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MELDUNG/014: Arme Kinder in der Warteschleife - Hartz IV-Gesetze zügig umsetzen


Pressemitteilung der Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union,
vereinigt mit der Gustav Heinemann-Initiative - Berlin 30.03.2011

Arme Kinder in der Warteschleife.
Humanistische Union mahnt Kommunen und Länder, Hartz IV-Gesetze zügig umzusetzen


Anlässlich der Veröffentlichung der neuen Hartz IV-Gesetze im Bundesgesetzblatt fordert die Humanistische Union die Kommunen auf, ihren sozial- und bildungspolitischen Verpflichtungen nachzukommen und eine rasche Umsetzung der neue Teilhaberechte zu gewährleisten. Die Bürgerrechtsorganisation schlägt die Einrichtung kommunaler Bildungsbüros vor, in denen die Leistungen für Kinder und Jugendliche aus einer Hand vermittelt werden. Daneben bekräftigt die HU ihre grundsätzliche Kritik an Sinn und Verfassungskonformität der neuen Regelsätze und von Teilen des Bildungspakets.

Die armen Kinder und die Familien, die von der Grundsicherung (Hartz IV) leben, warten darauf, dass das vor über vier Wochen beschlossene und von Bundestag und Bundesrat hochgepriesene Bildungspaket bei ihnen ankommt. Weder die Ministerpräsidenten der Länder noch die Verantwortlichen in Städten und Gemeinden zeigen große Eile, die neuen Ansprüche der schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen aus Hartz IV-Familien auf Nachhilfe, Mittagessen oder Vereinsbeiträge zu erfüllen. Die Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union/GHI fordert daher die Kommunen nachdrücklich auf, ihre gesetzlich neu verankerte Verantwortung für die Kinder von Langzeitarbeitslosen und Geringverdienern zügig zu übernehmen. "Die Städte und Gemeinden setzen sich sonst dem Verdacht aus, die Umsetzung bewusst zu verschleppen, um damit an den ärmsten Kindern und Jugendlichen Geld zu sparen und ihnen Teilhabegrundrechte vorzuenthalten", erklärt Jutta Roitsch-Wittkowsky, das für Bildungs- und Sozialpolitik zuständige Vorstandsmitglied der Humanistischen Union (HU). Bisher fehle jede Klarheit, wer vor Ort für Gutscheine und weitere Dienstleistungen zuständig ist. Die HU fordert die Einrichtung eines kommunalen Bildungsbüros, das die sozialen, kulturellen und bildungspolitischen Leistungen für die Kinder und Jugendlichen bündelt und organisiert. "Es ist unzumutbar, die Eltern von Amt zu Amt zu schicken, um überhaupt Teilhabegrundrechte für ihre Kinder zu bekommen", so Roitsch-Wittkowsky.

Ihre bisherige Untätigkeit könnten die politisch Verantwortlichen nicht damit entschuldigen, dass die entsprechenden Gesetze erst am 25. März vom Bundespräsidenten unterschrieben und am 29. März im Bundesgesetzblatt verkündet worden sind. In seinem wegweisenden Urteil vom 9. Februar 2010 hatte das Bundesverfassungsgericht den Bundesgesetzgeber aufgefordert, bis zum 31. Dezember 2010 die Bedarfssätze für die Hartz IV-Empfänger in einem transparenten und nachvollziehbaren Verfahren neu zu regeln. Den schulpflichtigen Kindern und Jugendlichen hatte das Gericht ein eigenständiges Grundrecht auf Bildung und soziokulturelle Teilhabe zuerkannt. Der Gesetzgeber gewährt diese Teilhabegrundrechte jetzt jedoch nur auf Antrag und Bezugsschein, zuständig dafür sind nicht mehr die Jobcenter, sondern die Kommunen. Die HU befürchtet als Folge eine verwirrende Bürokratie, die Eltern abschreckt, die Rechte ihrer Kinder wahrzunehmen. So sind in einer Stadt wie Frankfurt a.M. rund 25.000 Kinder anspruchsberechtigt, bisher wurden aber lediglich 30 Anträge gestellt. Die HU appellierte daher an die Sozial- und Wohlfahrtsverbände, in den Kommunen und Ländern Druck zu machen und ihren Einfluss zu nutzen, um unbürokratische Lösungen zu erzielen.

Unabhängig von den praktischen Fragen der Umsetzung hält die HU an ihren grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die gesetzliche Neuregelung fest. Sie beziehen sich vor allem auf die Umgehung des Elternrechts und die Gewährung der Teilhabegrundrechte nur auf Bezugsschein. Auch die Einigung im Vermittlungsausschuss enthält verfassungsrechtlich Bedenkliches: Schulsozialarbeit und Mittagessen in Horten fallen nicht in die Zuständigkeit des Bundes, der aber bis 2013 die Kosten übernehmen soll. Das Verfassungsgerichts hatte ferner eindeutig dem Bund die Verantwortung für eine gesetzliche Neuregelung zugeschrieben. Ob die jetzt beschlossene Zersplitterung der Verantwortung zumindest für Teile des so genannten Bildungspakets damit vereinbar ist, darf bezweifelt werden. Und letztlich sind die Bedenken an der Methodik, die Arbeitsministerin Ursula von der Leyen zur Berechnung der Hartz IV-Sätze herangezogen hat, nicht ausgeräumt. Sie sind im Gegenteil im Gesetz selbst verankert: Bis zum 1. Juli 2013 soll die Ministerin "unter Mitwirkung des Statistischen Bundesamtes sowie von Sachverständigen" dem Bundestag einen Bericht vorlegen "über die Weiterentwicklung der für die Ermittlung von Regelbedarfen anzuwendenden Methodik", heißt es im Paragraph 10 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen.


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Quelle:
Pressemitteilung vom 30. März 2011
Humanistische Union e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. März 2011