicht existiert hätte.

Die zwei Ausgangsthesen lauten:
Die Friedenspädagogik im Kaiserreich
- kritisierte die dominante Kriegspädagogik
- machte konstruktive und konkrete Vorschläge für eine Alternative zur Kriegspädagogik

Grundsätzliche Positionen

Der aus Ostpreußen stammende Lehrer Eduard Sack erregte durch seine politischen und pädagogischen Ideen mehrfach das Missfallen der reaktionären Schulbürokratie. Über 20 Prozesse wurden gegen ihn angestrengt. Sack wurde zu Geld- und Gefängnisstrafen verurteilt und 1864 aus dem Schuldienst entlassen. Als Journalist der liberalen Frankfurter Zeitung versuchte er weiterhin, seine pädagogischen Ziele in der Öffentlichkeit bekannt zu machen. Die - aus preußisch-deutscher Sicht erfolgreichen Kriege von 1864, 1866 und 1870/71 markierten für Sack entscheidend den Weg in eine deutliche Militarisierung von Erziehung und Schule.

Durch eine bessere Allgemeinbildung - so Sack 1878 - könnten Kriege verhindert werden. Konkrete Vorwürfe erhob er gegen den Religions-, Geschichts- und Sportunterricht, da besonders in diesen Fächern eine permanente Kriegserziehung erfolge. Geschlechtsspezifisch von Interesse ist Sacks Kritik an tradierten Männlichkeitsbildern, insbesondere an Helden und berühmten Männern der Geschichte. Dieser Aspekt taucht auch bei anderen friedenspädagogischen Stimmen mehrfach auf. Als positive Werte setzte Sack gegen die Kriegspädagogik: Erziehung zur Freiheit, Demokratie, Liebe und Menschlichkeit.

Eduard Sack sowie weitere friedenspädagogische Personen widmeten sich ausführlich dem Thema Patriotismus/Vaterlandsliebe. Gerade nach 1870/71 sei an deutschen Schulen und Hochschulen eine chauvinistische Welle ohnegleichen entstanden. Kriegsverherrlichende Schriften und Schulbücher fänden reißenden Absatz. Kriegshetzer im pädagogischen Gewande schürten den Völkerhass und verbreiteten gezielt Lügen. Kriege und Gewalt würden romantisiert, verharmlost und glorifiziert. Dagegen wurde aus friedenspädagogischer Sicht auf eine andere, nämlich drastische und grauenvolle Kriegswirklichkeit hingewiesen: Tote, Verletzte, Verstümmelte, Vereinsamung der Hinterbliebenen, Verarmte und Verbitterte. Der Aspekt der Vergewaltigungen fehlt.

Gegen eine nationalistische Kriegspädagogik wurde eine internationale Friedenspädagogik gefordert, die zur Entfeindung beitrage, alte Ressentiments und Feindbilder überwinde und sich an einer internationalen, gewaltfreien Konfliktlösung, konkret der Schiedsgerichtsbarkeit, orientieren solle.

Das vermutlich bekannteste Beispiel einer Entromantisierung von Krieg und Gewalt stellt das Buch "Das Menschenschlachthaus. Bilder vom kommenden Krieg" (1912) des Hamburger Volksschullehrers Wilhelm Lamszus dar. Drei Aspekte bewogen den Friedenspädagogen zur Abfassung des Buches. Bei einer Reserveübung erlebte Lamszus die Weiterentwicklung der Militärtechnik durch neue Waffen. Ferner reifte in ihm immer stärker die Einsicht, dass auf der anderen Seite der Front auch Menschen stehen, und schließlich sei es viel sinnvoller, die hohen Rüstungsausgaben für die Beseitigung von Problemen wie Hunger, Elend und Krankheiten auszugeben.

Lamszus schildert in drastischen Bildern die grausame Wirklichkeit des Krieges und gibt einen bitteren sowie prophetischen Vorgeschmack auf den Stellungskrieg des Ersten Weltkriegs. Das Buch erlebte in drei Monaten 70 Auflagen (!) und wurde in mehrere Sprachen übersetzt - ein großer Erfolg für den Friedenspädagogen.

Nach der Veröffentlichung der Erzählung erfolgte ein Disziplinarverfahren gegen Lamszus, das eine kurzzeitige Beurlaubung vom Schuldienst zur Folge hatte. Das preußische Generalkommando verlangte gar die Entlassung des Lehrers, aber der liberale Hamburger Schulsenator verhinderte dies. Daraufhin wurde der Senator auf einen Verwaltungsposten versetzt.

Heinrich Scharrelmann gehörte auch zu den Opfern einer antipazifistischen Verwaltung. Der Bremer Pädagoge kritisierte in seiner Zeitschrift "Roland" die chauvinistische Gesinnung - und prompt quittierten dies die Behörden mit der Entlassung Scharrelmanns aus dem Schuldienst.

Für Edmund Triebel, der u.a. im thüringischen Wölfis als Rektor wirkte, lag der zentrale Ausgangspunkt seiner friedenspädagogischen Überlegungen darin, den Kindern aufzuzeigen, dass das Wohl der Menschheit in der Solidarität der Völker liege.

Ausgehend von der unmittelbaren Lebenswelt der Kinder soll, so Triebel, zunächst der Zusammenhang von Berufen verdeutlicht werden. Danach soll auf die wechselseitigen Beziehungen innerhalb eines Landes eingegangen werden. Schließlich soll die internationale Dimension in den Blick geraten: Gegenseitige Hilfe bei Hungersnöten, Welthandel, Austausch von Kultur und Wissenschaft. Das Problem eines ungerechten Welthandels sowie die Ausbeutung der Kolonien wurden nicht thematisiert.

Triebel ist sich der wechselseitigen Abhängigkeit der Unterrichtsfächer bewusst. Für ihn ist es daher unvereinbar, in dem einen Fach zum Frieden zu erziehen, während in einem anderen Fach Feindbilder aufgebaut würden. So könne nicht im Religionsunterricht über das Thema Nächstenliebe gesprochen werden, um dann in der nächsten Unterrichtsstunde im Geschichtsunterricht Kriege und Schlachten zu behandeln.

Friedenspädagogik erscheint deshalb als ganzheitliches, fächerübergreifendes Lernen. Eine weitere friedenspädagogische Aufgabe sah Triebel in der Überprüfung von Schul- und Volksbüchereien, da Kriegsverherrlichungen einen breiten Teil des Bestandes ausmachten. Triebels Ausführungen von 1897 erschienen im Jahre 1902 in französischer Sprache - ein schöner Erfolg eines deutschen, friedenspädagogischen Volksschullehrers.

Bürgerliche und sozialistische Friedenspädagoginnen appellierten gezielt an die Mütter, so etwa Doris Paulus im Jahre 1900: "Jede Mutter, die es versäumt ihren Kindern die Heiligkeit des Friedens klar zu machen, hat vor Gott die Thränen einer anderen Mutter zu verantworten, deren Kind im Krieg umkam.

Schenkt euren Kindern - dem Alter entsprechend - [statt Kriegsspielzeug] lieber Spiele, Bücher, Bilder, die ihrer Wissbegier die wundervollen Gesetze der Naturgeheimnisse entschleiern; fesselt und erzieht ihre Gedanken durch ergötzliche Berichte, Wiedergabe, aus dem Leben der Tiere, dass sie auch diese lieb gewinnen und schätzen lernen; veredelt ihr Gemüt und den Geschmack durch Erweckung ihres Verständnisses für die Schönheit der Farben und Formen der entzückenden Pflanzenwelt, und vor allem lehrt sie alle, aber auch alle Menschen, welcher Nation, Rasse oder Farbe sie auch angehören, als Ihresgleichen, als Vollmenschen, ansehen und lieben." (Friedensblätter, 1900, 129. Hervorhebungen im Original bleiben unberücksichtigt) Und eine unbekannt gebliebene Sozialistin schreibt in einem Buch, das von Clara Zetkin, einer Lehrerin, herausgegeben wurde: "Es ist Pflicht jeder proletarischen Mutter, ihren ganzen Einfluß gegen die in der Schule beliebte Methode der Patriotenzüchtung geltend zu machen. Religion und Hurrapatriotismus werden den jungen Herzen eingepflanzt, noch ehe das kleine Hirn das Abc begriffen hat." (Zetkin, 102)

Auch Nicht-Pädagogen wandten sich an deutsche Lehrkräfte, um diese für die Sache des Friedens zu gewinnen. Im Jahre 1898 veröffentlichte der Rechtsanwalt und Vorsitzende der Ortsgruppe Breslau der Deutschen Friedensgesellschaft, Adolf Heilberg, eine friedenspädagogische Denkschrift. Der Zeitpunkt war geschickt gewählt, denn an Pfingsten 1898 tagte in Heilbergs Heimatstadt die Deutsche Lehrerversammlung. Dem Juristen ging es besonders um die Propagierung von Friedensideen - und zwar für Lehrer und Lehrerinnen.

Sei es in früheren Jahrhunderten zu gewaltsamen Konflikten gekommen, so habe es, nach Heilberg, in den zivilisierten Staaten eine Entwicklung zum Rechtsweg gegeben - maßgeblich beeinflusst durch Bildung und Erziehung. Das Denken eines Juristen und Pazifisten zeigt sich deutlich: Friede durch Recht, gesprochen von einem internationalen Schiedsgericht. Heilberg kritisiert den weitverbreiteten Fatalismus, wonach es Kriege schon immer gegeben habe und immer geben werde. Der Schulunterricht sollte über die Schrecken des Krieges aufklären sowie die enormen Kosten von Aufrüstung und Krieg problematisieren.

Als Grundidee resümiert der Rechtsanwalt: "Wir müssen uns und unsere Kinder losreißen von dem trügerischen, blendenden Schein mit dem eine alte Lehre den Krieg und die Kriegsgeschichten vergoldet hat, die Erziehung der Kinder ist nicht zum kleinsten Teil eine Entwöhnung von Unduldsamkeit und Gewalttätigkeit; lehren wir unsere Kinder auch, daß Unduldsamkeit und Gewalttätigkeit Untugenden sind, auch wenn sie im Verhältnis von Staat zu Staat, von Volk zu Volk geübt werden." (Heilberg, 8)

Ein Blick in die sehr ausführlichen, mitunter Stenographischen Berichte in den Presseorganen, die dem Deutschen Lehrerverein nahestanden, zeigt, dass Heilbergs friedenspädagogischen Thesen nicht nur nicht diskutiert wurden - sie wurden von der Deutschen Lehrerversammlung noch nicht einmal zur Kenntnis genommen.

Fünf Jahre später, 1905, richtete die Deutsche Friedensgesellschaft einen Aufruf an die Lehrer und Lehrerinnen, in dem es u.a. heißt: "Es steht in Ihrer Macht, ob Sie die Ihnen anvertrauten Schüler zu Thaten des Krieges oder zu Werken des Friedens begeistern wollen. Möge es Ihnen gelingen in Ihren Zöglingen die Ehrfurcht vor dem menschlichen Leben und vor dem Recht zu wecken. Möchten Sie uns helfen, das Geschlecht echter Menschlichkeit in die empfänglichen Herzen der Jugend zu pflanzen!

Wir hätten viel gewonnen, wenn alle Lehrer darauf verzichten wollten, den Chauvinismus wachzurufen, wenn vielmehr alle darin mit uns einig wären, den wahren Patriotismus zu pflegen, der mit der Feindschaft gegen andere Völker nichts zu thun hat, Wohl uns, wenn wir dazu beigetragen haben, die Versöhnung zwischen den Völkern vorzubereiten!" (Die Friedens-Warte, 1903, 191)

Vor Beginn des Ersten Weltkrieges betrug der Rüstungsetat ca. 75 % des gesamten Reichsetats. Diese politische und finanzielle Fokussierung auf das Militär wurde aus friedenspädagogischer Sicht mehrfach kritisiert, so auch von Ludwig Wagner (Kaiserslautern), der den 7. Friedenskongress der Deutschen Friedensgesellschaft im Mai 1914 maßgeblich organisierte: "Immer und überall, wo es sich um die Pflege von Kulturaufgaben handelt, da fehlt es an Geld, weil der Säckel des Militärfiskus wie das Faß der Danaiden niemals voll wird. Unter der Hintansetzung der Kulturaufgaben haben natürlich auch die Kulturarbeiter selbst zu leiden. In der Bereitstellung der Mittel für das heutige Wettrüsten der Völker haben wir daher auch eine Hauptsache dafür zu sehen, daß die Erfüllung unserer berechtigten Lohnforderungen immer wieder auf die lange Bank geschoben wird. [...]

Die erfolgreiche Militarisierung der Jugend bedeutet zweifellos eine Wertminderung des von uns vertretenen Erziehungsgedankens und damit einen Verlust an unserem Einflusse im öffentlichen Volksleben. Von einer schwarzseherischen Uebertreibung kann hier keine Rede sein, wenn man die Tatsache ins Auge faßt, daß ein sehr großer Teil der männlichen deutschen Jugend bereits unter das chauvinistisch-militaristische Banner geschart ist und zwar nicht bloß die Jugend der sogenannten besseren Stände in den Mittelschulen, sondern auch die des großen Volkes..." (Wagner, Stellung, 8 und 11)

Geschichtsunterricht für den Frieden

Gerade der Geschichtsunterricht fungierte in einem sehr hohen Maße sowohl als Verinnerlichung von Imperialismus und Militarismus als auch von antirevolutionären, antidemokratischen und antisozialistischen Verhaltensmustern. Die friedenspädagogische Kritik am Geschichtsunterricht des Kaiserreichs ist zahlreich und höchst bemerkenswert.

So formulierte 1913 der Thüringer Friedenspfarrer Ernst Böhme: "Dazu muß wohl vor allem ganz anders als bisher der Geschichtsunterricht ethisch fundiert werden zunächst in dem Sinne, daß kein Krieg mehr glorifiziert, vielmehr der Krieg als Allgemeinerscheinung nach Klopstocks Urteil als 'des Menschengeschlechts Brandmal alle Jahrhunderte hindurch' dargestellt, daß somit niemals Kriegsbegeisterung, sondern unter dem Eindruck der aufgezeigten Greuel eines Krieges und seiner unsagbar traurigen Folgen stärkster Abscheu erweckt und die Hemmung des gottgewollten Aufstiegs der Menschheit, nicht nur eines einzelnen Volkes, durch jeden Krieg den zu Unterrichtenden klar und ernst zum Bewußtsein gebracht wird.

Hat man bisher viel zu sehr die kriegerischen Heldentaten in den Vordergrund gerückt, viel zu einseitig Siege und vorteilhafte Siegesfolgen für das einzelne Volk in der Geschichtsbetrachtung hervorgehoben, so sage man künftig den Kindern, wenn Kriegsereignisse zu erörtern sind, mehr von den traurigen Tatsachen, die infolge eines Krieges, auch für das siegreiche Volk, auf wirtschaftlichem wie auf sittlichem Gebiet zu verzeichnen sind, und weise mit ernstem Nachdruck auf die Verluste und Opfer hin, die durch die Kriegsführung veranlaßt wurden." (Böhme, Friedensbewegung, 16. Hervorhebungen im Original bleiben unberücksichtigt.)

Und der Pirmasenser Lehrer Peter Herzog schrieb: "Was wir lehren, ist größtenteils Kriegs- und Fürstengeschichte. Von den ersten Zusammenstößen unsrer Rasse mit den Römern bis zur Schwelle der Gegenwart - nichts als Kriegslärm, Waffengeklirr und Schlachtengreuel. [...] Um den Krieg krystalliert [sic] sich die ganze geschichtliche Belehrung. Der Raufereienkatalog ist dann und wann noch untermischt mit einem Stückchen bizarrester Fürstenverhimmelung." (Deutsche Schulpraxis, 408)

Doch die friedenspädagogischen Lehrkräfte blieben nicht bei ihrer Analyse und Kritik stehen, sondern formulierten konstruktive Alternativen für die Praxis des Geschichtsunterricht, nämlich Alltags-, Sozial- und Kulturgeschichte statt Kriegsgeschichte. So forderte Peter Herzog: "Die menschliche Geschichte ist so reich an erhebenden Bildern edler Menschlichkeit, so reich an wahrhaft bildenden kulturgeschichtlichen Stoffen, daß man sich fast wundern muß, wie sie trotz eindringlichster theoretischer Mahnungen bis jetzt entweder leichtfertig umgangen oder nur in stiefmütterlichster Weise behandelt werden konnten.

Machen wir darum unsre Schüler nicht bloß mit den Trägern der Macht und Gewalt, sondern auch mit den Helden der Forschung und des volkswirtschaftlichen Aufschwungs bekannt!

Erzählt vom Leben im altgermanischen Gehöft, im Kloster und der Ritterburg, von den mittelalterlichen Bürgern und Bauern, von Peter Vischer und Washington, vom Fehmgericht und Tabakskollegium, von Schiller und Seume, von den kulturellen Folgen der Kreuzzüge und den unglückseligen sozialen Folgen vor der französischen Revolution!

Erzählt, wie unsere Vorfahren gewohnt und gearbeitet, gekauft und gehandelt, wie sie sich gekleidet und genährt, sich betrübt und gefreut haben! Erzählt von den kühnen Wikingergestalten, welche unter tausend Fährden und Nöten die unbekannten Gegenden unsres Planeten erforscht und der menschlichen Arbeit und Kultur neue Felder erschlossen haben, von der erstmaligen Nutzbarmachung fremdländischer Produkte und von der Erfindung der Handel und Wandel revolutionierenden Dampfschiffe und Eisenbahnen." (Deutsche Schulpraxis, 409)

Gegen die Prügelpädagogik

Prügel gehörten zum festen Repertoire der schulischen und familiären Erziehung im Kaiserreich. Schon früh und oft genug permanent erlebten Kinder und Jugendliche physische Gewalt. Die körperliche Züchtigung junger Menschen erschien als ein weithin akzeptiertes, probates Mittel der Erziehung. Gleichwohl gab es auch schon im Kaiserreich eine deutliche Kritik an der Prügelpädagogik.

Eduard Sack verwirft die Prügelstrafe grundsätzlich als einen eklatanten Verstoß gegen die Menschenrechte und führt aus, dass die Lehrkräfte sehr wohl ohne Schläge auskommen könnten. Ferner verweist er auf vorhandene Klassenunterschiede im herrschenden dreigliedrigen Schulsystem, d.h., dass Kinder in der Volksschule wesentlich häufiger Opfer der Prügelpädagogik werden als im Bereich der Realschule oder des Gymnasiums.

Höchst aufschlussreich sind Sacks Vorschläge zur Änderung struktureller, schulischer Rahmenbedingungen, die den Weg zu einem gewaltfreien Unterricht ebnen sollen. So fordert Sack u.a. die Ausstattung der Schulen mit den wichtigsten Unterrichtsmitteln, kleinere Klassen sowie die Eignung der Lehrkräfte für ihre Aufgabe.

Nach dem Tod eines Schülers in Berlin-Schöneberg infolge schulischer Prügel - der Lehrer wurde nicht bestraft - forderte Theodor Brix eingehende Konsequenzen, nämlich eine Abkehr von der Gewalt und eine Hinwendung zur Aufklärung und Humanität. Brix konstatierte, ebenso wie Sack, erhebliche soziale Unterschiede bei der Anwendung der Prügelstrafe.

Auch Mütter und Lehrerinnen befürworteten und praktizierten die Prügelpädagogik. Daher appellierte die Frauenrechtlerin Hedwig Dohm besonders an die Frauen, die Prügelstrafe abzulehnen, da diese im krassen Gegensatz zur Mutterliebe stehe.

Der Sozialist Julian Borchardt sah in den gängigen gewalttätigen Zuchtmitteln ein schweres Hemmnis auf dem Weg zur Herausbildung freier Menschen.

Die Kritik im Kaiserreich an der Gewalt im schulischen und privaten Bereich stellte einen wichtigen Anfang dar. Dennoch dauerte es bis weit ins letzte Drittel des 20. Jahrhunderts ehe es zu einem Verbot der Prügelstrafe in der Schule kam.

Die UN-Kinderrechtskonvention forderte 1991 eine konsequent gewaltfreie Erziehung, auch im familiären Bereich. Seit November 2000 haben Kinder und Jugendliche in Deutschland nach Paragraf 1631 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches ein verbrieftes Recht auf eine solche Erziehung: "Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig."

Abbau von Feindbildern

Der Abbau von Feindbildern gilt bis heute als klassischer Baustein einer jeden Friedenspädagogik. Im Kaiserreich galt dies primär gegenüber dem sogenannten Erbfeind Frankreich. Als ein großes Hemmnis zur Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich nach dem Krieg von 1870/71 wurde zu Recht der Sedantag (2. September) zutreffend charakterisiert. Insbesondere die schulischen Feiern zum Sedantag verstärkten eine nationale Arroganz.

Aus friedenspädagogischer Sicht erfuhr dieser nationale Feiertag eine deutliche Kritik - und es folgten Vorschläge zur Umstrukturierung dieses Tages im Sinne einer deutsch-französischen Versöhnung.

Edmund Triebel formulierte dies so: "Wieder naht der 2. September, und wieder werden in so manchen Erziehungsanstalten schwungvolle Reden über den 'Erzfeind' gehalten werden, der so glorreich niedergeworfen wurde, wird man mit Geringschätzung und Verachtung von unserem Nachbarvolke sprechen, wird man die Jugend begeistern, für jenen herrlichen Krieg und sie zu jenem Tatendrang entflammen, der am liebsten gleich losschlagen möchte.

Ach, wie viel Tropfen Gift werden doch an diesem Tag alljährlich in die kindlichen Herzen geträufelt, wie viel von dem, was man sonst durch Unterricht und Erziehung mühsam aufgebaut hat an Nächstenliebe, an Achtung vor dem Menschenleben und der Menschenwürde, wird an diesem Tage grausam zerstört und vernichtet!

Möchten doch alle Erzieher der schweren Verantwortung sich bewußt werden, welche sie auf sich laden, wenn sie in dem Streben, Vaterlandsliebe zu erzeugen, zugleich Menschenhaß predigen und Kriegsbegeisterung, d.h. Mordlust, wecken. Was nützt alle Friedenspropaganda unter den Erwachsenen, die öffentliche Meinung zu gewinnen, solange noch solche Keime in die jugendlichen Herzen gesenkt werden!

Und solche Keime gehen auf, solche Eindrücke sind bleibend, sie lassen sich kaum je wieder verwischen. Würden wir wohl einen so erbitterten Kampf gegen Vorurteile, gegen die über den Krieg herrschenden Anschauungen zu führen haben, wenn diese nicht schon in der Jugend erzeugt worden wären? [...]

Soll der 2. September überhaupt noch gefeiert werden, dann möge er das Gepräge eines Versöhnungsfestes tragen, einer Feier, die nicht das, was uns trennt, sondern das, was uns eint, in den Vordergrund stellt, die da Abscheu vor dem Krieg erzeugt und Begeisterung erweckt für den schönen, großen Gedanken der Menschheitsfamilie.

Ich habe versucht, eine Ansprache an die Schüler in diesem Sinne auszuarbeiten und biete diesselbe hiermit denjenigen meiner geehrten Kollegen als Hilfsmittel dar, die geneigt sind, auch durch die Sedanfeier für die Sache des Friedens zu wirken." (Erziehe zum Frieden, 56-58)

Direkte internationale Kontakte erwiesen sich als wohltuendes Korrektiv einer stark nationalistisch ausgeprägten pädagogischen Sichtweise. In diesem Sinne kam dem internationalen Austausch von Kindern und Jugendlichen eine große Bedeutung zu. Ein besseres Verständnis von anderen Völkern, Ländern und Kulturen konnte dadurch ermöglicht werden. So sollten der um 1900 begründete internationale Briefwechsel von Schülerinnen und Schülern sowie Schulreisen in das Land des angeblichen Erbfeindes diesem friedenspädagogisehen Ansatz dienen.

Beim Abbau von Feindbildern setzte Ludwig Wagners friedenspädagogische Arbeit im Rahmen seiner Erwachsenenbildung ebenfalls an. Ab 1905 veranstaltete er in Kaiserslautern Ferienkurse für Ausländerinnen und Ausländer. Jeweils im Sommer kamen bis zu 200 Menschen in die Pfalz, um für mehrere Wochen an diesen Kursen teilzunehmen. Da der weitaus größte Teil aus Frankreich anreiste, stellte der deutsch-französische Sprach- und Kulturaustausch den Schwerpunkt des Programms dar. Es handelte sich dabei nicht nur um Vorträge, sondern um Übungen, wobei die Diskussion und der lebendige Austausch im Vordergrund stehen sollten. Ferner wurde besonderes Augenmerk auf Konzerte, Theateraufführungen, Besuch von Ausstellungen und Wanderungen gelegt.

Ab 1912 verknüpfte Wagner seine Ferienkurse mit Friedensseminaren. In diesen Veranstaltungen ging es um die eigenständige Beschäftigung mit friedenspolitischen Themen in Diskussionsrunden oder durch die Übernahme von Referaten, wobei Menschen aus allen vertretenen Nationalitäten zu Wort kamen. Eine ständige Ausstellung und eine Sammlung von Friedensliteratur standen zur Verfügung. Den weit verbreiteten Antipazifismus bekam Wagner durch Diffamierungen (Drohbriefe, Presseartikel) deutlich zu spüren.

Im Schatten des Ersten Weltkriegs

Selbst zu Beginn des Ersten Weltkrieges konnten im Unterricht Feindbilder abgebaut werden. Dies zeigt sehr anschaulich eine Erinnerung des bekannten Psychoanalytikers Erich Fromm (Jahrgang 1900).

"Bestürzt war ich auch über den hysterischen Haß gegen die Engländer, der damals ganz Deutschland erfüllte. Plötzlich waren es elende, bösartige und skrupellose Söldner, die unsere unschuldigen und allzu vertrauensseligen Helden zu vernichten trachteten. Inmitten dieser nationalen Hysterie ist mir ein entscheidendes Ereignis in Erinnerung geblieben.

Wir hatten in unserm Englischunterricht die Aufgabe bekommen, die englische Nationalhymne auswendig zu lernen. Diese Aufgabe war uns vor den Sommerferien gestellt worden, als noch Frieden herrschte. Als dann der Unterricht wieder begann, sagten wir Jungen zu unserem Lehrer - teils aus Ungezogenheit und teils weil wir vom 'Haß gegen England' angesteckt waren -, wir weigerten uns, die Nationalhymne unseres schlimmsten Feindes auswendig zu lernen.

Ich sehe ihn noch vor der Klasse stehen, wie er mit einem ironischen Lächeln über unseren Protest ruhig sagte: 'Macht euch nichts vor; bis jetzt hat England noch nie einen Krieg verloren.' Hier sprach die Stimme der Vernunft und des Wirklichkeitssinns inmitten des aberwitzigen Hasses - und es war die Stimme eines verehrten und bewunderten Lehrers! Dieser eine Satz und die ruhige, vernünftige Art, in der er geäußert wurde, war für mich eine Erleuchtung. Er durchbrach die verrückte Hasswelle und die nationale Selbstvergötterung, und ich begann nachzudenken und mich zu fragen: 'Wie ist so etwas möglich?'" (Fromm, 12)

Eng verbunden mit den Feindbildern war, gerade im Ersten Weltkrieg, der Völkerhass. Aus friedenspädagogischer Sicht wurde dieses Phänomen kritisiert. Ludwig Wagner und Friedrich Wilhelm Foerster, die beide bei Kriegsbeginn noch eine ambivalente Haltung zum Krieg einnahmen, äußerten sich 1916 entsprechend.

So führte Foerster u.a. aus: "Jeder, der heute in irgendeinem Lebensverhältnis eine Feindschaft in eine Freundschaft verwandelt; jeder, der ein ungerechtes Urteil hinunterschluckt und ein ritterliches Wort für das Recht und die Not des Gegners findet; jeder, der in seinem Konflikte tapfer der eigenen Mitschuld ins Gesicht sieht und daraus neues Leben gewinnt - der hilft die Blutschuld des Weltkrieges entsühnen, der pflanzt Blumen auf die Massengräber, der verleiht all den namenlosen Opfern einen heiligen Sinn." (Foerster, 31)

Im Frühjahr 1915 erschien in der pazifistischen Zeitschrift "Völker-Friede", ein Aufruf (Vermutliche Autorin: Elsbeth Friedrichs) "An die deutschen Lehrer", der zunächst die Zerstörungen durch den Krieg reflektiert. Dann wird die friedenspädagogische Dimension deutlich, wenn es heißt: "Wir wollen und können die nationalen Unterschiede nicht verwischen. Sie sind da, und das ist auch gut so, denn aus ihnen ergibt sich der Geistes- und Kulturkampf der Nationen, der die Welt nur fördern kann. Doch haben die Erzieher aller Länder die Pflicht, die Eigenart Fremder zu verstehen und zu würdigen und das Einende stets zu betonen. Wollen die Erzieher den Fortschritt der Menschheit, das Wohl der Nationen, das Lebensglück ihrer Kinder, so muß die Verbreitung des Friedensgedankens eine Hauptforderung der Pädagogen aller Länder werden.

Das heißt nicht, Politik in die Schule tragen. Dieselbe ist übrigens längst darin heimisch geworden durch die Chauvinisten, die leider nicht ohne Erfolg die Schule zu benutzen versuchen und durch alle möglichen Veranstaltungen (ich denke an die freien Lehrerfahrten unseres Flottenvereins) immer mehr bestrebt sind, sich der Erzieher zu bemächtigen. Mit größerem Recht verlangen wir Pazifisten offene Türen für unsere Arbeit an den Schulen. Wenn es nach diesem Kriege den Regierenden ernst ist, einen dauernden Frieden zu erhalten, so werden sie unsere Ideen, die Menschlichkeit, echte Vaterlandsliebe und wahres Christentum atmen, mit aller Macht fördern. [...]

