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GAZA HUMAN/003: Konvoi könnte Einfluß auf die Spielregeln im Nahen Osten haben (Kia Ora Gaza)


Kia Ora Gaza - Tagesbericht, 11. Oktober 2010

Konvoi könnte Einfluß auf die Spielregeln im Nahen Osten haben

Internationaler Hilfskonvoi nach Gaza - 22. und 23. Tag: 9.-10. Oktober 2010


Im Anschluß an den Bericht, daß der Gaza-Konvoi alle ägyptischen Bedingungen erfüllt habe, informierte Viva Palestina-Direktor Kevin Ovenden die 400 Freiwilligen in Latakia: "Die Behörden in Kairo haben uns zugesichert, uns heute noch Ihre Entscheidung bekanntzugeben."

Jubel steigt auf unter den "Konvoiern" über die Aussicht, daß Kairo bald eine Entscheidung über ihre Passage von Syrien in den ägyptischen Hafen Al-Arish treffen wird, der nur eine kurze Autofahrt vom Grenzübergang nach Rafah entfernt liegt. Zur Bekanntgabe der Entscheidung wird für 17.00 Uhr eine Pressekonferenz im Konvoi-"Dorf", im früheren Flüchtlingslager von Latakia angesetzt.

Aber die Zusage Kairos entpuppt sich erneut als "Nahost-Fata Morgana", Keine Botschaft von den Machthabenden in Kairo am Sonnabend und auch nicht am Sonntag. Zwei weitere Tage halten sie uns hin.

Die 150 Fahrzeuge des Konvois sind bereits mit medizinischem Bedarf und weiteren humanitären Hilfsgütern im Wert von 7 Millionen Neuseeland Dollar beladen. Das Schiff für die schnelle Überfahrt von Latakia nach Al-Arish ist gebucht. Alles, was jetzt noch für den unverzüglichen Aufbruch nach Gaza fehlt, ist grünes Licht aus Kairo.

Wird es dieses Licht geben? Wann? Was, wenn nicht? Diese Fragen werden nicht nur unter den Konvoi-Fahrenden diskutiert, auch nicht allein von Kairo, sondern gleichermaßen in Tel Aviv und in der arabischen Welt sowie darüber hinaus.

Israelische Politiker üben enormen Druck auf Kairo aus, den Konvoi nicht nach Gaza hineinzulassen. Warum? Weil der Konvoi die Macht erhalten könnte, die Spielregeln im Nahen Osten zu ändern. Sollte Ägypten seine Grenzen für die Gaza-Hilfsmission öffnen und das Verbot gegen die Solidaritätskonvois aufheben, würde die israelische Blockade der palästinensischen Enklave zu bröckeln beginnen. Und die Ausläufer dieses Stragiewandels könnten Washington erfassen.

Die Regierenden in Kairo sind zur Zeit mit Straßenprotesten konfrontiert, weil man versucht, Gumal Mubarak, den Sohn des ägyptischen Präsidenten als von Staatsseite bevorzugten Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr aufzubauen.

Diese Proteste erschweren es der ägyptischen Regierung - auch wenn sie nicht direkt etwas mit Gaza zu tun haben -, eine so unpopuläre Entscheidung zu treffen wie die, den Gaza-Hilfskonvoi zu blockieren. Und das wird durch den grundlegenden Wandel in der weltweiten öffentlichen Meinung infolge des israelischen Massakers an neun Zivilisten auf dem Gaza-Hilfsschiff Mavi Marmara vor vier Monaten noch verstärkt. Diese Faktoren könnten ein Gegengewicht zum unnachgiebigen Druck Tel Avivs auf Kairo bilden. In dieser Dampfkesselatmosphäre könnte alles möglich sein.

Die Konvoier wiederum sehen sich ganz realen Risiken gegenüber. Und ihr bester Schutz besteht in der Macht der weltweiten öffentlichen Meinung und der Aufmerksamkeit der internationalen Medien für den Konvoi.


Konvoier erwidern den herzlichen Empfang der syrischen Bevölkerung und ihrer Regierung

Unterdessen mischt sich im Konvoi-Camp in Latakia viel Lachen unter die Sorgen und Befürchtungen. Starke Bande werden unter den Freiwilligen aus über 30 Nationen geknüpft. Am Sonntagabend organisiert Roger Fowler, Leiter des Kiwi-Teams und talentierter Musiker, ein Kulturfestival mit Dutzenden von Beiträgen verschiedener Kulturen und Länder. Es ist ein lebendes Beispiel dafür, wie Menschen sehr unterschiedlicher Herkunft einander in Frieden die Hand reichen können. Freundschaften entstehen zwischen den Konvoiern und ortsansässigen palästinensischen Flüchtlingen.

Am Sonntag findet eine Gruppe Freiwilliger nach langer Suche den ältesten Palästinenser in Latakia. "Chalid ist sein Name", berichtet Kiwi-Konvoier Mousa Taher. "Er ist einer der letzten Überlebenden hier, der noch in Palästina geboren wurde. Ein typischer Dorfältester, er ist weise und liebenswürdig und kenntnisreich."

"Ich glaube nicht, daß ich je nach Palästina zurückkehren werde", erzählt Chalid traurig. Und die Freiwilligen bemühen sich, ihm schnell zu versichern, daß er zurückkehren werde, und fühlen sich dem Kampf für die Gerechtigkeit für Palästinenser noch ein wenig mehr verpflichtet.

So nah an Gaza und angesichts der hohen internationalen Spannungen entwickeln die Konvoier ein hohes Sicherheitsbewußtsein. "Unsere Fahrzeuge sind jetzt mit Hilfsgütern im Wert von Millionen Pfund beladen, und die Sicherheit muß erhöht werden", merkt Pippa Bartolotti, eine Freiwillige aus dem Vereinigten Königreich, an. "Es gibt Menschen, die unsere Bemühungen gern sabotieren würden, und wir müssen wachsam sein."

Dieser Tagesbericht wurde zusammengestellt von Grant Morgan, Kiaora Gaza.
E-Mail grantmorgan@paradise.net.nz


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Kinder im palästinensischen Viertel von Latakia. Sie sind die dritte Generation, der der Staat Israel die Rückkehr in das q Heimatland, das ihren Großeltern gestohlen wurde, verwehrt.

Ein kleines Mädchen, das das Friedenszeichen des Konvois macht, stiehlt George Galloway die Show, der über die Verhandlungen mit den ägyptischen Behörden berichtet.

"Eine Armee marschiert mit dem Magen," besagt ein altes Sprichwort. So auch der Konvoi nach Gaza. Mahlzeit im Konvoi-Camp in Latakia.


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Quelle:
Kia Ora Gaza - Tagesbericht, 11. Oktober 2010
http://kiaoragaza.net/
mit freundlicher Genehmigung
in einer Übersetzung des Schattenblick aus dem Englischen


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Oktober 2010