Schattenblick → INFOPOOL → BÜRGER/GESELLSCHAFT → MEINUNGEN


STANDPUNKT/098: "Peak Plutocracy" - Die Grenze des Erträglichen ist erreicht (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 24. April 2015

Entwicklung: 'Peak Plutocracy' - Die Grenze des Erträglichen ist erreicht

ein Meinungsbeitrag von Soren Ambrose (*)


Nairobi, 24. April (IPS) - Verzagte Eltern, die nicht in der Lage sind, ihren Kindern den Besuch einer nahen Privatschule zu ermöglichen. Familien, die keinen Zugang zu einer Basisgesundheitsversorgung haben, weil das Bergbauunternehmen, das ihren Fluss verseucht hat, die Steuern einbehält, die der Staat so dringend für die medizinische Behandlung seiner Bürger braucht.

Frauen, die Nacht für Nacht nur vier Stunden schlafen, weil sie fast rund um die Uhr arbeiten müssen, um ihre Familien durchzubringen. Gemeinschaften, die von ihrem Land vertrieben werden, um ausländischen Unternehmen Platz zu machen. Arbeiter, die so schlecht bezahlt werden, dass sie unterernährt sind.

Dies sind nur einige Fehlentwicklungen, wie sie mir Kollegen in den letzten Monaten geschildert haben. Wir erleben, wie Menschen an der Macht der Plutokraten verzweifeln.

Eine Plutokratie ist eine Gesellschaft oder ein System, das von einer kleinen, besonders reichen Minderheit regiert und dominiert wird. Die Reichen waren immer schon mächtig, und bis zu einem gewissen Grad hat es in allen Gesellschaften Plutokratie gegeben.

Doch das Ausmaß der Kontrolle, die die Plutokraten heutzutage ausüben, der Anteil der Superreichen, die sich politische Macht erkaufen, die fast unmögliche Hartnäckigkeit, die erforderlich ist, um gegen die rechtlichen und öffentlichen Seilschaften vorzugehen und die technischen Mittel, über die die großen Konzerne und die reichsten Personen der Welt verfügen, die immer stärkere Konzentration von Reichtum selbst in den weltgrößten Staaten und die weltweite Anhäufung von Ressourcen, Macht und Verbindungen sorgen dafür, dass wichtige demokratische Entscheidungen unterlaufen werden und der Raum für ein Leben schwindet, dem die materialistischen Werte der Plutokratie nichts anhaben können.

Das zugrundeliegende Problem - die Gier nach Geld, Macht und Kontrolle - ist unethisch und ungeeignet, ein Umfeld zu schaffen, in dem sich Lebewesen entwickeln können. Im beinahe gesamten Verlauf der Geschichte der Menschheit haben wir unausgeglichene politische und soziale Systeme ertragen müssen.

Die heutige Marktwirtschaft hat jahrhundertealte Wurzeln, doch sind sie erst in diesem Jahrhundert so gigantisch geworden, dass sie praktisch die ganze Welt durchsetzen.

Wir leben in einem Zeitalter des Hyperkapitalismus: Wir haben die Industrialisierung und Wertschöpfungsmaxime so weit getrieben, dass Financiers und die Finanzindustrie unsere Gesetze schreiben und zum politisch mächtigsten Industriezweig der Geschichte geworden sind.

Eine kurze Zeit relativer Gleichheit in den reicheren Ländern nach dem Zweiten Weltkrieg hatte Ende der 1970er Jahre einer einflussreichen Ideologie des freien Wettbewerbs, des unendlichen Wachstums und uneingeschränkten Profits das Feld überlassen. Diese Ideologie haben sich Institutionen zu Eigen gemacht, die von Plutokraten finanziert werden.

Die Weigerung, hier Grenzen zu setzen, eine Überbetonung der Bedeutung von Wettbewerb und Profit und die Kapitulation der Regierungen vor der Macht des Geldes hat die moderne Plutokratie zu einer vorherrschenden Realität gemacht, die es dringend umzukehren gilt.

Es ist zur Routine geworden, dass Kommentatoren davon sprechen, wie die Menschen "zur Wirtschaft beitragen können". Die Wirtschaft dient nicht der menschlichen Gesellschaft, die Menschen leben, um der Wirtschaft zu dienen. 'Freiheit' wird heute eher als Freiheit, unter vielen Konsumgütern auszuwählen, verstanden und nicht als Möglichkeit, über das eigene Leben zu bestimmen.

Vor einigen Jahren fand eine Debatte über das Konzept des 'Peak Oil' statt - der Stunde null, in der wir an die Grenzen unser nutzbaren Erdölreserven stoßen. Wir dürften uns mittlerweile einem weitaus gefährlicheren Punkt nähern: der 'Peak Plutocracy', in der die Gesellschaft und die Umwelt eine weitere Konzentration von Macht und Reichtum nicht mehr ertragen können.

Es ist beunruhigend, von Kollegen in aller Welt zu erfahren, wie sehr mächtige Menschen die Macht der anderen beschneiden. Diese Peak Plutocracy hat viele Gesichter. Sie zeigt sich in den erfolgreichen Bemühungen von Unternehmen, bedeutende Klimaaktivitäten zu verhindern und einer hochgradig pestizidlastigen, stark technisierten und die Kleinbauern verdrängenden Landwirtschaft das Ruder zu überlassen, die ausgerechnet diejenigen, insbesondere Frauen, trifft, die den Großteil der Weltbevölkerung ernähren.