Nicht die Völker sollen sie [die Kinder] hassen lernen, sondern den Krieg, der die Menschen verroht und zu Grausamkeiten, die ihnen sonst fern liegen, verleitet. Der Krieg ist es, der vielen von ihnen ihre Väter, Brüder und Verwandten geraubt hat. Fast keine Familie ist von Verlusten verschont geblieben. Ueberall haben unsere Kleinen Gelegenheit gehabt, Verwundete zu sehen, und Mitleid und Bedauern sind in ihren Herzen emporgekeimt.

Eltern und Erzieher, nicht die Völker haben das getan, sondern der Krieg! Vergeßt das nicht! Streuet den Samen des Friedens aus statt neue Kriegssaat und Haß zu pflanzen. Laßt endlich die Rede vom Erbfeind, von der Schlechtigkeit anderer Völker!" (Völker-Friede 1915, 36 f.)

Die Kritik an der Kriegspädagogik verstummte in den Kriegsjahren auch von sozialistischer Seite nicht. Dies zeigt die Rede des Antimilitaristen Karl Liebknecht zum Kultusetat im Preußischen Abgeordnetenhaus vom 16. März 1916.

"Es ist darauf hingewiesen worden, wie man Schüler für die Kriegswirtschaft zur Verfügung stellt, zum Sammeln des Kriegsgoldes und zur Propaganda für die Kriegsanleihen systematisch ausnutzt. [...] Die heutige Erziehung geht darauf hinaus, schon in der Schule zu beginnen, die Menschen zu Kriegsmaschinen zu erziehen; sie macht die Schulen zu Dressuranstalten für den Krieg, körperlich und seelisch.

Das Ziel der körperlichen Ertüchtigung der Jugend - natürlich an und für sich durchaus zu billigen -, weshalb wird es jetzt lebhafter verfolgt? Wegen der Erkenntnis, daß man die so gekräftigten jugendlichen Körper künftig brauchen wird für den Moloch Militarismus. Also auch diese 'Ertüchtigung' steht unter dem Gesichtswinkel des Krieges; die Hebung der menschlichen Gesundheit unter dem Gesichtswinkels eines Ziels, das Vernichtung von Menschenleben ist!

Meine Herren, der obrigkeitliche Beeinflussungsapparat, in dem Kirche, Kunst und Wissenschaft, Volksschule, Universität und natürlich auch die höhere Schule, neben Polizei und Gerichten, Zensur und dem ganzen Verwaltungsapparat des Belagerungszustandes Zusammenwirken, war noch nie so aufgedeckt wie heute, wo er dem Krieg dient. Aber die Zensur hindert die öffentliche Kennzeichnung. So muß man hier darüber reden." (Liebknecht, 534 f.)

Auguste Kirchhoff verfasste im Sommer 1917 ein Manuskript, das wegen der Zensur erst 1919 erscheinen konnte. Sehr skeptisch beurteilte die Bremer Pazifistin das Kriegsspielzeug. Kindern sollte der Blick über den nationalen Tellerrand ermöglicht und das Interesse an anderen Kulturen vermittelt werden. Kirchhoff kritisierte den politisch einseitigen Unterricht und plädierte für multiperspektivische, komplexe und kritische Sichtweisen.

"Daraus könnte unserem Vaterlande eine neue Generation erwachsen, die an rechter Stelle zur rechten Zeit Hand anlegt - ein Geschlecht von Männern und Frauen, das mit gesundem Blick soziale Schäden erkennt, das nicht sklavisch an erstarrten Begriffen hängt, sondern sich mit frischer Kraft in den Dienst des Werdenden stellt. Ein Geschlecht, das von innen heraus gestaltend, auch den äußeren Frieden auf festere Garantien gründet, als es die heute im Zeitalter des Kapitalismus lebende Menschheit mit ihrem 'freien Spiel der Kräfte', mit ihrem Wettrüsten, ihrer Militarisierung der Jugend, mit allen sogenannten Grenzsicherungen, Defensivbündnissen, Geheimverträgen und Diplomatenkünsten vermochte. Aus dem Bankerott dieses Krieges müssen wir Mütter aller Länder unseren Kindern als wertvollstes Gut die Erkenntnis retten, daß nur ein auf Rechtsgrundsätze aufgebautes Zusammenleben aller Völker der Welt Ruhe, Sicherheit und die nötigen Voraussetzungen zu wirklichem Kulturaufstieg geben kann." (Kirchhoff, 99)

Friedenspädagogik im internationalen Vergleich: Deutschland und Frankreich

Eine friedenspädagogische Organisation existierte im kaiserlichen Deutschland nicht. Dies sah in Frankreich - qualitativ und quantitativ - anders aus. Ein nicht geringer Teil der französischen Lehrkräfte sah seine politische Heimat im sozialistischen bzw. anarcho-syndikalistischen Spektrum, das eng mit pazifistischen Ideen verknüpft war.

Wichtige pädagogische Zeitschriften wie Manuel général de l'Instruction primaire (Schriftleitung: Ferdinand Buisson), Revue de l'enseignement Primaire et Primaire Supérieur (Schriftleitung: Gustave Hervé, ab 1905: Jean Jaurès; Auflage: 14.000) und Le Maitre Pratique (Schriftleitung: Kreisschulinspektor A. Sève) standen dem Pazifismus sehr nahe.

Die pädagogische Organisation Amicale mit zehntausenden von Mitgliedern verstand sich dezidiert als friedenspädagogisch, da sie sich das Motto "Krieg dem Kriege" gab. Im Jahre 1901 gründeten Madeleine Carlier und Marguerite Bodin die Société de l'Éducation pacifique. Diese spezifisch friedenspädagogische Organisation umfasste in ca. 40 Departments ca. 55.000 Mitglieder. Die zentrale Richtlinie lautete: "Es gibt nicht zweierlei Moral, eine für das Individuum und eine andere für die Nationen. Die Schule hat friedfertige (nicht kleinmütige!) Herzen zu bilden, die menschliche Brüderlichkeit und die Achtung vor dem Leben zu lehren, den Zerstörungsinstinkt und den Ausländerhaß zu unterdrücken. Sie muß die Kriege als vermeidbar, das Schiedsgericht als verpflichtend hinstellen." (Zit. n. Lehmann, 18)

Die beiden Friedenspädagoginnen verfassten auch ein Buch "Pour la paix", das vom Unterrichtsministerium subventioniert und in vielen Departments in die Liste der offiziellen Schulbücher aufgenommen wurde.

Von einer derartig deutlichen Verankerung im pädagogischen und gesellschaftlichen Leben konnten friedenspädagogische Lehrkräfte in Deutschland nur träumen.

Aspekte der französischen Friedenspädagogik erfuhren durch Deutsche mitunter eine Wahrnehmung. So erfolgte eine Skizzierung der friedenspädagogischen Organisationen in Frankreich, und im Mai 1916 veröffentlichte "Die Friedens-Warte" einen Appell der Lehrkräfte des Seine-Departments gegen die Verbreitung des Völkerhasses.

Das wichtige Werk "Die Vergangenheit des Krieges und die Zukunft des Friedens" des Pazifisten Charles Richet, das u.a. die militaristische Dimension des Geschichtsunterrichts in Frankreich kritisierte, übersetzte Bertha von Suttner. Überwiegend handelte es sich jedoch um eine Wahrnehmung ohne wichtige friedenspädagogische Folgen für die deutsche Seite.

Fazit

Friedenspädagogik ist keine modische Zeiterscheinung, sondern solange erforderlich, wie Menschen unterdrückt und Konflikte mit Gewalt und Krieg ausgetragen werden. Friedenspädagogik ist ein festerBestandteil einer Kultur des Friedens, die gekennzeichnet ist durch eine zivile Gesellschaft.

Bei der Beschäftigung mit der historischen Perspektive kann aufgezeigt werden, dass es in anderen Epochen eine interessante und konstruktive - Friedenspädagogik als Alternative zur dominanten Kriegspädagogik gegeben hat. Dies gilt auch für das Kaiserreich.


Dr. Karlheinz Lipp ist Historiker mit dem Schwerpunkt Historische Friedensforschung.


Quellen und Literatur

Böhme, Ernst: Friedensbewegung und Lebenserziehung. Leipzig 1913

Borchardt, Julian: Wie sollen wir unsere Kinder ohne Prügel erziehen? Berlin 1905

(Ndr. Berlin 1919)

Brix, Theodor: Was in dem "Lande der Denker und Dichter" passiren kann. Ein Wort über die Schulprügler und ihre Gönner als Beitrag zur Göthefeier. Berlin 1899

Christadler, Marieluise: Kriegserziehung im Jugendbuch. Literarische Mobilmachung in Deutschland und Frankreich vor 1914. Frankfurt/Main 2/1979

Deutsche Schulpraxis 1897

Dohm, Hedwig: Die Mütter. Beitrag zur Erziehungsfrage. Berlin 1903

Feeley, Francis: French School Teachers Against Militarism, 1903-1918. In: The Historian 52 (1995), 315-328

Erziehe zum Frieden! Eine ernste Mahnung an Eltern und Erzieher. I. Drei Reden von Lehrer H. Brück. II. Schulrede zum Sedantage von Rektor E. Triebel. Schriften des Frankfurter Friedensvereins. Heft 2. Frankfurt/Main 1905

Ferienkurse für Ausländer in Kaiserslautern. Ausführlicher Bericht über ihre Entstehung, ihren Zweck, ihre Entwicklung und ihren Verlauf. Hg. Von Ludwig Wagner. Kaiserslautern 1909

Foerster, Friedrich Wilhelm: Die deutsche Jugend und der Weltkrieg. Kriegs- und Friedensaufsätze. Dritte vermehrte Auflage Leipzig 1916

Friedensblätter 1900

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Quelle:
Forum Pazifismus - Zeitschrift für Theorie und Praxis der
Gewaltfreiheit
Nr. 41/42 - I-II. Quartal 2014, S. 15 - 21
Herausgeber: Internationaler Versöhnungsbund - deutscher Zweig,
DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen)
mit der Bertha-von-Suttner-Stiftung der DFG-VK,
Bund für Soziale Verteidigung (BSV) und Werkstatt für Pazifismus,
Friedenspädagogik und Völkerverständigung PAX AN
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Juli 2015

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