Ebenso zeigt sie sich in dem betrügerischen Einverständnis der Regierungen, Unternehmen zu erlauben, die Kontrolle über Land und Ressourcen an sich zu reißen, um zu Lasten der lokalen Bevölkerung Profite für privilegierte Außenseiter zu generieren.

Sie tritt in einem 'Race to the bottom'-Steuerwettbewerb zwischen verschiedenen Staaten zutage, durch den Unternehmen in den Genuss von Steuerbefreiungen kommen, die als Investitionsanreize beworben werden, obwohl der Nutzen nicht erkennbar oder unbedeutend ist [und zu Lasten lokaler Umwelt-, Arbeits- und Sozialstandards geht].

Sie lässt sich an dem Versagen von Staaten ablesen, für Gesetze zu sorgen, die die lokalen Arbeitskräfte vor Rechtsverstößen wie Menschenhandel, unzumutbaren Löhnen und gefährlichen Arbeitsbedingungen schützen, die etwa Frauen in prekäre, schlechtbezahlte und unmenschliche Arbeitsverhältnisse zwingen.

Auszumachen ist sie ferner am Versagen, die systematischen Verstöße gegen die Frauenrechte in den unterschiedlichsten Bereichen zu unterbinden. Insbesondere sind da die nicht entlohnten Dienste zu nennen, die Frauen den Volkswirtschaften leisten, indem sie für wenig oder gar kein Geld ihre Familien und Gesellschaften am Laufen halten.

Darüber hinaus tritt die Peak Plutocracy als Druck auf Länder - und in jüngster Zeit in geheimen Absprachen zwischen Regierungen und Unternehmen - in Erscheinung, die die Handelsregeln und die Verbraucherrechte so verändern, dass ausländische Konzerne die Märkte dominieren können.

Sie lässt sich an der Nötigung inklusive der Anwendung von Gewalt durch einflussreiche Eliten in Privatunternehmen, an fundamentalistischen Bewegungen und an repressiven Systemen zur Kontrolle der Frau, ihres Körpers, ihrer sexuellen und reproduktiven Rechte, ihrer Arbeit, ihrer Mobilität und ihrer politischen Stimme erkennen.

Sie zeigt sich ferner in der Privatisierung der Schulen zu Lasten eines ordentlichen öffentlichen Bildungssystems, obwohl der Nutzen der Privatschulen nicht erkennbar ist; in der ungerechtfertigten Verachtung des öffentlichen Sektors und der ständig wiedergekauten Ansicht, dass es die Privatwirtschaft ist, die entwicklungsfördernd wirkt.

Dann offenbart sie sich in der 'Fetischisierung' der ausländischen Direktinvestitionen in Ländern mit niedrigen Einkommen, obwohl es bisher keinem Land gelungen ist, sich mit Hilfe ausländischen Kapitals zu entwickeln. Beobachten lässt sie sich weiter in den zunehmend deckungsgleichen Interessen von Staaten, Konzernen und Eliten, die Handlungsfreiheiten sozialer Bewegungen und Gruppen, die im öffentlichen Interesse handeln, zu beschneiden und den politischen Spielraum in allen Teilen der Welt einzuschränken.

Sie tritt in der zunehmenden Dominanz reicher Konzerne und Personen in den UN-Debatten und -Prozessen zutage, in einer unverfroren vorgebrachten ideologischen Rechtfertigung von Ungleichheit und einer drastischen Macht- und Ressourcenkonzentration in den Händen einflussreicher Persönlichkeiten und der Institutionen, die sie finanzieren. Zudem werden die zunehmenden Katastrophen und Krisen als Gelegenheit gesehen, Profit zu machen, da es die Plutokraten sind, die die betroffenen Gebiete nach ihrem Gutdünken wiederaufbauen.

Die Peak Plutocracy drückt sich in der Weigerung von Regierungen aus, der weltweiten Jugendarbeitslosigkeit mit staatlichen Beschäftigungsprogrammen zu Leibe zu rücken und dem hinlänglich bekannten Niedergang der Infrastrukturen entgegenzuwirken. Sie manifestiert sich in der Entscheidung von Regierungen, Steuergelder für Kriege und für die Rettung von Banken auszugeben, nicht aber für die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit, Hunger und Krankheiten und für die Förderung erneuerbarer Energien.

Die Hyperkonzentration von Reichtum in den Händen von Wenigen hat sowohl in den reichen als auch in den armen Ländern die demokratischen Systeme korrumpiert. Wir müssen die Macht wieder demokratisieren. Doch ist es nicht mit einer Verbesserung der Wahlbeobachtung getan. Vielmehr muss Macht horizontal umgestaltet werden, sie muss mehr Menschen erreichen, und zwar diejenigen, die von den politischen Entscheidungen berührt werden.

Es gibt keine einheitlichen Rezepte, um diese Ziele zu erreichen. Die Veränderungen müssen sich immer aufs Neue, Tag für Tag, überall und flächendeckend vollziehen, damit wir nicht von den Reichen und Mächtigen überwuchert werden. Wir müssen das verlorene Terrain zurückerobern und es dann Stück für Stück ausweiten. (Ende/IPS/kb/2015)

(*) Soren Ambrose ist politischer Leiter bei ActionAid International.


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/04/opinion-has-the-world-reached-peak-plutocracy/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 24. April 2015
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. April 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang